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Pavel / Paul Eisner

Autor - Übersetzer - Sprachmittler



Koeltzsch, Ines / Kuklová, Michaela / Wögerbauer, Michael (Hg.):

Übersetzer zwischen den Kulturen. Der Prager Publizist Paul / Pavel Eisner.

316 S., geb., Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2011, 39,90 €; ISBN 978-3-412-20550-8.






Von Kateřina Čapková

Sprachmittler zwischen der tschechischen und deutschen Kultur, die meist aus jüdischen Familien stammten, sind in der Historiografie kein neues Thema. So hat der israelische Historiker Dimitry Shumsky am Beispiel von Hans Kohn, Hugo Bergmann und Max Brod sogar darauf hingewiesen, dass man einen Großteil der Juden in den böhmischen Ländern weder eindeutig der tschechischen noch der deutschen sprachlichen und kulturellen Gemeinschaft zurechnen konnte und den Begriff des „tschechisch-deutschen Judentums“ geprägt.1 Es ist nachvollziehbar, dass in Reaktion auf die frühere Tendenz der Historiografie, den Schwerpunkt auf die eine oder andere Sprachgruppe innerhalb der jüdischen Gemeinschaft der böhmischen Länder zu legen, nun die nationale und sprachliche Unentschiedenheit eines großen Teils der böhmischen Juden betont wird. Darüber sollte allerdings nicht vergessen werden, dass diese Unentschiedenheit nicht allein für die jüdische Bevölkerungsgruppe typisch war und es auch unter den Juden überzeugte tschechische, deutsche und zionistische Nationalisten gab, die an der Herausbildung der nationalen Diskurse und der nationalistischen Bewegungen mitwirkten und diese politisch repräsentieren.

Das Werk des Schriftstellers, Literaturkritikers, Sprachwissenschaftlers und Journalisten Pavel/Paul Eisner erscheint nachgerade als Paradebeispiel für das „tschechisch-deutsche Judentum“. An seine Person führt uns der Sammelband ausgewogen und aus verschiedenen, einander ergänzenden Perspektiven heran. Er ist das Ergebnis einer Konferenz, die im November 2008 an der Universität in Ústí nad Labem anlässlich des 120.Geburtstages und 50.Todestages des Schriftstellers stattfand, und erschien bereits 2010 in einer tschechischen Version.

Die deutsche Ausgabe unterscheidet sich zum Teil in der Auswahl der Beiträge, auch wurden einige Texte für den deutschen Sammelband überarbeitet und aktualisiert. Der Mehrgewinn, den das Buch bringt, liegt im plastischen und komplexen Bild von Eisner, das die Diskussion um das tschechisch-deutsch-jüdische Zusammenleben in Prag der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein weiteres Stück voran bringt.

Der Sammelband fragt weder, ob Eisner eher ein tschechischer oder ein deutscher Schriftsteller und Journalist war, noch beschränkt er sich auf Lobeshymnen für seine Übersetzungs- und Vermittlungstätigkeiten. Vielmehr wird in einer Reihe von Beiträgen deutlich, dass auch Eisner, der vollkommen bilingual war (zu den Sprachkompetenzen Eisners siehe den Beitrag von Václav Pctrbrok), in seinen Texten nicht nur mit der Konzeption der Symbiose der Volksgruppen gearbeitet hat, sondern auch Bilder vom Ghetto, von einer Insel oder von der Chinesischen Mauer nutzte

(Ines Koeltzsch, S. 14).

Der Beitrag Eisners zur Annäherung der tschechischen und deutschen Kultur wird in den Analysen seiner Übersetzungen thematisiert - da wären etwa die Gedichte Rainer Maria Rilkes (Petr Kučera), Arbeiten von Goethe (Michal Topor), seine Interpretation von Máchas Werk (Marek Přibil) sowie den Werken Vrchlickýs, Sovas und Březinas (Lucie Kostrbová) als auch der slowakischen Literatur (Gertraude Zand). Gerade der letztgenannte Beitrag zeigt aber auch, dass Eisner mit seinen Übersetzungen und Rezensionen zwar zur Popularisierung der slowakischen Kultur im deutschen Umfeld beitrug, zugleich aber auch zur Verbreitung und Verfestigung von Stereotypen über Slowaken. Dann nämlich, wenn Eisner beispielsweise Pavol Országh Hviezdoslav als einen „homo slovacus“ charakterisierte, er für ihn ein „Jammerbild“ (obraz bídy) darstellte. Die Slowaken erscheinen in Eisners Ausführungen als leidende, geschlagene und passive Menschen. Die Geschichte des Jánošíks stellt für ihn nur eine Ausnahme von der Regel dar. Gertraude Zand schlussfolgert aus diesen und weiteren Übersetzungen, dass Eisner slowakische Stereotype, die er aus seinem tschechischen Umfeld übernahm, aktiv verbreitet hat. Dass er damit die gängige kulturelle Hierarchisierung der Völker akzeptierte und reproduzierte, sei ihm nicht bewusst gewesen (S. 172).

