LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
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Flucht und Vertreibung 

Zusammenstellung: Katja Schickel

 

 


 

noch bis 31.10.2013, Ausstellung, Sušice / Schüttenhofen

Tschechen und Deutsche im 20. Jahrhundert im Schatten zweier totalitärer Regime

Fotografien, Publikationen, Dokumenten, Uniformen und zeitgenössischen Gegenstände sollen das Zusammenleben beider Völker veranschaulichen, insbesondere in der schwierigen Phase ab dem Ende der 1930er Jahre. Die Interpretationen der Geschichte unterscheiden sich jeweils in der tschechischen, deutschen und sudetendeutschen Sichtweise, sollen aber nicht bewertet werden, sondern vermitteln helfen. Infos: http://muzeum.sumava.net/ 

Muzeum Šumavy / Böhmerwaldmuseum, Sušice

 


03.10. - 07.10.2013, Literaturtage, Badenweiler

2. Badenweiler LiteraturtageHeikle Heimat: Lesungen, Vorträge, Musik und Gespräche.
Heimat ist ein großes Thema, auch für die Literatur. Ein Motiv der Erinnerung und der Sehnsucht. Aber es werden auch Besitzansprüche gestellt im Namen von Heimat. Sie kann auch heikel werden, dann will man frei davon sein, mobil statt verwurzelt. Wie viel Heimat braucht der Mensch und wie viel verträgt er? Initiiert vom Autor und Philosophen Rüdiger Safranski kommen dieses Jahr: Herta Müller, Sibylle Lewitscharoff (die einer deutsch-bulgarischen Familie entstammt), Cees Nooteboom, niederländischer Autor und Weltbürger, Peter von Matt, Schweizer Buchpreisträger, Juli Zeh, Pascale Hugues, in Straßburg geborene Publizistin, die mit "Marthe und Mathilde", einer Schilderung ihrer elsässisch-badischen Familiengeschichte, großen Erfolg hatte, Christoph Meckel, Autor und Zeichner, der seine Werke im KunstPalais Badenweiler präsentieren und Edgar Reitz, der seinen neuen Film "Die andere Heimat. Eine Auswanderer-Saga" vorstellen wird. Infos:
www.literaturtage-badeweiler.de

 

25.09.2013, 12–14.00 Uhr, Präsentation und Diskussion, Šumperk
Sprache und IdentitätDas Projekt Schaufenster Enkelgeneration.Vorgestellt werden vier junge Tschechinnen und Tschechen, die exemplarisch für ihre Generation stehen. Hana Filipčíková (*1989), Ines Goschalová (*1987), Ondřej Hruška (*1982) und Sandra Kreisslová (*1981) geben Auskunft, wie sie Deutsch gelernt haben und welchen Raum die Anwendung der deutschen Sprache in ihrem heutigen Alltag einnimmt. Empfinden sie sich als Teil der deutschsprachigen Minderheit wie ihre Großeltern, ist die eigene Mehrsprachigkeit ein wertvolles Gut und nutzbringend im heutigen Europa? Präsentation der Filme mit anschließender Diskussion in Anwesenheit von Projektbeteiligten. In deutscher Sprache. Links:
Sprache und Identität – Schaufenster Enkelgeneration (goethe.de/praha)
Begegnungszentrum Mährisch Schönberg
Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien
Gymnázium Šumperk, Masarykovo nám. 8, 787 58 Šumperk

 

 

 

 

Tschechisch-deutsches Projekt: http://www.antikomplex.cz/de/

 

 

 

 

 

 

Ota Konrád/René Küpper (Hg.)
Edvard Beneš: Vorbild und Feindbild. 

Politische, historiographische und mediale Deutungen (VCC 129)
VI u. 306 Seiten, geb., 49,99 €, ISBN 978-3-525-37302-6




Edvard Beneš gilt als eine der kontroversesten Gestalten der tschechischen und tschechoslowakischen Geschichte – und zwar nicht nur in Tschechien, sondern auch international. In Deutschland etwa verbindet man mit seinem Namen fast ausschließlich die so genannten Beneš-Dekrete und die Zwangsaussiedlung der deutschen Minderheit aus der Tschechoslowakei. Die Aufsätze dieses Bandes tragen dazu bei, die Debatten um Beneš zu versachlichen. Autoren aus fünf Ländern fassen den Forschungsstand zur Wahrnehmung seiner Politik und Person vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart zusammen.

Information zur neuen Verlagskooperation des Collegium Carolinum

Ab diesem Jahr erscheinen die beiden Schriftenreihen „Veröffentlichungen des Collegium Carolinum“ (VCC) und „Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum“ (BWT) im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Die Publikationen des Collegium Carolinum aus den Jahren 2005 bis einschließlich 2012 sind weiterhin im Buchhandel erhältlich. Bestellungen nimmt auch das Collegium Carolinum entgegen. Dort sind außerdem für die Mehrzahl der vor 2005 erschienenen Titel Restbestände auf Lager, die ebenfalls bestellt werden können unter: post.cc@extern.lrz-muenchen.de

 

17. 04. 2013 – David Vondráček, der tschechische Dok-Filmer, erhält am 18.05.2013 in Augsburg den Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Man wolle Vondráček für seine unabhängigen und kritischen Filme würdigen, die sich gegen nationale Klischees wendeten, die auf beiden Seiten der Grenze nach wie vor bestünden. Bereits 2010 wurde er für seine Dokumentation Töten auf Tschechisch / Zabíjení po česku mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis geehrt. Der Film, der sich mit Vorkommnissen rund um die Vertreibung der Deutschen kurz nach Kriegsende beschäftigt, hatte in Tschechien zu heftigen Kontroversen geführt. (čtk; s. dazu hier: Doku -10. Mai 1945)

