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Der Slowakische Nationalaufstand

Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus und sein Scheitern

von Daniela Capcarová



Vor siebzig Jahren, am 29. August 1944, begann der Slowakische Nationalaufstand gegen die deutsche „Schutzmacht“ und die Regierung unter ihrem „Führer und Präsidenten“ Jozef Tiso. Für die slowakische Geschichte hat der Aufstand eine ähnliche Bedeutung wie der Warschauer Aufstand in Polen, allerdings mit einem Unterschied: Während die Rolle der Roten Armee beim Warschauer Aufstand umstritten ist, wollten die slowakischen Aufständischen gegen den Faschismus kämpfen und einen wesentlichen Beitrag leisten, um das Vorrücken der Sowjets in Richtung des slowakischen Partisanengebiets zu unterstützen.


Vor dem Aufstand

Die Situation vor dem Aufstand schildert Pavol Burák, Historiker aus Košice / Kaschau: „Durch das Münchner Abkommen verlor die Tschechoslowakei das sog. Sudetenland. Danach folgte der Erste Wiener Schiedsspruch, nach dem die Tschechoslowakei 1938 ihr Südgebiet und die Karpato-Ukraine an Ungarn abtreten musste. Am 14. März 1939 wurde auf dem Gebiet der autonomen Slowakei ein klerikal-faschistischer Staat ausgerufen“. Sowohl die Slowakei als auch Ungarn seien Verbündete Hitlers gewesen, so der Historiker weiter, dennoch habe sich die politische Situation in beiden Ländern voneinander unterschieden: Am deutlichsten trat dies bei der Deportation der Juden hervor. Die ersten Transporte aus der Slowakei unter dem mit Hitler verbündeten Präsidenten Tiso erfolgten bereits 1942. Die Judendeportationen in Ungarn begannen dagegen erst im Mai 1944. „So konnten die Juden in Košice, das damals zu Ungarn gehörte, bis 1944 in der Stadt bleiben, während die Juden aus dem vierzig Kilometer entfernten Prešov schon zwei Jahre vorher deportiert wurden“, erläutert Burák.

Es gab jedoch viele Slowaken, die gegen das Regime des Hitler-Verbündeten Josef Tiso waren und Juden während des Krieges Unterschlupf gewährten. „Auf dem Gebiet der Slowakei fanden auch viele russische Kriegsgefangene Schutz, die aus den nationalsozialistischen Gefangenenlagern in die slowakischen Berge geflüchtet waren. Nach Russland durften sie nicht mehr, dort drohte ihnen wegen Spionageverdacht Todesurteil oder Gulag“, betont Burák. „So formierten sich in der Slowakei die ersten Partisanentruppen. Außerdem fand der Widerstand gegen die Nazis immer größere Unterstützung vonseiten der Eliten in der politischen Diaspora – sowohl der des kommunistischen Widerstands in Moskau als auch derjenigen in London.“


Verrat und Entwaffnung

Im Frühling und im Sommer 1944 gewann die slowakische Partisanenbewegung immer mehr an Bedeutung. „Der damalige slowakische Präsident Tiso rief die deutsche Armee auf das Gebiet des Slowakischen Staates, um den Aufstand zu unterdrücken. Am Vormittag des 29. August 1944 besetzte die deutsche Armee die Slowakei“, erklärt der Historiker den Anfang des Nationalaufstands. „Am selben Tag hat der Freie Sender in Banská Bystrica, dem Zentrum des Widerstands, zum Aufstand aufgerufen. Zentrales Gebiet der Auflehnung gegen die Besatzer und ihre Lakaien war die Mittelslowakei, obwohl sich auch im Osten des Landes Partisanenbrigaden gebildet hatten. Der Hauptorganisator des Nationalaufstands war der Slowakische Nationalrat, der aus der breiten antifaschistischen Front hervorgegangen war. Der Nationalrat koordinierte die Partisanenkämpfe, die militärische Hauptkraft lag jedoch bei der slowakischen Armee. Ein Teil des Heeres, das de facto Josef Tiso unterstand, hatte sich ohne Tisos Wissen mit dem Slowakischen Nationalrat abgesprochen.


