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All inclusive

 

Gier

von Katja Schickel

 

Von Boni und Bonbons

Neid und Gier der wirtschaftlich eher minderbemittelten Bevölkerung werden immer wieder gerne angeprangert (Stichworte: Sozialneid, Neid-Debatte). US-amerikanische Forscher haben jetzt das Bild gerade gerückt und in einer Studie herausgefunden, dass Besitz und Betrug nahe beieinander liegen. Ihr Fazit: Wer Geld hat, sieht Gier eher positiv - und betrügt ohne Scheu vor etwaigen Konsequenzen. Und: Angehörige der gehobenen Stände lügen und betrügen häufiger als Menschen mit niedrigerem sozialem Status. Reichtum fördert die Unmoral und kann Anderen erheblichen Schaden zufügen. Da Gier in höheren sozialen Schichten zudem in einem positiveren Licht gesehen wird, verhalten sich Angehörige dieses Teils der Gesellschaft deshalb auch unmoralischer und setzen sich skrupelloser über Gesetze hinweg. Ihre finanziellen Ressourcen machen sie per se unabhängiger vom Urteil Anderer. Das Ergebnis von sieben Experimenten wurde gerade in den Proceedings of the National Academy of Sciences – pnas.org - veröffentlicht.

 

 

Schon im Straßenverkehr verhalten sich die Reichen und Bessergestellten mit ihren offensichtlich teureren Autos unfairer: In San Francisco nahmen sie an einer Kreuzung häufiger die Vorfahrt und bremsten weniger oft für Fußgänger, die an einem Zebrastreifen warteten.

 

Wer nach eigener Einschätzung einer höheren sozialen Klasse angehört, verhält sich auch in anderen Situationen, mit denen die Probanden der Studie konfrontiert wurden, unehrlicher. Nach Angaben von Paul Piff, Psychologieprofessor an der University of California in Berkeley, und seinen Kollegen wurde etwa bei einem Spiel, bei dem man Geld gewinnen konnte, von dieser Gruppe häufiger betrogen. Die Probanden verrieten, bei Vorstellungsgesprächen eher zu lügen, wenn sich Bewerber bei ihnen erkundigten, wie ihre Chancen stünden oder wie sicher die Stelle sei. Je höher der Bonus für die von ihnen geforderten und dann lancierten Fehlinformationen und ihr realer Status im Unternehmen war, desto unbekümmerter logen sie. Je wichtiger sie sich im Vergleich zu anderen Personen einstuften, desto weniger Empathie empfanden sie. In allen Experimenten fühlten sie sich im Recht.

 

Sozial Höhergestellte gaben in hypothetischen Test-Situationen von sich aus an, eher Kopierpapier aus dem Büro mitgehen zulassen, Software illegal zu kopieren oder ein Konkurrenzunternehmen auszuspionieren und auch Wechselgeld, das sie zu viel erhalten hatten, nicht zurückzugeben. Selbst Bonbons, die den Probanden vom Forscherteam angeboten wurden und ausdrücklich für Kinder im Nachbarlabor bestimmt sein sollten, wurden von den Reichen häufiger genommen als von Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten. Es ist vollkommen gleich-gültig, was genommen wird, dass es genommen wird, weil es einem zusteht, weil man es haben kann, selbst wenn man es gar nicht braucht, ist die vorherrschende Haltung dieses Personenkreises. Irgendwas geht immer!

Man könnte vermuten, dass ärmere Menschen aus Not heraus eher schummelten oder sich einen Vorteil zu verschaffen suchten. Für unmoralisches Verhalten ist, nach Meinung der Forscher, aber nicht hauptsächlich der höhere soziale Status verantwortlich, sondern die jeweilige Einstellung zum Gierig-sein, weil diese Charaktereigenschaft in höheren Kreisen einfach als weniger verwerflich gilt als in den unteren einkommensschwachen Schichten. Die vorherrschende Meinung der Privilegierten war stets, dass ihnen Vorteile selbstverständlich zustünden. „Wirtschaftliche Ausbildung mit dem Fokus auf die Maximierung von Selbstinteressen mag Menschen dazu bringen, Gier als positiv und förderlich zu sehen“, sahen die Wissenschaftler als Grund dieser Sichtweise.

Eine weitere Erklärung bietet das Beispiel Steve Jobs. Nach seinem offiziellen Biografen Walter Isaacson galt Jobs als äußerst arrogant, unhöflich und cholerisch. Hinter seinem Verhalten stand seine Selbsteinschätzung, klüger als andere und ihnen deshalb haushoch überlegen zu sein. Dies führte zu einer Mischung aus Überheblichkeit und Ignoranz, einem Gefühl eigener Großartigkeit, die sich weder an Gesetzen noch üblichen gesellschaftlichen Gepflogenheiten messen lassen wollte. Ideen anderer Unternehmen wurden umstandslos geklaut, die eigenen Mitarbeiter schamlos gemobbt. Jobs schuf sich seine eigene Realität mit ihm als genialem Künstler im Fokus, die ihn gegen jede Kritik immunisierte. Er forderte Fairness von anderen, ließ die im eigenen Verhalten allerdings meist völlig vermissen.

