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Islam und Islamkritik

von Katja Schickel 

11. Internationales Literaturfestival Berlin 2011

 

Dass Muslime den Islam ablegen und Deutsche werden wollen, glaube ich solange nicht, bis sie den Koran verbrennen und ihre Moscheen niederreißen – zum Zeichen dafür, dass sie nicht länger Allah, den Geist der Gewalt und Lüge, anbeten.

- Stimme ich zu / stimme ich teilweise zu / stimme ich nicht zu -

Patrick Bahners und Robert Irwin

Moderation: Jörg Lau

Wenn man nach längerem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückkehrt, findet man es 2011 verändert wieder - und ist, gelinde gesagt, frappiert: Es soll mittlerweile - schriftlich vielfach beglaubigt - ein Land sein, dass sich seinen christlich-jüdischen Wurzeln stellt, dass ganz in der „christlich-jüdisch- abendländischen Kultur“ (?) aufgeht, sie als ihr Fundament anerkennt. Das Christlich-Jüdische kam vorher jahrzehntelang positiv nur in der Bezeichnung einer Gesellschaft vor, in der sich ein paar tausend Christen und Juden mit der Vergangenheit und ihren Folgen auseinander setzte und um ein einvernehmliches Zusammenleben warb. Dies schien immer mal wieder von Nöten, vor allem, wenn es in öffentlichen Diskussionen um die Politik Israels ging. Nach dem Motto: „Einer muss es doch mal sagen“ bzw. „Es muss doch gesagt werden dürfen“ schwangen sich selbst ernannte Experten des Judentums und der Geschichte Israels auf, um die wahren Hintergründe der Konflikte zu enttarnen bzw. ihren antisemitischen Parolen freien Lauf zu lassen und sich damit Gehör zu verschaffen. Oftmals waren es harmlose Beiträge, eher aus Hilflosigkeit entstanden, wie man die komplexen Probleme lösen könnte, oft waren sie jedoch antisemitisch grundiert oder sprachen offen immer noch gängige Vorurteile und Ressentiments aus und an. Die Anonymität des Internets erlaubt schließlich jegliche Form von Obskurantismus, Geschichtslosigkeit und Hetze. Nach einer neuen Studie (sehr lesenswert; Heitmeyer et al, Die Mitte in der Krise, 2011, www.fes.de) haben etwa 10% der Deutschen ein geschlossen-rechtsextremes Weltbild, ebenso viele äußern offen antisemitische Grundeinstellungen. Ein fleißiger Web-Statistiker hat errechnet, dass jahrelang die antisemitischen bzw. Israel-kritischen Äußerungen (was nicht dasselbe ist!) auf unterer Stufe vor sich hin brodelten, aber Islamkritik bei weitem überwogen. Dies hat sich fundamental geändert: Es gibt mittlerweile ca. eine Million so genannter Islam-kritischer Einträge im Internet – bei etwa 190.000 Kommentaren zu Juden und Israel. In besagter Studie bekennen sich zwischen 70 – 80 % der deutschen Bevölkerung nunmehr zu ihrer latenten Ausländerfeindlichkeit, vor allem, wenn es sich um Muslime handelt. Das Feindbild hat sich offensichtlich drastisch geändert, es hat sich eklatant verschoben. Von Krieg ist – wie selbstverständlich – die Rede. Ayaan Hirsi Ali, die in ihren Auftritten Lara Croft zu imitieren scheint, betont gerne, sie sei Kriegerin gegen einen kriegerischen Islam, der schon seinem Wesen nach totalitär sei. Überhaupt fällt der immer häufiger geäußerte Terminus Krieg auf. Man müsse, so die Argumentation, der totalen Islamisierung Europas zuvor kommen, zuallererst die Religionsfreiheit für Muslime abschaffen, sie anschließend in ihre Ursprungsländer verfrachten und dann mit weiteren Sanktionen belegen. Spätestens hier möchte man diesen Kriegstrateg/innen die Lektüre von Victor Klemperer, LTI - Notizbuch eines Philologen (Aufbau Verlag, 1947, Reclam Stuttgart, 2010), das sich mit der Lingua Tertii Imperii, der Sprache des Dritten Reichs, befasst, dringend empfehlen, wüsste man nicht schon aus Diskussionen zum Beispiel über Antisemitismus und die Auseinandersetzungen über Israel und den Nahen Osten, dass selbst die besten Argumente, fundiertes Wissen, also schlicht Tatsachen und Fakten, nichts ausrichten gegen ein klares und eindeutiges Welt- bzw. Feindbild, um es euphemistisch auszudrücken.