 

noch bis 08.04.2013, Ausstellung, Prag

Lukáš Houdek, The Art of Killing – Fotographie

Was nach dem Ende des 2.Weltkriegs, vom 8. Mai 1945 an, deutschen Zivilisten in der Tschechoslowakei widerfuhr, hat der siebenundzwanzigjährige Fotokünstler in nachgestellten Szenen mit Barbiepuppen nachgestellt, weil sie den Menschen ähnlich sind und doch Distanz herstellen. Diese Morde werden in der Gegenwart nicht nur verschwiegen, sondern trivialisiert und verleugnet. Houdek begann zu recherchieren, weil bis heute kaum über die grausamen Racheakte gesprochen wird, Internet, geschichtswissenschaftliche Publikationen von Adrian von Arburg und Tomáš Staněk und Tagebüchern von Betroffenen halfen ihm dabei. Er selbst hatte vorher fast nichts von den Vorkommnissen nach Kriegsende gewusst: "In meiner Heimat sprechen die Menschen bis heute nicht darüber." Und das, obwohl die deutsch-tschechische Historikerkommission davon ausgeht, dass bei der Vertreibung von Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 24.000 und 40.000 Menschen ums Leben kamen. Das sei, was er kritisieren wolle. Er erhielt Schmähbriefe und Drohungen, ein Nestbeschmutzer sei er, ein Verräter. „Ich bin davon überzeugt, dass jeder das Recht hat, sich zur Geschichte des eigenen Volkes zu äußern. Ich möchte, dass die Ausstellung an möglichst vielen Orten gezeigt wird. Mein Ziel ist, die Fotos möglicherweise auch in jenen Regionen zu präsentieren, in denen sich die tragischen Ereignisse abgespielt haben.“
Technische Nationalbibliothek, Techniká 6, Prag 6
Sieben großformatige Fotos aus der Bilderserie sind auch am linken Moldauufer zu sehen:
Galerie ARTWALL,
www.artwall.cz, Nábřeží kpt. Jaroše a Edvarda Beneše, Prag 7. 

© L. HoudekŽatec - Saaz, Juni 1945, Suche nach verstecktem Schmuck und Massenvergewaltigung von Frauen in den Kasernen von Žatec

 

05.03.2013, 19.00 Uhr: Präsentation der Erinnerungen des Historikers Toman Brod

Eine Würdigung nimmt – in Anwesenheit des Autors – Jaroslav Šonka (Berlin) vor.

Toman Brod, *1929 in Prag. In der Zeit des Protektorats Böhmen und Mähren und des 2.Weltkriegs war er drei Jahre lang in Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Groß-Rosen interniert, danach Historiker. Während der Normalisierung nach 1968 musste er seinen Lebensunterhalt mit verschiedenen Arbeiten verdienen. Als einer der ersten unterschrieb er die Charta 77. Als Historiker beschäftigte er sich mit der nationalsozialistischen Politik und dem tschechoslowakischen Widerstand. Seine 2007 in tschechischer Sprache herausgegebenen Erinnerungen mit dem Titel Ještě že člověk neví, co ho čeká wurden von Anna Knechtel und Gudrun Heißig ins Deutsche übersetzt. Toman Brod: Gut, dass man nicht weiß was kommt. Herget Verlag Weßling; ISBN 978-3-9810192-5-4; Preis: 29,50 €. Weitere Infos: schwarz@stifterverein.de

Kulturforum im Sudetendeutschen Haus, Hochstr. 8, München



Peter Kurzeck

 

  

"Das ist ja ein Phänomen, dass die Dinge übermächtig werden, wenn sie weg sind, wenn sie versunken sind. Da wird ein Haus abgerissen. Vorher ist man zehn Jahre lang daran vorbeigegangen und wusste, das steht da. Dann ist es weg. Und dann quält einen die Erinnerung daran. So geht es mir mit jedem einzelnen Augenblick. Und ich glaube, die Augenblicke und auch die Menschen sind nicht ganz verloren, wenn man sie im Gedächtnis behält und als Schriftsteller natürlich versucht, sie so lebendig wie möglich zu gestalten. Ich muss mir immer wieder selbst die Welt erzählen! Auch den gestrigen Tag, damit die nicht ganz und gar vergeht. [...]

Ich kann mir ein Leben ohne Schreiben nicht vorstellen. Selbst mit fünf Jahren, als ich gerade anfing, mühsam schreiben zu lernen, musste ich mir Geschichten, also den jeweils heutigen oder gestrigen Tag erzählen. Insofern ist das Leben das Schreiben. Aber sie treiben sich auch gegenseitig an. Ich arbeite immer morgens und abends. Da muss man sehen, dass es abends nicht zu lang wird, damit der nächste Morgen funktioniert. Ich gehe also nachts ins Bett schon mit der Vorstellung: Sobald du morgen aufwachst, kannst du so weitermachen. So ähnlich wie ein Kind, das Weihnachtsgeschenke bekommen hat und damit spielt, aber dann irgendwann ins Bett muss. Es stellt die Weihnachtsgeschenke um sein Bett herum auf. Vielleicht schlafe ich auch deshalb schlecht, weil ich natürlich im Schlaf weiter daran arbeite."

aus dem Band: Wend Kässens, Das Große geschieht so schlicht (s. hier auch: Empfehlungen)

und: Peter Kurzeck: Mein wildes Herz. Peter Kurzeck erzählt. Konzeption und Regie: Klaus Sander.

Schnitt und Mastering: Michael Schlappa. supposé 2011. 2 Audio-CDs. 120 Minuten. 19,80 Euro.

 

 

Angelika Overath

Über die Abwesenheit von Orten, Menschen und Erinnerung

von Katja Schickel

  

Angelika Overath, Nahe Tage 
Roman in einer Nacht
152 Seiten, geb., Schutzumschlag
Wallstein Verlag, Göttingen 2006
ISBN: 978-3-89244-927-0


 

 

 

  

Nach dem Tod der Mutter muss eine Tochter die letzten Dinge regeln. Sie hat sich - fast zwanghaft - gegen das vorhersehbare Ende offenbar mehr aufgelehnt als die sterbenskranke Mutter, die bereits einige Wochen im Krankenhaus lag. Mit den Habseligkeiten der Verstorbenen kommt sie in die mütterliche Wohnung, in der die knapp vierzigjährige Johanna alles an ein Früher erinnert, das ihr immer suspekt und befremdlich vorkam, und doch die einzige Verbindung und damit Nähe zur Mutter darstellte. Um sich abzulenken und unliebsame Gedanken zu verscheuchen, beginnt sie aufzuräumen und die Wäsche der Toten zu waschen. Damit fängt auch gleichsam eine Inventur der eigenen Kindheit und Jugend an. Jeder Handgriff, jeder Gegenstand offenbart eine Facette des Lebens der toten Frau und die Beziehung, die Mutter und Tochter verband und gleichzeitig scharf voneinander trennte. Mit ihrem umtriebigen Ordnung-Schaffen, das dem der Mutter nicht unähnlich ist, mit jeder vertrauten Geste zerfällt jedoch das Bild einer auch nur annähernd heilen Welt, in der Spektakuläres allerdings nie stattgefunden hat.

