Kader Abdolah von Katja Schickel
11. Internationales Literaturfestival Berlin 2011
Der niederländische Schriftsteller Kader Abdolah musste 1985 den Iran verlassen. Da sein Ururgroßvater einmal hochrangiges Mitglied der Regierung gewesen war, darüber hinaus bekannter Schriftsteller und Dichter, beschließt das Kind, ein noch berühmterer Schriftsteller zu werden oder - noch besser – gleich Präsident seines Landes. Lesen und Schreiben beherrscht er früh, seine Großmutter hat es ihm beigebracht. Mit dem eigenen, taubstummen Vater muss er eine andere Sprache sprechen, ihm die Welt erklären und seine Stimme sein. Der Abschied fällt ihm schwer. Seine Emigrationserfahrungen hat er in einen, extra für das Festival geschriebenen, Text verpackt, der voller Komik und leiser Ironie ist, die Wehmut aber nicht ganz leugnen kann. Abdolah, hoch gewachsen, erinnert mit seinem widerspenstigen, schwarzen Haupthaar und einem grau-weiß melierten Nietzsche-Bart ein bisschen an Groucho Marx. Er ist ein eleganter, gewitzter und sehr unterhaltsamer Erzähler. Der Schmuggel von Istanbul in die USA kostet damals 10.000 US-Dollar, die er natürlich nicht hat, nicht einmal die 5.000, die man für Berlin ausgeben muss oder die 2.000 für Prag, nur Amsterdam ist gratis. Man lässt ihm also keine andere Wahl. Dreimal versucht er mit gefälschten Papieren aus dem kalten, tristen Land zu fliehen, jedes Mal wartet am Flughafen bereits die Polizei. Es beeindruckt ihn aber auch, plötzlich in einem Land zu sein, von dessen Existenz er noch nie vorher gehört hat - für ihn ein gutes Omen: Er beschließt nunmehr, ein niederländischer Schriftsteller zu werden. Den Hinweis, er habe nicht einmal Grundkenntnisse der fremden Sprache, lässt er nicht gelten, auch nicht den, das Land sei zu klein, da passe ein so großer Traum gar nicht hinein. Fünfzehn Bücher zeigen, dass er die niederländische Sprache mittlerweile gelernt hat, dass er sie, wie er sagt, geradezu braucht, um seine ihm so fremd gewordene Muttersprache, seine Heimat nicht ganz zu verlieren.
Bio-Bibliographisches: *1954 im iranischen Arak, eigentlich: Hossein Sadjadi Ghaemmaghami Farahani. Physik-Studium, in den Studentenbewegungen gegen den Schah und Chomeini aktiv. Sein Pseudonym ist der Name eines ermordeten Freundes. Nach längerem Aufenthalt in der Türkei 1988 politisches Asyl in den Niederlanden. 1993 erscheint sein erstes auf Niederländisch geschriebenes Buch, der Erzählband De adelaars (Ü: Die Adler), für den er den Literaturpreis Het Gouden Ezelsoor für das meistverkaufte Debüt des Jahres erhält.
In seinem ersten Roman De reis van de lege flessen (1997; dt. Die Reise der leeren Flaschen, 1999) beschreibt der Autor eindringlich die Widersprüche im Leben des Exiliraners Bolfazl, der als politischer Flüchtling in den Niederlanden zwischen zwei Welten steht. In Spijkerschrift (2000; dt. Die geheime Schrift, 2003) wird der Bogen zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Welten gespannt. Esmail bekommt im Amsterdamer Exil das in einer kaum lesbaren Schrift verfasste Manuskript seines taubstummen Vaters über sein Leben in einem kleinen persischen Bergdorf zugeschickt. Er übersetzt es und erfährt so mehr und mehr über seine eigene Herkunft. Ebenfalls autobiografische Züge trägt der Bestseller Het huis van de moskee (2005; dt. Das Haus an der Moschee, 2007). Erzählt wird die Geschichte des religiösen Teppichhändlers Agha Djan und seiner Großfamilie, die unter dem Regime des Ayatollah zerbricht. „Ich möchte die Geschichte der Personen aufschreiben, mit denen ich die ersten vierunddreißig Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich möchte die Wahrheit erzählen“. Sein Werk beinhaltet unterschiedliche Erzähltraditionen: Persische Motive, der poetische Sinn für das Indirekte und die metaphernreiche Sprache des Korans werden in den niederländischen Kontext seiner Werke integriert und zu raffinierten Kompositionen verwoben.
Zuletzt veröffentlichte Abdolah den Roman De koning (2011; dt. Der König, dt.voraussichtl. 2013) über Naser al-Din Schah, im 19. Jahrhundert König von Persien. 2009: Ehrendoktorwürde der Rijksuniversiteit Groningen. Er lebt in der Nähe von Amsterdam. - Die ins Deutsche übersetzten Bücher sind beim Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, bei Claasen Berlin und im dtv-Taschenbuchverlag erschienen.
Sein Satz: Ein Traum ist weder zu klein noch zu groß, er ist für den, der ihn träumt, genau passend.