Patrick Bahners, Feuilltonchef der FAZ, thematisiert in seiner Streitschrift Die Panikmacher die in Deutschland zunehmende Fremdenfeindlichkeit, den Extremismus der Mitte und korrigiert falsche Behauptungen. In seinem materialreichen Buch befasst er sich ausführlich mit der Kritik des Islam als Religion und seiner extremistischen Form des Islamismus, wie sie in Deutschland vor allem durch Hendryk M. Broder, Ralph Giordano, Thilo Sarrazin, Necla Kelek und Alice Schwarzer in die bürgerlichen Wohnzimmer getragen wird. Sie sehen die westlichen Zivilgesellschaften und ihre Errungenschaften bedroht: durch Kopftuch, Moschee-Bauten und fehlende Frauenrechte, lauter Indizien des reaktionären Charakters dieser Religion. Außer dem Kampfbegriff verbindet Islamkritiker/innen auf den ersten Blick nichts: sie kommen aus evangelischen und katholischen Kreisen, aus dem rechten und linken Spektrum der Politik, es sind Feministinnen mit sehr unterschiedlichen Anliegen, Weltverschwörungs-Theoretiker, Hassblogger, Zionisten und im Dritten Reich verfolgte Juden. Was sie eint, sind ihre geschichtsvergessenen Polemiken, die gesellschaftsfähig gewordene Hetze, das Gift der dogmatischen Vereinfachung und Ausgrenzung. Ihre fanatische Rhetorik gleicht der von Voltaire beschriebenen Tollwut der Intoleranz. Um die aufklärerische Haltung eines Lessing in der Ringparabel seines Nathan der Weise geht es ihnen definitiv nicht, auch nicht um im Grundgesetz verankerte Rechte und Pflichten aller Bürger/innen dieses Landes. Ihre Haltung ist anmaßend und unerbittlich gegen Muslime - und sie sind stolz darauf. Toleranz ist, was die je Einzelnen persönlich für tolerierbar halten.

Sie arbeiten mit einem Mix aus ideologischer Rechthaberei (sie nennen es schonungslose Aufklärung), Entrüstungsaffekten und Drohkulissen - und ihre mediale Präsenz schafft wirklich „neue Tatsachen“.