Angelika Overath spricht nicht explizit davon. Wie kann man von Verlust, Leere und Abwesenheit von Menschen, Orten und Erinnerung sprechen, ihnen Inhalt und Ausdruck verleihen. Die Autorin tut es einfach – klar und gekonnt, indem sie das eigentliche Zentrum des Romans erst gar nicht benennt, denn Abwesenheit ist nichts, über das man beiläufig sprechen könnte. Was nicht da ist, entzieht sich der leichtfertigen Beschreibung, der eindeutigen Definition. Es ist eine Art Black Box. Das Wort Heimat kommt deshalb im Roman nicht ein einziges Mal vor, und doch handelt der Roman von ihr. Für die verstorbene Mutter, eine so genannte Heimatvertriebene wie Vater und Großeltern, gab es ein früheres 'Zuhaus', an das bestimmte Gewürze, Gerichte und Backwaren und deren Gerüche erinnerten und die auch Johanna mit ihrer Kindheit verbindet; Vorstellungen von Freundschaft, Liebe und alte überkommene Lebensgewohnheiten, die die Mutter in immer gleichen Ritualen, einigermaßen hilflos und anachronistisch, in ihren Alltag integrierte, und die deshalb der Tochter, seit sie denken kann, immer auch peinlich gewesen sind. Über das Nicht-Vorhandene, das auch sprachlich nicht fassbar ist, lässt sich eben nur schwer reden. Die Vergangenheit der Eltern ließ sich der Tochter nicht vermitteln, war für die allenfalls ein theoretisches, geborgtes Wissen. Es gab keine Personen, Gegenstände und kaum Bilder, die ihr diese Zeit veranschaulicht und beglaubigt hätten. Als Kind hat man noch keinen Begriff von verlorenen Zeiten und Reichen. Die Lücke, entstanden durch die – selten und wenn, nur wehmütig geäußerten - Verluste, wird aufgefüllt mit unfrohem Schweigen. Das ist der bröcklige Kitt, der alle zunächst zusammenhält. Schmerz ist nicht teilbar, nicht mitteilbar. Gemeinsame Erinnerung gibt es nicht. Mit der Erinnerung ist jeder Mensch allein. Gemeinsam ist allenfalls die Fremdheit. Das fremd gebliebene Land und seine feindseligen Bewohner. Die Mutter hat sich nicht heimisch fühlen und der Tochter deshalb auch kein Gefühl für ihre Umwelt geben können, sich aber immer stärker an die Tochter geklammert und sie quasi zu ihrem Haus gemacht. Der Vater ist seiner Arbeit nachgegangen, seinen Hobbys und später einer anderen Frau. Wie viele Flüchtlinge sind sie öfter umgezogen, es gab im doppelten Sinn keinen Grund, an einem Ort zu bleiben. Die Tochter vergisst an jedem neuen Ort sofort, wo sie vorher gelebt hat. Auch sie hat keine Wurzeln, weil es besser ist, keine zu haben. Die Familie lebt in einem Kokon, der Schutz bietet gegen ein feindlich empfundenes Außen, man richtet sich klaglos ein, man fügt sich dem Schicksal, aber man lebt nicht, ist nicht offen für das Neue, man schweigt, weil dem eigenen Unglück zu oft die adäquaten Worte fehlen. Etwas fehlt ihrem Leben, lässt sich aber nicht benennen.Jeder leidet für sich allein, lebt in und mit der eigenen Vergangenheit, die man überhöht, sich gleichzeitig aber verbietet, wird bitter, kleinlich und verschlossen. Ein Miteinander gibt es nicht. Das Unausgesprochene lähmt und entzweit die Beteiligten immer mehr.

Erst als Johanna – am Ende ihrer peniblen und widerwilligen Aufräumarbeit in der mütterlichen Wohnung - zufällig einer Ausländerin begegnet, die als Flüchtling ins Land gekommen ist und in existenzieller Unsicherheit lebt, erfährt sie die Überwindung von Fremdheit und Sprachlosigkeit, beginnt sie das Leben ihrer Mutter und ihr eigenes zu begreifen. Beide Frauen empfinden im Moment ihrer Begegnung die Tiefe ihrer Verlassenheit und können ihr doch Ausdruck verleihen; radebrechend, lachend und körperlich. Sie verstehen sich auch jenseits der Worte und Sprachbarrieren. In der Trauer der Anderen ist für einen kurzen Augenblick die eigene aufgehoben und Nähe möglich.  

Angelika Overath rhythmisiert ihren Text mit kurzen, unsentimentalen Sätzen, die schnelle Perspektivwechsel zulassen und die Erzählung vorantreiben. Am Todestag der Mutter und in der darauffolgenden Nacht werden längst vergessen geglaubte Erinnerungen wach, sobald die Tochter ihren genauen, fast mitleidslosen Blick über den mütterlichen Hausrat, das Mobiliar, die Pflanzen und allerlei Kleidungsstücke schweifen lässt. Die widersprüchlichen Gefühle lassen sich nicht mehr unterschlagen. Alles kommt hoch: Das Spießige, die trostlose Enge der Verhältnisse, denen die Tocher schon früh entkommen will. Johanna will die Geschichte ihrer Mutter nicht weitertragen. So viel Schlussstrich muss sein. Die Beklommenheit beim Abschiednehmen offenbart aber auch, wie schwierig es ist, das Endgültige des Todes zu akzeptieren und Trauer überhaupt zuzulassen. Unsicherheit und Angst lassen sich nicht leugnen, ebenso wenig wie der gerade dann entstehende vitale Wunsch nach Liebe und Verständnis – und einem neuen Tag.


