LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
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Come on!!! 

Franka de Mille

 

Ins Neue (Jahr)... 

Griechenlands steinerne Faust sah ich
im Mittelmeer liegen und ein Schiff,
das dem Wasser die Bläue abzog
in gekräuselten Streifen. Weiter östlich
türkische Gedichte, unaussprechlich,
von Wellen rhythmisch bewegt.
Ich sah, wie sich das Wasser trennte
vom Salz an der büßenden Küste.
Zwischen all den mürrischen Steinen
entstanden die Epen: die Erzählung
der Distel und des Brots,
von der Sonne gebacken.
Dort unten ging die Sprache an Land,
und jedes Ding erhielt einen Namen.
Ich konnte es deutlich sehen -
die Worte zitterten wie eine Schar Vögel
über dem öden Grund.
Wir mussten uns anschnallen, festgezurrt,
mit angehaltenem Atem / erreichten wir das gelobte Land.

© Die Reise nach Jerusalem, aus: Michael Krüger, Wettervorhersage. Gedichte, Residenz Verlag, Salzburg 1998
 

27.12.2013 – Die deutsch-isländische Dichterin Helga M. Novak ist am 24.12.2013 mit achtundsiebzig Jahren ihrem langen Leiden erlegen. Sie starb in Rüdersdorf bei Berlin, teilt ihr Verleger Klaus Schöffling mit. Im Schöffling Verlag war im September der dritte Band ihrer autobiographischen Prosa Im Schwanenhals erschienen. Die Lyrikerin, Hörbuchautorin und Romanautorin (Vöglein federlos) war 1967 von der DDR wegen regimekritischer Aktivitäten ausgebürgert worden, sie lebte und arbeitete später auf Island, in Westdeutschland und Polen.

Ihren literarischen Nachlass (eigene Texte, Briefe und Manuskripte, darunter auch ihre Briefwechsel mit Günter Grass und Wolf Biermann) hat Helga M. Novak bereits im März 2013 dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar vermacht. (boersenblatt.net)

 

23.12.2013Endlich frei! Im Zuge einer Amnestie ist auch die letzte Pussy-Riot-Musikerin wieder frei. In Krasnojarsk verließ Nadeschda Tolokonnikowa das Gefängnis (s. hier auch Aufruf-betr:Russland zur Freilassung russischer, Gefangener, Pussy Riot-Frauen).

 

16.12.2013Skype-Sitzung zum Kafka Atlas und darüber hinaus innerhalb einer Seminarsitzung an der Uni Koblenz. -  „Wie kann man sich über die Welt freuen, außer wenn man zu ihr flüchtet?“ fragt der Zürauer Aphorismus, der die Nummer 25 trägt, seinen Autor Franz Kafka und seine Leser. Im Jahr 1917 hatte der Prager Dichter begonnen, auf dem Land bei seiner Schwester Ottla auf diese kurzatmige Weise ins Schreiben zu finden, die man Aphorismus oder auch Sentenz zu nennen sich angewöhnt hat. Grund oder mindestens Auslöser für diese Landflucht war die niederschmetternde Feststellung einer Kehlkopftuberkulose.  

