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Interview mit Bahaa Taher

von Katja Schickel 


Bahaa Taher (Arabisch: بهاء طاهر‎) (* 1935 in Kairo, Ägypten), auch: Bahaa Tahir, Baha Taher, oder Baha Tahir, ist ägyptischer Schriftsteller, der Arabisch schreibt. 2008 erhielt er den Internationalen Preis für Arabische Literatur.

Sie sind berühmt in arabischen Ländern, übersetzt und deshalb bekannt vor allem im englisch-amerikanischen Sprachraum, nicht so sehr in Deutschland, wo es meines Wissens nur eine Übersetzung gibt: Tante Safija und das Kloster (1995).

Wo kommen Sie her, wo sind ihre geographischen Wurzeln, was ist ihr familiärer und sozialer Hintergrund?

Sie erwähnten es bereits, ein Buch ist bereits übersetzt, ein anderes Sunset Oasis (engl. 2007) wird gerade ins Französische und Deutsche übersetzt. Es gibt noch eine Kurzgeschichte, die Doris Kilias übersetzt hat, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.

Ich komme aus der Nähe von Luxor. Meine Mutter kam aus dieser Region, aber mein Vater war Lehrer und musste die Stellen öfter wechseln, deshalb bin ich in Kairo groß geworden. Alle meine Schwestern und Brüder sind in unterschiedlichen Orten geboren, ich kam in Giseh zur Welt, in der Nähe der Pyramiden (lacht). Ich studierte in Kairo Geschichte; nach meinem Abschluss begann ich als Freiberufler beim Rundfunk zu arbeiten, für ein neues kulturelles Programm. Es war das erste Kultur-Programm im gesamten arabischen Raum. Wir nannten es das Zweite Programm, Radio 2, dessen Vorbild das dritte Programm der BBC war. Ab 1957 arbeitete ich dort – als Sprecher, Regisseur, Dramaturg, Moderator.

Ein wirkliches Multi-Talent....

Ja, natürlich, das ergab sich einfach so.Worauf ich aber wirklich stolz bin, ist, dass ich als Regisseur das gesamte Spektrum des europäischen Theaters vorstellte: die klassischen Dramen von Sophokles und Euripides bis hin zu Becketts Warten auf Godot. Ich hörte die verkürzte BBC-Fassung – und ich bin heute noch stolz, dass ich den gesamten Text gesendet habe. Es war die Hoch-Zeit des Absurden Theaters - und die Leute mochten es sehr.

Westliches, europäisches Theater, wie war der Zugang dazu?

Die Intellektuellen liebten es. Die Gebildeten, die Radio hören konnten, mochten es sehr. Es gab wunderbare Schauspieler, die die Rollen spielten. Deshalb war es auch so erfolgreich. Wir hatten auch ein Stück von Fernando Arrabal, der hier auf dem Festival ist, Jean Genet, aus Deutschland Peter Weiss - und von Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Während der 60er Jahre haben wir wirklich wunderbare Sachen gemacht. Dann gab es noch ein Feature-Programm: Wir stellten Künstler vor, ihre Biographien, aber auch ihre Bilder, was im Radio immer ein bisschen schwierig ist, aber auch da - von Giotto bis van Gogh und Gauguin die ganze Bannbreite. Aber 1975 - mit Sadat - verlor ich meine Stelle, durfte nicht mehr öffentlich auftreten und auch nichts mehr veröffentlichen. Ich erhielt Schreibverbot. Ich bin ins Ausland gegangen und habe für verschiedene Organisationen als Übersetzer gearbeitet. Ich arbeitete in Wien, Rom, Sri Lanka, weltweit habe ich als freiberuflicher Übersetzer gearbeitet. Immerhin hatte ich eine Familie zu unterstützen.

Warum wurden Sie denn 1975 verboten?

Zu dieser Zeit wollten sie alle Linken aus den Medien haben, und ich galt als Linker. Wer nicht pro-amerikanisch war, galt eben als Kommunist. Ich war zwar kein Kommunist, aber ich war auch nicht pro-amerikanisch. Haben Sie Die verlorene Ehre der Katharina Blum von Heinrich Böll gelesen? Plötzlich ist man rot - das genau passierte mir auch.

