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Es hapert

Kafka-Rezeption: zu wenig global und zeitgemäß

Von Roman Halfmann


Im unten besprochenen Band finden Sie u.a. in Auszügen die sehr lesenswerte Darstellung der Kafka-Rezeption in der DDR zwischen 1968 – 1989 von Ekkehard W. Haring; unter R.T. Gray-Kafka USA: Der Einfluss deutsch-jüdischer Emigranten auf die (amerikanische) Kafka-Rezeption, Beitrag gehalten auf  der Kafka und Prag-Konferenz, 2010 in Prag anlässlich des 80. Geburtstags von Prof. Kurt KrolopMehr Beiträge zu Kafka unter: Letna Park

 


Steffen Höhne / Ludger Udolph (Hg.): Franz Kafka. Wirkung und Wirkungsverhinderung
440 S., geb., Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2014.
54,90 €, ISBN-13: 9783412223366

 





Der Band beschäftige sich „vorwiegend mit den in der Regel vergeblichen Versuchen einer Wirkungsverhinderung bzw. den Versuchen einer Steuerung von Wirkung, fragt also danach, ob und auf welche Weise bestimmte Texte bzw. Äußerungen Kafkas zugänglich waren und welche damit verbundenen Sinn- und Bedeutungskomplexe in übergreifende literatur- und kulturpolitische Diskurse integriert worden sind“, schreiben die Herausgeber. Tatsächlich sind alle Beitragenden bestrebt, die verhandelten Kafka-Rezeptionen kulturpolitisch oder zumindest kulturell einzuordnen, wobei, für mich völlig unverständlich und vom Titel her auch nicht abzulesen, die Rezeptionen der damaligen Ostblockstaaten sowie die Interpretationen Kafkas als jüdischer Autor im Vordergrund stehen.

Natürlich, die Rezeption Kafkas in der UdSSR ist ein ergiebiger Untersuchungsgegenstand, kann doch kaum besser gezeigt werden, wie „Kulturpolitik, Ästhetikdebatten und politische Auseinandersetzung ineinanderfließen und sich überdecken“. Doch ein derart dankbares Thema zieht eben auch die Horden an. So beschäftigen sich neben dem zitierten Michael Rohrwasser gleich sechs (!) weitere Beiträge des Bandes mehr oder weniger detailliert mit diesem Thema, insbesondere der sagenumwobenen Konferenz in Liblice: 1963 gehalten und Franz Kafka aus Prager Sicht in den Fokus stellend, ging es damals nach Manfred Weinberg vor allem darum, zu diskutieren, „wie eine Lektüre Kafkas zu den Bedingungen einer marxistischen Literaturwissenschaft aussehen könnte“. Eine Auseinandersetzung also, die bereits längst historisch geworden ist und die zudem, wie ein Blick in die langen Listen der ausgewiesenen Sekundärliteratur erahnen lässt, gebührend erforscht scheint; weshalb Manfred Weinberg ja auch seinen Beitrag mit der quasi-ironischen Beichte einzuleiten gezwungen ist, dieser sei „denkbar unoriginell“, was zuerst einmal recht erfrischend wirkt, aber letztlich rasch ranzig zu werden droht, da in der weiteren Argumentation ominös bleibt, welche Quellenerschließung oder innovative Großtat nun eine abermalige Analyse rechtfertigen könnte.

Was keinesfalls bedeuten soll, dass die einzelnen Beiträge nicht lesenswert, informativ und gut recherchiert sind. Allein, was hilft es, wenn zumeist sattsam abgeschlossene und/oder obsolet gewordene Diskussionen nochmals abgehandelt werden? Dies betrifft auch den jüdischen Diskurs: So zeigt etwa der verdiente Kafka-Veteran Richard T. Gray auf, wie die Emigranten Heinz Politzer und Walter Sokel nach dem Zweiten Weltkrieg das Kafka-Bild in Amerika maßgeblich prägten und sich „trotz ihrer bitteren persönlichen Erlebnisse als vertriebene deutsch-österreichische Juden dagegen gewehrt haben, Kafka und seine Kunst auf die Thematik des verfolgten Juden zu reduzieren“. Sander Gilman wiederum habe mit seinem 1995 erschienen Werk Franz Kafka, the Jewish Patient die Rezeption wieder auf den antisemitischen Aspekt verschoben und damit eine „frappante Wende“ eingeleitet, die Gray nicht unbedingt positiv beurteilt.

Das ist an sich alles richtig, aber nun auch schon, time flies!, zwei Jahrzehnte her und die amerikanische Literaturwissenschaft alles andere als untätig. Gray argumentiert jedoch, als habe sich seit 1995 nichts mehr getan. Was sich auch mit einer Darstellung der Kafka-Rezeptionen in den Ostblockstaaten deckt, die notgedrungen allerspätestens Mitte der 1990er-Jahre endigten, da den Rezipierenden der spezifische politisch-kulturelle Hintergrund bekanntlich verlustig ging. Da wäre es sicherlich weitaus interessanter, eben hier anzusetzen und die Auseinandersetzungen mit Kafka während dieser Umbruchs- und Transformationszeiten zu untersuchen: Wie Kafka also von den ehemaligen DDR-Literaten nach der Wende rezipiert wird; oder von den Russen – Vladimir Sorokin drängt sich hier auf, dessen Schneesturm sicherlich (auch) Kafka-Referenzen verhandelt.

