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Roboter können in Zukunft talentierter sein
als Künstler aus Fleisch und Blut

 

Heli Harni, Kuratorin des Helsinki Art Museums (HAM)
im Gespräch mit Daniela Capcarová

 

 

Frau Harni, wie würden Sie die jetzige finnische moderne Kunst charakterisieren?

Zurzeit sollten wir eher über eine gewisse globale Kunst sprechen. Die Künstler:innen sind mittlerweile miteinander vernetzt; auch das Kunststudium in den verschiedenen westeuropäischen Ländern ist ähnlich und damit globaler geworden, weswegen wir auch hier nicht mehr über eine typisch finnische Kunst sprechen können. Zudem haben wir auch ein paar unabhängige Galerien in Helsinki, die die gerade heißeste und unabhängige Kunst präsentieren.
Unser Museum selbst gibt einen Teil seines Ausstellungsraums an junge Künstler:innen und ihnen damit die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Normalerweise haben wir ein Jahresbudget in Höhe von etwa 100.000 Euro für Ausstellungen oder Installationen, was ermöglicht, Künstler:innen bei uns zu zeigen. Das heißt, dass wir dem Künstler/der Künstlerin den Ausstellungsraum zur Verfügung stellen und die Kosten für Katalog und Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Ausstellung decken. Die Künstler:innen müssen allerdings einen Antrag bei uns stellen und sich um diese Unterstützung bewerben.

 

Mona Hatou, Hot Spot

 

Die typischen Materialien der finnischen Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind vor allem Glas, Holz und Textil?

 

Ja, man kann es so betrachten, obwohl ich sagen muss, dass unser Museum die modernste Kunst Finnlands repräsentiert und wir hier auch viel mit neuen Kunstformen, z. B. mit Installationen arbeiten. Die Künstler:innen weltweit arbeiten mit vielen verschiedenen Materialien und kombinieren unterschiedlichste Techniken. Auch die heutige Moderne Kunst weltweit beansprucht viel Raum und nutzt verstärkt Installationen, die Künstler:innen für sich nutzen. Sie kreieren viele Kunst-Videos und nutzen auch die Wände der Stadt für ihre Performance.
Man muss wirklich viel von der Technik der Künstler:innen wissen, um zu verstehen, wie gut die Künstler:innen in diesen Techniken sind. Heutzutage absorbieren die Künstler:innen ihre Umwelt und ihre soziale Lage und verwandeln sie mit speziellen Techniken. Wir waren mit Ausstellungen auch auf der Documenta
in Kassel; die jeweiligen Kurator:innen dort folgen den Entwicklungen zeitgenössischer Kunst und den Reflexionen über sie. Ein Schwerpunkt unseres Museums widmet sich Street Art und Graffiti. Wir „reservierten“ auch Orte, an denen Graffiti- oder Streetart-Künstler:innen malen konnten– zum Beispiel an den Mauern in der Nähe vom Bahnhof.
 

 

   

Eingang HAM

 

Elemental Studio Drift HERO

 

In Osteuropa beobachten wir eine Art Abwertung der Akademischen Kunst. Manche Absolvent:innen jetziger Kunstuniversitäten hätten vor 35 Jahren keinen Abschluss machen können, weil der Schwerpunkt des Studiums damals auf handwerklichen Fähigkeiten lag. Was ist Ihre Meinung zum Verschwinden dieses formalen und ästhetischen Regelwerks? Vor 200 Jahren, oder sogar noch zuzeiten des Sozialistischen Realismus in Osteuropa, hätten die jetzigen Absolventen der Kunstuniversitäten keine Aufträge bekommen.

 

Das ist tatsächlich ein Problem der Ausbildung, dass wahrscheinlich zu wenige der klassischen Meisterwerke studiert werden. Ich denke, junge Künstler:innen sollten sich etwas von diesen Meisterwerken nehmen, um eine neue Kunstform zu schaffen und diese Werke weiter zu entwickeln. Ich meine hier nicht die 1:1 Kopien von Kunstwerken, wie sie zurzeit zum Beispiel in China gemacht werden – es sollte eher darum gehen, neue Forme zu kreieren. Die Arbeit des Künstlers/der Künstlerin ist heutzutage mehr den je ein kreativer Prozess, der Zeit braucht, das eigene Handwerk überhaupt entwickeln zu können.

 

Das stimmt, wir erleben aber in Osteuropa eine Ära, in der sich Kunst von Amateuren nicht sehr von der der Absolvent:innen der Kunstuniversitäten unterscheidet. Vor 1989 gab es in der Slowakei und auch in Tschechien spezielle Kunstschulen mit Abitur, in denen sich alle Absolvent:innen zunächst strengen Aufnahmeprüfungen unterziehen, sich Grundlagen der bildnerischen Gestaltung (Zeichnung, Malerei, Graphik) aneigneten mussten und erst dann einen eigenen Stil entwickelten. Heute sind neue Kunstuniversitäten mit diesbezüglich niedrigeren Ansprüchen entstanden, und so haben wir es mit einer Art von Kunst-Inflation. Was meinen Sie dazu?