11.03.2012

 

 

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Adrian von Arburg, Karls-Universität Prag

Vertreibung, Zwangsaussiedlung und Deportation der tschechoslowakischen Deutschen (1945-1948)

Der Transfer unter der Hand (Frühling/Sommer 1945)

 

"Der Tscheche hat in diesem Raum letzten Endes nichts verloren", so die Losung von Reinhard Heydrich, Hitlers neuem Statthalter in Prag, in einer Geheimrede vom Oktober 1941. Obwohl die NS-Politik in den böhmischen Ländern, vorwiegend im Interesse der Rüstungsproduktion, sich vor der Enthüllung ihrer langfristigen Ziele hütete, sorgten mehrere Terrorwellen, Aussiedlungen ganzer Landstriche, eine konsequente Germanisierungspolitik in allen Lebenssphären und nicht zuletzt die schonungslose wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen, Gütern und Vermögen für eine in der Geschichte beispiellose Aufstauung von Vergeltungs- und Hassgefühlen gegen alles Deutsche. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei und die anschließende über sechsjährige Besatzungszeit war auf tschechischer Seite ohne Frage das Hauptmotiv für den Wunsch, künftig in einen "Nationalstaat" ohne deutsche Minderheit zu leben. Dass dabei auch wesentlich weiter zurückreichende Vorstellungen über die Deutschen als landesfremde "Kolonisten und Herbeigewanderte" (ein Wort des führenden Mitglieds der tschechischen Nationalbewegung und ersten tschechoslowakischen Präsidenten, Tomáš Masaryk, aus dem Jahr 1918, das er umgehend zurücknahm) Paten standen, ist wahrscheinlich, aber kaum schlüssig nachweisbar und deshalb umstritten. 

Die Verwandlung des Wunsches in die Tat war nur zum Teil das Ergebnis des spontanen Volkszorns, wie oft tradiert wird. Dieser war es aber, der vor allem im Mai und Juni 1945 für die Mehrzahl der Gewalttaten gegen die pauschal aufgrund ihrer Nationalität als "staatlich unzuverlässig" gebrandmarkten Deutschen verantwortlich war. Es verdient Beachtung, dass das Plündern, Morden und Vergewaltigen eher selten eine Sache der im Sudetenland alteingesessenen Tschechen war, sondern in der Regel von meist irregulären bewaffneten Verbänden durchgeführt wurde, deren Angehörige als Ortsfremde nie mit Deutschen zusammengelebt hatten. 

Die obersten politischen Funktionsträger der neu errichteten Tschechoslowakei trugen für die Ausschreitungen vor allem eine gewichtige indirekte Verantwortung. Befehle aus Regierungskreisen zur physischen Vernichtung von Personen sind nicht belegt und unwahrscheinlich. Der politischen Führung kann jedoch vorgehalten werden, nicht genug gegen das Wüten der Straße unternommen zu haben. Am dritten Tag nach ihrer Ankunft in Prag (12.5.1945) entschied das Kabinett, einen von Premier Fierlinger angeregten Aufruf im Rundfunk zur Einstellung der Lynchjustiz zu unterlassen, da die in Sachen Chauvinismus zueinander in einem Wettstreit stehenden Vertreter der Kommunisten und Volkssozialisten einen Prestigeverlust unter der Bevölkerung befürchteten. Stattdessen verkündete der wegen seines Einlenkens nach dem Münchener Abkommen um seine Popularität bangende Präsident Edvard Beneš am gleichen Tag in Brünn, sein Programm sei, "die Deutsche Frage in der Republik zu liquidieren". Vier Tage später forderte er auf dem Prager Altstädter Ring gar die "kompromisslose Liquidierung der Deutschen in den böhmischen Ländern", wobei Beneš aber gewiss nicht eine physische Vernichtung vorschwebte. In Lidice verkündete er, dass für die Verbrechen der Nationalsozialisten das ganze deutsche Volk verantwortlich sei. Mitte Juni forderte er in Tábor, einer früheren Bastion der Hussiten, die Entgermanisierung der Republik "überall und in allem". Die zu einer Aufheizung der Stimmung beitragenden Aufrufe von Beneš und anderen hohen Funktionsträgern standen nicht im Einklang mit dem am 5. April in Kaschau verkündeten Regierungsprogramm. Dieses hatte aus internationaler Rücksichtnahme die schon vorher beschlossene Absicht einer Zwangsaussiedlung des größten Teils der Sudetendeutschen verschleiert. In nebulösen Worten war dort vielmehr von einem differenzierten Vorgehen gegen die Deutschen die Rede, wobei nur wirklich Schuldige zu bestrafen und nur diese wie auch Deutsche aus dem "Altreich" auszusiedeln gewesen wären.