Stattdessen schließt Klaus Schenk, der Kafka-Rezeptionen als intertextuelle Bezugnahmen diachron behandelt, auch seine Darstellung im Jahre 1997 ab, nämlich mit Libuše Moníková. Auch zuvor hat er wenig Neues zu vermelden: Peter Handke, Martin Walser, Eckhard Henscheid und so weiter, dieses recht willkürlich sortierte Kaliber als Primärliteratur, dazu Julia Kristeva und Renate Lachmann zur theoretischen Grundierung, also makellose ‚Intertextualität‘, hier Hypertextualität genannt – und letztlich ist das alles doch derart 90er Jahre, was denn auch die Literaturliste bezeugt.

Dabei ist gerade zur Jahrtausendwende eine aufschlussreiche Wende in den literarischen Kafka-Rezeptionen zu beobachten, welche die Hauptthese Schenks, es nämlich mit Hypertextualität und eben nicht produktionsästhetischen Diskursen zu tun zu haben, zumindest herausfordert. Der Artikel firmiert nun unter dem Großkapitel „Frühe Rezeption und Wirkung“, doch, diese Frage sei erlaubt, warum eigentlich? Warum also geht es nicht aktueller? Die Kafka-Rezeption Handkes beispielsweise ist ja bereits ausführlicher und besser an anderer Stelle vermittelt, auch Martin Walsers Umgang mit Kafka scheint genügend abgearbeitet, weshalb es allein bei der Wiederholung bleibt, die auch theoretisch mit eher altbackenem Werkzeug verortet werden soll.

Nun, liest man den Band eben wohlwollend als Sammlung von historischen Wirkungsverhinderungen bis hin zur Jahrtausendwende mit Schwerpunkt Ostblock sowie Kalter Krieg und stellt sich außerdem vor, er wäre nicht 2014, sondern 2002 veröffentlicht worden – wobei wirklich zu fragen ist, ob selbst zu jenem Zeitpunkt eine nochmalige Darstellung dieser Komplexe tatsächlich nötig gewesen wäre. Doch auch dann erschließt sich die weitere Auswahl nicht: Warum, recht unvermittelt, zwei Texte über die japanische Rezeption? Und Frankreich, zweimal eingestreut und mit übrigens wunderbaren Thesen gespickt, wobei vor allem die Abrechnung Marie-Odile Thirouins herausragt, die endlich einmal diese unsägliche These der kleinen Literaturen von Gilles Deleuze und Félix Guattari dorthin schreibt, wohin sie gehört, ins Land der „Ignoranz und Manipulation“ nämlich. Also doch eine das Umfassende anstrebende Übersicht mit unglücklich gewählten Schwerpunkten und seltsam rückständigen Themen? – Es hapert.

Was fehlt? Erstens der hochinteressante und quicklebendige asiatische Raum. Ja, ans Ende des Bandes sind die beiden erwähnten knappen Darstellungen japanischer Rezeptionen geklebt, sich auf die Zeit um den Zweiten Weltkrieg und die 1960er-Jahre fokussierend, doch ist dies zu oberflächlich1 und zudem willkürlich mit der Rezeption des Ostblocks verknüpft, ohne dies zu motivieren und im Verlauf zu stützen. Wo also ist China? Natürlich, jeder vermisst immer etwas, aber angesichts der nun einmal vorherrschenden thematischen Ausgangslage des Bandes mit dem Schwerpunkt UdSSR drängt sich ein Vergleich dieser Rezeptionsbewegungen mit denjenigen Chinas notwendigerweise auf und wird geradezu schmerzlich ersehnt – man bedenke die dringend zu untersuchenden chinesischen Kafka-Bezüge vor, während und nach der Kulturrevolution; oder, man möchte mit der Zunge schnalzen, wie Zhu Wen in I Love Dollars mit Kafka’scher Brille den kommunistischen Turbokapitalismus chinesischer Prägung eindrücklich-witzig bannt. Hier ist eine deutliche Lücke.