Necla Kelek beispielsweise hören in Lesungen hauptsächlich deutsche Mittelschichtsfrauen (ohne Hintergrund; ein neues Wort dafür: biodeutsch im Gegensatz zu migrantisch) zu, die offenbar ihre eigene Emanzipation bedroht sehen: ausgerechnet durch das von ihnen selbst produzierte Klischee der geschundenen, geschlagenen, erniedrigten Frauen, über deren Situation sie alles zu wissen glauben, weil sie die Unfreiheit schon am Kopftuch ablesen können - und mit denen sie darüber hinaus glücklicherweise nichts verbindet. Auf Nachfrage kennen sie keine einzige muslimische Frau persönlich. Wie man sich auch einigermaßen wundern kann, wie viele der in die Jahre gekommene Männer sich in gewohnter Selbstüberschätzung auf einmal verbal-militant für die Rechte eben dieser Frauen einsetzen. Interessant sind im Rückblick - nicht nur - ihre Attacken gegen die deutsche Frauenbewegung und ihre Forderungen, die sexistischen Sprüche, die nur durch noch plumpere sexistische Witze (auch gegen Homosexuelle) getoppt wurden. Das ist etwa dreißig Jahre her, und man kann nur staunen, wie sich das christlich- jüdisch-abendländische Deutschland, das natürlich nur eine Fiktion, fast könnte man sagen eine fromme Lüge ist, in den verschiedenen Blogs und Artikeln erhebt - über ein so genanntes immer noch währendes islamisches Mittelalter, das dennoch nicht so gewalttätig war wie die europäischen Epochen von Kreuzzügen und christlichen Religionskriegen von Mittelalter bis Neuzeit zusammen. Gerne wird auch auf die Deutsche Aufklärung verwiesen, um die kulturelle Überlegenheit zu demonstrieren, die jedoch zwei von Deutschland angezettelte Weltkriege nicht verhindert hat und vor allem nicht die Shoah. Gemeinsam ist ihnen das systematische Ausklammern der eigenen (deutschen, europäischen) Geschichte, ihre Bagatellisierung angesichts schlimmer muslimischer Greuel, um besser mit Projektionen arbeiten zu können. Quellen werden aus dem Zusammenhang gerissen, tatsächliche Missstände zu Untergangsszenarien hochstilisiert. Parallel zu den Hartz IV-Bezieher/innen, die von Oben wie Unten als faul beschrieben werden, die selber Schuld sind an ihrer Misere, gelten ihnen vor allem Muslime allesamt als Integrationsverweigerer. Sie schotten sich freiwillig ab und leben in verdächtigen Parallelgesellschaften, Wiederkehr des Staates im Staat (dieser Vorwurf galt einst den Juden). In Berlin werden nach Aussage des Polizeipräsidiums nur 13,7% aller Gewaltdelikte (Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Mord) von Ausländern verübt, trotzdem wird das Schreckbild des kriminellen Ausländers weiter verbreitet. Es wird nicht mit Muslimen gesprochen, sondern über sie. Schwarzer wird nicht müde, den Vergleich zwischen Islam und Nationalsozialismus zu ziehen. Man kann das als verspätete Entlastung interpretieren, ihr Eifer ist wie immer bemerkenswert.

Die meisten Islamkritiker haben allerdings weder Ahnung von der Religion, die sie verdammen, noch kennen sie die Lebenswirklichkeit der Muslime im eigenen Land oder gar in deren ehemaligen Ursprungsländern, sagt der britische Historiker Robert Irwin, der bereits 1963 zum Islam konvertierte und jetzt ein neues Buch vorgelegt hat: Memoirs of a Dervish. Diskussionen wie die in Deutschland gibt es in Großbritannien nicht, das ist quasi - und ironischerweise - das Erbe des Empire, des britischen Kolonialismus. Religionsfreiheit ist ein verbrieftes Recht. Mit ihrer Fokussierung auf den Islam, der schon ein künstlich erzeugtes Konstrukt ist, verschleierten sie lediglich die zunehmenden sozialen Probleme in den westlichen Gesellschaften und die Erfordernisse, die sich aus Migration und notwendiger, gesellschaftlicher Teilhabe ergeben. Fanatiker neigen dazu, Integration von Muslimen als vorüber gehende oder absichtliche Täuschung zu sehen. Ihr Credo: Je angepasster Muslime sind, desto gefährlicher sind sie. Egal, wie sie sich also verhalten, Muslime sind in dieser Deutung immer in der Falle. Vor allem in Deutschland wird die islamische Machtübernahme in Europa bereits herauf beschworen, gegen die mutige Männer und Frauen sich erheben müssten, weil nur sie sich als Einzige der schrecklichen Wahrheit stellen, dagegen vorzugehen aber erste deutsche Bürgerpflicht sei. So theatralisch und machohaft haben zuletzt im Western weiße Siedler gegen die Indianer mobil gemacht. Aber auch wenn man sich in einem falschen Film wähnt: Sie meinen es ernst. Die Islamkritiker/innen lassen sich nicht vom – wie sie es in Umkehrung der Tatsachen nennen - Meinungsterror der Politisch-Korrekten, der unbelehrbaren Gutmenschen (ein Begriff, der ihnen Ekel verursacht) beeinflussen, die in ihrem Widerspruch wahlweise nur dumme Überläufer, naive Schwadroneure, feige Kollaborateure und korrumpierte Opportunisten - oder alles zusammen – sind, und sich in vorauseilendem Gehorsam lieber unterwerfen statt gegen die Bedrohung zu kämpfen. Die Bedrohung übrigens durch islamistische Terrorakte hat niemand bestritten, verharmlost oder klein geredet, nur die Ausdehnung des Terrorbegriffs auf alle Muslime als potentielle Heilige Krieger/innen, der Generalverdacht, die Sippenhaft wird abgelehnt.

