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Gorilla im (slowakischen) Nebel

 

 

 

Die Causa Gorilla erschreckt in der Slowakei nicht nur Politiker, sondern treibt die Menschen auf die Straßen. Von Verschleierung über Enthüllung bis zur Guerilla-Taktik wird vor den Wahlen in der Slowakei alles geboten. Aus aktuellem Anlass ein erhellender Stimmungsbericht aus Košice

 

 

 

 

 

von Daniela Capcarová 


 

 

Am 10. März 2012 finden in der Slowakei vorgezogene Wahlen statt. Das Land sieht ihnen so polarisiert entgegen wie nie zuvor. Erstmals seit der Samtenen Revolution sind in mehreren Städten Tausende Menschen wegen der Korruptionsskandale fast aller Regierungsparteien ratlos, verärgert und wütend auf die Straße gegangen. Interessant sind aber nicht so sehr die Demonstrationen selbst, sondern die Gründe für diese Unruhe.

Es begann mit der Abstimmung gegen oder für das Euro-Rettungsschirmpaket. Vor der Abstimmung erklärte eine der Regierungsparteien – die SaS (Sloboda a Solidarita – Freiheit und Solidarität)- ziemlich populistisch, sie sei dagegen, dass slowakische Rentner mit ihrer 300 Euro-Rente die 1500-Euro-Rentner im verschuldeten Griechenland unterstützen sollten. Die würden dem Paket nie zustimmen. Einerseits hatte die SaS Recht mit ihrer Diagnose, andererseits hatte sich die Slowakei mit dem EU-Beitritt mehr oder weniger verpflichtet, sich an gemeinsame EU-Regeln zu halten. Um diese Regeln zu brechen, ist das Land zu klein und hat darüber hinaus den Rettungsschirm-Befürworter Deutschland als wichtigsten Wirtschaftspartner. Das bedeutete, dass Angela Merkel der slowakischen Premierministerin Iveta Radičová zu verstehen gab, wie das Land abzustimmen habe. Da Radičovás Partei SDKÚ (Slowakische demokratische Union) Koalitionär der SaS war, kam es innerhalb der Regierung zum heftigen Meinungsstreit. Die widersprüchliche Einstellung zum Thema Rettungsschirm innerhalb der Koalition zwang die Premierministerin, die Abstimmung über das umstrittene Paket im slowakischen Parlament mit der Vertrauensfrage bezüglich des Premier-Postens zu verbinden. Die SaS blieb weiterhin dickköpfig, stimmte gegen den Euro-Rettungsschirm, stürzte damit auch gleich die Premierministerin und mit ihr die gesamte Regierung. Das Ergebnis der Streitigkeiten war zwar eine mit Hilfe der Opposition verabschiedete Teilnahme am Euro-Rettungsschirmpaket, der Preis dafür waren allerdings die vorgezogenen Neuwahlen. Die SDKÚ konnte den Sturz der Regierung nicht verwinden, und so begann der Kampf der ehemaligen rechten Koalitionsparteien untereinander, der bis heute anhält.                                  

Es wäre für die rechten Parteien nicht so schlimm gewesen, wenn nicht eine so genannte gute Seele eine - allen Analysen zufolge - durchaus glaubwürdige Mitschrift des slowakischen Geheimdienstes SIS über die Verhandlungen der SDKÚ mit ihren Partei-Sponsoren und der Finanzinvestorengruppe PENTA ins Internet gestellt hätte. Im Bericht kommt auch das korrupte Verhalten der Partei der Ungarischen Koalition SMK, die in der Regierung Koalitionspartner der SDKÚ gewesen war, zur Sprache. Noch schlimmer ist für die Politiker allerdings die Tatsache, dass all dies drei Monaten vor den Wahlen passierte. Der SIS-Bericht hatte den Arbeitstitel Gorilla, weil die Überwachung mit dem Abhör- und Überwachungssystem dieses Markennamens durchgeführt wurde. Die SIS-Abteilung, die für Finanzkorruption zuständig ist, begann eher durch Zufall einem Anfangsverdacht zu folgen, der die enge Verflechtung der Politik mit einigen Finanzgruppen zum Inhalt hatte. Ein SIS-Mitarbeiter wohnte nämlich ausgerechnet neben der Wohnung, in der sich PENTA vor allem mit Vertretern des rechten Parteienspektrums traf. Die SIS reagierte operativ und ließ die Wohnung wegen des Verdachts auf Korruption und Verflechtung von Privatkapital und Politik überwachen. Die Gespräche der Politiker mit PENTA-Vertretern wurden mithilfe eines kleinen Abhörgeräts in der Wohnungswand aufgenommen. Bei diesen Treffen ging es vor allem um den Verkauf der strategischen staatlichen Energiekonzerne, die 2005 durch die ehemalige Dzurindas-Regierung privatisiert worden waren.