Wie auch angesichts der zweiten, ungleich komplexeren Ebene der Prämisse einer Wirkungsverhinderung Kafka’schen Denkens und Schreibens: Spricht man nämlich von Wirkungsverhinderung, sollte man sich selbstverständlich darüber Gedanken machen, von welcher Wirkung überhaupt die Rede ist. Sartre geht bereits 1962, wie in gleich mehreren Texten des Bandes erwähnt wird, anlässlich des Weltfriedenskongresses auf die These ein, Kafka sei eine Waffe des Westens und müsse infolgedessen von westlicher Ideologie befreit werden. Natürlich ist dies ideologisch aufgeladene Kriegsmetaphorik, gleichwohl nicht ganz aus der Luft gegriffen: Natürlich hat sich auch der Westen ‚seinen‘ Kafka zusammengebastelt, damit Wirkungen manipuliert und verhindert, dies teilweise auch unter dem Einfluss des Kalten Krieges – ein kaum bearbeitetes, ein weites Feld. Abseits der historischen Verortung weist Bernd Neumann in seiner ebenfalls 2014 erschienen Darstellung Franz Kafka und der Große Krieg allgemein darauf hin, dass auch wir als Vertreter mitteleuropäischer Deutungstradition einer Wirkungsmanipulation ausgesetzt sind: „Denken wir einmal so“, fordert er, „wie wir schon als Studenten […] verlernt haben zu denken, nämlich räumlich-konkret statt metaphysisch-abstrakt.“2 Und es hebt ja bereits in der Schule an, in welcher nach Maßgabe des Lehrplans ein spezifisches Kafka-Bild vermittelt wird, welches dann natürlich die Rezeption und auch das Schreiben über andere Rezeptionen bedingt – unbewusst zumeist. Dies ist sicherlich ein vertrackter Sachverhalt, der aber von der allgemein anerkannten Deutungsoffenheit Kafka’scher Prosa geradezu bedingt wird: Nämlich den eigenen Standpunkt zu reflektieren.

So wäre es wünschenswert und dringend angezeigt, würde ein Band über Wirkung und Wirkungsverhinderung, welcher 2014 auf den Markt kommt, diese Problematik zumindest andeuten. Auch könnte auf diese Weise eine Transformation der, wie gesagt, recht altbackenen Thesen ins Originelle erreicht und der Band insgesamt weitaus nachhaltiger legitimiert werden. Eine Angelegenheit sicherlich vor allem der Herausgeber, deren vordringliche Aufgabe es gewesen wäre, die Beiträge in einen Gesamtzusammenhang zu bringen und diesen gescheit zu motivieren. Das nur dreiseitige Vorwort aber überlässt es den Beiträgern, jeweils für sich einen Ausschnitt des komplexen Phänomens der Kafka-Rezeption anzureißen – und lässt den Leser dann mit dem Konvolut allein, was, nun ja, wiederum auch eine Wirkungsverhinderung markiert.


Anmerkungen

1 Es ist und bleibt übrigens ein Rätsel, aus welchem Grund in jeder Darstellung einer (japanischen) Kafka-Rezeption auf Haruki Murakamis Kafka am Strand hingewiesen wird – so auch in Takashiro Arimuras Artikel: So sei der Roman eine deutliche Kafka-Rezeption, vor allem des Verschollenen. Und ist es eben nicht – da bin ich mir so sicher, dass ich getrost 100 Euro ausloben kann, die ich an denjenigen bar aushändige, der mir eine schlüssige Darstellung einer derart gestalteten Kafka-Rezeption zuzusenden vermag.

2 Neumann, Bernd: Franz Kafka und der Große Krieg. Eine kulturhistorische Chronik seines Schreibens. Würzburg 2014, S. 377.



 

Roman Halfmann hat in Mainz Komparatistik, Germanistik und Philosophie studiert und dort mit einer Untersuchung der Kafka-Rezeption promoviert. Danach Lehrtätigkeit an Universitäten in China, Polen und Deutschland, wo er gegenwärtig seine Habilitation über die Originalität im Werk Franz Kafkas zum Abschluss bringt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Einflussforschung, Intertextualität und die Phänomenologie der Originalität.

 


© Mit freundlicher Genehmigung des Autors; Erstveröffentlichung:  http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19781


s. hier auch: Letna Park (Beiträge zu Kafka)

und: 

Once and A(gähn) – Analysen über Kafkas Trauma, seinen Glauben und das Zeichnen von Roman Halfmann: www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19993

 


Aus seiner letzten Publikation veröffentlichen wir die Einleitung und ein Kurz-Interview:


 

Nach der Ironie – David Foster Wallace, Franz Kafka und der Kampf um Authentizität
240 S., transcript Verlag, ISBN 978-3-8376-2117-4

 






Prolog

Beide sind sie nervös. Der eine steht an der schmalen Tür des Saales im Jüdischen Rathaus zu Prag, einmal mehr das Schicksal bedenkend, das ihn hierher trieb, insgeheim Ausflüchte ersinnend, Phantasien vom Weggehen – ja, er sieht sich schon die Blicke der Freunde, Maxens und Jizchaks vor allem, ignorierend, Hände, Worte, Gesten, das Manuskript der am Abend zuvor dann doch in äußerster Ruhe aufgesetzten Rede achtlos fortwerfend und dabei in Richtung Wohnung schlendernd, Vater wissend, Mutter ahnend, Schwester schon verzeihend, sich ins Bett legend schon den Tagebucheintrag bedenkend, der all dies als Scheitern feststellen und ihn damit entlasten würde. Doch er bleibt.