Roland Reuß, der Editor der aufwendigen Faksimile-Werk-Ausgabe, die momentan im Stroemfeld Verlag herausgegeben wird, hat diese Aphorismen eben auch in Form jener Zettelwirtschaft herausgegeben, in die der philosophisch geschulte Franz Kafka sie als Abriss-Protokolle der Gedankenspuren anfertigte, die sich in seine zerebralen Vernetzungen eingraviert haben mochten wie ein anhaltendes Echo jener klaren Anfrage menschlicher Sterblichkeit an ihn, die man Diagnose nennt. Roland Reuß hat zudem auch darauf hingewiesen, dass es sich um ganz und gar untypische Aphorismen handle, um solche eben, so mag man hinzufügen, die, wie alles, was Franz Kafka über sich und die Welt sich und der Welt einschrieb, eben in kafkaesker Weise verschriftlicht wurden.
In Dresden ist nun ein Forschungsprojekt an der dortigen Technischen Hochschule angesiedelt, das umgekehrt die Spuren rekonstruieren helfen möchte, die die Welt hinterließ und hinterlässt, immer wieder neu, wenn sie sich zu Kafka flüchtet.
Dr. Ekkehard Haring, der Projektleiter, wird anlässlich einer Sitzung via Skype innerhalb des Seminars:
Es Kafkat, Werfelt , Kischt und Urzidilt! Zur Ästhetik und Didaktik der ‚Prager Moderne’ , das Dr. Marie-Luise Wünsche leitet, darüber und über seine weitere Forschung zur Prager Moderne berichten. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, am Montag, den 16.12.2013 von 14 bis 16 Uhr im Raum E 524 der Universität Koblenz, Gebäude E, Universitätsstraße in Koblenz teilzunehmen.
Der Kafka-Atlas ist ein Forschungs-Projekt, das dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Walter Schmitz angeschlossen ist und von Herrn Dr. Ekkehard Haring geleitet wird, der schon eine wichtige Dissertation zu diesem Prager Dichter der Moderne unter dem Titel vorlegte „Auf dieses Messers Schneide leben wir….“ Das Spätwerk Franz Kafkas im Kontext jüdischen Schreibens. Wien 2004. Darüber hinaus hat er etliche Aufsätze zur Prager Moderne vorgelegt und wichtige Forschungsprojekte mit angetrieben, etwa auch eines zu dem Sanatorium Frankenstein und der böhmischen Nervenpolitik, zu dem ein Band bald im Böhlau Verlag erscheinen wird. Auch die Namen, die die Homepage unter der Rubrik „Wissenschaftliche und konzeptionelle Beratung“ auflistet, lesen sich wie ein Who is Who der international aufgestellten Kafka-Forschung: Prof. Dr. Steffen Höhne (Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar); Dr. Klaus Johann (Münster); Prof. Dr. Hans-Gerd Koch (Bergische Universität Wuppertal); Ao. Prof. Dr. Bettina Rabelhofer (Karl-Franzens-Universität Graz); Dr. Reiner Stach (Berlin): Friederike Schomaker (DAAD Bonn); Prof. Dr. Benno Wagner (Universität Peking);Dr. Marie Luise Wünsche (Universität Koblenz-Landau)
Vgl. dazu auch:
http://www.kafka-atlas.org/de/

 

Freitag, der 13.12.2013 - GroKo ist das Wort des Jahres 2013. Die Abkürzung für die große Koalition von SPD und CDU/CSU in Deutschland zeige in ihrem Anklang an „Kroko“ beziehungsweise „Krokodil“ eine halb spöttische Haltung gegenüber dem sich abzeichnenden Regierungsbündnis, begründete die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ihre Entscheidung. (Was Krokodile alles anrichten können, kann man unter Bilder bei Google sehen. Obacht: Nur für starke Nerven!). Auf Rang zwei: Protz-Bischof für den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst; drei: Armutseinwanderung umfasst Menschen aus Krisengebieten, die von Afrika nach Europa und innerhalb Europas aus armen Ländern in wohlhabende Länder wie Deutschland kommen; vier: Zinsschmelze, in Anspielung auf die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB); fünf: Big Data im Zusammenhang mit der Überwachung persönlicher Daten durch Geheimdienste. (dpa/AFP)

 

Am 04.12.2013 Beerdigung von Peter Kurzeck in Frankfurt/Main, Hauptfriedhof, 12.00 Uhr

 

Ab dem 01.12.2013 kann auf www.hanser-literaturverlage.de jeden Tag ein virtuelles Türchen eines Adventskalenders geöffnet werden. Michael Krüger, der am 31.12. aus dem Hanser Verlag ausscheidet, gewährt Einblicke in seinen Arbeitsalltag und erinnert anhand von Gegenständen in seinem Verleger-Zimmer an Ereignisse und Begegnungen eines langen Arbeitslebens.  Und am 09.12.2013 wird er Siebzig und nächstes Jahr steht er dem Goethe-Institut-Imperium vor ....