Es ist diese Heuchelei und Doppelzüngigkeit, die auch bei den Probanden der US-Studie auffiel, die bedenkenlos betrogen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Auch in der Hierarchie niedriger Gestellte ließen sich durchaus zu unmoralischen Handlungen verleiten. Die Wissenschaftler forderten diese Teilnehmer in einem weiteren Experiment auf, drei Vorteile von Gier zu nennen, um ihre Anfangseinstellung zu manipulieren. In den darauf folgenden Situationen verhielten sie sich tatsächlich signifikant eigennütziger als vorher. Der Unterschied, schlussfolgerten die Forscher, liege nicht in der Fähigkeit, sich unethisch zu verhalten, sondern in der Tendenz, dies auch zu tun (“Upper- and lower-class individuals do not necessarily differ in terms of their capacity for unethical behavior, but rather in terms of their default tendencies toward it.”).

 

Was für die einen aufgrund ihres sozialen und finanziellen Status als selbstverständliches Recht wahrgenommen wird, wichtiger Teil ihres Habitus ist, muss bei den anderen erst durch Umstände, Vorgesetzte oder andere Notwendigkeiten legitimiert sein. Die einen müssen die Folgen ihrer Handlungen qua ihres Standes eher nicht fürchten, die anderen schon. Ein Beispiel positiver Abweichung ihres Befundes ist laut Studienbericht der Microsoft-Gründer Bill Gates, der gerade in der Forbes-Liste als zweitreichster Mann der Welt vorgestellt wurde. Mit einem geschätzten Vermögen von 61 Milliarden US-Dollar kann er sich zumindest Anstand allerdings auch ohne weiteres leisten.

Die Gelder, die von solchen Reichen beispielsweise in Stiftungen fließen, sind in ihrer Größenordnung bisher allerdings eher Peanuts.

 

Apropos Schere zwischen Arm & Reich

Auf insgesamt 4,6 Billionen Dollar (3,5 Billionen Euro) beläuft sich das Vermögen der Reichsten der Welt, das ist mehr als die beiden Bruttoinlandsprodukte von Frankreich und Groß-Britannien zusammen genommen. Die dieser Tage veröffentlichte Forbes-Liste umfasst 1.226 Milliardäre. In Deutschland gibt es 55 Milliardäre, in Tschechien drei. Mit Aldi-Gründer Karl Albrecht ist ein Deutscher unter den ersten zehn auf der Liste. Armut und Hartz IV lohnen sich eben doch. Finanzkrise, Defizite, Arbeitslosigkeit hin oder her: noch nie gab es so viele Dollar-Milliardäre. Zum dritten Mal führt der mexikanische Magnat Carlos Slim Helú (Telekommunikation, Baugewerbe, Immobilien, Hotels usw. usf.) die olympische Reichen-Liste an. Dafür können sich viele MexikanerInnen den Mais für ihre Tortillas nicht mehr leisten. Der 72-Jährige hat dem US-Magazin zufolge mit 69 Milliarden Dollar ein noch größeres Vermögen als Bill Gates mit 61 Milliarden und der Groß-Investor Warren Buffet mit 44 Milliarden Dollar, der diese immerhin freiwillig höher besteuern lassen möchte, was ihm die US-amerikanischen Republikaner wirklich übelnehmen. 2010 stand mit Slim erstmals seit 1994 kein US-Bürger an der Spitze der Liste, sondern ein halber Hispanic, der seine Geschäfte allerdings doch lieber auf der mexikanischen Seite von US-Mauer und Stacheldraht regelt. Sein Geld kann er schließlich überall scheffeln.

 

Aber: Auch reiche Männer bluten

Es war wahrlich kein leichtes Jahr für die Superreichen. Etwa 441 Milliardäre büßten im Jahresverlauf Teile ihres Vermögens ein. Slim Helú verlor fünf Milliarden Dollar, Buffet gar sechs. Größter Verlierer war der Inder Lakshmi Mittal, Eigentümer des weltgrößten Stahlkonzerns. Er blieb zwar immer noch einer der reichsten Männer Asiens, doch sein Nettovermögen schrumpfte um 10,4 Milliarden Dollar auf 20,7 Milliarden Dollar. Damit reichte es diesmal nur für Platz 21.

461 Milliardäre konnten im Jahresverlauf ihr Vermögen jedoch vergrößern: Bill Gates wurde nochmal um fünf Milliarden Dollar reicher, nachdem die Microsoft-Aktien boomten. Zwar leben mit 425 immer noch die meisten Milliardäre in den USA, Russland und China holen aber ständig auf – und der eine oder andere europäische Mann mischt auch noch mit. In dieser Liga spielen traditionell Frauen kaum eine Rolle. In diesem Rekordjahr waren es schon 104.

 

© Information über die US-Studie und Zahlen der Forbes-Liste: dapd vom 08.03.2012;

forbes.com; pnas.org/doi: 10.1073/pnas.1118373109; wired.com; latimes.com

Fotos: Natürlicher Mais - nature; Stapelbare Dollarscheine, Bonbons - dpa; 100 Bills - wired.com/flickr


 


 


 


 

 


 

 

 



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