Im Unterschied zu den Gewaltexzessen an Leib und Leben waren die Ende Mai in mehreren Gebieten parallel einsetzenden Austreibungsvorgänge nicht nur indirekt von der Regierung zu verantworten, sondern von Anfang an zentral angeordnet, von der Armeespitze koordiniert und durch Soldaten der regulären Armee realisiert. Paramilitärische Revolutionsgarden und nicht selten erst zu Kriegsende gebildete Partisanenformationen, die zu flächendeckenden Aussiedlungen gar nicht in der Lage gewesen wären, spielten dabei nur noch eine Statistenrolle. Die Absicht von Kommunistenführer Gottwald, die Bevölkerung unmittelbar nach der Ankunft der Regierung in Prag zur "Säuberung von den Deutschen" aufzurufen, wurde damals noch verworfen, doch schon am 15. Mai nahm das Regierungspräsidium die Nachricht des Generalstabschefs zur Kenntnis, dass erste Armeeeinheiten mit der Aufgabe ins "Grenzgebiet" entsandt worden seien, "die Deutschen über die Grenzen zu drücken". Die gesamte Regierung billigte am 23. Mai auf Vorschlag der Armee die allgemeine "Säuberung" des Gebiets von den Deutschen – ein Beschluss, der als Deportationsbefehl gelten kann. Präsident Beneš gab am 6. Juni der Armeeführung, die ihn fortlaufend über die Vertreibungen informierte, grünes Licht zur Fortsetzung der "Evakuation", wies aber darauf hin, dass von den Westalliierten noch kein Einverständnis über den Beginn der Aussiedlung gegeben worden sei. Daher kamen als Zielgebiet für den "Transfer unter der Hand" (Gottwald) nur die SBZ und Österreich in Frage, da sich die dort stationierten Rote Armee-Einheiten kooperationswillig zeigten. Zu den knapp gefassten, kaum zwischen einzelnen Deutschen differenzierenden Armee-Befehlen gesellten sich genauere Richtlinien der Verwaltungsorgane, die im Fall einer Anweisung des Prager Landesnationalausschusses vom 12. Juni die "mit entschiedener Konsequenz" durchzuführende Aussiedlung der Deutschen aus Böhmen anordneten. 

 

In den Monaten der "wilden" Vertreibung, die dieses Attribut nur im Vergleich zu der besser vorbereiteten und international vereinbarten Aussiedlung des Folgejahres und in Bezug auf die misslichen Begleitumstände für die Betroffenen verdient, wurden vor allem die grenznahen Gebiete Nordböhmens bis zum Riesengebirge, Südmähren und die Sprachinseln bei Iglau und Brünn bereits mehr als zur Hälfte ihrer deutschen Bevölkerung entledigt. Aus Schlesien und Nordmähren wurde erst ein relativ kleiner Teil der ansässigen Deutschen vor allem mit Eisenbahntransporten nach Sachsen geführt. Die Amerikaner erlaubten in ihrer Besatzungszone in West- und Südböhmen nur die "Repatriierung" von reichs- und "volksdeutschen" Flüchtlingen sowie Kriegsgefangenen.

 

In Artikel XIII des Anfang August 1945 unterzeichneten Potsdamer Abkommens hatten sich die großen Kriegsalliierten auf einen "Transfer" der deutschen Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland geeinigt. Diese nun völkerrechtlich verankerte Aussiedlung sollte "auf geordnete und humane Weise" vonstatten gehen und erst beginnen, wenn der Alliierte Kontrollrat mit den entsprechenden Staaten einen Transferplan ausgearbeitet hatte. Bis dahin erging auch an Prag die Bitte, von eigenmächtigen Vertreibungen abzusehen. Stattdessen beschloss das Kabinett einen Tag nach Ende der Potsdamer Konferenz, mit der Vertreibung fortzufahren, solange dazu die praktischen Möglichkeiten gegeben seien und hielt sich für den Fall des Falles fadenscheinige Ausreden parat. Am Tag zuvor hatte Präsident Beneš ein schon im Frühling von der Regierung beschlossenes Verfassungsdekret unterzeichnet, wonach die überwiegende Mehrheit der tschechoslowakischen Deutschen der Staatsbürgerschaft für verlustig erklärt wurde.  

 

Die weder durch internationales noch nationales Recht gedeckte Vertreibung kam erst im September 1945 zum Stillstand. Nach Auswertung sich häufig widersprechender Quellenangaben kann geschätzt werden, dass bis Ende September etwa 700.000 bis 850.000 Deutsche die böhmischen Ländern verlassen haben. Bei etwa drei Vierteln von ihnen dürfte es sich um gewaltsam vertriebene Sudetendeutsche gehandelt haben.


Die international vereinbarte Zwangsaussiedlung 

 

Nach dem Potsdamer Beschluss betraf die Zwangsaussiedlung nur ethnische Deutsche. Tschechen oder Slowaken, hatten sie auch noch so schwere Schuld auf sich geladen, unterlagen nicht der Aussiedlung, für den sich im tschechoslowakischen Milieu der ursprüngliche Verwaltungsbegriff odsun (Abschiebung) durchzusetzen begann. Absichtlich wurde in keiner veröffentlichten Rechtsnorm definiert, wer als Deutscher zu betrachten sei. Das Innenministerium war sich nämlich bewusst, dass eine eindeutige Nationalitätenbestimmung bei den langfristig gewachsenen und ineinander verzahnten Identitätsstrukturen in den böhmischen Ländern ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Zwar wurde in internen Richtlinien ein Katalog von angeblich "objektiven" Nationalitätenkriterien aufgestellt. Doch in Grenzfällen wusste auch das Innenressort keinen besseren Rat, als das ganze Theoriegerüst fallen zu lassen und sich einzig auf das Herdersche Prinzip zu verlassen: Wenn bei jemandem, der sich als Tscheche bekannte, festgestellt wurde, dass er nicht fließend Tschechisch sprach, war er als Deutscher einzustufen und abzuschieben. Vor allem Menschen aus gemischtsprachigen Gebieten und binationalen Familien, für die bisher im LebenEthnizität nichts mehr als ein abstrakter Begriff gewesen war, konnten so in den Vertreibungsstrudel hineingerissen werden.

 

Die von den Alliierten gebilligte Aussiedlungsquote von 2,5 Mio. Deutschen (1.750.000 in die US-Zone, 750.000 in die SBZ) wurde im Jahr der "systematischen" Aussiedlung (1946) nicht voll ausgeschöpft. Vor allem die US-Seite machte ab dem Frühling 1947 kein Geheimnis daraus, dass für sie eine Zuendeführung des "Transfers" angesichts der schwierigen Versorgungsverhältnisse in Deutschland vorerst nicht in Frage komme. Auf Seiten der Westalliierten sich häufende Bedenken gegen das Transfer-Prinzip an sich und die sich breit machende Kalte-Kriegs-Atmosphäre taten ihr Übriges dazu, dass gegen 100.000 von den tschechoslowakischen Behörden als "abschubspflichtig" deklarierte Personen nicht mehr im international vereinbarten Rahmen nach Deutschland gelangten. Unter Einrechung der in der "wilden" Phase Vertriebenen und der slowakischen Deutschen ("Karpatendeutschen") wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit insgesamt fast drei Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei ausgesiedelt.