 

Am 26.11.2013 wird der Literaturpreis der Europäischen Union 2013 verliehen: Zu den diesjährigen zwölf GewinnerInnen des mit 5.000 Euro dotierten Preises gehört die gebürtige Kroatin Marica Bodrožić, die seit 1983 in Deutschland lebt. Sie wird für ihren Roman Kirschholz und alte Gefühle (Luchterhand) geehrt, Isabelle Wéry (Belgien), Faruk Šehić (Bosnien und Herzegowina), Kristian Bang Foss (Dänemark), Lidija Dimkovska (ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien), Meelis Friedenthal (Estland), Katri Lipson (Finnland), Tullio Forgiarini (Luxemburg), Ioana Pârvulescu (Rumänien), Gabriela Babnik (Slowenien), Cristian Crusat (Spanien) und Emilios Solomou (Zypern). Mehr hier. „Der Literaturpreis der Europäischen Union rückt fantastische neue oder aufstrebende Autoren und Autorinnen ins internationale Rampenlicht, die sonst eventuell außerhalb ihres Heimatlandes nicht die Anerkennung erfahren würden, die ihnen zusteht“, so EU-Kultur-Kommissarin Androulla Vassiliou im Vorfeld. Darüber hinaus werden ihre Verleger ermutigt, eine EU-Förderung zu beantragen, um die preisgekrönten Werke in andere europäische Sprachen übersetzen zu lassen. Der Literaturpreis der Europäischen Union kann an die siebenunddreißig Länder vergeben werden, die am derzeitigen EU-Programm Kultur teilnehmen (neben den achtundzwanzig EU-Mitgliedstaaten auch Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Island, Liechtenstein, Montenegro, Norwegen, Serbien und die Türkei). Infos: www.euprizeliterature.eu


Am 25.11 2013 starb der Schriftsteller Peter Kurzeck. Geboren am 10.06.1943 im böhmischen Tachau, kam er mit Mutter und Schwester im Mai 1946 nach der Vertreibung ins oberhessische Staufenberg. Schule und Lehre in Staufenberg und Gießen, berufliche Tätigkeit zuletzt als Personalchef bei der US-Army. 1977 Umzug nach Frankfurt am Main, 1979 erschien bei Stroemfeld/Roter Stern sein erster Roman: Der Nußbaum gegenüber vom Laden, in dem du dein Brot kaufst. Prekäre Situation als freier Schriftsteller, 1982 erschien der Frankfurt-Roman Das schwarze Buch, 1987 die erste Fassung des vielbeachteten Dorfromans Kein Frühling, 1990 der Roman Keiner stirbt. Seit 1992 arbeitete Peter Kurzeck an seinem großen autobiographischen Romanprojekt Das alte Jahrhundert. Fünf Romane sind davon erschienen, zuletzt 2011 Vorabend. - Einem breiteren Publikum wurde Peter Kurzeck durch seine Erzähl-CD-Box Ein Sommer, der bleibt bekannt, einer mündlichen Form des Erzählens: frei gesprochen, schriftlich nicht fixiert, beschwört Kurzeck das Dorf seiner Kindheit. Bücher bei www.stroemfeld.de. s. hier auch: Peter Kurzeck, mit Leseprobe; Jan Gerstner - Kurzeck

 

22.11.2013: Der 1980 in Prag geborene Künstler Dominik Lang erhält den mit 4.000 Euro dotierten Jindřich-Chalupecký-Preis 2013, der 1990 auf Initiative des damaligen Präsident Václav Havel erstmals verliehen wurde. Nach dem Studium bei Jiři Přihoda an der Akademie der Künste in Prag, lebte und arbeitete Lang u.a. in New York City und als Assistent bei Ai Weiwei in Beijing. Er hat im In- und Ausland ausgestellt.

