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DOM-DŮM-THE HOUSE-DAS HAUS

Film von Zuzana Liová  - Interview: Katja Schickel

 

Wie sind Sie Filmemacherin geworden? War das von vornherein eine Passion oder hat es sich allmählich entwickelt?

Ich wollte immer schon schreiben und Drehbuchschreiben lernen. Schon während meiner Schulzeit bin ich immer in Film-Clubs gegangen. Nach dem Abitur begann ich, Drehbuchschreiben und Dramaturgie an der Akademie für Musik und Schauspiel in Bratislava (VŠMU) zu studieren, für mich der absolut richtige Ort, das Filmhandwerk wirklich zu lernen. Also war es für mich zumindest eine normale Entwicklung, ein Weg, den ich zielstrebig gegangen bin.

Wie viele Filme haben Sie bisher realisiert? Welche Themen haben Sie hauptsählih interessiert? Für wie viele haben Sie als Cutterin den Schnitt gemacht bzw. das Drehbuch geschrieben?

Ich habe verschiedene kürzere Dokumentarfilme gedreht, 2005 dann den TV-Film „Schweigen/Stille“, einen Film über eine sechsköpfige Familie. Die Frau ist mit dem fünften Kind schwanger, aber der Mann und Vater will es nicht. Daneben schreibe ich immer wieder fürs Fernsehen.

War DOM Ihr erster langer Kino-Spielfilm?

Ja, es war der erste Film fürs Kino. 2005 war „Schweigen/Stille“ mein Debüt fürs Fernsehen.

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Film gekommen? Was wollten Sie gerne erzählen? Hatte Sie auch ein bestimmtes Publikum im Auge?

Nein, ein bestimmtes Publikum hatte ich nicht im Kopf. Ich wollte über das schreiben, was mich bewegt, was ich sehe und erlebe. Das Haus ist voller solcher Beobachtungen über den Alltag, über Beziehungen; wenn Sie so wollen eine Kombination aus Phantasie und Realität. Der Film erzählt die Geschichte eines Vaters, der beschließt, auf seinem Grund und Boden für seine beiden Töchter jeweils ein Haus zu bauen. Die Geschichte erzählt also von Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern, berührt jedoch gleichzeitig die Gefühle, die alle mit dieser Konstellation kennen. Der Film zeigt ein Porträt einer innerlich zerrissenen, wenn nicht sogar zerstörten Familie, weil es an wechselseitiger Kommunikation fehlt, weil die Angst vorherrscht, Emotionen überhaupt zuzulassen.

Ist die Reaktion in der Slowakischen Republik eine andere als zum Beispiel die des deutschen Publikums auf der Berlinale? Da hatte der Film ja am 11.02.2011 seine Premiere. Gibt es Unterschiede?

 

Die slowakische Premiere ist erst im Herbst. Aber die Reaktion des deutschen Publikums hat mich doch sehr überrascht. Viele hielten mich an, um mir zu sagen, wie sehr der Film sie berührt habe.

Gibt es zurzeit eine blühende, slowakische Filmindustrie? Ich habe über die kinematographischen Anfänge nach dem 1.Weltkrieg gelesen und war doch einigermaßen überrascht, dass das Land damals zu den zehn führenden filmproduzierenden Ländern gehörte. Gibt es diese Tradition noch? Wenigstens in der Erinnerung?

Darüber weiß ich nicht sehr viel. Aber es gibt eine ausdrucksstarke neue Generation von Dokumentarfilmern in der Slowakei: Juraj Lehotsky, Peter Kerekes, Jaro Vojtek, Marko Škop - und ihre Filme „Blinde Liebe“, „Gefälschte Geschichte“, „Die Grenze“ oder „Der Siedler“ usw. sind durchaus bekannt, auch auf Festivals gelaufen. Alle diese Filme haben mich sehr inspiriert.

DOM wude in fast allen Berlinale-Vorankündigungen als tschechischer Film anonciert. Schmerzt oder nervt Sie das?

Nein, es ist nun einmal eine tschechisch-slowakische Koproduktion.Von beiden Seiten bekamen wir Unterstützung, und es gibt drei tschechische Schauspieler, vor allem den Hauptdarsteller. Es war eine wirklich gute Zusammenarbeit, und ich habe keine Probleme damit.

Was ist es aber wirklich: Unterstützung, gleichberechtigte Zusammenarbeit oder doch die führende Rolle tschechischer Institutionen, Fernsehen, Filmindustrie, wie es im Abspann, den sog. end credits, hieß. Wenn man beispielsweise einen deutschen Film mit Geldern von Channel 4 macht, wird der doch damit nicht automatisch ein britischer Film, er bleibt eine deutsche Produktion.

Die Tschechische und Slowakische Republik sind zwei unterschiedliche und unabhängige Republiken mit ihrer jeweils eigenen Filmindustrie, Filmförderung und Fernsehanstalten. Aber es gibt sehr enge Beziehungen zwischen beiden und viele Filme sind Koproduktionen. Außerdem arbeiten einige slowakische Filmemacher in Tschechien und vice versa.

Warum haben Sie sich gerade für diese Gegend, dieses Dorf, diese Kleinstadt entschieden? Weil es so unaufregend, ereignislos und öde ist, ein bisschen wie tot? Vor allem in dieser langen Winterzeit mit all dem Schnee und Regen. Alles grau: der Horizont, das Land, die Gesichstfarben etc.