Eingebunden in die Privatisierungsverfahren waren auch zwei Vertreter des staatlichen Fonds des Nationalvermögens (Fond národného majetku - FNM), die der Privatisierung der Energie-Riesen zustimmen mussten. Der FNM soll dem Gesetz nach im Interesse der Bürger handeln und verdächtige Privatisierungen verhindern. Dies ist leider nicht geschehen. Laut Gorilla flossen Provisionen vom Verkauf der staatlichen Energiekonzerne als Dankeschön sowohl an SDKÚ und SMK als auch an die FNM-Mitarbeiter Anna Bubeníková und Jozef Jurica. Die slowakischen Bürger zogen allerdings den Kürzeren – die Preise für Energie stiegen dermaßen, dass Energie in der Slowakei zurzeit teurer ist als beispielsweise in Deutschland. Ähnliche Privatisierungsmaßnahmen sollten auch im Gesundheitswesen stattfinden, und nur die wenigsten verstanden, dass die heftigen Streiks wütender slowakischer Ärzte im letzten Herbst vor allem wegen dieser Privatisierungspläne stattfanden, um nämlich einen weiteren Raubbau an Staatsvermögen durch Firmen wie PENTA zu verhindern.

„Du ermöglichst uns unser Business und wir sponsern dir deine Parteispots und deine Parteigenossen“, das war die Devise des bisherigen Win-win-Geschäfts von Parteien und Konzernen. Provisionen zahlten nicht nur PENTA, sondern auch ausländische Unternehmen. Zum Beispiel soll laut Gorilla die deutsche E.ON Energie vier bis sechs Millionen Euro für den 300-Millionen-Euro-Kauf des vorher staatlichen Energiekonzers Západoslovenská Energetika an die Partei SMK gezahlt haben.

So funktionierte die slowakische Politik bislang. Die erste Dzurinda-Regierung hatte der Slowakei den Weg zur EU geebnet, der Nebeneffekt - die gefährliche Verflechtung von Politik und Wirtschaft - fiel keinem auf. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die eigentlich im Interesse der Bürger investigativ arbeiten sollen, haben versagt. Sie verhielten sich genau wie die privaten elektronischen und Print-Medien, die - wie die Mehrheit ihrer Besitzer - meist rechte Parteien unterstützten. Eine objektive mediale Darstellung fehlte ganz. Die rechten Parteien, die vor den Wahlen 2010 mit der Parole Kampf gegen Korruption geworben hatten, waren fast alle in den Skandal verwickelt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Gorilla vom Tisch gefegt worden ist und aus dem Bericht bis heute keinerlei Konsequenzen gezogen wurden. Der Chef des Amtes für den Kampf gegen Korruption Ivan Šátek wollte bereits 2005 gegen die in Gorilla beschriebenen Korruption ermitteln und musste deshalb gehen. Der damalige Innenminister Palko von der Christdemokratischen Partei KDH und heutiger Regierungspartner der SDKÚ hatte ihn mit der lächerlichen Begründung, er hätte in der Polizei „intrigiert“, seines Amtes enthoben.

Es gibt ein Paradox, das einen an den deutschen Film Das Leben der Anderen erinnert: In der Slowakei könnte ein Geheimdienstler moralischer handeln, stärkeres Rückgrat beweisen und überzeugendere Werte vertreten als die Mehrheit der vor Oktober 2011 regierenden Politiker...

