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... und hatten die Pest an Bord

von Katja Schickel 

 

 

Nach Veröffentlichung der Studie "Das Amt", über die Beteiligung des Deutschen Auswärtigen Amts am Holocaust wird nun auf einen in der alten Bundesrepublik (also Westdeutschland und West-Berlin) vermeintlich gepflegten Mythos verwiesen, der es gerne als Hort aktiven und passiven Widerstands beschrieben habe, worin man einfach sauber und anständig geblieben war. Von dieser Art positiver Legendenbildung ist allgemein jedoch nicht viel bekannt: Es waren immer nur die Diplomaten und Beamte des Außenministeriums - manche ab 1948 umstandslos in den höheren Staatsdienst der gerade gegründeten Bundesrepublik Deutschland übernommen, Pensionsanspruch inklusive - die von sich selbst nur allzu gerne als Gegner des Nationalsozialismus sprachen: geglaubt hat man diese Art Geschichtsklitterung allerdings eher nicht. Bereits in dem Buch: Wer war wer im Dritten Reich? wurde auf einige dieser Lügen hingewiesen - auch in Klaus Theweleits Buch Männerphantasien tauchen Namen der Akteure bereits in der Frühphase ihres politischen Engagements auf.

In einem Amt, das das Dritte Reich nach außen hin zu repräsentieren und zu vertreten hatte, ist dieses Inseldasein auch nicht wirklich vorstellbar. Die Beamten in der Berliner Wilhelmstraße waren eingeweiht, sie hatten darüber hinaus Kontakte ins Ausland und Zugang zu ausländischen Presseorganen. Das AA hat als weltweit agierender Apparat sogar aktiv am Holocaust mitgewirkt bzw. war Mit-Initiator der sog. Endlösung. So machte man sich beispielsweise in Eigeninitiative Gedanken, wie der Antisemitismus weltweit dermaßen geschürt werden könne, damit eine „Lösung des Judenproblems“ (Emil Schumburg, 1938) eine globale Anstrengung würde. Man wollte sich offenbar die Hände nicht ganz so schmutzig machen, wie sie anschließend waren, vor allem nicht nur alleine. Auch bei der Wannsee-Konferenz 1942 waren Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes anwesend. Franz Rademacher, Leiter des Judenreferats des AA von 1940-43, hatte lange vorher schon die Idee, alle Juden nach Madagaskar zu deportieren, eine Idee, die propagandistisch als bewußt eingesetzes Kalkül von Bedrohung und Angst eingesetzt wurde und sich dementsprechend europaweit schnell verbreitete (s.a. hier: Gespräch - Roubickova).

 

 

 

 

 

 

1935 war das Lied Wir lagen vor Madagaskar* komponiert worden, zunächst als Seemannslied interpretiert, eroberte es sich sofort - und bis heute - einen Spitzenplatz im deutschen Volksliedgut, ähnlich wie Redewendungen á la: innerer Reichsparteitag und der berühmt-berüchtigte Graf Koks von der Gasanstalt (volkstümlich für: Gestapo, was auch belegt, dass große Teile der Bevölkerung gewusst, zumindest geahnt hatten, was mit denen geschehen war, die 'abgeholt' wurden).

 

Im Oktober 1941 reiste Rademacher beispielsweise nach Serbien und koordinierte dort Massenexekutionen und -deportationen  von Juden und anderen Staatsfeinden; seine spätere Spesenabrechnung gab als Grund der Reise die "Liquidation von Juden in Belgrad" an.