Wie ja auch der andere seine Position an der Tür zum Saal hin nicht verlässt, wohl aber von Zigaretten träumt, von drei Zigaretten gleich hintereinander bis hin zu Übelkeit und Schwindel, vom mit süßesten Bonbons verstopften Mund, der Selbstaufgabe in frontaler Haltung vor dem Fernseher, embryonaler werdend; die Entspannung allein angesichts des Denkens über die Möglichkeit der endgültigen Selbstaufgabe, des Eingeständnisses, hier und jetzt die Entscheidung getroffen und also aufgegeben zu haben – indes die klebrige Süße der Bonbons aus den Mundwinkeln suppt, der Kopf indes völlig leer ist oder allmählich leer wird, die verkrampften Hände sich derweil gemächlich öffnend, widerwillig zuerst, später dann bereitwillig. Doch auch er bleibt.

Und so betreten beide Männer scheinbar ungerührt die jeweiligen Bühnen, die Reden in altmodisch anmutender Geste vor sich haltend und, sich sehr ähnlich jetzt, die Münder schon geöffnet.

Doch könnten zwei Menschen unterschiedlicher nicht sein: Franz Kafka und David Foster Wallace, Autoren aus verschiedenen Welten, historisch, kulturell, selbst menschlich. Einer 1883 in die Monarchie hineingeboren, die unter seiner Zeugenschaft zerbrechen wird, unter den Umständen eines nie für möglich gehaltenen Weltkrieges. Zudem als Jude immer heftigeren Anfeindungen ausgesetzt, führt er verbeamtet eine recht unscheinbare Existenz, die geringe literarische Anerkennung eher genießend, wie auch seine Familie hassliebend. Privat vollzieht er die Lust am Asketischen, durchleidet intime, pervers anmutende Seelenzustände, gibt sich aber in der Öffentlichkeit stets harmlos, nett und anständig. – Nun, wir kennen unseren Kafka.

Knapp 80 Jahre später wird der andere in völlig andere Umstände hineingeboren: Sein Land, Amerika, garantiert trotz Vietnamkrieg und schwelender innerer Konflikte ein sorgloses Aufwachsen, indes der junge Wallace als hochintelligenter Schüler und überaus talentierter Tennisspieler umfassend gefördert und unterstützt wird. Später wendet er sich dann der Philosophie zu und erarbeitet aus einer kritischen These über Ludwig Wittgenstein seinen ersten Roman, der ein respektabler Erfolg wird. Einige Jahre danach veröffentlicht er ein sagenhaft umfangreiches, zutiefst komplex anmutendes Buch, welches zum Symbol einer Generation avanciert und dem Autor den zweifelhaften Ruf eines Genies einbringt – eines sehr oft Fuck kundtuenden Genies mit Kopftuch wohlgemerkt.

Auch die schriftstellerischen Arbeiten finden in anderen Universen statt, ohne irgendeine Verbindung: Geht es dem einen um die Darstellung von Schuld, der Frage nach dem wahren Leben und daran anzulegendem Strafmaß, manchmal religiös aufgeladen oder zumindest mythisch dargestellt, zumeist aber als behördliche, geradezu technische Struktur in nüchternen Worten, so beschreibt der andere eine Welt der Medien, Drogen und des Konsums. Werden bei Kafka die Protagonisten von einer unheimlichen und undurchdringlichen Behörde hingerichtet, sterben bei Wallace die Menschen wegen eines Films, der so unterhaltend ist, dass man sich vergisst und verhungert.

Bedenkt man all dies, so scheint es einmal mehr einleuchtend, dass auch die beiden Vorträge – Kafka sprach 1912 über das Jiddische, Wallace im Jahre 2005 über das Leben – kaum zu vergleichen sind. Nun, wir werden sehen.


Einleitend

Schon im Vorfeld der Veröffentlichung des postum herausgegebenen und notgedrungen fragmentarisch gebliebenen Romans The Pale King konnte man1 hellhörig werden, hieß es doch, der 2008 per Selbstmord aus dem Leben geschiedene David Foster Wallace habe mit diesem, seinem letzten Roman angestrebt, Finanzbehörden zu fiktionalisieren und zugleich die damit inhaltlich und konzeptionell einhergehende Langeweile zu literarisieren; dies im bewussten Gegensatz zur ausufernden und wenigstens größenwahnsinnigen Phänomenologie des Spaßes unserer Zeit, sprich: des Infinite Jest. – Und als das neue Werk dann schließlich auf dem Markt und zu etwa einem Sechstel gelesen war, bestätigte sich jener vage vorhandene Verdacht sozusagen schlagartig; doch lesen wir zuerst das solcherart aufrüttelnde Kapitel in voller Länge, es ist das zehnte:


