Gewalt gegen Frauen
in den Ländern der Europäischen Union
zusammengestellt von Katja Schickel
Eine von der EU vorgestellte Studie zur Gewalt gegen Frauen offenbart, dass jede dritte Frau in der Europäischen Union Gewalt am eigenen Leib erfahren hat. Jede zwanzigste Befragte gab an, schon einmal vergewaltigt worden zu sein.
„Frauen sind nicht sicher auf den Straßen, am Arbeitsplatz und schlussendlich auch nicht zu Hause, dem Platz, an dem sie Schutz finden sollten“, sagte der Direktor der EU-Grundrechte-Agentur (FRA), Morten Kjaerum, bei der Vorstellung der EU-Studie in Wien, für die 2012 in den achtundzwanzig EU-Staaten insgesamt 42.000 Frauen im Alter zwischen achtzehn und vierundsiebzig Jahren in persönlichen Gesprächen befragt worden waren. Vergleichbare Studien zu dieser Thematik gab es vorher nicht, sie ist auch die bisher weltweit größte. Nach ihr hat jede dritte Frau in der EU seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind etwa zweiundsechzig Millionen Frauen; davon wurden fünf Prozent, also über drei Millionen, vergewaltigt. Zweiundzwanzig Prozent der befragten Frauen gaben an, körperliche oder sexuelle Gewalt in den eigenen vier Wänden, durch ihren Partner, erfahren zu haben.
Definitionen und Zahlen
Als körperliche Gewalt gilt, wenn Frauen geschlagen und getreten, an den Haaren gezogen, geschubst oder mit harten Gegenständen attackiert werden – das berühmt-berüchtigte blaue Auge im Streit mit dem Partner, als „Veilchen“ verniedlicht, gehört dazu.
Mit sexueller Gewalt wird in der Studie Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung definiert. Die Übergriffe gehören oft zum Alltag der Frauen, nicht einmal Schwangere werden verschont. Leider wehren sich immer noch viel zu wenige. Die Befragten geben an, sich zu schämen, peinlich berührt zu sein, Angst vor gesellschaftlicher und innerfamiliärer Ächtung zu haben und deshalb nicht zur Polizei zu gehen, die sie außerdem häufig für Komplizen der Täter halten.
Die sog. Privatsphäre ist also immer noch Schutzraum für Männer. Vergewaltigungen durch Fremde, bei denen oft sogar mehrere Männer beteiligt sind, werden schneller angezeigt. Sechs Prozent aller Befragten gaben außerdem an, dass es bereits zu einer versuchten Vergewaltigung gekommen sei. Ebenfalls sechs Prozent Frauen nahmen nur an sexuellen Aktivitäten teil, weil sie Angst hatten und bei Weigerung mögliche Konsequenzen fürchteten. Die zerrissene Strumpfhose in der Partynacht, die Blessuren danach, gehören dazu, aber auch die Verunglimpfung als „Spaßbremse“ und damit Außenseiterin, wenn die Frau nicht mitmacht.
In Dänemark mit 52 %, Finnland mit 47 % und Schweden mit 46 % ist die Gewalt-Rate am höchsten, mit jeweils rund 20 % in Polen, Österreich und Kroatien vergleichsweise am niedrigsten. Deutschland positioniert sich mit 35 % etwas über dem EU-Durchschnitt, der bei 33 % liegt.
Wegen der hohen Dunkelziffer und der jeweiligen gesellschaftlich wirksamen Tabubereiche sollten, sagen die StudienautorInnen, diese Zahlen nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen führen. Es sind vor allem die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Gewalt, die einen großen Einfluss darauf haben, wie offen Frauen über dieses Thema sprechen. Bei stärkerer Gleichberechtigung der Geschlechter herrsche ein deutlich geschärftes Bewusstsein und es gäbe auch mehr Anzeigen.
Sexuelle Belästigung
Von sexuellen Belästigungen sind noch mehr Frauen betroffen als von körperlicher oder sexueller Gewalt. Vor allem besser ausgebildete Frauen sprechen eher über solche Attacken, wenn sie sie als Grenzüberschreitungen empfunden haben und meldeten sie dann auch. Schätzungsweise zwischen dreiundachtzig und einhundertzwei Millionen Frauen sind nach der Studie von sexueller Belästigung betroffen, also in der EU zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig Prozent aller Frauen ab fünfzehn Jahren. Die breite Spanne ergibt sich aus der Tatsache, dass es länderspezifisch sehr unterschiedliche Ansichten darüber gibt, ob bestimmte Annäherungsversuche von Männern, sexistische Witze oder ungewollte Nacktfotos per SMS bereits zu einer sexuellen Belästigung gehören oder nicht. Der aufdringliche Vorgesetzte gehört aber dazu, Männer in höheren Positionen, gegen die sich Frauen, vor allem wenn sie abhängig erwerbstätig sind, kaum zu wehren trauen.
Kindheit
Zwölf Prozent aller Befragten gaben an, bereits in ihrer Kindheit, also vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr, in irgendeiner Form sexuell belästigt worden zu sein. In Deutschland sind es dreizehn Prozent. Zu solchen Übergriffen durch Erwachsene zählen das demonstrative Zurschaustellen der eigenen Genitalien oder unsittliche Berührungen im Intimbereich. Täter sind fast ausschließlich Männer. Bei einem Drittel der Frauen führten diese frühen Übergriffe dazu, in späteren Beziehungen wieder zum Opfer zu werden.
Nur körperliche Züchtigung in der Kindheit ist in der EU noch verbreiteter. Mehr als ein Viertel der befragten Frauen hat bis zum Jugendalter physische Gewalt erlebt. In Deutschland ist die Zahl mit siebenunddreißig (37!) Prozent noch deutlich höher. Zugeschlagen wird laut Studie, wenn es um Bestrafung geht, fast gleichberechtigt und fast genauso oft von erwachsenen Männern wie Frauen. (s. hier: Empfehlungen)
Kaum herausgekommen, hat die Studie schon jede Menge Kritik eingeheimst, von der wirklich ernstgemeinten, aber rhetorischen Frage nach der genauen Definition des "Herumschubsens" (sei schließlich eine Geschmackssache!?) bis hin zum Dauerbrenner, warum eigentlich wieder einmal Männer nicht vorkämen, die seien schließlich viel häufiger Gewalt ausgesetzt als Frauen und hätten dementsprechend mehr Gewalterfahrungen. Wir lassen das einfach einmal unkommentiert stehen. Sie waren eben diesmal nicht gefragt....
Fassungsloser macht eher die Tatsache, dass Frauen sich im 21. Jahrhundert immer noch so wenig oder zu selten zur Wehr setzen.
Quellen: FRA-Studie; dpa
05III14
Nicht nur zum 8. März:
Beate Rössler – Frauen verzweifelt gesucht?
Über Quoten und Gerechtigkeit: http://www.eurozine.com/articles/2014-02-28-rossler-de.html
Barbara Unmüßig – Drei Jahre Arabellion: Der Frühling der Frauen?
http://www.eurozine.com/articles/2014-02-11-unmussig-de.html