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Bilderverbote


Aufgebrachte Bürger empörten sich kürzlich in Düsseldorf über die Polaroids von Balthus und wollten verbieten lassen, dass sie weiter gezeigt werden dürfen; in Berlin verlangten sie in einem Offenen Brief, Klassiker der Kunstgeschichte in der Gemäldegalerie abzuhängen, weil darauf nackte Knaben zu sehen sind, also z.B. Caravaggios Amor. (Foto: Amor vincit omnia, auch Der siegende Amor genannt, Gemäldegalerie Berlin)  
Es werden ungeahnte Kampfschauplätze aufgemacht, sobald nur jemand den Verdacht von Pädophilie bzw. des Vorschubs solcher Neigungen hegt. Da ist oft viel Bigotterie und Heuchelei im Spiel. Dabei wäre der Blick auf sich selbst angebracht. -  Denn das, was in der Kunst lautstark angeprangert wird, ist gleichzeitig beispielsweise in der Bekleidungs- und Spielzeugindustrie überhaupt kein Problem mehr. Das erotisierte Posing auch schon von Kindern ist längst zur Normalität geworden. Die Erwachsenen kreieren Push-Up-BHs für Zehnjährige, durchsichtige String-Tangas für Achtjährige, Malbücher, die Vorschulkindern empfehlen,wie man sich als Top Model mit Minirock und High Heels in Szene setzt. Antonia Mahler schrieb in der SZ: „Der nackte Po einer Dreijährigen auf dem Töpfchen - in den Medien ein Tabu. Sich als Dreijährige wie eine Gogo-Tänzerin darstellen – geht in Ordnung. Was dabei herauskommt, ist eine Gesellschaft, die zu prüde ist, ein Baby nackig im Park spielen zu lassen – und gleichzeitig sexbesessen bis in die vorderste Reihe des Spielzeugregals.“

In ihrem Essay geht Ina Hartwig auf diese Doppelbödigkeiten ein.

 


Fesselt Euch nicht

von Ina Hartwig


Bilder nackter Kinder haben gerade einen ganz schweren Stand. Sie sind zur politischen Obsession geworden. Plädoyer gegen ein Denkverbot.

Sozialdemokraten leben in schwierigen Zeiten. Sie müssen dem Vorsitzenden, der festlegt, welches Verhalten zur SPD „nicht passt“, neuerdings beweisen, dass sie moralisch überlegene Wesen seien. Für die 'Direktkommunikation' mit Mitgliedern ist in der Berliner Zentrale eine Genossin zuständig. Auf die Nachfrage, ob sie denn die Bilder kenne, die Sebastian Edathy sich bestellt habe, gab sie zu: Nein, „natürlich nicht“. Aber, schrieb sie munter weiter, „selbst wenn diese Bilder 'nur' in die Kategorie 2 fallen (schlimm genug, dass diese Bilder als legal gelten), hat er damit mittelbar auch 'harte' Kinderpornographie unterstützt.“
Da haben wir den Salat. Es macht also keinen Unterschied, ob ein Bild legal ist oder als legal gilt. Der Unterschied ist aber wichtig. Sonst könnte jedermann in paralleler Logik behaupten, Diebstahl „gelte“ als Verbrechen. Nein: Diebstahl ist ein Verbrechen, so wie entsprechend der Gesetzeslage bestimmte Bilder eben legal sind und andere nicht. Der Unterschied zwischen legal und illegal ist sehr wohl relevant. Aber er wird, wie der Brief zeigt, nicht anerkannt. Beziehungsweise das, was – noch – legal ist, soll demnächst illegal sein.
Warum eigentlich? Es wird behauptet, wer legale Bilder kaufe, unterstütze mittelbar auch harte Kinderpornographie. Genauso gut könnte man die Parole ausgeben: Wer Pullover kauft, die weniger als zehn Euro kosten, unterstützt „mittelbar“ die globalisierte Arbeitssklaverei, macht sich mithin moralisch schuldig. Wir könnten dann sagen, Leute mit Pullovern, die weniger als zehn Euro kosten, dürfen an unserem Tisch nicht mehr Platz nehmen. So absurd das klingt, so sehr entspricht es dem moralisierenden Absolutismus unserer Tage.