 

Dieter Hildebrandt: „Je älter ich werde, desto weniger Zeit habe ich, sachlich zu bleiben.“ – In der Nacht zum 20.11.2013 ist der streitlustige, provokante und liebenswürdige Kabarettist sechundachtzig-jährig gestorben. 


19.11.2013: „Wir haben 600.000 Arbeitslose (…). Wir haben eher nur eine symbolische Armee, Soldaten gibt es weniger als Polizisten, und auch davon gibt es nur wenige. Wir verlieren an Kaufkraft. Sogar die Slowakei hat uns überholt, dieses ‚Anhängsel‘, von dem sich Klaus bei seiner famosen Privatisierung nicht bremsen lassen wollte. Wir haben 30.000 Obdachlose. 40 Prozent der Haushalte leben von einem Zahltag zum nächsten. Die Bedingungen für unternehmerische Tätigkeit verschlechtern sich kontinuierlich. Als EU-Mitglied stehen wir eher nur auf dem Papier, unsere Stimme ist nicht zu hören und wir sind nicht einmal in der Lage, die europäischen Hilfsmilliarden auszuschöpfen. (…) Das ist keine Sehnsucht nach dem vergangenen Regime. Es ist die Trauer über die verlorenen damaligen Hoffnungen, die ebenso groß waren wie die jetzige Enttäuschung.“ Die Tageszeitung Právo über die Situation Tschechiens vierundzwanzig Jahre nach der Samtenen Revolution.

 

17.11.2013: Die Literatur-Nobelpreisträgerin (2007) Doris Lessing (s. hier ihre Nobelpreis-Rede), * 22. Oktober 1919 als Doris May Tayler im persischen Kermanschah, ist in London gestorben. In mehr als sechzig Büchern schrieb sie über Kolonialismus, Afrika, Terrorismus und Frauen. Der Guardian würdigt sie als "visionar, prophet, feminist icon", laut Spiegel war sie "dem antikolonialen Kampf und der Frauenbewegung verbunden, ließ sich aber nie vereinnahmen". Die Zeit betitelt ihren Nachruf mit "Schroff, eigenwillig und umstritten". Auch für die Welt war sie eine "Ikone der Frauenbewegung", die Süddeutsche Zeitung ordnet sie als "Wanderin zwischen Welten und Anschauungen" ein.

Apropos Literatur-Nobelpreis: "Vargas Llosa ist ein Dreck gegen Camus. Und Camus ist ein Dreck gegen Kafka. Und Kafka ist ein Dreck gegen Dostojewskij. Und Dostojewskij ist ein Dreck gegen die Apostel. Und die Apostel sind ein Dreck gegen den Steinzeitmenschen, der mit einem Stein ein Mammut erschlagen hat." Und weil der Steinzeitmensch ein Dreck gegen das Mammut ist, hat das auch ganz zu Unrecht nicht den Literaturnobelpreis bekommen, schreibt jedenfalls: Tobias Premper, Durch Bäume hindurch, 16,99 Euro, Steidl Verlag, ISBN 9783869306254 (s. auch: Empfehlungen)


Der Czech Bar Award 2013 ermittelt, wo man in Prag am Besten trinken kann: Bestes Café: Můj šálek kávy, Křižíkova 105, Prag 8 / Bester Pub: Lokál Dlouhá, Dlouhá 33, Prag 1(in den Lokál-Lokalen kann man auch traditionell essen, immer rappelvoll) / Beste Cocktail-Bar: Tretter’s New York Bar, V Kolkovně 3, Prag 1 / Beste Design-Bar: Hemingway Bar, Karolíny Světlé 26, Prag 1 / Beste Hotelbar: Black Angel’s Bar, Staroměstské nám. 29, Prag 1 /Bester Club: Music Club Phenomen, Nádražní 84, Prag 5 / Beste Neueröffnung: Vinograf, Senovážné nám. 23, Prag 1  