 

In den finnischen Akademien der Künste belegen die Student:innen obligatorisch verschiedene Fächer: Malen, Zeichnen, graphische Kunst, Bildhauerei, dann Raum und Rauminstallation. Danach konzentrieren sie sich auf zwei dieser Fächer, in denen sie auch ihre Abschlussarbeiten machen. Natürlich kann man als fertige:r Künstler:in die eigenen Werke kaum verkaufen; die privaten Galerien fordern meist eine handwerklich regelgerechte oder ideenreiche Kunst.
Die kommerziellen Galerien wiederum wollen eher ihren Käufern entgegenkommen und verkaufen zumeist die Kunst, die ihren Kunden gefällt. Deshalb fördert unser Kunstmuseum in Helsinki auch experimentelle Künstler:innen, die bei kommerziellen Galerien eher keinen Erfolg hätten.

 

Heute ist Kunst auch eine gute Investition, wenn man nur mal die immer wiederkehrenden Zusammenbrüche der Aktienmärkte beobachtet. Ist Kunst also ein gutes Investment?

 

Ja, sicher, Sie müssen aber den Kunstmarkt lange genug beobachtet haben, um eine gute Investition machen zu können. Oder Sie haben Glück und ein gutes Händchen. Eine gute Investition ist Kunst auf jeden Fall.

 

Wie konservieren Sie in Ihrem Museum die Werke für die nächsten Generationen? Ist es bei der rasanten Entwicklung im Multimedia-Bereich nicht schwer, das Werk eines Künstlers/einer Künstlerin für nächste Generationen aufzubewahren und Kunst auf den neuen Medien „zu konservieren“?

 

Wir haben in unserem Museum spezielle Teams, die unsere Kunst aufbewahren. Wir kaufen von manchen Künstler:innen auch deren Werke ab, damit wir sie für die nächsten Jahrzehnte konservieren können. Wir müssen natürlich auf die Daten aufpassen, weil Medienträger älter werden; wir updaten regelmäßig alle Werke, die sich auf multimedialen Trägern befinden. Manchmal transformieren wir ältere Dateien in neue. Für etwa 300 Multimediawerke von Künstler:innen haben wir auch einen speziellen Serverraum für die Datenarchive. Wir haben auch Konservatoren, die ältere Gemälde oder Papierwerke konservieren. Die Hälfte unserer Kollektion ist in verschiedenen Gebäuden und Abteilungen der Stadtverwaltung, in Schulen oder Krankenhäusern. Die Ausstellungen, die bei uns stattfinden, dokumentieren wir natürlich immer auch in analogen Medien wie Katalogen oder Kunstbüchern, und wir machen auch Videos von den Ausstellungen, die wir stets auf die neueste Medien überspielen.

 

Was sind Ihrer Meinung nach die Stärken und die Schwächen finnischer Künstler:innen?

 

Da wir ein Land mit einer eher kleineren Population sind und auch ein nördliches Land des Kontinents, müssen unsere Künstler:innen mehr um die Aufmerksamkeit in der hiesigen Bevölkerung kämpfen. Wir haben aber auch Expert:innen, die sich für den Export finnischer Kunst einsetzen. Eine Stärke unserer Künstler:innen ist, dass sie hier eine gute Ausbildung haben; momentan verfügen die finnischen Kunstuniversitäten allerdings über wenig Geld. Heutzutage ist auch in Finnland nicht einfach, Künstler:in zu sein. Viele der finnischen Künstler:innen können sich gut verkaufen und wissen ganz gut, was sie machen, und sie sind selbstbewusst. Ähnlich wie in den anderen Ländern kümmern sich die Künstler:innen nicht so sehr um Geld, das Materielle, deshalb ist es für viele von ihnen nützlich, wenn sie einen Galeristen finden, der ihre Werke auch verkaufen kann.

 

Wie sieht es mit den Galeristen in Finnland aus, fördern sie junge Künstler:innen?

 

Die Galeristen gehen oft in die Ausstellungen junger Künstler:innen, und wenn ihnen ein Künstler/eine Künstlerin und seine/ihre Arbeit gefällt, nehmen sie ihn/sie auf in ihr Galerie-Portfolio. Für junge Künstler:innen ist sehr wichtig, dass ihr Werk in mehr als einer Ausstellung gezeigt wird. Wichtig ist für die Künstler:innen darüber hinaus, an Artmessen teilzunehmen, dorthin kommen einfach viele Galeristen. Bisweilen ist für Künstler:innen auch stressig, einen Vertrag mit Galerien zu haben, weil Werke pünktlich geliefert werden müssen, und manchmal hindert es in den Augen der Künstler:innen den eigenen kreativen Prozess.

 

Haben Sie im Museum auch eine Vorstellung über die aktuelle osteuropäische Kunst oder Partnerschaften mit baltischen Ländern, auch mit Russland?