Wir streiten nicht über Kinderpornographie. Das Verbot steht in keiner Weise zur Disposition. Wir streiten über einen sittlichen Rigorismus, der zwischen Kinderpornographie und legalen Abbildungen nackter Kinder nicht mehr unterscheiden will. Die Tendenz geht dahin, Unterschiede zu planieren und jedes Nacktbild von Kindern zu illegalisieren. Der Handel, so die Wunschvorstellung nicht nur jener SPD-Genossin, sondern auch von Kinderschutzbund und CDU, soll komplett untersagt werden; Postkarten, Bildbände, Galerieausstellungen könnten, theoretisch, davon betroffen sein. Dass die Hysterie auf die Kunst überspringt, belegen die USA, die bereits vor zwanzig Jahren einen harten Kulturkampf um den Fotografen Robert Mapplethorpe ausgefochten haben. Sollte sich dieser Rigorismus bei uns durchsetzen, und das ist zu befürchten, denn er manifestiert sich gerade parteiübergreifend, dann stehen uns finstere Zeiten bevor.
Es ist gewiss kein Zufall, dass im selben historischen Moment die Homosexualität ihre letzten Stigmata abwirft. Die Gleichstellung ist weitgehend hergestellt. Es fehlen noch die vollständige Zuerkennung des Adoptionsrechts und das Recht, eine Ehe statt der Eingetragenen Lebenspartnerschaft zu schließen. Anders als Sibylle Lewitscharoff, die sich kürzlich in der Zeit als SPD-Wählerin bekannte, trauere ich keiner Fiktion von gottgewollten Naturgesetzen nach, sondern freue mich von Herzen über die neue Normalität des homosexuellen Familienalltags, inklusive des gewünschten Nachwuchses. Nicht einmal die CDU, die von sich aus keinen Finger gekrümmt hätte für die homosexuelle Emanzipation, möchte diese Entwicklung zurückdrehen.

Jedoch, das Gegenbild ist umso fürchterlicher: Nicht mehr der Homosexuelle ist pervers, er lebt ja als netter Nachbar im Reihenhaus, sondern der pädophile Mann. Er ist zum Hassbild mutiert, an dem sich der Mob austobt. Die Bild-Zeitung, garniert vom täglichen Busengirl, gießt genüsslich Öl ins Feuer und schürt die Pogromstimmung. Eigentlich erschreckend, dass eine Partei, deren Mitglieder in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern immerhin zusammen mit den Männern des Rosa Winkel eingesperrt waren, in dieser Situation das Gespür für die eigene Vorgeschichte verloren hat. Bedenkt man, mit was für menschenverachtenden Maßnahmen homosexuelle Männer bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts kujoniert worden sind (beispielsweise durch Hirnoperationen), wird einem angesichts der Menschenjagd Angst und Bange. Man lese zur Erinnerung Hubert Fichtes eindringliche Texte hierzu noch einmal nach.

Dass das Internetzeitalter jeden Weg in die Schmuddelecken unseres Begehrens abspeichert, damit müssen wir rechnen. Und es ist immer peinlich, persönliche Sehnsüchte und sexuelle Phantasien grell ausgeleuchtet und von der Öffentlichkeit verhöhnt zu sehen. Sehr peinlich sogar. Aber die Naivität kennt hier, seltsamerweise, keine Grenzen. Nicht einmal bei denen, die es besser wissen müssten. Sie scheinen genauso arglos zu sein wie jene Jugendlichen, die Bildchen von sich in aufreizenden Posen herumschicken. Bekanntlich sind schon amerikanische Abgeordnete über kleine dreckige Grenzüberschreitungen gestürzt, die sie sich in der vermeintlichen Anonymität des Netzes gestatten zu können glaubten. Geht nicht: du wirst erwischt. Schlechte Zeiten für Schmuddelecken.
Aber darum geht es bei den hysterisierten Reaktionen ja gar nicht; es geht um die Imago des Kindes, das um seiner Unschuld willen mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Dass der Kindheit damit wirklich gedient sei, ist zu bestreiten. Ich erinnere mich jedenfalls an eine glückliche Zeit, als Nacktheit unter Kindern und innerhalb der Familie normal war. Ich erinnere mich an altbackene Lehrerinnen, über die gegrinst wurde. Ich erinnere mich aber nicht an eine Stimmung der Verdächtigung. Es gab den „Mitschnacker“, vor dem wurde jedes Kind gewarnt (er tauchte allerdings nie auf), ansonsten fühlten wir uns ziemlich frei. Strand und Kinderzimmer waren nicht gepflastert mit Angstphantasien, und das Wort „Kinderpornographie“ war gänzlich unbekannt.

 

       

Am Strand - oboena.de

 

Herbert List - 21-clicks.com

 

Mädchen am Meer - ratiopharm.de

  

Heute, vierzig Jahre danach, gewinnt man den Eindruck, DAS KIND sei derart umstellt von Erwachsenenprojektionen, dass es manchmal vor lauter Aufmerksamkeit kaum noch atmen kann. Man liebt das eigene Kind (und das Bild dieser Liebe), aber wehe, ein Fremder wirft auch nur einen Blick darauf. Der pädophile Mann ist der, der „mein“ Kind rauben möchte, seine Unschuld, seine Vollkommenheit. Tatsächlich teilen der pädophile Mann und die ums Kind tanzenden Eltern die Vorstellung kindlicher Unschuld, oder sagen wir ruhig Schönheit; nur gewissermaßen aus einander ausschließenden Perspektiven.
Der Arzt und Psychoanalytiker Herbert Gschwind ist einer der wenigen, die mit pädosexuellen Männern, so nennt das die Branche, sexualtherapeutisch gearbeitet hat. Es sei eine Bescheidenheit lehrende Erfahrung, denn das „Triebschicksal“ selbst sei nicht zu beeinflussen, sagte er unlängst in einem Vortrag in München. Das Liebesobjekt des Pädosexuellen, also das Kind bis zur Grenze der Geschlechtsreife, sei halb Fetisch, halb lebendig; die darauf sich richtende Sehnsucht nicht nur verboten, sondern strukturell unerfüllbar. Erfolgreich sei die Therapie, wenn der Patient mit dem Verzicht zu leben lerne.

