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Der Henker von Prag

Zum 70. Jahrestag des Attentates auf Reinhard Heydrich

von Katja Schickel 


 

Am 27. Mai 1942 will der Stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Obergruppenführer der SS und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich wie jeden Morgen auf die Prager Burg, die ihm seit 21. September 1941 als Amtssitz dient. Bereits am 02. Oktober 1941, in seiner Antrittsrede vor seinem künftigen Mitarbeiterstab, macht er seine Ziele im Hinblick auf die Nützlichkeit der tschechischen Arbeiterschaft deutlich:

 

 

„Ich brauche also Ruhe im Raum, damit der Arbeiter, der tschechische Arbeiter, für die deutsche Kriegsleistung hier vollgültig seine Arbeitskraft einsetzt. Dazu gehört, dass man den tschechischen Arbeitern natürlich das an Fressen geben muss – wenn ich es so deutlich sagen darf, dass er seine Arbeit erfüllen kann. In dieser Richtung ist [...] eine Besprechung beim Führer gewesen unter Zuziehung von Staatssekretär Backe, und wir werden voraussichtlich, ich bitte dies alles für sich zu behalten bevor es herauskommt, weil es propagandistisch entsprechend aufgemacht werden muss, [...] zu einer Erhöhung der Fettrationen bei den tschechischen Arbeitern kommen, die etwa um 400 Gramm herum liegt, das ist eine Summe, die sich sehen lassen kann.“ (Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. Siedler, München 2011, S. 278 f. u. S. 291).

 

 

Wegen der bereits gut entwickelten und profitablen tschechischen Rüstungsindustrie sollen die tschechischen Arbeiter im Gegensatz zu anderen 'minderwertigen Rassen Europas' zunächst für kriegswichtige Arbeit eingesetzt und deshalb ausreichend ernährt werden. Den ihnen aufgrund ihrer Rasse zugewiesenen Platz bei den anderen 'minderwertigen' Völkern sollen sie erst nach dem deutschen Endsieg erhalten. Bis dahin wird die tschechische Bevölkerung allerdings gnadenlos verfolgt und rigoros bestraft. Als eine seiner ersten Amtshandlungen führt Heydrich das Standrecht ein. Allein bis Ende November 1941, also innerhalb der ersten zwei Monate nach seinem Amtsantritts, werden über 6.000 Menschen verhaftet und 404 Todesurteile vollstreckt. Im Winter 1941 werden rund 1.300 der Häftlinge ins KZ Mauthausen deportiert, von denen lediglich 52 den Krieg überleben. Zur gleichen Zeit entsteht auf Heydrichs Befehl in der Kleinen Festung in Theresienstadt ein Gefängnis für männliche Häftlinge (nach dem Attentat auch eines für Frauen, später noch weitere Trakte), das der Gestapo-Dienststelle in Prag unterstellt ist und das Prager Gefängnis Pankrác entlasten soll. Ab November 1941 wird die Große Festung mit Baracken zum Konzentrationslager Theresienstadt (Terezín) ausgebaut, das zunächst nur für die jüdische Bevölkerung Böhmens und Mährens vorgesehen ist.

 

Wie die lokalen Nazi-Größen in allen besetzten Gebieten pflegt auch die Familie Heydrich einen feudalen Lebensstil. Das zuvor arisierte Landgut Jungfern Breschan (Panenské Břežany; Vorbesitzer: Ferdinand Bloch-Bauer) dient ihr als herrschaftlicher Wohnsitz, umfasst 125 Hektar Wald, eine prosperierende Gärtnerei und zwei Schlösser. Die zur Bewirtschaftung der gesamten Anlage notwendigen Arbeitskräfte rekrutiert die Hausherrin Lina Heydrich (die ab 1956 einen Prozess für eine angemessene Witwenrente führt und ihn 1959 gewinnt, mit ihren Memoiren 'Mein Leben mit einem Kriegsverbrecher' reüssiert und in ihrer Pension jahrzehntelang SS-Männer und deren Angehörige empfängt) praktischerweise aus dem nahe gelegenen Theresienstadt. Die ausgesuchten Häftlinge werden in einem extra errichteten Außenlager auf dem Gelände untergebracht.