 

Wir besuchen regelmäßig Tallin und Baltic Trienale dort. Wir arbeiten mit den Galeristen aus Tallin zusammen. Wir hatten hier auch eine Ausstellung der aktuellen russischen Kunst und deren künstlerischen Positionen. Ich denke, dass sich die aktuelle osteuropäische Kunst nicht so sehr von der Kunst in Finnland unterscheidet. Wir hatten auch ein paar Ausstellungen mit Bildern aus der Tretjakow-Galerie (Moskau).

 

Wie wird Ihrer Meinung nach die Kunst der Zukunft aussehen?

 

In Zukunft werden mehrere Techniken und Materialien zur Verfügung stehen, die die Künstler:innen nutzen werden, diese Materialien innovativ nutzen, wie etwa immer mehr die 3D-Modellierung und den 3D-Druck für ihre Werke nutzen. Sie können sich der Animationen aus der Computerwelt bedienen und neu erfundene, recycelte oder wiederverwendbare Materialien verwenden.

 

Amos Rex Art Museum

 

Wir haben im neuen Amos Rex-Kunstmuseum in Helsinki Anfang des Jahres 2019 eine gelungene Ausstellung gesehen, die aus Projektionen bestand und den/die Besucher:in auf einen interaktiven Weg in das Geschehen der künstlerischen Computeranimationen hineinzog. Meinen Sie, dass das der richtige Weg ist, wenn wir bei der Entstehung künstlerischer Werke keine Hände mehr nutzen?*

 

Nein, es ist nicht der richtige Weg, man kann aber die modernen Computertechniken dazu nutzen, einen Dialog zwischen dem Kunstwerk und den Zuschauer:innen bzw. dem Publikum herzustellen. Dies ist im Amos Rex-Kunstmuseum gelungen.

 

Amos Rex Licht-Installation

 

Während der oben genannten interaktiven Ausstellung gab es nur ein paar Motive von Lebewesen oder Wellen, die genutzt wurden. Ein Kind konnte ein Motiv, wie zum Beispiel einen Schmetterling, nur ausmalen, nicht selber malen, und dieses ausgemalte Motiv wurde dann per Computertechnik gescannt und auf die schwarze Oberfläche farbig wunderschön projiziert. Wird durch das Ausmalen der Musterbilder nicht zu wenig Kreativität gefördert – wäre es nicht besser, wenn das vom Kind gemalte eigene Motiv auf die Projektionsfläche käme?

 

Ja sicher, das Prinzip der Interaktivität ist wichtig, vor allem bei der jungen Generation. Seit drei Jahren haben wir hier im Museum eine interessante Handy-Applikation. Sie können ihr Handy auf das Gemälde richten, dann erscheint auf ihrem Display ein Mode-Kritiker, der erzählt, was Sie auf dem Bild sehen. Er ist zum Beispiel genauso angezogen wie die Party-Leute auf dem Bild – und so tritt er in das Geschehen der Party auf dem Bild ein. Er ist wie ein Party-Besucher und mischt sich mit einem Glas Wein unter die Menschen auf dem Bild. Das Ziel dieser Applikation ist, Interaktivität zu schaffen.

 

Werden wir in Zukunft Roboter haben, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Gemälde malen? IT-Firmen forschen schon im Bereich der neuronalen Intelligenz, um Menschen und deren Denken, sowie deren Kreativität nachahmen zu können.

 

Es gab schon Ausstellungen von Roboter- Kunst. Ich bin sicher, dass auch Roboter talentiert sein werden können. Man kann sie so programmieren oder animieren. Vielleicht werden sie in Zukunft sogar noch talentierter sein können als Menschen, wenn man sie entsprechend programmiert. Wenn ihnen künstlerisches Denken hinein programmiert werden kann, werden sie ähnlich kreativ sein wie menschliche Wesen. Es wäre sicher interessant, wenn ein Roboter das Gehirn eines Picassos oder eines Van Goghs hätte und die Kombination dieser zwei Gehirne würde man dann in ein Roboter-Gehirn pflanzen.

 

 

Heli Harni ist Kuratorin des Helsinkis Art Museums (HAM) und arbeitet seit mehr als 10 Jahren in diesem Museum.
Sie studierte an der Universität in
Turku Kunstgeschichte, Zeitgenössische Kulturgeschichte, Kommunikationswissenschaften, Ethnologie und Vergleichende Literatur. Nach dem Studium war sie Kuratorin im WAM Wäinö Aaltonen Museum of Art.
Als Managerin der
Art Gallery Taidesalonki Bellarte hatte sie viel mit finnischen zeitgenössischen Künstler:innen zu tun. Danach arbeitete sie als Trainee in der Presse-und Kulturabteilung der Finnischen Botschaft in London. Sie organisierte auch viele Installationen sowie Ausstellungen moderner finnischer Kunst und finnischen Designs. Helsinki Art Museum stellt die Moderne Kunst des 20. Jahrhunderts und zeitgenössische Kunst aus.

 

*auch Computertechnologie wird zunächst von Hand erschaffen und auch mit Händen bedient (Red.)

 

 




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