13.11.2013 – zum Achtzigsten von Peter Härtling: Melancholie, / meine Beschützerin, / süchtig nach Grenzen / und verbündet mit Verlusten. / In welcher Sprache kann ich dich lesen? / immer sind es die unerwarteten / Wörter, / aus denen die / Trauer / bricht.

aus dem Poem Kivisaari-Gedichte in: Horizonttheater. Neue Gedichte, Köln 1997

 

09./10.11.2013 - „Nicht einmal die Wahrheit höchstpersönlich ist so überzeugend wie ein gut zementiertes Vorurteil.“ (Juli Zeh). Im November wird in Deutschland der Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1938, auch Reichskristallnacht / Night of Broken Glass genannt, gedacht. Straftaten mit antisemitischem, rassistischem oder antiziganem Hintergrund haben in den letzten Jahren in Deutschland und anderen europäischen Staaten sprunghaft zugenommen. Fünfundsiebzig Jahre nach den organisierten Pogromen der Nationalsozialisten werden Juden in Deutschland vermehrt bedroht, angegriffen, beschimpft und bedrängt. Viele Ungarn verlassen zurzeit ihr Land aus ebendiesen Gründen. In der Slowakei und in Tschechien organisieren rechte Gruppen Angriffe und pogromartige Stimmungen gegen Roma; wie in Ungarn werden auch dort Häuser angezündet, kommen Menschen zu Tode. Wir erleben eine Art soziale Bewegung in einigen europäischen Ländern, die geschürt von Rechten mittlerweile doch von vielen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft unterstützt, mitgetragen und aufgeheizt wird: Es geht in Europa massiv „gegen Ausländer“, „gegen Juden“, „gegen Zigeuner“, „gegen Lesben und Schwule“, gegen Anders-Aussehende und Andersdenkende. Auch wenn diese Bewegungen ihre eigene nationale Spezifik haben, sind Diskussion darüber nicht nur in nationalem Kontext, sondern vor allem europaweit längst überfällig und bitter nötig. Der tschechische Geheimdienst stufte die wöchentlichen Zusammenrottungen von Rechten und Bevölkerung in einigen Städten in diesem Sommer als „Gefährdung der inneren Sicherheit“ ein. In Krisenzeiten werden latente Ressentiments und Vorurteile akut, wird Gewalt gegen Minderheiten als legitimes Mittel der Abgrenzung und des eigenen Sicherheitsbedürfnisses eingesetzt. Bereits im alltäglichen Sprachgebrauch überwiegt das Abfällige, Herablassende, das Misstrauen und die Verdächtigung. Europa, vor allem die EU, steckt längst nicht mehr nur in einer Finanz- und Bankenkrise, sondern in einer politischen Legitimationskrise. Europa kann sich Blindheit (auf einem Auge oder auf beiden Augen) eigentlich nicht leisten, ein Europa, das nur durch die Brille nationaler Interessen wahrgenommen wird, wird scheitern. Dies müsste zuallererst gesehen werden, anstatt mit einzelstaatlicher, interner wie externer, Abwehr und Projektion zu reagieren. Es geht immer noch um Demokratie und Menschenwürde – und das heißt: Gleichwertigkeit und ihre (Wieder-)Herstellung, wo sie nicht für alle EuropäerInnen ausreichend garantiert bzw. geschützt ist.

 

Vom 01.11.201 – 28.02.2014 läuft wieder der Wettbewerb Deutsch für helle Köpfe, der sich an fünfzehn- bis achtzehn-jährige SchülerInnen aus Tschechien, Lettland und Litauen wendet, die sich für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) interessieren und – mit Deutsch kombiniert – für ihre Forschungsprojekte nutzen möchten. Teilnahmebedingungen und weitere Infos: www.goethe.de/hk oder auf Facebook:www.facebook.com/GoetheInstitutPrag

 