Ich brauchte einen Platz mit einem Haus und Häuserblocks drumherum, um zwei Filmhäuser zu bauen. Wir fuhren also herum und fanden schließlich diesen kleinen Ort, der Malá Lehota heißt und bei Nová Baňa in der Zentralslowakei liegt. Er ist typisch für die Gegend, nichts Außergewöhnliches. Schon in meinem storyboard habe ich mit diesem Ort gearbeitet. Viele der Einwohner spielen im Film mit, wir benutzten die realen, alltäglichen Plätze. Und dann mag ich die Atmosphäre, wenn der Frühling kommt, eine Zeit für etwas Neues und Frisches.

 

Aber doch eine Gegend so verlassen, wie auch viele der Bewohner wirken. Sie sitzen immer in einer gewissen Distanz, es gibt auch kaum körperliche Nähe.

Sie leben in ihren Häusern. Die Männer treffen sich in der Kneipe, um fernzusehen. Andere treffen sich in der Kirche oder im Bus. Sie sind nicht verlassen, aber ohne viel Ambitionen und Energie. Nach meiner Beobachtung leben sie eigentlich recht nahe beieinander.

Der Vater will alles kontrollieren und beherrschen, er ist geizig, starrköpfig und will vor allem die Frauen bevormunden – er verkörpert auch eine Art Vergangenheit.

Der Vater will die kleinste Kleinigkeit selbst entscheiden und glaubt wirklich, dass er im Recht ist. Er kontrolliert seine Tochter Eva aus Angst - und die ist das Fundament seines ganzen Charakters. Die Furcht, er könnte seine Familie verlieren oder gar sterben. Ich glaube, es gibt viele solcher etwa gleichaltrigen Imrichs in der Slowakischen Republik, aber auch überall in Zentraleuropa.

Die Frauen leiden zwar, aber es gibt keine offene Rebellion, eher so eine weibliche Sturheit, die am Schluss zu Veränderungen führt. Ist das so?

 

 

Ja. Die Mutter versucht die Familie zusammen zu halten, aber ihre Anstrengungen sind ziemlich nutzlos, weil weder ihr Ehemann noch die ältere Tochter Jana ihre problematischen Beziehungen ändern können. Wenn sie jedoch stärker wäre und in der Lage, andere Bedingungen zu schaffen, würde der Status Quo sicherlich verändert. Tatsählich sind aber beide Seiten schuld. Aber auf keinen Fall wollte ich die Familie eines Tyrannen zeigen. Ich bezog mich auf etwas, dass in vielen Familien als normal gilt. Ich wollte die verschiedenen Familiencharaktere untersuchen und ihre Potentiale entdecken.

Er behauptet ja dauernd, der Hausbau sei eine Art Geschenk an seine Tochter, aber eigentlich geht es immer nur um ihn. Er muss all diese Anstrengungen auf sich nehmen, sonst käme ihm sein eigenes Leben ziemlich sinnlos, nutzlos und absurd vor. Erst als sein alter Freund und Genosse stirbt (auch als Teil seines eigenen Lebens und seiner Vergangenheit), wird er plötzlich milder, kann seine Tochter gehen lassen und die Familie seiner älteren Tochter in das Haus einladen. Haben Sie so gedacht?

Nach dem Tod seines alten Freundes realisiert Imrich, dass er etwas ändern muss. Er muss seinen Ärger begraben und seine Töchter über ihr Leben entscheiden lassen. Er versteht plötzlich auch, dass er deren Lebensentwürfe akzeptieren muss, auch wenn sie seinen Wünschen nicht entsprechen. Die Grenzlinie zwischen Egoismus und Liebe ist sehr dünn... Selbst im alltäglichen Leben respektieren sich Menschen oftmals nicht – es gibt einen beständigen Kampf zwischen dem eigenen Ego und der Liebe.

Der Kampf um Unabhängigkeit führt häufig zu Migration/Emigration in ein anderes Land, dazu, die Familie zu verlassen, die Umgebung, das eigene Land. Macht diese Entwicklung ein schwaches Land nicht noch schwächer, wenn die Jungen gehen, wenn sie sich weigern, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen?

Emigration im Kommunismus war etwas vollkommen anderes als die heutige Arbeitsmigration. Die Leute arbeiten im Ausland, leben dort, aber sie sind frei zurück zu kommen, und viele machen das so. Sie kommen zurück mit neuen Erkentnissen, Wissen und Erfahungen und können so ihre eigenen Länder wieder bereichern.

Sie sprachen auf der Pressekonferenz von Metaphern. Die meisten schienen das auf die politische Situation ihres Landes zu beziehen. Was meinen Sie denn damit: Was bedeutet das Haus für Sie? Auch die Farben scheinen eine Rolle zu spielen (diese verwaschenen Blau-, Grau- und Brauntöne, dieses immer etwas abgedimmte Licht – gute Kamerarbeit).

Ein Hausbau ist immer eine Metapher für Familie. Das Haus symbolisiert Hoffnung, eine neue Lebenschance. Es verkörpert eine intime Botschaft der Zusammengehörigkeit. Es verkörpert Nähe und das wir einen Platz haben. Unfertig zeigt es einen Weg auf, Wachstum, wie Beziehungen gebildet werden. Die fertige Konstruktion symbolisiert Bereitschaft und Erwartung von Neuem. Dauerndes Niederreißen von Mauern, die längst gezogen waren, ständiges Feilen an Plänen verweisen auf Spannungen, Streit, aber auch auf eine mögliche Entwicklung von Versöhnung. Das ständig unfertige Haus weist jedoch auch auf einen Prozess permanenter Änderungen in aktuellen Beziehungen hin und in einem weiter gehenden Sinn auch auf die ständigen Eingriffe in den zentraleuropäischen Gesellschaften.

 

 

alle Filmstills: tiskove@dumfilm.cz

© Interview: Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com



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