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ELITEN

 

Nach 1989 erlebt der Begriff der Elite eine Renaissance, nachdem er durch die Verstrickung deutscher Eliten in Nazi-Verbrechen lange als verpönt galt. Nach der Wiedervereinigung wollten sie international allerdings wieder mehr in Erscheinung treten und wurden vor allem in den Medien positiv dargestellt, die ihnen meistens auch selbst gehören. Sie begannen, ihre Ansprüche offensiv zu vertreten, ihren Luxus wieder zur Schau zu stellen.

In Deutschland gehören etwa viertausend Menschen zur Elite, zum allergrößten Teil sind es Männer, die durch ihre Position oder finanziellen Mittel die gesellschaftliche Entwicklung und das Leben jedes Einzelnen maßgeblich beeinflussen und lenken können. Es sind Spitzenkräfte aus Wirtschaft, Politik, Justiz und Verwaltung und natürlich Großunternehmer. Vor allem die Wirtschaftseliten halten sich für etwas Besonderes. Sie wissen dass sie Macht haben und geben dieses Bewusstsein auch an ihre Kinder weiter; sie sind im Bewusstsein aufgewachsen, über alles selbstverständlich verfügen zu können und sich nicht an allgemein gültige Spielregeln halten zu müssen. Man gibt Anweisungen, man erhält keine. Je weiter die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht, desto deutlicher wird die räumliche Segregation. Die Preise für Grundstücke und Immobilien haben einige von ihnen dermaßen in die Höhe getrieben, dass mittlerweile auch nur ihresgleichen sie zahlen kann. Es ist eine – ökonomisch wie mental - vollkommen abgeschottete Parallelwelt entstanden: dort die Gesellschaft, hier die Elite, die sich an den Staat nur dann hält, wo und wenn er ihr nützlich ist. Einerseits wird seine Bedeutung wegen der globalen Konkurrenzsituation ständig verbal marginalisiert, andererseits soll er ihren Interessen stets mit niedrigen Steuern und gut entwickelter Infrastruktur dienen. Ansonsten wird er nur als lästig empfunden. Qua Einfluss und Geld gestaltet man sein Leben nach eigenem Gutdünken und jenseits von Beschränkungen. Mit gesellschaftlicher Realität hat elitäres Leben und Bewusstsein nichts zu tun. Demokratische Entscheidungen sind schon heute tendenziell nicht mehr gültig. Während Entsolidarisierung und Härte propagiert wird (mit der Kuschel-Gesellschaft, sprich der Sozialen Marktwirtschaft sei es nun aber endgültig vorbei!), bedienen sich die Eliten an allen finanziellen Töpfen und kassieren überdies Unsummen an Abfindungen, Boni und Pensionen. Die Manager gerieren sich gebetsmühlenartig als unersetzlich bzw. international überall einsetzbar. Tatsächlich ist der Markt von Spitzenkräften immer noch national organisiert: von hundert Managern sind in Deutschland nur neun Ausländer (Schweizer, Österreicher), in den USA sind es fünf, in Japan ist es ebenso wie in Frankreich nur einer.

Auch das hohe Steuervolumen, das überproportional auf den Schultern der Eliten lasten soll, entpuppt sich als leere Behauptung, da immerhin zwischen versteuerten Vermögenserträgen und realen Vermögenserträgen unterschieden werden muss. Fünfzig Prozent aller Steuern werden von zehn Prozent der Bevölkerung gezahlt, die allerdings auch vierzig Prozent der Einkommen verdient; die reichsten zehn Prozent nehmen ca. hundert Milliarden Euro ein, von denen sie jedoch nur zwanzig Milliarden Euro versteuern. In keinem anderen westeuropäischen Land ist die Kluft zwischen Arm und Reich so tief geworden wie in Deutschland, das mit Beginn des neuen Jahrtausends diese Verhältnisse mit exorbitanten Steuergeschenken erst geschaffen hat und sich mit neuerdings geforderten Begrenzungen nun sehr schwer tut.

Neben dem selbstverständlich gewordenen Hang zur Gier, zeichnet diese Leistungsträger vor allem Neid aus: wer nur drei Millionen pro Jahr verdient, möchte eben die zwölf Millionen von Josef Ackermann (Deutsche Bank-Chef) haben, der sich mit Investmentbankern vergleicht, die es schnell und unkompliziert auf dreißig Millionen bringen, die wiederum auf die Milliarden starren, die Hedgefonds-Spekulanten machen. Es geht also um das ständige Updaten von Geld und Luxus. Nur so glaubt man, sich überhaupt noch voneinander unterscheiden zu können. Nach unten aber, dem Staat gegenüber wehren sie sich erbittert und verteidigen ihre Privilegien mit allen Mitteln, bisher vor allem mit medialen. Zurzeit jedenfalls wachsen die oberen Einkommen weiter, während die Reallöhne weiter sinken und Sozialleistungen gekürzt werden. Die obere Mittelschicht schickt ihre Kinder auf Privatschulen, um ihnen weitere Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten. Auch sie wollen ihre Privilegien vor allem nach Unten verteidigen. Die Elite weiß, dass sie keinerlei Schwierigkeiten zu befürchten hat. Ihre Besitzstände sind ein verlässliches Ruhekissen.

(Nach: Dr. Michael Hartmann, TU Darmstadt, Studie: Eliten und Macht in Europa, Campus Verlag)

 

 

 

 



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