Von hier ging der Aufruf zum Nationalaufstand aus: Freier Sender Banska Bystrica. © Archiv des Slowakischen Verbandes der Antifaschistischen Kämpfer - SZPB Košice

 

Wichtige Unterstützung erwartete der Nationalrat von zwei Divisionen der Slowakischen Armee im Osten der Slowakei. Sie befanden sich auf dem Gebiet, wo deutsche Soldaten starke Abwehrpositionen ausgebaut hatten. “Diese beiden Divisionen sollten die deutsche Abwehr zerstören und das Vorrücken der Roten Armee auf slowakischem Gebiet bis nach Banská Bystrica unterstützen,“ sagt Burák. Doch die Pläne wurden verraten. Hitler ließ die Einheiten im Osten der Slowakei, vermutlich am 31. August, entwaffnen, die ersehnte Hilfe für die Aufständischen in Banská Bystrica blieb aus.

Laut Informationen aus dem Buch von Helena Pažurová Východoslovenská armáda / Die ostslowakische Armee fand die Entwaffnung beider Divisionen durch die deutsche Armee am 31. August 1944 statt. Der geheimen Operation gaben die deutschen Besatzer den Decknamen `Kartoffelernte´. „Manche Einheimische wurden in die slowakische Armee einberufen, trafen jedoch nicht in der Kaserne ein oder verließen sie noch vor der Entwaffnung und gingen zu den Partisanen in die Berge“, erläutert Burák. „Diejenigen, die in der Kaserne geblieben sind, wurden in Gefangenenlager nach Deutschland und zur Zwangsarbeit deportiert.“


Peter Capcara (links in schwarzen Stiefeln) mit weiteren Partisanen aus der Slowakei auf dem Gelännde des Friedhofes des Kriegsgefangenenlagers „Stalag II A“ in Neubrandenburg. © Dieter Krὒger, ...Doch sie liebten das Leben - Gefangenenlager in Neubrandenburg 1939-1945, Seite 44.

 

Was das damals für die Menschen bedeutete, zeigt die Geschichte von Peter Capcara. Seinen Einberufungsbefehl erhielt er am 10. August 1944. Als Reservesoldat sollte er in das motorisierte Schutzbataillon der östlichen Divisionen in Prešov eintreten. Nach dem Ausbruch des Nationalaufstands am 29. August 1944 wurde in der Prešover Kaserne die Kriegsbereitschaft ausgerufen. Nach der deutschen Besatzung kapitulierten die Kasernenleiter und befahlen auch den Soldaten die Kapitulation. Und doch kam es zu einem spontanen Feuergefecht zwischen deutschen und slowakischen Soldaten, bei dem mehrere Soldaten den Tod fanden.


Niederschlagung, Lagerhaft und Terror

Die überlebenden Soldaten suchten Zuflucht in den nahe gelegenen Wäldern, um die von dort agierende Partisanenbewegung zu unterstützen und dem Slowakischen Nationalaufstand zu helfen. Deutsche Truppen begannen jedoch, die Wälder systematisch zu durchkämmen. Peter wurde mit anderen gefangenen Partisanen nach Prešov gebracht. Am Hauptbahnhof luden die Deutschen ihn mit weitere Partisanen in einen Viehtransport. Der Zug fuhr über Ungarn in das Gefangenenlager STALAG II/A in Neubrangenburg – einige der Gefangenen starben schon während dieser Fahrt. Das Lager war mit elektrischem Stacheldraht eingezäunt, eine Flucht unmöglich. Je näher die Rote Armee Richtung Deutschland vorrückte, desto weniger bekamen die Häftlinge zu essen und zu trinken. Jeden Tag starben im STALAG II /A bis zu zwanzig Gefangene, der Friedhof befand sich direkt auf dem Lagergelände.


Friedhof STALAG II A, Peter Capcara links in Stiefeln und gestreifter Hose. © Dieter Krὒger „...Doch sie liebten das Leben“ - Gefangenenlager in Neubrandenburg 1939-1945, Seite 83. 