© presseurop.eu

Die Vernichtung der jahrelangen Fleißarbeit der Abteilung für Korruptionsbekämpfung der SIS und die Doppelmoral der Politik konnten jedenfalls offensichtlich jemanden dermaßen verärgern, dass der einfach aus Trotz den Bericht ins Netz stellte. Ob es ein gezielter Schritt einer Koalitionspartei war, um Dzurinda zu diskreditieren, weil jemand bei der Abstimmung über den Rettungsschirm vermutlich übergelaufen war, weiß man nicht. Vor etwa zwei Jahren begann ein investigativer Journalist, ein kanadischer Staatsbürger, an einem Buch über Gorilla zu arbeiten. Er traf sich mit seinen „Quellen“. Sehr interessant ist die Tatsache, dass seine Frau, Lucia Nicholsonová, Staatsekretärin des Ministeriums für Arbeit unter der SaS auch Teil der Regierung war. Deshalb stellt sich die Frage, ob nicht Nicholsonová selbst während ihrer Ehe ihrem Mann, von dem sie inzwischen geschieden ist, die Informationen über Gorilla geliefert hat; bemerkenswert auch, dass sich keiner ihrer Regierungskollegen mit der Bestrafung der Gorilla-Akteure die Hände schmutzig machen wollte. Die investigative und langwierige Arbeit Nicholsons am Gorilla-Projekt fand übrigens ein trauriges Ende. PENTA ging gegen das noch nicht erschienene Buch wegen Verunglimpfung ihres Firmennamens juristisch vor, und das Gericht hat dessen Veröffentlichung in der Slowakei tatsächlich verboten. Das war kein gutes Zeugnis für die slowakische Demokratie und das slowakische Rechtssystem. Nicholson ließ sich als englischsprachiger Journalist jedoch nicht einschüchtern: das Buch wird demnächst in Tschechien erscheinen.

© i.sme.sk: Lucia Nicholsonová 

Wenige Tage nach der Gorilla-Enthüllung und vor den Neuwahlen haben wir jetzt auch noch den Bericht Sasanka (der allerdings nicht aus der SIS-Küche stammt), der wiederum die Verhandlungen der SaS mit ihren Sponsoren wiedergibt. Ein Anonymus hat auch Sasanka ins Netz gestellt. Das ist ziemlich lächerlich und entlarvend für die SaS, die doch während ihrer Regierungszeit eine

Anti-Korruptionshotline für alle Bürger eingerichtet hat, offensichtlich ganz nach dem Motto aller Ablenkungsmanöver: Jeder engagiert sich gerade für das, womit er das größte Problem hat.

 

Gorilla ist nicht nur ein Abhörbericht, Gorilla hat in der Slowakei geradezu einen Massenwahn fast wie der Gorilla im amerikanischen Film ausgelöst. Den an Politik sonst eher weniger interessierten Slowaken ging die gesamte Entwicklung eindeutig zu weit - und sie gingen auf die Straße. Sie werden auch direkt vor den Wahlen auf die Straße gehen. Das Volk nimmt seine demokratischen Rechte wahr, und das aus dem Gefühl purer Machtlosigkeit. In der Slowakei sind vor allem die so genannten einfachen Leute von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht. Statt zur Lösung dieser virulenten Probleme beizutragen, schieben sich Politiker Provisionen in Plastiktüten zu. „Ich weiß nicht, wen ich wählen werde“, hörte ich in einer Košicer Straßenbahn. „Nicht mal dem kleineren Übel können wir unsere Stimme geben, weil inzwischen alle Parteien dasselbe miese Geschäft betreiben“, sagte ein junger Mann. Der erste Schritt, das Problem zu lösen, ist es zu definieren – dachte ich bei mir. In den letzten zwei Monaten ist genau das in der Slowakei zunehmend geschehen. Von daher kann es nur aufwärts gehen mit unserer Gesellschaft. Das Ergebnis der Wahlen wird zeigen, wie fortgeschritten die Slowaken in ihrer Auslegung von Demokratie wirklich sind.

 

© Text: Daniela Capcarová

    

 

 

 

Unter dem Codenamen Gorilla wurden zu Weihnachten angebliche Abhörprotokolle des slowakischen Geheimdienstes publik. Mit diesen Dokumente wurde ein Korruptionsnetz riesigen Ausmaßes aufgedeckt. Die Protokolle sollen belegen, wie die Finanzgruppe Penta maßgebliche wirtschaftspolitische Entscheidungen beeinflusst hat, vor allem bei Privatisierungen. Die Vorwürfe belasten zahlreiche Mitglieder der zweiten Regierung von Expremier Mikuláš Dzurinda, der heute Außenminister ist.

 

 

© rozhlas.sk

 

 

 

 

 

 

 

 

 

02/2012



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