22.10.2013 - Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko hat den mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus der Stadt Wrocław/Breslau gewonnen. Sie erhielt die mit umgerechnet 36.000 Euro dotierte Auszeichnung für ihren Roman Museum der vergessenen Geheimnisse. Sauschkos Roman ist in Polen bei W.A.B. Verlag unlängst in Übersetzung veröffentlicht worden – ihr Roman ist in deutscher Übersetzung von Alexander Kratochvil bereits 2010 beim Droschl Literaturverlag erschienen. „In diesem Jahr haben wir beschlossen, ein außergewöhnliches Buch auszuzeichnen, in dem sich Geschichte und Gegenwart, Wirklichkeit und Magie, Liebe, Verrat und Tod verflechten“, begründete die Jury ihre Wahl. Der Literaturpreis Angelus wurde 2006 von der Stadt Wrocław/Breslau ins Leben gerufen und zeichnet das beste Buch aus, das in Polen erschienen ist. Bewerben können sich Autoren aus einundzwanzig Ländern Mitteleuropas.  

 

19.10.2013 – Für sein Buch Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (DVA) erhält Otto Dov Kulka den 34. Geschwister-Scholl-Preis, der am 18.11.2013 um 19.00 Uhr in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München vergeben wird. Für den 19.11.2013 ist eine öffentliche Lesung des Preisträgers auf der Münchner Bücherschau im Rahmen des Literaturfests München geplant. Eine Rezension und Infos finden Sie unter: Otto Dov Kulka und hier Infos zum Preis: www.geschwister-scholl-preis.de.

 

13.10.2013 – Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Laudator ist der Historiker Karl Schlögel. Die Verleihung findet in der Frankfurter Paulskirche statt und wird ab 11 Uhr live im Zweiten Deutschen Fernsehen übertragen.


10.10.2013Alice Munro, die zweiundachtzig-jährige Kanadierin, von der Jury der Schwedischen Akademie als „Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte“ gewürdigt, ist mit dem diesjährigen Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Damit geht der Preis zum ersten Mal nach Kanada und zum 13. Mal an eine Frau. Eine wirklich tolle und gleichermaßen angemessene Wahl, denn Munros Erzählungen gehören zum Besten, was man – an kurzer Prosa – lesen kann. In deutscher Sprache lieferbar und empfehlenswert: Was ich dir schon immer sagen wollte (2012), Dörlemann, 384 S.,23,90 Euro | Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (2011), S. Fischer, 368 S., 19,95 Euro, auch als Taschenbuch 9,99 Euro | Tanz der seligen Geister (2011,) S. Fischer, 384 S., 14 Euro, auch als Taschenbuch 9,99 Euro | Tanz der seligen Geister (2010), Dörlemann, 380 S., 23,90 Euro | Wozu wollen Sie das wissen (2008), Fischer Taschenbuch, 384 S, 9,95 Euro | Tricks (2006), Fischer Taschenbuch, 384 S., 9,95 Euro | Himmel und Hölle (2004), Fischer Taschenbuch, 384 S., 9,95 Euro | Der Traum meiner Mutter (2002); Fischer Taschenbuch, 224 S., 8,95 Euro

 

07.10.2013 – Die Schriftstellerin Joanna Bator hat den mit 100.000 Zloty (rund 23.000 Euro) dotierten, renommierten polnischen Nike-Literaturpreis 2013 für ihren aktuellen Roman: Ciemno, praiw noc (W.A.B. )erhalten. Der Preis wurde von der Tageszeitung Gazeta Wyborcza ins Leben gerufen und bisher unter anderem an Czesław Miłosz, Andrzej Stasiu, Dorota Masłowska und Olga Tokarczuk verliehen. Ihr Roman Wolkenfern ist gerade bei Suhrkamp erschienen (499 S., 24,95 €).  

 

07.10.2013, 18.50 - Terézia Mora hat den Deutschen Buchpreis 2013 gewonnen. Ihr grandioser Roman Das Ungeheuer ist bei Luchterhand erschienen.


