Karikaturenstreit - Blasphemie und Freiheit
von Katja Schickel
11. Internationales Literaturfestival Berlin 2011
Blasphemie und Freiheit nahm den Karikaturenstreit Anfang 2006 zum Anlass, um noch einmal nach dem Verhältnis von Religion und Meinungsfreiheit zu fragen. Eingeladen waren Flemming Rose, dänischer Karikaturist und seinerzeit Verantwortlicher Redakteur der Zeitung Jyllands-Posten, in der die Mohammed-Karikaturen erschienen waren und der nach Mordrohungen - und zwei Anschlägen auf einen Kollegen, denen der nur knapp entkam - bis heute unter Polizeischutz steht und von zwei Bodyguards begleitet wurde. Auf dem Podium saßen darüber hinaus zwei leitende Redakteure der Tageszeitung (taz) bzw. der Wochenzeitung Der Freitag, ein angesehener Rechtsanwalt und Kunstmäzen und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
Zur Erinnerung: Die Karikaturen waren nicht nur in einigen europäischen, sondern zunächst sogar in arabischen Zeitungen nachgedruckt worden. In Dänemark, wo damals heftig über Integration gestritten wurde und rechtsliberale Parteien die Diskussion bestimmten, kritisierten einige Muslime die Darstellung ihres Propheten als verletzend und beleidigend, fanden aber kein Gehör, auch Gespräche sowohl mit Vertretern der Zeitung als auch der Regierung wurden kategorisch abgelehnt. Daraufhin suchten sie Unterstützung in Ägypten, Syrien, Pakistan und dem Libanon, ließen offenbar ihrer Frustration freien Lauf, worauf es unter anderem in Damaskus, Beirut, Islamabad und Jakarta zu Ausschreitungen kam, dänische und – neben der amerikanischen und der israelischen – auch andere europäische Fahnen verbrannt und Botschaftsgebäude angezündet wurden. Auch wenn die gewaltsamen Übergriffe lokal begrenzt waren, von Augenzeugen oft als inszeniert beschrieben wurden, sind bis Ende Februar 2006 immerhin 139 Menschen getötet und 823 verletzt worden. Von allen westlichen Regierungen wurden die Gewaltakte verurteilt und mit Sanktionen gedroht; auch auf muslimischer Seite gab es Stimmen, die zur Mäßigung aufriefen, um der Gewalt ein Ende zu setzen.
Gleichzeitig begann ein innereuropäischer Streit um das Für und Wider dieser Karikaturen, inwieweit sie und vergleichbare Aktionen den öffentlichen Frieden nachhaltig stören könnten bzw. tatsächlich eine Religion herabwürdigten. Die verbissene Diskussion, die damals ihren Anfang nahm, erscheint heute als eine zwischen denen, die den Islam als gewalttätige Religion ablehnen und bekämpfen wollen, und jenen, die diese Haltung nicht akzeptieren, denen jedoch unterstellt wird, sie hätten „die Schere – auch ohne Scharia und Fatwa – bereits im Kopf“, würden also quasi in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst alles 'Muslimische' rechtfertigen und gutheißen. Bei der Absetzung der Oper Idomeneo von Mozart (Deutsche Oper Berlin), in der als Schlussbild die drei abgeschlagenen Köpfe von Moses, Christus und Mohammed zu sehen sind, mag das so gewesen sein. Man fürchtete Konfrontation. Es ist eine merkwürdige Logik, dass 'der Muslim' auch für die Schere im Kopf des 'Nicht-Muslim' verantwortlich sein soll. Da erübigen sich dann auch Diskussionen über Identität und Glaubwürdigkeit; eigene und gesellschaftliche Feigheit und Heuchelei, die zu Formen der Selbstzensur führen, stehen nicht mehr zur Debatte.