Heydrichs hartes Durchgreifen bringt ihm den Beinamen Henker von Prag ein und stärkt den Widerstand gegen die deutschen Besatzer zunächst eher als dass es ihn schwächt. Der Karrierist Heydrich, der sich besonders mit Leistungen dieser Art schmücken und weiter in den Vordergrund spielen will, muss allerdings kurz vor dem Attentat eingestehen, dass deutschfeindliche Propaganda, Widerstandsaktionen und Sabotageakte zugenommen haben und sich die Lage im Protektorat insgesamt verschlechtert hat. Im Land habe der „oppositionelle Geist“ zugenommen, gesteht er in einer Pressekonferenz einen Tag vor dem Attentat ein.

 

Nach der Flucht eines Teils der tschechischen Regierung etabliert der ehemalige Präsident Edvard Beneš in London eine Exilregierung, die - mit hauptsächlicher Hilfe und dem Know how der Briten - tschechische und slowakische Agenten ausbilden lässt, die mit dem tschechischen Untergrund Kontakt aufnehmen und Aktionen planen und durchführen sollen. Mit Sabotage in der besetzten Heimat will Beneš auf sich aufmerksam machen. Die Briten wollen vor allem Signalanlagen für alliierte Bomber installieren. Das deutsche Überwachungssystem entdeckt allerdings die meisten dieser Aktionen; oft ist Denunziation und Verrat im Spiel. Der ständig steigende Druck und die Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen übersteigen den materiellen Schaden der Störungen bei weitem. Der immer erbarmungsloser werdenden Repression will man mit einem unmissverständlichen Attentat auf den Reichsprotektor begegnen.
 

Die Aktion mit dem Decknamen Operation Anthropoid beginnt am 29.12.1941 mit dem Fallschirmabsprung zweier Soldaten in der Nähe von Pilsen: Jozef Gabčík und Jan Kubiš, die in Prag untertauchen und gemeinsam mit dem dort tätigen Untergrund die Durchführung des Attentats planen. Heydrich lässt sich jeden Tag, meist im offenen Wagen und ohne Begleitschutz, ganz der selbstbewusste Herrenmensch, von seinem Wohnsitz auf dem Lande auf die Prager Burg, den Hradschin, fahren. Die Attentäter warten in einer Haarnadelkurve an der Vychovatelna im Prager Stadtteil Libeň auf einen – ausgerechnet an diesem Morgen - verspäteten Heydrich. Nach einem Spiegel-Zeichen des dritten Agenten, Josef Valčík, der den Wagen kommen sieht, will Jozef Gabčík mit seiner Sten-Gun-Maschinenpistole das Feuer eröffnen, wird aber durch eine Ladehemmung daran gehindert. Auf Befehl Heydrichs hält sein Fahrer an. Heydrich denkt offenbar an einen Einzeltäter, den er selbst stellen kann. In diesem Moment wirft jedoch Jan Kubíš eine Handgranate, die aber nicht in den Mercedes 320 C fällt, sondern neben ihn. Die Detonation führt bei Heydrich zu mittelschweren inneren Verletzungen. Trotz exzellenter medizinischer Versorgung stirbt er acht Tage später an den Folgen einer Infektion der inneren Weichteile, dem so genannten Gasbrand.

 

 

      

Ort des Attentats

 

Der Mercedes 320 C

 

Der leere Wagen

 


Die Attentäter können glücklicherweise sofort entkommen. Die NS-Führung steht unter Schock, die Suche nach den Attentätern verläuft hektisch und zunächst erfolglos, obwohl zu ihrer Ergreifung zehn Millionen Kronen ausgesetzt sind. Die Agenten haben in der Krypta der St. Cyrill und Method-Kirche bei Bischof Gorazd Unterschlupf gefunden (der Bischof wird später heilig gesprochen, die Krypta ist heute ein kleines Museum). Die Nazis verhaften wahllos Verdächtige, verschleppen sie, um Druck auf andere vermeintliche Verdächtige ausüben zu können. Die Verhörmethoden sind berüchtigt. Die Bevölkerung wird systematisch in Angst und Schrecken versetzt. Am 09. und 10.Juni 1942 werden nahe Prag im Dorf Lidice alle 172 männlichen Bewohner über fünfzehn Jahre erschossen, die Frauen in Konzentrationslager deportiert, die Kinder „rassisch untersucht“. Die neun als 'germanisierbar' eingestuften Kinder kommen zu deutschen Pflegefamilien, die anderen werden kurze Zeit später umgebracht. Wenige Tage nach dem Massaker in Lidice wird auch das Dorf Ležáky dem Erdboden gleichgemacht. Die Deutschen 

 

 

rechtfertigen ihre Maßnahmen mit der Suche nach den Attentätern; im Sommer 1942 werden darüber hinaus 3.188 Menschen zum Tode verurteilt, „davon 477 aus dem einzigen Grund, dass sie das Attentat auf Heydrich 'gutgeheißen' hatten.“ (Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. Siedler, München 2011, S. 345).