Notwithstanding Justice H. Harold Mealer’s famous characterization, included in the Fourth Appellate Circuit’s majority opinion on Atkinson et al. v. The United States, of a government bureaucracy as ‚the only known parasite larger than the organism on which it subsists,‘ the truth is that such a bureaucracy is really much more a parallel world, both connected to and independent of this one, operating under its own physics and imperatives of cause. One might envision a large and intricately branching system of jointed rods, pulleys, gears, and levers radiating out from a central operator such that tiny movements of that operator’s finger are transmitted through that system to become the gross kinetic changes in the rods at the periphery. It is at this periphery that the bureaucracy’s world acts upon this one. The crucial part of the analogy is that the elaborate system’s operator is not himself uncaused. The bureaucracy is not a closed system; it is this that makes it a world instead of a thing. (PK, 86)2


Kafka! Immerhin ist hier die Rede von einem mächtigen System, der amerikanischen Finanzbehörde, welches als autopoietisch in einem Sub- oder gar Metaraum vorliegt, weshalb die Selbstbezüglichkeit zum bestimmenden Merkmal wird. Demgegenüber bleibt der Kontakt zur Realität3 auch für dieses System erforderlich, weshalb es nicht als vollkommen autark definiert werden kann, werden doch Dateneingaben von Außen benötigt.

Ein solcher Systemgedanke im Sinne auch des autoritären Potentials, denn dass die Steuerbehörde tatsächlich eine undurchdringliche, scheinbar völlig abgehoben vom realen Geschehen agierende Autorität ist, dies muss hier nicht näher dargelegt werden, gemahnt selbstverständlich an Kafka.

So hat Franz Kafka zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht allein eine vielschichtige Phänomenologie der Autorität vorgelegt, eindringlich wie selten und vor allem so komplex wie sicherlich noch niemals zuvor. Er hat, wie es Benno Wagner beschreibt, sozusagen nebenbei das Sozialsystem Österreichs, welches in dieser Zeit sich zu etablieren begann, in Form von Unfall-Metaphern beschrieben und damit literarisiert.4 Wenn David Foster Wallace nun die amerikanische Steuerbehörde als ein solches System zu Beginn des neuen Jahrhunderts thematisiert, dann kann man tatsächlich von einer inhaltlichen Aufnahme Kafka’scher Implikationen ausgehen.


Überhaupt ist die Idee, nämlich einen Roman der Langeweile zu schreiben, schon nichts weniger als ein heroischer, an Kafkas Prosawerke erinnernder Akt: Denken wir etwa an den Proceß oder an Das Schloß, so geht es in diesen Romanen ja auch darum, Untätigkeit zu ertragen. Josef K., der Verurteilte, kann die angeordnete Untätigkeit, die das Gericht ihm ja immer wieder anempfiehlt, nicht hinnehmen und gerät daraufhin in einen sinnlosen Aktionismus, der zwar die Handlung vorantreibt und im Grunde erst ermöglicht, dessen Sinnlosigkeit aber von den Vertretern des Gerichtes stets benannt wird. Auch im Schloß agiert allein K., die anderen Protagonisten und Vertreter des Dorfes sowie des Systems leben in einer Art Stasis, die durchaus mit dem Begriffsfeld der Langeweile beschrieben werden kann. Letztlich wird in beider Schreiben, also bei Wallace und Kafka, die Langeweile als Zustand und auch als existentielles Problem sichtbar: Es geschieht eben nichts.

Wallace hebt die Langeweile vom Spaß ab, einem Spaß, der im Denken des Amerikaners oder überhaupt des Vertreters westlicher Kulturen immer wieder mit Unterhaltung im Sinne von Entertainment in Verbindung gebracht wird – und mit Schuld: Es ist hochinteressant, wenn Wallace in seiner Beschreibung des eigenen Fernsehverhaltens geradezu manisch auf das Faktum des Selbstbetrugs verweist und damit den Spaß mit Schuld auflädt, im neuen Roman daher eventuell einen Daseinszustand beschreibt, der das Individuum schuldlos, aber gelangweilt belässt. Auch Josef K. wird kurz vor seiner Hinrichtung und dem Ende des Prozesses feststellen, stets „mit zwanzig Händen in die Welt hineinfahren“5 zu wollen, wie seine Schuld auch als Lebenslüge und einer Ablenkung vom Wesentlichen deutbar ist6.

Soviel haben wir bisher immerhin: Schuld, Systeme, Macht – all dies sind eng mit Kafka verknüpfte Vokabeln, geradezu Kafka’sche Termini, die nun im Roman The Pale King vorkommen und so durchaus gewisse Parallelen zu Kafka andeuten.

Oder etwa nicht? Letztlich sind jene Begriffe und damit verbundenen Fragestellungen allgemeiner Natur und Wallace also nicht zwangsläufig von Kafka beeinflusst, nur weil er von Macht und Langeweile schreibt. Und nähme Wallace hier Kafka’sches Gedankengut auf, wäre dies wenig überraschend, immerhin gehört Kafka nicht allein zum literarischen Kanon, sondern ist Allgemeingut geworden; dies ist nicht nur (hoch)kulturell zu verstehen, sondern im Sinne populärkultureller Kontexte: Kafka ist Pop, somit dankbarer Bezugsrahmen intertextueller Spielchen. Tatsächlich findet sich in Wallaces Romanerstling The Broom of the System ein so zu verstehendes Zitat, in welchem die ausufernde Mutation des Kafka-Klischees persifliert wird:


As Greg Sampson awoke one morning from uneasy dreams, he discovered that he had been transformed into a rock star. He gazed down at his red, as it were leatherclad, chest, the top of which was sprinkled with sequins and covered with a Fender guitar strapped tightly across his leather shoulders. It was no dream. (BS, 348)


Doch dies ist eher intellektuelle Spielerei mit fraglos kritischer, aber selbst schon zum Klischee gewordener Note und für uns daher ohne weiteren Belang7.