Ist die ägyptische Linke zu dieser Zeit vergleichbar mit der europäischen oder amerikanischen Bewegung der 60er Jahre?

Es ging um andere Inhalte. Die Kommunisten waren für das Pan-Arabische, die Sozialisten wollten eine nationale Lösung.

Was heißt das?

Ich möchte eine Union der arabischen Staaten, keine arabische Nation.

Das klingt erstmal gut: Einigung und Einigkeit bei gleichzeitiger Autonomie...

Damals war es das leider nicht. In den 60er Jahren wurde das gut geheißen, danach nicht mehr.

Was bedeutet denn: ägyptischer Nationalismus?

Das hieß: Pro-Amerikanismus.

Aber was bedeutet es? Keine eigenständige Entwicklung...

Auf gar keinen Fall die Allianz von Nasser, Tito und Nehru, die eine gute Balance hätte sein können in Zeiten des Kalten Krieges. Man wollte aber keine Gesellschaften mit sozialistischen Prinzipien, sondern den sog. freien Markt. Wir sollten die arabische Nachbarschaft vergessen.

Unter meinem Namen konnte ich zwischen 1975 und 1983 nichts mehr veröffentlichen und arbeiten sowieso nicht.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

(lacht) Ich habe als Grundschüler angefangen zu schreiben.

Spätestens dann haben wir das alle. Aber wann dachten Sie, ich möchte schreiben, um zu veröffentlichen und es zu einer (lebens-)wichtigen Sache zu machen?

Schon in der Universität. Ich wollte immer Schriftsteller sein.

Hier sagt man gern: das ist brotlose Kunst. Such dir einen anständigen Beruf,von dem du leben kannst. Gab es solche Hindernisse auch bei Ihnen?

Na klar, und wenn ich nicht im Rundfunk gearbeitet hätte, wäre ich Hungers gestorben. In Ägypten kann man vom Schreiben nicht leben.

Sie mussten also immer zweigleisig fahren: Broterwerb und Schreiben?

Ja. Das ist die normale Situation.

Welche Themen interessieren Sie? Was wollen Sie entdecken beim Schreiben?

Das ist schwierig zu beantworten. Sie müssen es selber lesen oder zumindest über mein Schreiben lesen. Für jeden Schriftsteller ist es schwierig, Auskunft über das eigene Schreiben zu geben. Schon Sokrates sagte, dass er, wenn er einen Dichter fragt, was er mit seiner Poesie sagen will, er der letzte wäre, das beantworten zu können.

Ich frage nicht nach der Bedeutung oder dem Sinn, sondern nach den Augenblicken, den Anlässen, den Notwendigkeiten, die Sie zum Schreiben bringen.

Wie ich schon sagte, das ist überall auf der Welt dasselbe: Es geht um das Gute und die Gerechtigkeit.

Also allgemein gesagt: Wie die Welt aussieht und warum sie so aussieht?

Ja.


Sind Sie zum ersten Mal in Prag?

Nein, zum zweiten Mal. Das erste Mal, das liegt über 10 Jahre zurück, kam ich mit meiner Frau hierher. Sie hatte den Prager Frühling 1968 erlebt, hatte in Prag studiert. Sie ist Schweizerin bulgarischen Ursprungs. Es war leicht für Menschen aus den osteuropäischen Ländern hier zu studieren.

In den sog. sozialistischen Bruderländern durften auch die Schwestern studieren...

(lacht) Ja, und ich habe sie so beneidet, denn sie konnte Kundera, und den Schwejk im Original lesen.

Das Motto des diesjährigen Festivals ist Heresy and Rebellion, und Sie nehmen an zwei Diskussionsrunden teil, die eine hat den wunderbaren Titel: Unsterblich sind wir lediglich in den den Polizeiakten, ein Satz von Milan Kundera...

(lacht) Ich habe Ihnen meine Geschichte erzählt, das genau ist die Situation, in der ich mich immer befand.

Die zweite Runde heißt Heresy, eigentlich ein religiöser Begriff, offensichtlich benutzt als Gegensatz zu jeder Form von Orthodoxie und Dogmatismus, spirit of contradiction würde es meiner Ansicht nach besser treffen.