Der Verrat von Karel Čurda führt die Gestapo und Sondereinheiten schließlich zum Versteck in die Kirche. Der Kampf dauert mehrere Stunden. Um nicht Opfer der Nazis und ihrer Verhör- und Foltermethoden zu werden und nachdem ein Entkommen immer aussichtsloser scheint, erschießen sich die Attentäter am 18. Juni 1942 selbst. Bischof Gorazd, Pater Petrek und zwei weitere Priester werden von den Nazis hingerichtet. Die Rache der Deutschen ist grenzenlos. Repression und Verfolgung nehmen noch zu. 

 

 

Mittlerweile gibt es auch Stimmen, die diese Einzel-Aktion, die zweifelsohne spektakulär und mutig war, gemessen an den skrupellosen Vergeltungsmaßnahmen und der Verschärfung des Drucks auf die Bevölkerung als nicht sehr hilfreich einstufen. Der Widerstand sei nicht gestärkt, die Position der Alliierten nicht verbessert worden. Politisch profitiert hätte allein die im Exil lebende Regierung. Allerdings, entgegnen Andere, sei es das einzige geglückte Attentat auf einen hochrangigen Nazi, mit dem immerhin einer der effizientesten und kaltblütigsten NS-Funktionäre des Dritten Reichs ausgelöscht wurde.

  

 

© Fotos - vor der St. Cyrill und Method-Kirche: Honza Groh; Lidice: ctk; Porträt Heydrich, Ort, Autowrack: Bundesarchiv; Jozef Gabčík und Jan Kubiš: radio.cz

 

 

Ausstellungen

An den 70. Jahrestag des Attentats auf Heydrich und die Zeit der Heydrichiada erinnert vom 23.05. - 19.06.2012 auf dem Karlsplatz (Karlovo náměstí) die historische Gesellschaft Post Bellum in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Militärarchiv Prag und dem Deutschen Bundesarchiv in Koblenz (s. hier auch: Termine); vom 25.05. - 15.07.2012 bietet das tschechische Institut zur Erforschung totalitärer Regime im Wallenstein-Garten des Senats eine Sonderausstellung zum gleichen Thema, an der auch das Verteidigungsministerium und der tschechische Senat beteiligt sind.

Seit 04.05.2012 geht die Ausstellung Protektorat: Widerstand und Kollaboration im Museum der nationalen Gedenkstätte Vítkov der Frage von Anpassung und Opposition nach. Angesichts der Härte, mit der die deutschen Besatzer jeden Regelverstoß aus den Reihen der Bevölkerung ahndete, war jede individuelle, persönliche Entscheidung folgenschwer und lebensbedrohlich. Die Zahl der Kollaborateure, unterstützt durch faschistische Organisationen wie etwa Národní obec fašistická - NOF (Nationale faschistische Bewegung) oder die sogenannte Vlajka (Banner)-Bewegung des Jan Rsy-Rozsevac, war allerdings beträchtlich. Viele wollten als willige Helfer, Denunzianten und Vollstrecker sofort von der neuen Ordnung profitieren. Emanuel Moravec beispielsweise, der zunächst erbitterter Gegner der Deutschen war, nutzte die Gunst der nationalsozialistischen Stunde und wurde mit seinem Opportunismus sogar Bildungs- und Propagandaminister.

Alois Eliáš wiederum, ein eigentlich konservativer Militär, wurde zwar zum ersten Premierminister im Protektorat ernannt, später allerdings von den Nazis hingerichtet, als sie herausfanden, dass er mit der Exilregierung in London in Verbindung stand. Der Widerstand hatte viele verschiedene Formen und bestand aus EinzelkämpferInnen und kommunistischen oder anderen politisch oder religiös motivierten Gruppen, er kam aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Porträtiert werden u.a. Politiker, Militärs und aktive Menschen im Untergrund. Laut Ausstellung soll es insgesamt nur 11.500 tschechische Kollaborateure gegeben haben, die sich nach dem Krieg vor Gericht verantworten mussten. Obwohl mit dem Konterfei Heydrichs beworben (ganz auf den Nazi-Hype wollte man offensichtlich nicht verzichten), steht das Attentat auf Heydrich nicht im Mittelpunkt der Ausstellung. Vorgestellt werden sollten hauptsächlich die Zeit, der Alltag und in ihm die einfachen Menschen und ihre Taten. Man hat Ausstellungstücke und persönliche Gegenstände gesammelt, Fotos und Dokumentationen, u.a. auch der deutschen Polizei, und Zeitzeugen befragt.