 

Die entscheidende Frage ist nun, ob das Betrachten junger nackter Körper per se des Teufels, per se „pädophil“ sei. Ein Blick in die Kunstgeschichte verrät, dass die Antwort nur Nein lauten kann. Von den unzähligen nackten Jesulein über den verschmitzten Siegreichen Amor Caravaggios bis zu Sally Manns stilisierten Fotografien ihrer eigenen Kinder oder Herbert Lists Porträts lachender, im Wasser spielender karibischer Jungen - das nackte Kind ist von universellem Interesse, motivisch vielfältig, Träger sich wandelnder Vorstellungen, eingebettet in Konventionen von Verhüllung und Enthüllung. Wahrlich ein interessantes Motiv.

 

Wenn der vom Parteiausschluss bedrohte Genosse Edathy, was er ja nicht müsste, im Spiegel-Interview bekennt: „Ich bin nicht pädophil“, dann dürfte er auf diese universelle Drift des Interesses an Kindern, der Idee ihrer Unschuld, ihrer Lebendigkeit und Schönheit, anspielen. Aber das ist nur eine Vermutung. Fest steht hingegen: Der Bilderflut wird gerade ein Bilderverbot verordnet. Und ausgerechnet jetzt, wo alle möglichen Leute, die nichts davon verstehen, über Bilder schwadronieren, schweigen die Experten.
Dabei blüht seit Jahren an den kulturwissenschaftlichen Fakultäten die Bildtheorie. Es könnte, politisch gesehen, ihre Stunde sein. In dieser Situation, in der Bildspekulation sich kurzschließt mit Säuberungsbestrebungen, Hysterie mit Puritanismus, bräuchten wir eine aufklärende Instanz. Nicht nur die lange Motivgeschichte der Nacktheit gilt es aufzuklären. Die Zeichen der Verfügbarkeit gilt es zu deuten, den ruhenden Blick vom begehrlichen Blick zu unterscheiden, das Abbild von seiner (digitalen) Manipulation methodisch zu trennen, die Grenzen des Ästhetischen auszuloten. Erst dann wird man verstehen, wo Pornographie anfängt und wo sie aufhört.

 

Mit Denkverboten wird man dem nicht beikommen. Wir waren schon einmal weiter. Man brauche nur Adornos maximal liberalen Aufsatz von 1963 über Sexualtabus und Recht heute zu lesen, in dem er die „deutschen Autositten“ für weit lebensgefährlicher hält als, zum Beispiel, das Strichjungenwesen. Schon Odysseus ließ sich fesseln, um den süßesten Genuss, den Gesang der Sirenen, zu überstehen. Inzwischen, da Bondage-Bestseller millionenfach abgesetzt werden, fesselt die liberale Gesellschaft sich nicht mehr mit Sexualtabus. Sie fesselt sich mit der Obsession des reinen, unschuldigen Kinds. Vermutlich, um sich selbst nicht in die Augen sehen zu müssen.

 


 

© Text: Erstveröffentlichung: http://www.perlentaucher.de/essay/fesselt-euch-nicht.html

© Fotos: Caravaggio, Amor vincit omnia - Gemäldegalerie Berlin; Am Strand - oboena.de; Herbert List - 21-clicks.com; Mädchen am Meer - ratiopharm.de; Sally Mann: Immediate family 3; Corregio: Danae, 1530 - Villa Borghese, Rom



Ina Hartwig, *1963 in Hamburg, Studium der Romanistik und Germanistik in Avignon und Berlin. Lehrtätigkeiten an der FU Berlin, in St. Louis und Göttingen; viele Jahre lang verantwortliche Literaturredakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Heute arbeitet sie als freie Kritikerin. 2011: Alfred Kerr-Preis für Literaturkritik und Caroline Schlegel-Preis der Stadt Jena.




© Ernst Ludwig Kirchner, Artistin (Marzella), 1910 - vermutlich Lina Franziska Fehrmann, das "Brücke"-Modell


 

 

 

 

   

© Vogue, Paris - Kindermodelle 2012

 


© Vogue, Paris - Kindermodelle



s.a. Film über Luxuskinder: //youtube.com/watch?v=A8PCeW7dgKI


10IV14

 


 

Ina Hartwig in der Kulturzeit am 16.04.2014 http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=43098

 

 

 



















 



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