 

Internierung und Deportation 

 

Organisierte Migrationen auf Massenbasis sind in der modernen Zeit ohne die Nutzung eines ausgedehnten Lagersystems kaum denkbar. Insgesamt dürften nach Kriegsende geschätzte 350.000 Personen (meist Deutsche, daneben echte und angebliche tschechische "Kollaboranten") für längere Zeit in lagerähnlichen Unterkünften interniert gewesen sein. Die Zahl der entsprechenden Einrichtungen betrug mehrere Hundert. Besonders im ersten Nachkriegsjahr waren die Bedingungen in den Lagern oft katastrophal, so dass nach tschechischen Schätzungen für den Gesamtzeitraum von 1945 bis 1948 mit mindestens 6.000 bis 7.000 Todesfällen ausgegangen werden muss. Über die Gesamtzahl der infolge der anti-deutschen Persekutionsmaßnahmen der Jahre 1945 bis 1948 ums Leben gekommenen Personen wurde in der Vergangenheit viel gestritten. Noch immer wird in Deutschland und Österreich von gewissen Kreisen eine Todesopferzahl von über 220.000 genannt. Diese Angabe entspricht statistischen Hochrechnungen mit zahlreichen Variabeln und gilt heute unter Historikern als stark übertrieben. Tschechische Forschungen, die von tatsächlich belegbaren Todesfällen ausgehen, schätzen die Zahl der deutschen Opfer von Vertreibung, Verfolgung, Internierung und Zwangsarbeit auf 15.000 bis 30.000. 

Nach dem vorzeitigen Ende des "Transfers", verblieben Ende 1946 mehr als 200.000 Deutsche in den böhmischen Ländern. Der Mehrheit war aus ökonomischen Gründen ein Bleiberecht eingeräumt worden. Die aufgrund ihrer politischen Loyalität weiterhin Geduldeten stellten nur eine kleine Minderheit. Die überwiegende Mehrzahl der als Antifaschisten anerkannten Deutschen hatte sich unter den vielfältigen gesellschaftlichen Schikanen, die trotz anders lautender Bestimmungen auch auf sie abfärbten, sowie wegen eines bewusst in die Länge gezogenen Staatsbürgerschafts-Bestätigungsverfahrens "freiwillig" zur Aussiedlung entschlossen. Nicht wenigen Hitler-Gegnern, an deren Loyalität zum tschechoslowakischen Staat keine Zweifel bestehen konnten, wurde trotzdem ihr Besitz konfisziert, oder sie erlangten aufgrund der strengen Auflagen gar nie den Status von Antifaschisten und gelangten in den üblichen Viehwaggons nach Deutschland. Einen kaum leichteren Stand hatten die dem Holocaust entkommenen deutschsprachigen Juden. Erst im September 1946, als es für viele schon zu spät war, wurden diese generell vom Abschub ausgenommen. Die Mehrheit der Verbliebenen wanderte darauf aus freien Stücken aus.

Die Frage der Restdeutschen versuchte Prag in den Jahren 1947/48 durch eine Art "inneren Abschub" zu lösen. Mittelfristig sollten alle verbliebenen Deutschen aus den Sudetengebieten familienweise auf dem traditionell tschechischen Land in Innerböhmen und -mähren "zerstreut" und assimiliert werden. In bis zu 40.000 Fällen wurde diese Absicht auch realisiert, doch war die Deportation in der eigenen Heimat nur für eine Minderheit von fortwährender Dauer. Mit der definitiven Kursänderung in der Nationalitätenpolitik zu Anfang der 50er Jahre und der vorangegangenen Gründung des "Bruderstaates" DDR war an eine Weiterführung der grundsätzlich repressiven Politik nicht mehr zu denken. Dauerhafter war jedoch die Verschleppung von einigen Tausend sudetendeutschen Familien ins Uranabbaugebiet bei St. Joachimsthal im Erzgebirge im Jahre 1948. 

 

Der weitere Rahmen: Zwangsumsiedlung und Heimatverlust in der Nachkriegs-Tschechoslowakei 

Nicht nur Deutsche erlitten in der neu errichteten Tschechoslowakei das Schicksal des gewaltsamen Heimatverlustes. Auch nach Ende der Aussiedlung blieb noch immer etwa ein Drittel der neu zusammengesetzten Gesellschaft in den bisher deutsch besiedelten Gebieten für einige Zeit von Formen einer gewaltsamen Umsiedlung innerhalb der Staatsgrenzen bedroht. Nebst den verbliebenen Deutschen galt dies für weitere autochthone Minoritätengruppen. Unter den nach 1945 neu Hinzugekommenen waren den Staatssicherheitsorganen praktisch alle diejenigen suspekt, die nicht der Mehrheit der tschechischen Neusiedler aus dem Landesinnern angehörten (tschechische Alteingesessene, tschechische und slowakische "Reemigranten" aus dem Ausland, Magyaren, Slowaken aus der Slowakei, Roma, Rusynen aus der Karpatoukraine). In Winter 1946/47 ließ die tschechoslowakische Regierung über 44.000 Ungarn aus der Südslowakei in die böhmischen Länder deportieren. Auch diese Verschleppung, als Arbeitseinsatz getarnt, sollte dauerhaften Charakter besitzen und zur Lösung der Ungarischen Frage in der Slowakei beitragen. Die zwar winzige, aber kompakt siedelnde kroatische Minderheit im südmährischen Grenzgebiet wurde nach dem Krieg erbarmungslos im mährischen Landesinnern "zerstreut" und damit ausgelöscht. 