 

Ausgewählte Literatur

Robert Gerwarth, Reinhard Heydrich. Biographie, Siedler, München 2011

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010

Jaroslav Cvancara: Heydrich. Prag 2004, Bildband in tschechischer Sprache

Miroslav Kárný, Jaroslava Milotová, Margita Karná Hgg.: Deutsche Politik im „Protektorat Böhmen und Mähren“ unter Reinhard Heydrich 1941–1942. Eine Dokumentation, Metropol, Berlin 1997

 

s. hier auch: Wannsee-Konferenz 42; Empfehlungen (Eine deutsche Karriere - Villa Waigner) 

04/2012

 

 

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Macht und Kontrolle am Beispiel der Reinhard-Heydrich-Stiftung

von Andreas Wiedemann

 

Am 15. März 1939 besetzte die Wehrmacht die Länder Böhmen und Mähren bzw. das, was nach den Gebietsabtretungen an das Deutsche Reich im Zuge des Münchener Abkommens von 1938 von ihnen übriggeblieben war.

Die Slowakei hatte sich unter deutschem Druck am 14. März 1939 für unabhängig erklärt. In der Proklamation Hitlers vom 16. März 1939 über das Protektorat Böhmen und Mähren(1) heißt es,

dass die besetzten Landesteile der ehemaligen tschechoslowakischen Republik von nun an zum

Gebiet des Großdeutschen Reiches gehörten. Zwar wurden dem Protektorat Autonomie und Selbstverwaltung gewährt, dem Staatspräsidenten des Protektorats, der vom Vertrauen Hitlers abhängig war, wurde jedoch ein Reichsprotektor zur Seite gestellt, der die Reichsinteressen wahren sollte und für die Beachtung der politischen Richtlinien des Führers zu sorgen hatte. Die Mitglieder der Protektoratsregierung mussten vom Reichsprotektor bestätigt werden.

Ebenso konnte dieser gegen Gesetze und Verordnungen Einspruch erheben, die von der Protektoratsregierung erlassen wurden.(2) Konstantin Freiherr von Neurath, der ehemalige Außenminister, wurde am 18. März 1939 zum Reichsprotektor ernannt. Sein Staatssekretär wurde der Sudetendeutsche Karl Hermann Frank, der in der Sudetendeutschen Partei (SdP) der Stellvertreter Henleins gewesen war. Himmler ernannte Frank außerdem im April 1939 zum Höheren SS- und Polizeiführer im Protektorat, wodurch Frank in dieser Eigenschaft Himmler und nicht Neurath unterstellt war. Nach der Besetzung Böhmens und Mährens stellte sich die Frage nach der Behandlung der tschechischen Bevölkerung. Im Sommer des Jahres 1940 wurde die Zukunft des Protektorats und seiner Bevölkerung verstärkt diskutiert. Neurath und Frank sprachen sich in ihren Denkschriften für eine Beibehaltung des Protektorats und für die Germanisierung der tschechischen Bevölkerung aus. Hitler genehmigte diese Pläne. Auch der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich verfolgte nach seinem Amtsantritt in Prag als Stellvertretender Reichsprotektor im September 1941 diese Linie. Primäres Ziel aber war die Unterdrückung des Widerstands und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Protektorat, um den Kriegsbeitrag der tschechischen Wirtschaft, der für das Deutsche Reich außerordentlich wichtig war, nicht zu gefährden. Diesem Nahziel wurden alle anderen Pläne untergeordnet. Die Germanisierung, von Heydrich als Fernziel bezeichnet, sollte erst nach dem Krieg in Angriff genommen werden. Alle diesbezüglichen Planungen unterlagen strenger Geheimhaltung, um keine Unruhe unter der tschechischen Bevölkerung zu provozieren.{...]