29.09. - 30.09.2013: Vor fünfundsiebzig Jahren wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet, s. dazu Unterseite - Hintergrundinformation

 

27.09.2013 – Pussy-Riot-Mitglied Nadežda Tolokonnikowa ist in eine Einzelzelle verlegt worden. Vera Kitschanowa, Korrespondentin des unabhängigen Portals Slon.ru sprach mit ihr am Telefon. Der Beitrag ist online zugänglich unter: http://ostpol.de/autoren/view/776

 

24.09.2013 Offener Brief von Nadežda Tolokonnikowa

Pussy-Riot-Mitglied Nadežda Tolokonnikowa ist aus dem Straflager an einen „sicheren Ort“ verlegt worden, wo sie sich nun in Einzelhaft befindet. Diese Maßnahme, hieß es, sei keine Strafe, sondern Reaktion auf Tolokonnikowas offenen Brief, in dem sie einen Hungerstreik angekündigt hat.
http://ostpol.de/beitrag/3779-behandelt_uns_wie_menschen_nicht_wie_vieh

 

23. 09. 2013Pavel Kohout (s. auch hier) wurde in Prag von Regierungschef Jiří Rusnok für sein Lebenswerk mit der Ehrenplakette des Premierministers ausgezeichnet. 1968 war Kohout war Protagonist des Prager Frühlings, danach hatte er Publikationsverbot und wurde zu einem der Hauptinitiatoren der Charta 77. 1979 wurde ihm die Rückkehr in die Tschechoslowakei verwehrt. Er gilt heute als der am häufigsten im Ausland gespielte tschechische Dramatiker. Pavel Kohout lebt abwechselnd in Wien und Prag.


21.09.2013 Happy End der anderen Art: Der ehemalige Premierminister Petr Nečas soll seine ehemalige Bürochefin Jana Nagyová geheiratet haben (s. hier unten).

 

19.09.2013 - Juli Zeh erhält den Thomas Mann-Preis. Zeh habe als temperamentvolle und experimentierfreudige Erzählerin ein vielfältiges Prosawerk vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die Frage nach individueller Freiheit und Verantwortung, nach gesellschaftlichen Werten und Orientierungen stehe. ‘In klug komponierten Romanen und präzise argumentierenden Essays gelingen ihr luzide Zeitdiagnosen’, heißt es in der Begründung.

 

18.09.2013Marcel Reich-Ranicki ist 93-jährig in Frankfurt am Main gestorben. Er habe nie damit gerechnet, Literaturkritiker in diesem Land (Deutschland) zu werden, hat er einmal gesagt, eine fast autokratische Institution ist er geworden, über fünfzig Jahre war er publizistisch tätig und hat den Literaturbetrieb geprägt wie kaum ein anderer. Der erhobene Zeigefinger. Sein medialer Urteilsspruch: „Ein gutes Buch!“ „Ein schlechtes Buch!“ Lob oder Verriss. Die gefürchtete Frage, warum es eigentlich geschrieben werden musste, machte ihm Feinde und freute viele andere – ungerührt ließ er niemand, weil man ihm sein unverstelltes, leidenschaftliches Engagement für Literatur und Kultur abnahm und seinen Witz, seine Gewitztheit mochte. Das Literarische Quartett sah ein Millionenpublikum. MRR beendete es stets mit dem abgewandelten Brecht-Zitat: "Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen." - Erst seine Autobiographie Mein Leben (1999 als Buch erschienen, 2009 folgte der Film ) öffnete vielen die Augen über das, was er durch die Deutschen während 1933 bis 1945 durchleben musste; s. hier auch: Marcel Reich-Ranicki über Kindheit und Jugend, das Warschauer Ghetto und sein Überleben.