In allen von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten waren deutsche Diplomaten an den Deportationen von Juden aus den jeweiligen Ländern, an Arisierung, d.h. Enteignung und Raub, beteiligt: als Botschafter, Gesandte, Beamte aller Dienstgrade. Sie glaubten an ein Groß-Deutschland, in dem es vor allem keine Juden mehr geben sollte, und arbeiteten freiwillig an der Verwirklichung dieser Vorstellung mit. Es waren gewöhnliche Rassisten, Antisemiten und Antidemokraten, die schon früh als stramme Nationalisten Stellung gegen Sozialdemokraten und Kommunisten, gegen die Weimarer  Republik, bezogen hatten - ein echter deutscher Männerbund, meist großbürgerlich-adliger Herkunft, der für sich einen quasi natürlichen Führungsanspruch reklamierte. Detaillierte Pläne zur Vernichtung waren vermutlich nicht allen Beamten bekannt, nicht alle wußten über die Greuel Bescheid; die wichtigsten Funktionsträger mussten aber schließlich informiert sein, Direktiven weiterleiten und bei Zuwiderhandlungen auch Sanktionen verhängen. Dem freiwilligen Zuarbeiten für das System, das groß-deutsche Projekt, stehen nur einige wenige Einzelpersonen gegenüber, die sich weigerten und meistens ihren Dienst quittierten. Alle anderen blieben Mitwisser und Mittäter in Personalunion, die sich nach dem Krieg lieber (kurzfristig) Opportunisten/Mitläufer nannten als ihre Schuld einzugestehen. Prominentestes Beispiel war Albert Speer, der von sich behauptete, nie NS-Gesinnungstäter gewesen zu sein, sondern lediglich an seinen Groß-Projekten (z. B. Berlin = Germania) festhalten wollte. Wenn dies nur in einer Diktatur möglich war, musste man sich eben arrangieren. Nichts anderes tut heutzutage übrigens sein Sohn: allerdings nicht in Deutschland, sondern in China. (s.a. hier: Verfolgung-Ermordung der europäischen Juden). In einem Interview mit der taz weist einer der Mitautoren des Buches, der Historiker Moshe Zimmermann, auf den Staatssekretär Ernst von Weizsäcker hin: „Er war eine spannende, komplexe Figur, weder Widerständler noch blutrünstiger Täter. 1938/39 versuchte er in der Tat, den Krieg zu verhindern. Von Weizsäcker war eigentlich ein Nationalkonservativer. Seine Einstellungen zur Demokratie, zur Verfassung und auch zu den Juden schuf die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit dem NS-System. Deshalb konnte er keine klare Grenze zur radikalisierten Politik der Nazis ziehen. Er schrieb zum Beispiel Stellungsnahmen zur erzwungenen Emigration der Juden nach Palästina - er zog die 'Zersplitterung' des Weltjudentums in aller Welt vor. Sein Schreibstil zeigt also, dass er zum Diskurs des Dritten Reiches keine Distanz hatte. Als Jahre später das Reichsicherheitshauptamt anfragte, ob 6.000 französische Juden nach Auschwitz deportiert werden sollen, gab es von seiner Seite 'keinen Widerspruch'“.(Aus einem Interview von Stefan Reinecke, Markus Schulz, © taz.de). Seine Familie hält bis heute seine Verurteilung im sog.Wilhelmstraßen-Prozess, die nach wie vor geäußerte Kritik an ihm für einen Affront und ein Mißverständnis seiner "wirklichen" Haltung. Für sie ist er immer noch ein Mann des Widerstands.

Dieses deutsche Dilemma der Leugnung von Tatbeständen zeigt auch ein Film: 2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß von Malte Ludin (2005), dem Sohn von Hanns Ludin, der von Januar 1941 bis April 1945 als Repräsentant Deutschlands mit dem Titel „Gesandter I. Klasse und Bevollmächtigter Minister des Großdeutschen Reiches“ in der nur formell unabhängigen Slowakei eingesetzt, die Deportationen von über 60.000 slowakischer Juden vorantrieb und als besonders sadistisch bekannt war. Mit seiner Familie residierte er in der arisierten Preßburger Villa des slowakischen jüdischen Fabrikanten Stein. 1947 wurde er in Bratislava hingerichtet.

Nach dem 2.Weltkrieg haben sich Mitarbeiter des Amtes gegenseitig Persilscheine ausgestellt, über eigene Verstrickungen geschwiegen und ihre tatsächlichen Funktionen vertuscht -  dieser "Corpsgeist" herrscht leider bis heute.

Querelen um die Studie gab es im Vorfeld reichlich; ob und wie sich die MitarbeiterInnen des heutigen deutschen Außenministeriums einer Diskussion über die eigene Geschichte - 65 Jahre nach Kriegsende – stellen, bleibt abzuwarten. (Das Amt, Blessing Verlag, 2010)

 



 

* Das Lied wurde übrigens durchaus unterschiedlich interpretiert. Einige Edelweißpiraten kamen in den Nazi-Knast, weil sie es in zersetzender Weise gesungen haben sollen, später wurden viele von ihnen umgebracht; in den letzten Jahrzehnten wurde es immer wieder von Künstlern und Musikern aufgegriffen. Es gehört immer noch zum Kanon der Lieder, die in vielen deutschen Kindergärten gelehrt und inbrünstig gesungen werden.

 

 

 

 

 

© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com

 


 

 

 








 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 






 

 




 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

von Katja Schickel

 

 

 

 

und hatten die Pest an Bord

 

 

 

 

 

 

 



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