Um die Tschechen als eigenständiges Volk zu zerstören, wurde ihre „Entnationalisierung“ und „Neutralisierung“ betrieben. Diese Ziele sollten durch die Bekämpfung des Panslawismus

und die damit verbundene Herauslösung der Tschechen aus dem Kreis der slawischen Völker, durch die Betonung des jahrhundertelangen deutschen Einflusses auf die Tschechen, durch Aufspaltung der böhmischen Länder in Böhmen und Mähren und deren Ausspielung gegeneinander, erreicht

werden. Zu beiden Aufgaben, der „Bestandsaufnahme“ der Bevölkerung im Protektorat und der „Entnationalisierung“, sollten auch die wissenschaftlichen Institutionen im Protektorat ihren Beitrag leisten.

Durch eine Verordnung Hitlers vom 2. August 1939 wurden sowohl die Deutsche Universität in Prag als auch die beiden technischen Hochschulen in Prag und Brünn (Brno) in die deutsche Reichsverwaltung übernommen. Die offizielle Übernahme der Deutschen Universität erfolgte am 4. November 1939. Die Universität wurde umbenannt in: Deutsche Karls-Universität.

Alle tschechischen Hochschulen des Protektorats wurden am 17. November 1939 geschlossen. Hitler hatte einen Tag vorher die entsprechende Anweisung dazu gegeben. Er begründete seinen Entschluss mit den Demonstrationen des 28. Oktober(4), bei denen es zu Zusammenstößen zwischen Deutschen und Tschechen gekommen war und den kleineren Demonstrationen am 15. November, die im Anschluss an einen Trauerzug für den an den Folgen einer Schussverletzung vom 28. Oktober gestorbenen Medizinstudenten Jan Opletal stattgefunden hatten.(5) Die angeblichen Rädelsführer der Studenten wurden am 17. November erschossen und 1.200 verhaftete Studenten in das KZ Oranienburg deportiert. [...] Offiziell sollte die Schließung der tschechischen Hochschulen nur für drei Jahre erfolgen. Die Hochschulen blieben jedoch während der gesamten Zeit des Protektorats geschlossen.

An der Deutschen Karls-Universität wurde Wilhelm Saure Ende 1939 zum neuen Rektor und 1940 zum „Sonderbeauftragten des Reichsprotektors für die slawischen wissenschaftlichen Einrichtungen“ ernannt. Er entwarf 1941 die ersten konkreten Pläne zur Errichtung einer Reichsstiftung, die einerseits die slawischen“ wissenschaftlichen Einrichtungen im Protektorat unter deutsche Leitung bringen, andererseits der Erforschung der Verhältnisse im Protektorat in wirtschaftlicher, kultureller und geistiger Hinsicht dienen sollte. Für die Pläne einer Reichsstiftung in Prag interessierte sich auch Reinhard Heydrich, der am 27. September 1941 das Amt des Stellvertretenden Reichsprotektors übernommen hatte. Er unterstellte die geplante Stiftung der Amtsgruppe III B (Volkstum) des RSHA. Mit dem Aufbau der Reichsstiftung beauftragte Heydrich den Volkstumswissenschaftler Hans Joachim Beyer, der 1942 von Posen nach Prag gekommen war.

Die Reinhard-Heydrich-Stiftung wurde im Juli 1942 durch eine Verordnung des Reichsprotektors gegründet, die Institute der Stiftung nahmen ihre Arbeit aber erst im Mai 1943 auf. Die materielle Basis für den Aufbau der einzelnen Institute bildeten die aufgelösten und der Stiftung eingegliederten tschechischen Institute. Die Heydrich-Stiftung bestand aus acht (seit 1944 aus neun) Instituten, die jeweils von einem oder zwei Direktoren geleitet wurden. Alle Direktoren der Stiftung lehrten auch an der Deutschen Karls-Universität, so dass eine enge Verbindung zwischen Stiftung und Universität bestand. Die Institute der Stiftung waren teilweise räumlich und personell identisch mit den gleichnamigen Universitätsinstituten. Die Stiftung betrieb in erster Linie Forschungsarbeiten, während die Universitätsinstitute hauptsächlich der Lehre dienten.[...]