Schließlich stellt sich angesichts eines denkbaren intertextuellen Anschlusses stets die Frage, ob die Intertextualität überhaupt relevant ist: Nutzt es etwas, wenn wir postulieren, Wallace operiere beim Verfassen seines Romans vom Pale King mit Kafka’schen Anschlüssen? Oder nehmen wir wiederum allein an einem literaturwissenschaftlichen Spiel teil, welches für Tagungen und vielleicht noch zum Drucke taugt, aber kaum weiterführt: Betreten wir demnach mit dieser Frage nach einer eventuellen Beziehung zwischen Kafka und Wallace allein das Selbstbespiegelungskabinett literaturwissenschaftlicher Arbeitsbeschaffung – vergleichbar mit dem oben dargelegten System der Steuerbehörde, nur weitaus sinnloser, da überhaupt kein Anschluss mehr an die Realität gegeben ist? – Wir werden in dieser Schrift zeigen, dass Wallace mit seinem Bezug zu Kafka weitaus grundlegender vorgeht, als es selbst durch eine direkte intertextuelle Markierung im Sinne eines bloßen Aufgreifens von Topoi oder Sujets zu erreicht wäre: Kafka, so die These, spielt in Wallaces Denken eine weitaus bedeutendere Rolle.

Tatsächlich ist David Foster Wallace in der bisherigen Forschung so gut wie ausschließlich in der amerikanischen Literaturtradition verortet worden8, gleichwohl er selbst in seinen Essays derartige Beschreibungsversuche nicht gerade herausfordert: Der Artikel Joseph Frank’s Dostoevsky aus dem Jahr 1996 etwa beschäftigt sich mit der damals vierbändigen und entsprechend ambitionierten Dostojewskij-Darstellung des Literaturwissenschaftlers Frank; unter anderem vermerkt Wallace in diesem Zusammenhang:


Upon his finishing Frank’s books, though, I think that any serious American reader/writer will find himself driven to think hard about what exactly it is that makes many of the novelists of our own place and time look so thematically shallow and lightweight, so morally impoverished, in comparison to Gogol or Dostoevsky (or even to lesser lights like Lermontov and Turgenev). Frank’s bio prompts us to ask ourselves why we seem to require of our art an ironic distance from deep convictions or desperate questions, so that contemporary writers have to either make jokes of them or else try to work them in under cover of some formal trick like intertextual quotation or incongruous juxtaposition, sticking the really urgent stuff inside asterisks as part of some multivalent defamiliarization-flourish or some such shit. (CL, 271)


Man sollte dies als ausdrückliche Antithese zur postmodernen Situation lesen. In einem Interviewband, der aufgrund seiner Herausgeberschaft sicherlich mit Vorsicht zu genießen ist9, erläutert Wallace nochmals seine Affinität zur realistischen Schreibweise, die er an der experimentellen Prosa reflektiert und zu bevorzugen scheint:


Yeah. That whatever the project of surrealism is works way better if 99.9 percent of it is absolutely real. And that you can’t just – you know. And that’s something ... I wouldn’t even be able to put it that clearly if I didn’t teach. Where I see my students, you know – ‚not enough of this is real, you know?‘ ‚But it’s supposed to be surreal.‘ ,Yeah, but you don’t get it.‘ Surrealism doesn’t work. I mean, most of the word surrealism is realism, you know? It’s extra-realism, it’s something on top of realism.10


Es geht Wallace nicht allein um den Realismus, sondern auch und insbesondere um die Möglichkeit eines Beschreibens der Wahrheit, wie immer diese auch geartet sei; Dostojewskij jedenfalls habe, so Wallace, die wahren und somit einzig relevanten Themen behandelt:


The thrust here is that Dostoevsky wrote fiction about the stuff that’s really important. He wrote fiction about identity, moral value, death, will, sexual vs. spiritual love, greed, freedom, obsession, reason, faith, suicide. And he did it without ever reducing his characters to mouthpieces or his books to tracts. His concern was always what it is to be a human being – that is, how to be an actual person, someone whose life is informed by values and principles, instead of just an especially shrewd kind of self-preserving animal. (CL, 265)


Menschlich gehe es demnach bei Dostojewskij zu – und nicht nur bei den Russen, denn wir werden noch sehen, dass Wallace auch und vor allem Franz Kafkas Werk in diesen Kontext einordnet und damit von der Gegenwart als Ideal absetzt – denn heutzutage, so Wallace in dem Dostojewskij-Aufsatz weiter, könne ein Autor nicht mehr auf eine solche Weise schreiben, dies sei geradezu undenkbar, denn:


Can you imagine any of our own major novelists allowing a character to say stuff like this (not, mind you, just as hypocritical bombast so that some ironic hero can stick a pin in it, but as part of a ten-page monologue by somebody trying to decide whether to commit suicide)? The reason you can’t is the reason he wouldn’t: such a novelist would be, by our lights, pretentious and overwrought and silly. The straight presentation of such a speech in a Serious Novel today would provoke not outrage or invective, but worse – one raised eyebrow and a very cool smile. Maybe, if the novelist was really major, a dry bit of mockery in The New Yorker. The novelist would be (and this is our own age’s truest vision of hell) laughed out of town. (CL, 273)


Obgleich es undenkbar scheine, heutzutage und demnach unter dem Schatten der Postmoderne so zu schreiben wie etwa Dostojewskij, sollten die Autoren es dennoch versuchen: „How – for a writer today, even a talented writer today – to get up the guts to even try? There are no formulas or guarantees. There are, however, models.“ (CL, 274) Bezug der Gegenwartsliteratur Amerikas sollen daher Schriftsteller wie Dostojewskij oder Kafka sein, die literarische Moderne demzufolge.

So experimentell und postmodern Wallace auch wirkt, kann er durchaus in der Moderne und damit mittelbar in der Zeit Kafkas verortet werden. So ist sein Werk folgerichtig auch mit den herkömmlichen Techniken der Literaturwissenschaft zu beschreiben; soll heißen, die von beispielsweise Greg Carlisle ernsthaft vertretende These, nach welcher Wallace „is shifting the way we think about reading and writing fiction so much that we don’t know how to talk about it yet“11, kann getrost belächelt und dann vergessen werden; wie auch die These, Wallaces innovative Kraft, ja, „the essence of Wallace’s innovation“, bestehe in einer Haltung, die man als „meta-ironic“ bezeichnen könnte12: Wallace selbst deutet sich durchaus in gewissen Traditionen beheimatet, Traditionen, die mit Kafka entweder ihren Anfang nehmen oder diesen durchdringen. Dostojewskij und, wie wir sehen werden, Kafka sind in diesem Verständnis literarische Vorbilder, wobei Wallace sich bewusst ist, dass diese Autoren nicht einfach wiederholt werden können, immerhin ist die Moderne vorbei und die Postmoderne eine Tatsache, die sich nicht wegdiskutieren lässt: Die beiden Autoren sind ihm eher Inspiration und Anleitung auf dem steinigen Weg zur originären Selbstfindung und kulturellen Neudefinition, wobei nicht nur die Postmoderne bewältigt und sich ihr übersteigernd entledigt werden muss, letztlich geht es Wallace um eine völlige und umfassende Neuschöpfung – ganz im Sinne eines Kafka.

Höhepunkt dieser zumindest riskanten literarischen Neuausrichtung ist, wie wir zeigen werden, der postume Roman The Pale King, der tatsächlich nicht allein vollkommen neuartige inhaltliche Sujets zu etablieren sucht, sondern auch poetologisch Originäres andeutet – stets unter Bezugnahme auf Kafka, so unsere These. Mit The Pale King, so wird im folgenden eruiert, endet eine ans Manische grenzende Suche nach dem Originellen in einer kulturellen Situation, die von Wallace als zutiefst und notwendig originalitätsfeindlich gedeutet wird, eine Suche, die in einem ironischen und damit postmodernen Zusammenhang als einerseits gescheitert und gleichwohl aufgrund des Scheiterns als Erfolg gedeutet werden kann.


Anmerkungen

1 Wenn man sich für Wallace, Kafka und eventuell der theoretischen Darlegung von Originalität interessiert zumindest.

2 Alle Hervorhebungen innerhalb der Zitate sind im Original.

3 Dass Wallace diesen Begriff nicht mit einer Fußnote problematisiert und also in die dringend notwendige Ambivalenz überführt, kann zwei Gründe haben: Zuerst einmal sieht er eventuell keine Notwendigkeit mehr dazu, immerhin sind seine Fußnoten schon längst zum Klischee geworden und damit parodistisches Material (wir werden hierauf noch eingehen) – man erwartet also diese Fußnote, weshalb er aus Gründen der eigenen Würde und auch der vollbrachten Vorarbeit darauf verzichten kann. Der zweite Grund kann weitaus profaner im unabgeschlossenen Charakter des Werkes gesucht werden: So hat Wallace vielleicht eine solche Fußnote vorgehabt, doch kam der Selbstmord dazwischen.

4 Siehe Wagner, Benno: Kafkas Poetik des Unfalls. S. 421-454. Und besonders:

Ders.: ‚Die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins‘. S. 327-363.