Am gleichen Tag, 14.09.2011, veröffentlichten mehrere deutsche Zeitungen, darunter Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, Recherchen zum dezidiert islamfeindlichen Blog Politically Incorrect, der auf mannigfache Weise mit rechtsextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen verbunden ist, über mehrere Dependancen im Ausland verfügt ( u.a. mit großer Anhängerschaft in Tschechien, wo es nicht um Türken und Araber geht, sondern hauptsächlich um Roma), alle Gegner/innen ihrer Position vorzugsweise als Linksfaschisten bezeichnet und nicht müde wird, nicht nur den Muslimen, sondern auch ihnen mit Gewalt zu drohen. Hier sind die Analogien zur Meinungsmache vor 1933 eklatant. Die Sprache der von Bahners als Panikmacher Kritisierten, ihre Auslassungen zu seinem Buch sind sehr erhellend, ihr durchweg schriller Tonfall gibt ihm noch nachträglich recht.

Beide, Bahners und Irwin, glauben jedoch an die Stärke demokratischer Zivilgesellschaften und an Strategien, mit denen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft und soziale Probleme gelöst werden können. Zweifel sind erlaubt.

Bio-Bibliographisches:

Robert Irwin, *1946, Studium Modern History,University of Oxford. Er lehrte Arabische und Nahöstliche Geschichte in London, Cambridge und Oxford sowie Mittelalterliche Geschichte in St. Andrews. Der Historiker veröffentlichte zahlreiche Romane und Studien, in denen er sich mit orientalischer Politik, Kunst und Mystik befasst. In seinem Werk »For Lust of Knowing« kritisiert er die Orientalismus-Theorie Edward Saids. Robert Irwin lebt in London.

Die Welt von Tausendundeiner Nacht, Insel Verlag, Frankfurt-M./Leipzig, 1997 Ü: Wiebke Walther

For Lust of Knowing, The Orientalists and their Enemies, Allen Lane/Penguin, London, 2006

Memoirs of a Dervish, Profile Books, London, 2011

Patrick Bahners, *1967 Paderborn, Geschichte und Philosophie in Bonn und Oxford. Ab 1989 Redakteur im Feuilleton der FAZ, Leitung ab 2001. Lehraufträge: Universitäten Bonn und Frankfurt/M., Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

Im Mantel der Geschichte, Helmut Kohl oder die Unersetzlichkeit, Siedler, München, 1998

Preußische Stile, Ein Staat als Kunststück, Klett-Cotta, Stuttgart, 2001, Hg. mit Gerd Roellecke

Die Panikmacher, Die deutsche Angst vor dem Islam, Eine Streitschrift, Beck Verlag, München, 2011

 

Zwei Sätze: Die Rhetorik der Verachtung wird zum Selbstlob der Erfolgreichen, Etablierten, Angepassten. Der Muslim ist in diesem Weltbild der Verlierer ... der konstitutionelle Versager, mit dem sich der Sieger nicht verwechseln kann. (Bahnert)

 

Originalzitat: Dass die Hebräer ihr Judentum ablegen und Deutsche werden wollen, glaube ich nicht eher, als bis sie ihre talmudischen Schriften verbrennen und ihre Synagogen niederreißen – zum Zeichen dafür, dass sie nicht länger Jahwe, den Geist der Bosheit und Lüge anzubeten gesonnen sind.

(Theodor Fritsch, publizistisch aktivster Antisemit des Deutschen Kaiserreichs. Für den Spruch aus der Zeitschrift Hammer erhielt er 1910 aufgrund einer Klage des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens eine Woche Gefängnis)



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