Bei der Deutsche Volksforschung in Böhmen und Mähren bestand eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag und der Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg. Die Heydrich-Stiftung stand in Kontakt mit dem Institut für

Heimatforschung und mit dem Deutschen Wissenschaftlichen Institut in der Slowakei, dem Institut für Landes- und Volksforschung in Reichenberg, der Universität Wien, den Reichsuniversitäten in Straßburg und Posen, dort in erster Linie mit der Posener Reichsstiftung für deutsche Ostforschung. Die Reinhard-Heydrich-Stiftung war eingebunden in die volkstumspolitischen Pläne des RSHA.

Aus den Quellen geht hervor, dass der SD-Leitabschnitt Prag sowohl bei personalpolitischen, als auch

bei inhaltlichen und methodischen Fragen einen großen Einfluss ausübte. Zunächst hatte die Heydrich- Stiftung nur den Protektoratsinteressen des RSHA zugearbeitet, weitete aber seine Forschungen auch auf andere osteuropäische Gebiete (Ukraine, Baltikum, Balkan) aus. Als 1943 die gesamte volkstumspolitische Forschung dem RSHA unterstellt wurde, engagierte sich Beyer als Berater für die Planungsarbeit.

Wie auch das Wannsee-Institut in Berlin, die Reichsuniversität und die Reichsstiftung in Posen war die Heydrich-Stiftung und mit ihr auch die Deutsche Karls-Universität in Prag eine Hochburg der SS. Die Tätigkeit gliedert sich ein in die rassistische Volkstumsforschung, die auch an anderen

nationalsozialistischen Forschungsinstituten betrieben wurde. Die Akteure der Stiftung lieferten durch ihre Grundlagenforschung Ergebnisse, die bei der geplanten endgültigen Eindeutschung des als „geeignet“ erscheinenden Teils der tschechischen Bevölkerung und der Aussiedlung des anderen Teils zum Tragen kommen sollten. [...]

Karl Hermann Franks Rede zur Eröffnung der Stiftung und der Vorschläge und Ausarbeitungen Beyers zur sogenannten Tschechenkundlichen Forschung zeigte, dass das Ziel einer Germanisierung der tschechischen Bevölkerung und die mit ihr verbundene „Neutralisierung“ und „Entnationalisierung“ Hauptbestandteil der Forschungsarbeit der Heydrich-Stiftung war. Durch verschiedene Arbeiten, die die Unterschiede zwischen der Bevölkerung Böhmens und Mährens betonten, sollten die beiden Landesteile separiert und die Betrachtung der tschechischen Bevölkerung als eigenständiges Volk zurückgedrängt werden. Der in den einzelnen Beiträgen immer wieder hervorgehobene jahrhundertelange deutsche Einfluss in Böhmen und Mähren diente sowohl der Legitimation der Zugehörigkeit des Protektorats zum Deutschen Reich als auch der Zerstörung der Tschechen als Nation. Letzteres sollte durch die Darstellung der sogenannten „Umvolkungsprozesse“ erreicht werden. Beyer zog dabei eine Linie von der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung bis hin zur Gegenwart, beschrieb die „Entvolkung“ eben dieser Ostbewegung und behauptete, dass die deutschen „Blutsanteile“ eine „Begabungsauslese“ bei den Tschechen bewirkt hätten.

Nur dadurch seien besondere Leistungen des tschechischen Volkes und das Entstehen einer Nationalbewegung möglich gewesen. Nach diesem rassistischen Konstrukt handelte es sich bei dem Protektorat um urdeutsches Gebiet und bei den Tschechen lediglich um ein entdeutschtes Volk, welches nun wieder regermanisiert werden müsste. Die Germanisierung war jedoch nicht für alle Tschechen vorgesehen. Nach Heydrichs und Franks Vorstellungen sollte eine „rassisch-völkische Bestandsaufnahme“ durchgeführt werden. Diese sollte in erster Linie durch medizinische und rassenbiologische Untersuchungen erreicht werden. Für die Heydrich-Stiftung führte Karl Valentin Müller sozialanthropologische Untersuchungen an ausgesuchten Gesellschaftsschichten durch. Diese wurden anhand des Beispiels der Untersuchung der Protektoratspolizei verdeutlicht. Hauptanliegen Müllers war es, die deutschen Einflüsse seiner Probanden durch mehrere Generationen hindurch festzustellen.

Rudolf Hippius konzentrierte sich auf die völkerpsychologischen Aspekte. Er untersuchte die Auswirkungen von sogenannten „Völkermischungen“, prüfte darüber hinaus tschechische Studenten hinsichtlich ihrer rassischen Eignung, die zum Studium an deutschen Hochschulen zugelassen werden sollten.