5 Kafka, Franz: Der Proceß, S. 308.

6 Wohlgemerkt nicht deutbar sein muss, aber es existieren im Proceß durchaus sehr markante Reflexionen über einen Daseinszustand, der nicht lebenswert und deshalb schuldhaft ist, nämlich dem Zustand des falschen Lebens entspricht, welcher bei Kafka immer wieder im Zusammenhang mit Ablenkungen vom Wesentlichen vorkommt – tatsächlich entspricht dies einer Deutung, die bei und mit Max Brod beginnt und somit den geradezu klassischen Interpretationsweg aufnimmt, siehe hierzu: Engel, Manfred: Der Process, S. 200.

7 Interessanterweise schätzt Wallace seinen Erstling insgesamt so ein, erklärt nämlich: „I was like twenty-two when I wrote the first draft of that thing. And I mean a young twenty-two.“ (McCaffery, Larry: An Interview, S. 136.) – Natürlich können derartige intertextuelle Markierung als Spiele mit dem Bezug reizvolle Folgen nach sich ziehen, doch geht es vor allem darum, spielerisch, und sicher auch bildungsbeflissen, im intellektuellen Hinweis auf die Klassiker eine Art von Witz im Text zu etablieren, wobei das Wort Witz hier noch im Sinne von gewitzt gebraucht wird, nämlich als intelligente und verspielte Art des Humors. – Träger der Haltung ist zumeist die einfache Allusion, die aber folgenlos bleibt.

8 „The majority of published critical and academic writing to date has concentrat-

ed on Wallace’s position in relation to irony and postmodernism, and his status

as a ‚post-modern‘ author.“ (Hering, David: Preface, S. 6.)

9 Es ist der arg persönliche Zugang, der den Forscher vorsichtig werden lässt: Lipsky beschreibt seine Interview-Reise mit Wallace sehr empathisch und ein klein wenig zu pointiert; es wird viel gedeutet und die Fragen sind stellenweise wenig sinnvoll, da Lipsky sich als ebenbürtig erweisen möchte und überhaupt sehr viel über seine Situation angesichts eines Gesprächs mit Wallace

reflektiert: Diese Tage mit Wallace dürften für Lipsky sicherlich bedeutend gewesen sein, doch wirken diese wenig erhellenden Reflexionen auf den Leser mit der Zeit enervierend und schmälern den Wahrheitsgehalt empfindlich. Ein wenig erinnert diese Situation an Kafka, nämlich an den Gesprächsband von Gustav Janouch, als Gespräche mit Kafka 1951 veröffentlicht und aufgrund des persönlichen Zugangs kaum für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen.

10 Lipsky, David: Although, S. 175.

11 Carlisle, Greg: Introduction, S. 17.

12 Boswell, Marshall: Understanding David Foster Wallace, S. 15f. Die Meta-Ironie ist in der Tat ein Begriff, der jeden vertretbaren Rahmen sprengt.

 

© Roman Halfmann; transcript Verlag www.transcript-verlag.de



Autoreninterview mit Roman Halfmann
1. „Bücher, die die Welt nicht braucht.“ Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Ich auf jeden Fall habe das Schreiben über David Foster Wallace gebraucht: Ein dermaßen faszinierender Charakter mit einer derart komplexen Reflexionsprosa muss für jeden Literaturinteressierten eine Herausforderung sein. Wobei ich mich einige Jahre um Wallace herumdruckste, eingeschüchtert von der enormen Schläue und vor allem der nur noch als durchtrieben zu bezeichnenden Hintersinnigkeit, mit welcher die Situation des gegenwärtigen Menschen meiner Meinung nach perfekt literarisiert wird.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Ich versuche einen neuen Blick auf das Werk Wallaces, der ja zumeist als ironisch-postmoderner Punk gesehen wird, aber tatsächlich aus der Moderne eines Kafkas stammt: Ich denke, mein Buch erdet Wallace und macht ihn endlich für die Wissenschaft zugänglicher. Gleichzeitig hoffe ich, ausgehend von Kafka und Wallace, einen Blick auf die Gegenwart erreicht zu haben, auf die Situation des Menschen heutzutage.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Die Ideen, die hier vertreten werden, sind nicht gänzlich neuartiger Natur, jedoch sind gewisse Herleitungen durchaus als originell zu bezeichnen: So habe ich versucht, die Überlegungen Kafkas und Wallaces unabhängig von diesen zu formulieren und auch zu begründen. Dies wird in dem Buch durch einen eher essayistischen, einem Wallace also angemessenen, Stil zu erreichen versucht.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Es wäre sicherlich eine faszinierende Vorstellung, Wallace könnte meinen Text lesen – seine Meinung zu meinem Geschreibsel würde mich mehr als interessieren. Oder Kafka. Oder oder. Realistischer betrachtet, interessiert mich in der Tat die Meinung jedes Lesers von Kafka sowie Wallace angesichts meiner Überlegungen, die sicherlich im besten Fall kontrovers sind, also auch Diskussionen auslösen wollen.

5. Ihr Buch in einem Satz:
Kein Versuch, Wallace gedanklich oder gar stilistisch einzuholen, sondern allein das Bemühen, ihm gerecht zu werden.


s. hier auch: David Foster Wallace


25IX14

 

 

 



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