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JAN ŠVANKMAJER 

von Katja Schickel

 

Etwa zeitgleich gibt es im Dresdner Thalia Kino und im Tschechischen Zentrum München im März und April 2011 Retrospektiven des Werkes von Jan Švankmajer, einem am 4. September 1934 in Prag geborenen Multitalent: seines Zeichens surrealistischer Filmemacher, Dichter, Zeichner und Objektkünstler, der außerhalb Tschechiens durch seine surrealistischen Animationen und Filme (zwischen 30 Sekunden und 95 Minuten) berühmt wurde. Vor allem die Regisseure Terry Gilliam und Tim Burton berufen sich in ihrer Arbeit immer wieder auf ihn als einen ihrer wichtigsten inspirierenden Vorbilder.

Švankmajer studierte Anfang der 50er Jahre zunächst am Institut für angewandte Kunst und dann an der Prager Akademie der bildenden Künste. Seine Fachrichtung wurde das Marionettentheater. 1970 lernte er seine Frau, die surrealistische Malerin Eva Švankmajerova und den Organisator und Theoretiker der tschechischen Surrealisten-Gruppe, Vratislav Effenberg kennen, der er auch beitrat. Durch Alfred Radok und die Laterna Magica kam er zum Film. Sein erster Film war 1964 Posle dní trik pana Schwarcewalldea a pana Edgara (deutsch: Der letzte Trick des Herrn Schwarzewald und des Herrn Edgar). Von 1973 bis 1980 hatte er Berufsverbot, weil er angeblich politische Botschaften in seinen Kurzfilm Leonarduv deník (deutsch Leonardos Tagebuch) geschnitten hatte. Dennoch produzierte er in diesem Zeitraum Filme, vor allem in seiner eigenen Produktionsfirma Athanor, die allerdings nur im Ausland gesehen werden konnten. Aber er beschäftigte sich, gemeinsam mit seiner Frau, in dieser Periode intensiv mit Bildender Kunst und Poesie: zu bewundern übrigens in dem Katalog zur Ausstellung Gegen jede Vernunft – Surrealismus Paris-Prag des Wilhelm-Hack-Museums Ludwigshafen aus dem Jahre 2010.

Švankmajers Markenzeichen ist die von ihm über Jahrzehnte hinweg entwickelte Stop-Motion-Technik, mit der er sowohl Alptraum wie Aberwitz illustrieren konnte. Er kann die Exaltiertheit, das Skurile von Gesten und Körperhaltungen zeigen, ebenso wie scheinbar toten Gegenständen Leben einhauchen. Übertreibung in die eine oder andere Richtung verdeutlichen auch die Willkür von Grenzen und bewusster Wahrnehmung, von Konventionen. Von 1964 bis 2005 sind in dieser perfekten, wie verspielten Mischung über dreißig, meist animierte Filme entstanden. Er scheint immer auch den Blick eines Kindes zu haben, das ganz bei sich ist und doch beunruhigend, voller Angst und aggressiv, oder er folgt allgemein akzeptierten Realitäten und inszeniert diese Szenen wie Traumsequenzen. Wichtig ist immer ein Verfremdungseffekt, sei es beim Rhythmus: entweder als Verlangsamung bis zum Stillstand oder als Zeitraffer und grotesker Beschleuniger; oder bei Geräuschen und Klängen, die sowohl Ekel und Entsetzen, als auch befreiendes Lachen auslösen können. Es geht  um falsche Überhöhung und ihr Pendant, die Erniedrigung als menschliche Erfahrung. Šílení ist ein Gruselfilm (2005) nach Poe und de Sade, mit deren Phantasien sich Švankmajer immer wieder beschäftigt hat. Manchmal schneidet er auch echte Filmaufnahmen in seine Animationen, er setzt Puppen ein, Collagen, Ton, Wasser und Stein.

Švankmajer hat viele Preise bekommen, seine bekanntesten Filme sind Alice (1988), Faust (1994), Conspirators of Pleasure (1996) und Otesánek (2000), für den er 2002 den Böhmischen Löwen, den wichtigsten nationalen Filmpreis Tschechiens, erhielt. Vor etwa einem Jahrzehnt hatte einer der größten amerikanischen Tabak- und Zigarettenhersteller zwei- oder dreimal die Idee, während der Berliner Filmfestspiele Berlinale einen Andzrej Wajda-Preis an osteuropäische Filme auszuloben.  Einer der Preisträger war Švankmajer. Bei dieser Gelegenheit wurden erfreulicherweise einige seiner Filme gezeigt.

 

 

 

© Ausschnitt aus: Alice von Jan Švankmajer

 

 

 

 

© aus: Seilers Tochter, 2009, Gregor Blahak

© Text: Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com



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