Der Aspekt des deutschen Einflusses auf das tschechische Volk wurde in der Heydrich-Stiftung bzw. von ihren Mitarbeitern aus der Sicht der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen beleuchtet.

Wilhelm Weizsäcker bezeichnete das deutsche Stadtrecht in der Geschichte als nationalpolitische

Stütze des deutschen Volkstums und machte es dafür verantwortlich, dass sich auch bei den Tschechen eine städtische Kultur entwickelt hatte. Der Volkskundler Josef Hanika untersuchte die Chodenbauern in Westböhmen und konstatierte bei ihnen eine starke Durchdringung mit „deutschen Blut“ und deutscher Volkskultur. Ferner versuchte er die „kulturelle und blutsmäßige Durchdringung“ des tschechischen Volkes mit deutschen Elementen am volkstümlichen Hausbau zu belegen.

Diese Forschungsschwerpunkte zeigen, dass die Heydrich-Stiftung in erster Linie für die nationalsozialistische Fernzielplanung im Protektorat tätig war. Zu den Nahzielen – die Bekämpfung des Widerstandes und der reibungslose Ablauf der Kriegsproduktion im Protektorat – trug die Heydrich-Stiftung nichts bei. Sie weitete aber ihr Forschungsfeld auch auf andere osteuropäische Gebiete aus, was die Arbeiten von Hippius und Beyer und auch die verstärkte Ausrichtung auf die Sowjetunion 1944 belegen.

Die „Bolschewismusforschung“ diente unmittelbar kriegswichtigen Zwecken, ebenso das im März 1945 ausgearbeitete Konzept eines europäischen Bürgerkrieges, welches den Gedanken einer europäischen Völkergemeinschaft in ihrem Abwehrkampf gegen Amerikanismus und Bolschewismus in den Vordergrund rückte, in der Hoffnung, noch eine Wende des Krieges herbeiführen zu können. Die Bevölkerung der bis dahin von den Deutschen besetzten Länder sollten zur gemeinsamen Verteidigung der abendländischen Kultur gewonnen werden. Diese neue Orientierung bewirkte, dass die rassischen Untersuchungen in der Heydrich-Stiftung eingestellt wurden.

Die Reinhard-Heydrich-Stiftung war eine Institution der SS. Heydrich hatte die bereits geplante Stiftung nach seinem Amtsantritt in Prag der Amtsgruppe III B des RSHA unterstellt. Zunächst war es darum gegangen die Deutsche Karls-Universität mit SD-loyalen Hochschullehrern auszustatten, mit denen eine interdisziplinär arbeitende Volkstumsforschung betrieben werden konnte. Aus diesen Gründen wurde Hans Joachim Beyer zum Generalbevollmächtigten für den Stiftungsaufbau ernannt. Es ging bei den personalpolitischen Entscheidungen aber nicht nur darum, SS-Mitglieder für die Stiftungsarbeit zu gewinnen, sondern Forscher, die mit Hilfe rassenbiologischer, sozial-anthropologischer und völkerpsychologischer Methoden Ergebnisse lieferten, die für die geplanten Umvolkungs- bzw. Germanisierungsmaßnahmen die nötigen Erkenntnisse liefern konnten. Auch Frank hielt die enge Verbindung der Stiftung mit seiner Behörde aufrecht. Er wurde über die Arbeiten der Stiftung informiert, wie zahlreiche schriftliche Korrespondenzen zwischen der Stiftung und dem Reichsprotektoramt belegen.

Eine weitere Verbindung bestand durch die Ernennung Karl Valentin Müllers als Franks Sonderbeauftragter für Rassenfragen. Der Einfluss der SS war während der gesamten Existenz der Stiftung eminent. Beyer, Hippius, Weizsäcker und der offizielle Leiter der Stiftung Alfred Buntru waren SS Mitglieder.

Der SD in Prag wurde von Beyer über die Arbeiten der Stiftung auf dem Laufenden gehalten und

informierte auch das RSHA. Er war der Koordinator der Stiftung. Über ihn lief die Korrespondenz mit dem SD und mit Frank. Müller und Hippius führten die wichtigsten Arbeiten im Sinne der Germanisierung durch. Wilhelm Weizsäcker und Heinz Zatschek gehörten zusammen mit Beyer zu den produktivsten Kräften in der Stiftung, wie die Anzahl ihrer veröffentlichten Titel zeigt. Es waren jedoch nicht alle Institute der Stiftung ausgelastet. Gesemanns Institut wurde schon frühzeitig wieder geschlossen es existierte in erster Linie nur auf dem Papier. Das Volkswirtschaftliche Institut bestand nur ein halbes Jahr. Am Beispiel Gesemanns wird deutlich, dass nicht alle Institutsleiter der Stiftung im gleichen Maße für die Aufgaben der Stiftung engagiert waren und dass es Unterschiede in der jeweiligen Einbindung in die Stiftungsarbeit gab.