Auch die Beiträge von Christian Jacques und Zdeñek Marešek ergänzen einander. Jacques untersucht Eisners Wahrnehmung des „Sudetendeutschtums“. Im kulturellen Bereich propagierte insbesondere der Verleger Johannes Stauda den Begriff „Sudetendeutschtum“, der die sudetendeutsche Literatur als Mobilisierungsinstrument im politischen Kampf der Ersten Republik verstand. Während Herausgeber, Literaturhistoriker und -kritiker wie Josef Nadler, Rudolf Wolkan und Josef Mühlberger die Einmaligkeit und Selbstständigkeit sudetendeutscher literarischer Traditionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart hervorhoben, bemühte sich Eisner in seinen Texten um die Integration der „sudetendeutschen“ Literatur in den Kontext der kulturellen Entwicklung der böhmischen Länder und forderte, das „Sudetendeutschtum“ dürfe nicht dem Provinzialismus verfallen und Werkzeug des politischen Kampfs werden. In diesem Kontext beschrieb Eisner die nationalen Kulturen als unterschiedliche „Niederschlagsformen“ universeller Werte, welche die Grundlage aller nationalen Kulturen bildeten (S. 114). Bei Mareček begegnet uns hingegen ein

Eisner, der nationalistische, teilweise sogar rassistische Rhetorik unreflektiert übernahm und verwendete: Termini wie Rasse, Blut und Scholle sowie weitere Metaphern für den Anspruch eines Volkes auf einen bestimmten Raum oder solche, die biologischen Grundlagen einer nationalen Gemeinschaft betonen. Von dieser Begrifflichkeit nahm Eisner erst 1934 Abstand, und zwar in Reaktion auf Ivo Likuštín, der in der Zeitschrift Lumír eine Lobeshymne auf Hitlers Machtergreifung und die Umwandlung der deutschen Kultur in eine rassistisch-nationalistische veröffentlichte. In höchst ironischer Weise distanzierte sich Eisner von Likuštíns Begeisterung für die „Blutreinheit“ des Nationalsozialismus und der Ablehnung der städtischen und multiethnischen Kultur.

Meisterhaft erfasst die Widersprüchlichkeit Eisners dann Georg Escher, der Eisners Darlegungen zu Kafkas Werk analysiert. Für Eisner war Kafkas Werk gerade wegen der Verankerung im Prager Kontext einzigartig, weshalb sich seine Interpretation so intensiv mit den Beziehungen zwischen den einzelnen Sprach- und Volksgruppen in Prag während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasste.

Escher zeigt deutlich, dass Eisner in seinen Ausführungen zur Multikulturalität Prags zwischen den Metaphern des Ghettos und der Symbiose der einzelnen Gruppen oszillierte (S. 259). Den Begriff des Ghettos benutzte Eisner nicht nur in seiner bekannten These über das dreifache Ghetto sondern auch in weiteren Kontexten – wir finden bei ihm das Ghetto des Stammes, das soziale, das der Künstlerseele, das zerebrale, das rassische und das religiöse. Diese mehrfache Isolation – eine pathologische, defekte und unnatürliche Situation (S. 261) – erst mache Kafkas Werk verständlich. Diesem unnatürlichen Zustand setzte Eisner das Konzept der Symbiose entgegen, das er sowohl auf die tschechisch-deutsche Beziehung, als auch auf die tschechisch-jüdische und die deutsch-jüdische anwendete. Einige zeitgenössische Intellektuelle wie Josef Nadler unterschieden zwischen einer positiven Symbiose, der Vermischung zweier Ethnien, und der negativen Assimilation, welche verbunden sei mit der passiven Anpassung an die Mehrheit, also mit der Annahme durch Mimikry. Für Eisner indessen waren Symbiose und Assimilation im Grunde genommen gleichbedeutend (S. 265). Hier bleibt allerdings die Frage offen, wie Eisner selbst diese sehr weit definierte Symbiose, wie auch immer angeboren, selbst bewertete. Sicher ist dagegen, dass Eisners Metaphern von Ghetto und Symbiose eine gemeinsame Grundlage haben: Die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Volk ist zwar biologisch begründet, aber eben auch sozial (später nach

