Im Jahr Eins nach Snowden
Sascha Lobos Buße und Neubeginn
von Wolfgang Michal
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Wo sonst?) verkündete „Deutschlands bekanntester Internet-Experte“, dass ihn das Internet bitter enttäuscht hat.
Sascha Lobos Einsicht kommt nicht überraschend. Zuletzt hatte sich seine Kritik doch ziemlich festgefahren. Woche für Woche arbeitete er sich in seiner Spiegel Online-Kolumne am NSA-Skandal ab und schwor Stein und Bein, nicht eher zu ruhen, bis die skandalöse Ignoranz der Politik in Sachen Überwachung ein Ende hat. Fast flehentlich lag er der Kanzlerin in den Ohren, schimpfte, trauerte, randalierte verbal. Es nützte nichts. Nicht einmal die SPD, in deren Online-Beirat er saß, hörte auf ihn – und deshalb reicht es ihm jetzt. Diagnose: Narzisstische Kränkung.
Der tiefere Grund für Lobos Meinungswandel: Die Cyberdyne Systems Corporation hat endgültig die Macht im Skynet übernommen. Der Quntencomputer ist Cyberdynes neueste Waffe und kein Arnold Schwarzenegger kann sie mehr stoppen. Es scheint, als habe der Philosoph und Technikkritiker Günther Anders mit der „Antiquiertheit des Menschen“ Recht behalten.
Ich beginne zu glauben, dass …
Heute, im Jahr 1 nach Snowden, beteiligen sich auch jene Hartleibigen an der Dämonisierung des Internets, die früher lauthals auflachten, wenn andere vor der Macht der Algorithmen warnten. Für diese Naiven leistet Lobo nun Abbitte. Mit seinem Eingeständnis in der FAS paraphrasiert er ironisch ein Bonmot, das die Leser des FAZ-Feuilletons vor zweieinhalb Jahren aufhorchen ließ: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Nun spielt Lobo den Ball zurück: „Ich beginne zu glauben, dass das Internet böse ist.“ (Nein, er sagte nicht böse, er sagte: „Das Internet ist nicht das, wofür ich es gehalten habe“).
Lobos Abgesang auf das gute freie demokratische Netz – von den bürgerlichen Medien seit Jahren mit Inbrunst gesungen – zeigt endlich Wirkung bei seinen treuesten Verfechtern. Der Brain Drain in die alten Institutionen ist unübersehbar. Ehemalige Idealisten wechseln die Seiten und werden plötzlich ‚katholischer als der Papst’. Schon Thomas Mann staunte über solche Verwandlungen. Er wunderte sich über Anarchisten, die Jahre später auf der konservativen Rechten wieder auftauchten. Sie vertrugen die Moderne nicht. Sie kapitulierten.
Die Sonnenfinsternis des Internets
Der NSA-Skandal hat unbestreitbar das Zeug, die Netz-Engagierten in die Resignation zu treiben. Sie wissen jetzt, was möglich ist, und sie sehen, dass keine politische Kraft existiert, die diese Entwicklung stoppen könnte. Der Pakt des Internets mit den Geheimdiensten ist für die „Web-Kommunisten“ ähnlich ernüchternd und beschämend wie der Hitler-Stalin-Pakt für die gutgläubigen Kommunisten der dreißiger Jahre. Der enttäuschte Idealist und Ex-Kommunist Arthur Koestler hat sich seinen Frust in dem Buch „Sonnenfinsternis“ von der Seele geschrieben.
Abtrünnige einer wirkmächtigen Idee nennen wir heute (negativ) Renegaten oder (positiv) Dissidenten. Es sind Leute, die einmal an etwas glaubten, dem sie nun feierlich und öffentlich abschwören. Die nicht schamvoll schweigen über ihre frühere Gutgläubigkeit, sondern sofort wieder großen Lärm machen müssen. Allerdings: Sascha Lobo will trotz Büßerhemd weder Renegat noch Dissident sein. Er will einfach so weitermachen!
Der neue Optimismus
Das ist die Schwäche des Textes (dem ich in der Analyse zustimme). Im Grunde wiederholt er, was bald zwei Jahre zuvor (15 Monate vor Snowden!!) Julian Assange, Jacob Appelbaum, Jeremy Zimmermann und Andy Müller-Maguhn in einem Gespräch über das Internet geäußert haben: dass es in Wahrheit „eine riesige Spionagemaschine“ sei. Lobo wiederholt diese Einschätzung – sieben Monate nach Snowden! – und entzündet am Ende seines Bekenntnisses doch wieder ein frommes Lichtlein der Hoffnung: Wir müssen, verkündet er der Gemeinde, einen neuen “Internet-Optimismus” entwickeln. Na toll! Worauf gründet er den? Gibt er irgendeinen konkreten Hinweis? Nein.
Nachdem Lobo viele, viele Absätze lang über seine Abkehr von den alten Illusionen philosophierte und seine frühere Naivität öffentlich geißelte, kommt er uns schon wieder mit … naivem Idealismus. Sollen wir darüber frohlocken?
Siehe auch: Die Kränkung der Demokraten
© Mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Michal; Erstveröffentlichung: www.wolfgang.michal.de, www.carta.info; Foto: nanospot.de
Wolfgang Michal, *1954, Absolvent der Deutschen Journalistenschule; Studium der Politikwissenschaften, Pädagogik und Kommunikationswissenschaft; Redakteur und Reporter bei der sozialdemokratischen Wochenzeitung Vorwärts in Bonn, danach bei GEO. Seit 1999 freier Autor für verschiedene Magazine, Zeitungen, Rundfunk und Online-Publikationen. 2008 Mitgründer des Berufsverbands freier Journalistinnen und Journalisten, Freischreiber e. V. und Magda, das „Magazin der Autoren“ (2010). Mitherausgeber des Mehrautoren-Blogs Carta. Seit April 2011 schreibt er ein Blog mit dem Schwerpunkt „Umbrüche und Entwicklungen“. Er lebt bei Hamburg.
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