Nach der vollständigen kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 nahmen Vertreibungen und Repressionsmaßnahmen mit nationalem Unterton allmählich ab. Der Gedanke, Angehörige von unliebsamen Gruppen durch Zwangsumsiedlung "unschädlich" zu machen, blieb dagegen noch bis Mitte der fünfziger Jahre nicht nur als Theorie lebendig und wurde mit den neu dominierenden machtpolitischen und Klassenmotiven kombiniert. Die Zwangskonzentrierung von Geistlichen und Ordensschwestern, die Umsiedlung von sog. "Kulaken" im Zuge der Kollektivierung in der Landwirtschaft, der zweimalige Versuch, die Großstädte zu "proletarisieren" wie auch die Errichtung von Zwangsarbeitslagern für (vermeintliche) Regimegegner und "Asoziale" und der Plan, deren Angehörige aufs Land zu übersiedeln, zeigen unübersehbare Kontinuitäten auf, die im Blick auf die Vertreibung der Deutschen bisher weder auf tschechischer, geschweige denn auf deutscher Seite kaum reflektiert werden.

© Text: Adrian von Arburg, Quelle: Bibliothek der Friedrich Ebert-Stiftung, www.library.fes.de; Fotos: migarzioni-altervista.org; nexusboard.net; diepresse.com; planet-wissen.de; sudety_odsun: radio-prag.cz.

 

Literaturhinweise  

 

Arburg, Adrian von: Patentrezept Zwangsumsiedlung. Tschechoslowakische Bevölkerungspolitik im mitteleuropäischen Vergleich 1945-1954, in: Niedobitek, Matthias – Kroll, Frank-Lothar (Hrsg.): Vertreibung und Minderheitenschutz, Berlin 2005 (Chemnitzer Europastudien – im Druck).

Komparativ angelegte Studie, bezieht sich speziell auf Formen binnenstaatlicher Zwangsumsiedlungen in der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Enthält eine Begriffstypologie zum Thema "Zwangsmigrationen".

Brandes, Detlef: Der Weg zur Vertreibung 1938-1945. Pläne und Entscheidungen zum "Transfer" der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen, München 2001 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 94) [Tschechische Ausgabe: Cesta k vyhnání 1938-1945. Plány a rozhodnutí o "transferu" Nĕmců z Československa a z Polska, Praha 2002]. Das Standardwerk zur Genese der Vertreibungspläne von München bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, v. a. im Umkreis der Exilregierungen und auf Seiten der großen Kriegsalliierten.

Brandes, Detlef – Kural, Václav (Hrsg.): Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938-1947, Essen 1994 (Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 3) [Tschechische Ausgabe: Cesta do katastrofy. Československo-nĕmecké vztahy 1938-1947. Referáty z třetí konference česko-nĕmecké historické komise, konané ve dnech 7.-9. října 1992 ve Štiřínĕ u Prahy, Praha 1993]. Konferenzband der Deutsch-tschechischen Historikerkommission mit einzelnen Beiträgen von Spezialisten über die Ereignisse von "München" bis zum Ende der Vertreibung und Aussiedlung (u. a. zur Berechnung der "Vertreibungsverluste").

Brandes, Detlef – Ivaničková, Edita – Pešek, Jiří (Hrsg.): Erzwungene Trennung, Vertreibungen und Aussiedlungen in und aus der Tschechoslowakei 1938-1947 im Vergleich mit Polen, Ungarn und Jugoslawien, Essen 1999 (Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, 8; Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, 15) [Slowakisch-tschechische Ausgabe: Vynútený rozchod. Vyhnanie a vysídlenie z Československa 1938-1947 v porovnaní s Poľskom, Maďarskom a Juhosláviou, Bratislava 1999]. Weiterer Konferenzband der Historikerkommission, unter stärkerer inhaltlicher Gewichtung der Nachkriegs-Ereignisse als beim Vorband (u. a. auch regionale Studien sowie Beiträge über die Deutschen und Ungarn in der Slowakei).

Hrabovec, Emilia: Vertreibung und Abschub. Deutsche in Mähren 1945-1947, Frankfurt/Main u. a. 1995 (Wiener Osteuropa-Studien, 2). Bisher einzige deutschsprachige Monographie über die Gesamtthematik der Vertreibung und Aussiedlung aus den böhmischen Ländern, vorwiegend auf Grundlage von tschechischen Amtsquellen.

Kučera, Jaroslav: Von der "nationalen" zur "sozialen" Revolution: Die Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und der Februar-Sieg der Kommunisten, in: Nationale Frage und Vertreibung der Deutschen in der Tschechoslowakei. Fakten, Forschungen, Perspektiven aus dem Abstand von 50 Jahren, Oberösterreichisches Landesarchiv (Hrsg.), Linz 2000 (Sonderdruck aus: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 19), 123-140. Konzise Darstellung über die seit Jahrzehnten viel diskutierte Frage nach dem Zusammenhang zwischen "Vertreibung" und kommunistischer Machtübernahme in der Tschechoslowakei.

Schieder, Theodor (Bearb.): Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Bd. IV/1 [Einleitende Darstellung und Anlagen], Hrg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegegeschädigte, Bonn 1957.

Erste und auf deutscher Seite bisher auch letzte Gesamtdarstellung der "Vertreibung". Mit Ausnahme einiger Interpretationen und Fakten (z. B. "Vertreibungsopfer") trotz des frühen Entstehungsdatums noch immer ein Standardwerk. Besondere Berücksichthigung der Slowakei. Im zweiten Teil (Bd. IV/2) Sammlung von ausgewählten Erlebnisberichten aus der "Ostdokumentation" des Bundesarchivs.

Stanĕk, Tomáš: Odsun Nĕmců z Československa 1945-1947, Praha 1991. Der Vorreiter aller quellenorientierten odsun-Literatur. Die erste und umfassendste von bisher sieben Monographien des besten Kenners der Thematik. Leider ohne deutsche Übersetzung.

Stanĕk, Tomáš: Tábory v českých zemích 1945-1948, Šenov u Ostravy 1996. Monographie zum Lagerwesen in den böhmischen Ländern, ausgestattet mit vielen statistischen Angaben. Sensibilisiert für regimeübergreifende Kontinuitäten. Deutsche Übersetzung in Bearbeitung.