Die Heydrich-Stiftung arbeitete eng mit der Deutschen Karls-Universität zusammen, an der alle Institutsleiter der Stiftung lehrten. Außerdem stand die Stiftung in Kontakt zu vielen wissenschaftlichen Institutionen, die sich schwerpunktmäßig mit dem osteuropäischen und dem südosteuropäischen Raum beschäftigten. Die Mitarbeiter der Prager Stiftung waren im Vergleich zu den Institutionen im besetzten Polen nicht direkt an Umsiedlungsmaßnahmen beteiligt.

Die unterschiedliche Besatzungspolitik bewirkte, dass es in Böhmen und Mähren nicht zu so großen Umsiedlungen wie in Polen kam. Das Institut für Deutsche Ostarbeit erarbeitete beispielsweise Gutachten und Expertisen, die sich mit der Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft, mit Umsiedlungsmaßnahmen und Rasse-, Volkstums- und Wirtschaftsfragen beschäftigte, deren Empfehlungen teilweise innerhalb weniger Tage in die politische Praxis umgesetzt wurden.

Die mildere Form der deutschen Besatzungspolitik in Böhmen und Mähren, bedingt durch die Bedeutung der Kriegswirtschaft für das Deutsche Reich und durch die – im Vergleich zu Polen und Russen – höhere rassische Bewertung der Tschechen in der nationalsozialistischen Rassenideologie, führten dazu, dass sich die Heydrich-Stiftung in erster Linie nur mit den geheim formulierten Fernzielen beschäftigte. Sie arbeitete aber genauso auf eine Segregation der Bevölkerung und auf die Aussiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen hin, die später durchgeführt werden sollte.

 

1) Angeblich diente der Vertrag zwischen Frankreich und Tunis von 1881 als Vorbild

für die Einrichtung des Protektorats Böhmen und Mähren. Der Begriff Protektorat

ist insofern problematisch, da er die Bedeutung Schutzherrschaft impliziert, von

der im Falle des Protektorats Böhmen und Mähren keine Rede sein kann.

2) Vgl. Proklamation des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung des Protektorats

Böhmen und Mähren. In: Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945,

Serie D (1937–1945) Band IV: Die Nachwirkungen von München (Oktober 1938–

März 1939), Baden-Baden 1951, Dok. Nr. 246, S. 246–248, hier: S. 247.

3) Die 1348 von Kaiser Karl IV. gegründete Universität wurde 1882 in eine Böhmische

und eine Deutsche Karl-Ferdinands-Universität geteilt, die Insignien verblieben bei

der deutschen Universität. Unter dem Namen Karls-Universität wurde die tschechische

Universität durch Gesetz vom 19.2.1920 zur alleinigen Nachfolgerin der

alten Universität proklamiert. 1934 mussten die Insignien der tschechischen Universität

übergeben werden. Die Bezeichnung „Deutsche Karls-Universität“ wurde erst

am 4.11.1939 von der deutschen Besatzungsmacht eingeführt. Im folgenden werde

ich diese Bezeichnung verwenden. Für die Zeit vor dem 4.11.1939 verwende ich

den Namen „Deutsche Universität“ und für die tschechische Universität den Namen

Karls-Universität“.

4) Der 28.10. ist der tschechoslowakische Unabhängigkeitstag.

5) Die Auseinandersetzungen am 28.10.1939 waren von Frank provoziert worden.

Auch den Trauerzug am 15.11.1939 wollte Frank als Vorwand für ein hartes Eingreifen

nutzen. Vgl. Brandes, Die deutsche Reaktion, S. 214f.

 

Auszüge aus: Andreas Wiedemann, Die Reinhard-Heydrich-Stiftung in Prag (1942–1945).

Berichte und Studien Nr. 28; Herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden, ISBN 3-931648-31-1,

pdf: www.hait.tu-dresden.de


 

 

 

 



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