Auf dem Podium, moderiert vom ZEIT-Redakteur Jörg Lau, herrschte zunächst Einigkeit in der Ablehnung jeglicher Form von Gewalt. Auf Worte dürfen nur Worte folgen, keine Gewalttaten. Flemming Rose wies nochmals darauf hin, dass in einer globalisierten Welt ein kleines Land wie Dänemark mit einem lokalen Ereignis wie dem Abdruck von Zeichnungen plötzlich in den weltpolitischen Fokus geraten konnte und dass demokratische Prinzipien wie Meinungs- und Pressefreiheit von einigen Gewaltbereiten offensichtlich ausgehebelt werden können ohne eine geeignete Handhabe dagegen zu haben. Unter Achtung bzw. Beleidigung religiöser Gefühle kann man alles subsumieren und damit Freiheit einschränken. Die Redakteure, der Moderator und der Rechtsanwalt waren sich einig, dass man dagegen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen müsse. Der Vorsitzendes, als einziger vom Moderator mit seiner Parteizugehörigkeit vorgestellt (eine Partei, die sich gerade selbst abschafft, alle Wahlen verliert und auch beim Publikum diskreditiert ist), war offensichtlich des Proporz wegen eingeladen, zu melden hatte er nichts. Er erinnerte an die Erklärung des Zentralrats gegen Gewalt sofort nach den Ereignissen und daran, dass Muslime in Deutschland - und die meisten weltweit - die Ausschreitungen weder begrüßt noch unterstützt hatten.
Als er gestand, eine Karikatur habe ihn doch in seinem religiösen Gefühl verletzt, fühlte sich der taz-Redakteur seinerseits zum Lehrmeister berufen, auf die feine Ironie und die Doppeldeutigkeit des Bildes hinzuweisen, die ganz in der europäischen Tradition von Satire und Aufklärung stünde. Und als der Vorsitzende dann noch den amerikanischen Prediger erwähnte, der öffentlich den Koran verbrennen wolle, nannte der kopfschüttelnde Rechtsanwalt den Prediger einen Spinner aus einer kleinen Sekte, und man solle aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Aus diesen kleinen Sekten speist sich jedoch eine evangelikale, reaktionäre US-amerikanische Bewegung mit millionenfachem Zulauf, die wahlweise islamfeindlich, rassistisch, antisemitisch und sexistisch - und manchmal alles auf einmal – ist. Auch blieb die Frage offen, wie viel Religion säkularisierte Gesellschaften vertragen, in denen Religion zunehmend oder überhaupt keine Rolle im öffentlichen Leben mehr spielt, in denen aber immer häufiger verschiedene Kulturen aufeinander treffen. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, ist zwar ein schöner, aufgeklärt-demokratischer Satz, aber in der Praxis meist ein recht schwieriges Unterfangen. Auf dem Podium fand ein politischer, interkultureller (und interreligiöser) Dialog jedenfalls nicht einmal ansatzweise statt. Der als Vertreter deutscher Muslime Eingeladene hatte leider lediglich Alibifunktion. Vielleicht ist es diese Haltung, die auf Dauer kränkt und Unmut hervorruft. Als der afghanische Politiker Rabbani Opfer eines Attentats wurde, hatte der Mörder die Bombe in seinem Turban versteckt, geradeso als hätte er die inkrimnierte Karikatur mit der Lunte, die aus Mohammeds Turban wächst, als Vorlage benutzt.
Anfang Februar 2006 titelte das französische Satiremagazin Charlie Hebdo mit einem Bild Mohammeds auf einer Wolke, der die Hände vor´s Gesicht schlägt und ruft: „C’est dur d'être aimé par des cons“ (dt.: Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden).
Al-Dschasira meldete ebenfalls im Februar 2006, dass so genanntes dänisches Plundergebäck im Iran zukünftig nur noch Rosen von Mohammed ( Farsi: gul-e-muhammadi) heißen dürfe. Da das Land keine dänischen Produkte mehr importiere, stelle es das Gebäck jetzt selber her.
Nach den dänischen Mohammed-Karikaturen gab es übrigens noch einen Holocaust-Karikaturen- Wettbewerb, der nicht, wie prophezeit, den Holocaust leugnete, sondern allenfalls dessen Funktionalisierung thematisierte, was schließlich auch einige US-amerikanische Juden tun. Danach rief ein israelischer Künstler zu einem Israelisch-Antisemitischen-Karikaturen-Wettbewerb auf. Alle Karikaturen sind im Internet zu sehen. Man muss sie nicht einmal gut finden, sie zeigen aber die verschiedenen Haltungen zu politischen Problemen. So gesehen sollte es noch viele solcher Karikaturen-Wettbewerbe geben.
Sätze: Wenn Sie schon Witze machen müssen, dann doch wenigstens nicht über so ernsthafte Dinge. -Über was soll man sonst Witze machen, wenn nicht über ernsthafte Dinge? (Chesterton)