Berlinale 2012
Freiheit auf vier Rollen - This Ain´t California
Skater in der DDR
von Katja Schickel
Ende der 1980er Jahre konnte man sie auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin beobachten, wie sie sich auf dem Pavillon unterhalb des Fernsehturms sammelten, auf ihre Skateboards stiegen, die Schrägen hinunterfuhren, um dann mit allerlei Tricks und Kunststückchen, wie die Jugendlichen in West-Berlin und anderswo auch, an den verblüfften Passanten vorbei, lässig über den Platz zu kurven. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es in der DDR mittlerweile doch lockerer und bunter zuging als gemeinhin angenommen. Das Rollbrettfahren, wie es im unnachahmlichen DDR-Bürokratendeutsch hieß, galt ja nach wie vor als westlich-dekadent und individualistisch.
Marten Persiels Film This Ain’t California dokumentiert diese Subkultur mit altem Super-8-Material, nachgestellten Filmsequenzen, die - fiktive wie authentische - Szenen verbindenden Animationen und Bildern aus dem DDR-Fernsehen, denen ein Gespräch der Skater von damals unterlegt ist. Deren Erfahrungen und Erinnerungen bilden die Grundlage der filmischen Erzählung. Sie beginnt mit Dirk und Nico, die Mitte der Achtziger in einer Plattenbausiedlung in Magdeburg leben und ein Skateboard aus dem Westen bekommen. Gemeinsam mit Freund Denis versuchen sie nun, aus Holz und Rädern von alten Rollschuhen einen halbwegs brauchbaren Untersatz nachzubauen, fahren schließlich mit ihren wackligen Rollbrettern durch die Siedlung, üben Parcours und Sprünge. Die drei Freunde bleiben unzertrennlich, verbunden durch die ständig verbesserten Bretter, die sie aus der Provinz nach Ost-Berlin und sogar zur Euroskate 88 in Prag, dem ersten internationalen Skateboard-Wettbewerb im Ostblock bringen. Kurz vor dem Mauerfall findet noch ein informeller deutsch-deutscher Skater-Wettbewerb in Ost-Berlin statt, den die Stasi allerdings unmissverständlich auflöst. Aus den Handgreiflichkeiten heraus wird Denis als Rädelsführer der Bande verhaftet und zu einer Haftstrafe in Bautzen verurteilt. Denis ist - genau wie die anderen - nicht vordergründig politisch, er schmiedet nicht Schwerter zu Pflugscharen. Skateboard-Fahren ist zunächst jugendliches Aufbegehren gegen Verbote und Einschüchterungen und wird zunehmend Symbol umfassenderer Freiheit. Denis, der zum DDR-Wettkampfschwimmer gedrillt werden soll, verweigert sich seinem strengen Vater und den allgegenwärtigen Sportfunktionären, je mehr Disziplin sie von ihm fordern, je mehr Druck sie auf ihn ausüben. Sein Spitzname ist Panik, weil er gerade die offenbar ständig verursacht.
Der Film ist eine gelungene Collage von Erinnerungsstücken der Protagonisten und scheint dabei dem Rhythmus des Skateboard-Fahrens selbst zu folgen: dem Beschleunigen und knappen Anschneiden, dem Fokussieren und Verlangsamen, seinen kunstfertigen Drehungen und Wiederholungen. Damit entzieht er sich zwar der Kategorie des rein Dokumentarischen, bleibt aber nah am Lebensgefühl der Skater, die sich das Recht auf Spaß nicht nehmen lassen wollten und auf das Grau, das Spießige und Durchorganisierte mit jugendlichem Ernst, vor allem aber mit spielerischer Beweglichkeit und reichlich Aufmüpfigkeit reagierten. - In der DDR hat sich Denis die Hoffnung auf Freiheit nicht nehmen lassen. Als Soldat wurde er 2011 im "Kampf um Freiheit" in Afghanistan getötet. - Sehr sehenswert!
© This Ain´t California, Trailer, Berlinale 2012, Negativ Film