 

„Am 28. April erlebten die Neubrandenburger Kriegsgefangenen die langersehnte Stunde des Kriegendes“, schreibt Dieter Krüger in seinem Buch über die Gefangenenlager STALAG …doch sie liebten das Leben. Für Peter Capcara bedeutete das einen langen Heimweg, zuerst auf Lastkraftwagen der Roten Armee aus Deutschland und dann zu Fuß nach Hause. Endlich dort angekommen, erfuhr er, dass der Slowakische Nationalaufstand, an dem er teilgenommen hatte, schon am 27. Oktober 1944 niedergeschlagen worden war. An diesem Tag eroberten die Deutschen Banská Bystrica. Danach begann in der gesamten Slowakei der Terror. Die deutschen Einheiten ermordeten Partisanen, Soldaten, Zivilisten, Frauen und Kinder und setzten ganze Dörfer in Brand. Nach Angaben der slowakischen Presseagentur SITA sollen bei den Kämpfen insgesamt mehr als 10.000 Partisanen und slowakische Zivilisten uns Leben gekommen sein. Im Slowakischen Nationalaufstand kämpften auch russische, rumänische, ukrainische, tschechische, polnische, bulgarische und französische Soldaten und Partisanen sowie Angehörige anderer Nationen.

Laut Informationen der slowakischen Wochenzeitschrift PLUS 7 Dní kämpften unter den Partisanen auch zwei Partisanengruppen aus der Reihe der slowakischen Karpatendeutschen (die deutsche Minderheit in der Slowakei). Beiden hatten den gleichen Namen: „Ernst Thälmann“. Die erste Gruppe agierte unter Leitung von Viliam Müller im Gebiet um das ostslowakische Metzdorf / Medzevo herum, die zweite Gruppe bestand aus mehr als neunzig Männern und operierte unter der Leitung von Július Elischer in der Nähe von Nitrianske Pravno in der Mittelslowakei.


Zivilcourage

Laut SITA befinden sich in deutschen Archiven bis heute „interessante Dokumente“ über den Slowakischen Nationalaufstand, über den Einsatz der deutschen Truppen und die Beurteilung der einzelnen Kampftage. Auch Geheimdienstinformationen über die Unterdrückung des Aufstandes sollen dort lagern.

Das Museum des Slowakischen Nationalaufstands (Múzeum SNP) in Banská Bystrica bedauert, dass junge Menschen in der Slowakei heutzutage nur sehr wenig über das Ereignis wissen und sich daher dessen Bedeutung gar nicht bewusst seien. Slowakische Schulgeschichtsbücher widmeten sich der Problematik nur am Rande.
„Das ist schade, denn der Slowakische Nationalaufstand war Ausdruck der Zivilcourage unseres Volkes, die in der heutigen slowakischen Zivilgesellschaft oft fehlt“, meint Burák. „Außerdem“, weist der Historiker darauf hin, „müsste man noch den Verlauf des Aufstands in den Gebieten der Slowakei erforschen, die im Krieg an Ungarn abgetreten wurden“. Hinzu käme nämlich noch die Tatsache, dass es Jahr für Jahr immer weniger lebende Partisanen und Widerstandskämpfer gibt, die als persönliche Vorbilder für junge Menschen gelten könnten.


Die Erforschung des in Deutschland wenig bekannten Slowakischen Nationalaufstands könnte auch für deutschsprachige Historiker eine Herausforderung sein. Er war – nach dem Aufstand im damaligen Jugoslawien – in Europa immerhin der zweitgrößte Aufstand gegen den Nationalsozialismus. Vor allem in Zeiten, in denen die Geschichtswissenschaften in der BRD nach neuen Forschungsgebieten suchen, würde eine solche Forschungsarbeit sowohl für die deutsche als auch für die slowakische Öffentlichkeit einen enormen Beitrag für die Geschichtsaufarbeitung leisten.



© Text: Daniela Capcarová. Erstveröffentlichung einer gekürzten Fassung: Prager Zeitung, 28.08.2014 


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