marxistischem Verständnis von seiner Klasse abhängend). Escher erklärt damit die innere Kontinuität von Eisners Schriften zu Kafka wie auch deren überraschend dauerhaften Erfolg, der von den dreißiger bis zu den sechziger Jahren reichte, wobei Eisner nach dem Krieg sowohl im Westen als auch im Osten Anklang fand. Es wird also deutlich, dass Eisner ein bedeutender Vermittler zwischen der tschechischen und der deutschen Kultur und zugleich selbst stark von zeitgenössischen nationalistischen und rassistischen Theorien beeinflusst war. In seinem Werk und

seinen Interpretationen spiegelt sich so auch sein persönliches Leben wider. Die Schwierigkeiten, mit denen Eisner konfrontiert war, treten in Daniel Řeháks Studie in den Vordergrund, die Eisners Erfahrungen während der Kriegszeit, in der dieser einen Großteil seiner Bücher verfasste, dokumentiert. Eisner schrieb unter Pseudonym, in permanenter Angst vor der Deportation und unter existentiellem Druck, da er das Geld für sich und seine Frau, die aus einer evangelischen Familie stammte, verdienen musste. Dass ihm dies gelang, ist nicht zuletzt dem Mut vieler seiner tschechischen Freunde zu verdanken, insbesondere des Verlegers Jaroslav Podroužek. Ein Teil der Manuskripte, die Eisner zur Sicherheit in den Wohnungen seiner deutschen christlichen Freunde versteckte, wurde bei Kriegsende von plündernden Revolutionsgarden vernichtet.


Anmerkungen

1 Shumsky, Dimitry: Historiografia, leumiut ve-du-leumiut: yahadutczecho-germanit, zioneiprag u-mekorot ha-gisha ha-du-leumitshel Hugo Bergmann [Historiografie, Nationalismus und Binationalismus: Tschechisch-deutsches Judentum, Prager Zionisten und die Herkunft des bi-nationalen Zugangs von Hugo Bergmann]. In: Zion 69 (2004) H. 1, 45-80.

2 Dodková, Veronika/ Kaíserová, Kristina/ Petrbok, Václav (Hg.): Na rozhraní kultur. Případ Paul/Pavel Eisner [An der Grenze der Kulturen. Der Fall Paul/ Pavel Eisner]. Ústí nad Labem 2010.


© Kateřina Čapková, Prag, Erstveröffentlichung Bohemia 52 (2012):

http://bohemia.digitale-sammlungen.de/de/object/display/bsb00079597_00172


Pavel Eisner (1889–1958) gehört zu den bekanntesten Prager Intellektuellen, die sich für den kulturellen Austausch zwischen Tschechen und Deutschen engagierten. Als Sohn jüdischer Eltern avancierte er zu einem der produktivsten Publizisten und Übersetzer der Zwischenkriegszeit, der in beiden Sprachen veröffentlichte. 1935 erschien seine – die erste! – Übersetzung von Kafkas Das Schloss ins Tschechische. Eisners Thema blieb die Prager deutsche Literatur, seine Essays beeinflussten maßgeblich die Kafka-Rezeption nach 1945.


© Fotos: Tschechische Briefmarke zu Kafkas 130. Geburtstag; oben: Böhlau Verlag; wikipedia



s. hier auch Empfehlungen: Michal Frankl, Prag ist nunmehr antisemitisch, Tschechischer Antisemitismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Broschur, 334 Seiten, Metropol Verlag, 24,00 Euro.ISBN: 978-3-86331-019-6

Prag 1918 -1938Wider die Mythenbildung von Friedrich Goedeking, zu: Ines Koeltsch: Geteilte Kulturen. Eine Geschichte der tschechisch-jüdisch-deutschen Beziehungen in Prag (1918-1938). Veröffentlichungen des Collegiums Carolinum, Bd. 124, 430 S., geb., Oldenbourg Verlag 2012, € 54,80. ISBN 978-3-486-71241-4.

und unter Goedeking - von Arburg ein Gespräch des Autors mit dem Historiker Adrian von Arburg.

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