Stanĕk, Tomáš: Verfolgung 1945. Die Stellung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien (ausserhalb der Lager und Gefängnisse), Wien u. a. 2002 (Buchreihe des Insituts für den Donauraum und Mitteleuropa, 8) [Tschechische Originalausgabe: Perzekuce 1945. Perzekuce tzv. státnĕ nespolehlivého obyvatelstva v českých zemích (mimo tábory a vĕznice) v kvĕtnu-srpnu 1945, Praha 1996]. Solide quellenfundierte Studie zu Formen von aussergerichtlicher Verfolgung, nüchtern im Stil und zurückhaltend in der Interpretation.

 

 

s. hier auch: Goedeking-von Arburg: Friedrich Goedeking im Gespräch mit Adrain von Arburg 

 

Nosková, Jana: Rezension über: Adrian von Arburg / Tomáš Dvořák /David Kovařík (Hg.), Německy mluvící obyvatelstvo v Československu po roce 1945, Brno: Matice Moravská, 2010, in: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 19 (2011), S. 408,  http://www.recensio.net/@@redirect-to-uuid/0244c24... First published: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 19 (2011) 

Adrian von Arburg, Tomas Stanek (Hrsg.): Edice VNPČP - Vysídlení Němců a proměny českého pohraničí 1945–1951; Dokumenty z českých archivů, Verlag Zdenek Susa, Stredokluky 2010ff
In tschechischer Sprache, eine deutsche Übersetzung liegt noch nicht vor:
Die Aussiedlung der Deutschen und Wandlungen der tschechischen Grenzgebiete von 1945 bis 1951. Info:
http://www.vnpcp.cz

 

Am 25. Januar 1946 begann die organisierte Vertreibung der so genannten Sudetendeutschen mit dem ersten offiziellen Transport in die amerikanische Besatzungszone. Der Prager Kommentator Luboš Palata beklagte in einem Gastbeitrag für die liberale slowakische Tageszeitung Sme, dass dieser Jahrestag in Tschechien kein Thema sei: „Es gibt ein eigenartiges Schweigen um diesen Jahrestag. Am 25. Januar 1945 endete ein fast tausendjähriges Zusammenleben zweier Nationen. (...) Wir blieben als Volk auf unserem Gebiet nahezu allein. Dem voraus ging nicht nur das Münchner Abkommen, der Verrat durch die Sudetendeutschen, sondern vor allem die nazistische Okkupation mit dem Ziel, die Tschechen teilweise auszuradieren. Die Reaktion der Tschechen war nahezu einhellig: sofortiges Ende des Zusammenlebens mit den Deutschen. (...) Mit dem Bemühen, heute deutsche Massengräber zu öffnen und die Massaker aufzuklären, durchlaufen wir eine weitere nötige Katharsis. Wir kommen aber nicht um die Frage herum, ob die Abschiebung der Deutschen nötig war. Dass wir noch immer nicht bereit sind, diese Frage zu stellen, erklärt das heutige Schweigen.“ (Zitat aus: Radio Prag, 27.01.2011)

 

 

TIPP: Literarische Wanderungen durch das deutsche Olmütz

Motycka, Lukáš/Opletalová, Veronika (Hrsg.)
170 Seiten - Nakladatelství UP/Repronis, Olomouc 2012

Olmütz (Olomouc) galt als kulturelles Zentrum und Inspirationsquelle für viele deutsch-mährische und tschechische Schriftsteller(innen) bis durch Nationalsozialismus, Okkupation, Gewalt und Hass die Deutschen nach dem Ende des 2.Weltkrieges vertrieben wurden, sie und ihre Literatur aus dem Gedächtnis der Stadt und des ganzen Landes verschwanden und die Erinnerung an deutsche Traditionen vollkommen getilgt wurde. Seit einiger Zeit werden Werke von deutsch-mährischen Autoren wie Peter Härtling, Otto F. Babler oder Johanna Anderka allerdings neu entdeckt. Jenseits von Revanchismus und Ressentiment wird so die Literatur Mährens wieder lesbar. Die zweisprachige Publikation Literární procházky německou Olomoucí/Literarische Wanderungen durch das deutsche Olmütz ist das Ergebnis eines der Projekte der Arbeitsstelle für deutsch-mährische Literatur am Lehrstuhl für Germanistik an der Palacký-Universität in Olmütz. Das Buch ist als Stadtführer konzipiert und bietet reiches Bildmaterial. Die einzelnen Kapitel stellen Spaziergänge durch die Gegenden dar, welche die Phantasie der Olmützer deutschsprachigen Dichter anregten. Das Buch ist auch als Ganzes eine große Wanderung: Es führt durch die Stadt, stellt einige Kulturvereine vor und lässt mithilfe literarischer Auszüge in die Biographien von Persönlichkeiten hineinblicken, in deren Werk das deutsche Olmütz eine unauslöschliche Spur hinterließ. In Tschechien bekommt man es in Buchhandlungen, in Deutschland im Internet oder durch Direktbestellung bei: lukas.motycka@email.cz

Auswahl von Publikationen der Arbeitsstelle für Deutsch-Mährische Literatur an der Univerzita Palachého Olomouc:

Lexikon deutschmährischer Autoren - Nachträge 2006
Beiträge zur mährischen deutschsprachigen Literatur, Band 7. Univerzita Palackého, Olomouc, 2006. ca. 500 S. (unpaginiert), ISBN 80-244-1280-2.

Literatur unter dem Hakenkreuz - Böhmen und Mähren 1938-1945. Vitalis Verlag, Praha 2005, 372 S., ISBN 80-7253-106-9 a 3-89919-030-0.

Phantastik, Okkultismus, Neo-Mystik, Univerzita Palackého Olomouc, 2004,Beiträge zur deutschmährischen Literatur, sv. 7, 270 S.Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Beiträge zur mährischen deutschsprachigen Literatur, Band 3. Universitätsverlag Univerzita Palackého, Olomouc, 2000. 418 S., ISBN 80-244-0185-1. 

Goethe in Olmütz - Beiträge der internationalen Konferenz Olmütz, 06. - 08.12.1999. Beiträge zur mährischen deutschsprachigen Literatur, Band 2. Universitätsverlag Univerzita Palackého, Olomouc 2000, 188 S., ISBN 80-244-0184-3.

 

letnapark-prager-kleine-seiten.com, 2012



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