Ja, man muss offen sein für alle Belange des Lebens - und gegebenenfalls opponieren, wenn es einem möglich ist.

Im Programm werden Sie vorgestellt als linker Avantgarde-Schriftsteller, was heißt das?

Ich schreibe nicht konventionell - wie andere vor mir geschrieben haben. Mein Stil ist spontan und frei, ich halte mich an keinen Kanon. Jedes Buch hat seine eigene Struktur, das Thema sucht sich sozusagen seinen eigenen Stil.

Zum Schluss eine Frage, die Sie nicht beantworten müssen. Sie kommen aus einer Region, die immerzu in den Schlagzeilen ist, nicht befriedet ist und eine Lösung auch nicht in Reichweite zu sein scheint. Gibt es überhaupt zu diesem Zeitpunkt eine Lösung?

Es kann nur gelöst werden, wenn Gerechtigkeit das Hauptmotiv wird. Das Problem muss gerecht und fair angegangen werden. Wenn wir über die Sicherheit Israels sprechen, müssen wir über die Sicherheit der Palästinenser reden. Wenn wir über das Recht auf Selbstverteidigung reden, müssen wir über das Recht der Palästinenser sprechen, sich ebenfalls zu verteidigen, vor allem, wenn es um die Menschen geht, die ihr Land verloren haben, es verlassen mussten, deren Häuser zerstört wurden. Das müsste ohne Protest akzeptiert werden. Es müsste eingestanden werden, dass es kein Recht für die Blockade des Gaza-Streifens gibt. Die Menschen dort haben keinerlei Rechte. Ich habe im Fernsehen gesehen, wie ein amerikanischer Politiker über das israelische Recht der Verteidigung sprach. Was aber ist mit der anderen Seite? Die scheint gar nicht zu existieren.

Die Situation ist ja nicht nur verworren, und jeder intelligente Mensch wird eine gerechte Lösung anstreben wollen, aber wie kann das geschehen, angesichts dieser Spirale von Hass und Gewalt? Es git sehr unterschiedliche Interessen. Die Positionen sind mittlerweile so extrem, dass mir ein Aufeinander-Zugehen, ein Zusammenkommen, tragfähige Vereinbarungen fast unmöglich erscheinen.

Wie gesagt, ohne Gerechtigkeit wird es nicht gehen. Es kann nicht immer nur eine Seite gesehen werden. Ein neutraler Beobachter, Goldstein, hat über die Situation in Gaza berichtet, aber seine Dokumentation wurde nicht einmal veröffentlicht. Aber Ungerechtigkeit fördert Extremismus, und alles, was passiert an Gewalt, hat den Ursprung in dieser Ungerechtigkeit.

Auch wenn man denkt, dass eine Lösung nur als gleichberechtigter Prozess möglich ist, sind die Fronten verhärtet wie lange nicht. Schon allein die Definition von Recht und Gerechtigkeit ist eins der schwierigsten Unterfangen.

Ja, aber solange es keine Gerechtigkeit gibt, wird es nicht besser werden. Interessant sind die sog.Neuen Historiker in Israel, die in ihren Recherchen zu verheerenden Ergebnissen kommen. Sie sind keine Araber, nicht pro-arabisch, sie präsentieren einfach die historischen Fakten, und sagen Dinge, die kein Araber sagen würde. Aber sie werden nicht gehört. Und die jungen Israelis sind mehrheitlich auf Netanjahus Seite und sehr extremistisch eingestellt. Es ist eine wirklich schwierige Situation.

Welche Rolle spielt Ägypten bzw. welche könnte es spielen?

Letztens wurden die Grenzbestimmungen zum Gaza-Streifen gelockert. Wir hoffen, dass das so weiter geht. Ich hoffe es sehr.

 

Interview am 06.06.2010

© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com



Buch: Tante Safija und das Kloster, Neuauflage, Lenos Verlag, Basel 2003

Informationen: www.arabischesbuch.de, info@alkatub.de (auch Buchbestellung)

Foto: pwf.cz



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