 

18.09.2013 nachmittags – Eine Gruppe bekannter Autorinnen und Autoren (unter anderem Juli Zeh, Moritz Rinke, Julia Franck, Ulrike Draesner, Michael Kumpfmüller, Inka Parei, Nora Bossong und Kristof Magnusson) wird rund 67.000 Unterschriften von Unterstützern des Offenen Briefes an Bundeskanzlerin Angela Merkel überreichen (s. hier: Brief an Merkel). Sie fordern damit die Bundeskanzlerin zu einer sofortigen und angemessenen Reaktion auf den NSA-Skandal auf. Der Marsch aufs Kanzleramt ist seit Langem der erste gemeinsame politische Auftritt von SchriftstellerInnen. „Datenschutz bedeutet im Kommunikationszeitalter das, was Umweltschutz für die Industrialisierung war und ist“, kommentiert Juli Zeh. „Es wird höchste Zeit, dass die Regierung das begreift.“ Seit der Veröffentlichung des Offenen Briefes im Juli hat es die Bundeskanzlerin versäumt, zur Aufklärung der Vorwürfe von Whistleblower Edward Snowden beizutragen und die Bürger angemessen zu informieren. „Die strategische Verharmlosung der Affäre durch die Regierung ist ein unerträglicher Zustand“, sagt Eva Menasse, die ebenfalls zu den InitiatorInnen zählt. – Übergabe der Unterschriften an die stv. Regierungssprecherin, Sabine Heimbach, im Foyer des Bundespresseamtes, Dorotheenstraße 84, 10117 Berlin.

 

17.09.2013Die 17. Forum 2000-Konferenz (15. - 17.09.2013, Prag), zu der über hundertfünfzig Frauen und Männer (Philosophen, Politiker und Dissidenten, Diplomaten und Aktivisten) eingeladen worden waren, um zum Thema Übergangsgesellschaften zu sprechen, begann mit der Forderung des Dalai Lama nach Transparenz und Verantwortung aller Regierungen. An der Konferenz nahmen mehr als viertausend Menschen teil, die in sechsundfünfzig Foren (in Prag – plus Podien jeweils in Plzeň und Ostrava, Bratislava und Kraków) hundertvierzig Vorträge hören konnten. Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Daw Aung San Suu Kyi aus Myanmar konnte der Einladung lange Zeit wegen des verhängten Hausarrest nicht folgen. Nun war sie gekommen und lobte die Fortschritte im eigenen Land, gab aber zu bedenken, das Myanmar dennoch weit entfernt von wirklicher Demokratie sei. Wie der Dalai Lama betonte sie, die größten Führer seien die, die nicht an der Macht klebten, die schlechtesten, die ihren Machterhalt mit allen Mitteln erzwängen. In den Übergangszeiten setzt sie auf die Macht der einfachen Leute, „das Volk ist der Souverän, nicht eine einzige Person oder einige wenige Parteien.“ Eine gute Regierung sei wie ein Schiff, die Fahrt bewältige nicht nur der Steuermann, sondern die ganze Mannschaft. - Übergänge von autoritären, repressiven Regimes zu offenen Gesellschaften waren das übergreifende Konferenzthema. Kuba werde zwar von nicht gewählten Kommunisten regiert, die ihre Dynastie quasi vererbten, dennoch gewinne gerade die Zivilgesellschaft Raum, die Menschen verlören ihre Furcht, sagte die Bloggerin Yoani Sánchez im Forum Demokratie in Lateinamerika, und dass sie in Prag sein könnten, sei allein schon ein Sieg. Einen wichtigen Platz nahmen auch Erörterungen rund um den Arabischen Frühling ein, wichtigster Punkt hier war der soziale Aspekt der Erhebungen. Hohe Arbeitslosigkeit und Ungleichheit könnten die Freiheitsbewegungen in verschiedene Richtungen kippen lassen. Keine Regierung dürfe das Wohl des Volkes aus den Augen verlieren. Die Demonstrationen wurden einhellig als demokratisch und mutig gleichzeitig beschrieben. Erziehung wurde als Vorbereitung auf Demokratie beschrieben und gefordert. Die Rolle von Religion in Übergangsgesellschaften wurde kontrovers diskutiert. Während die einen sie aus politischen Prozessen verbannen will, möchten sie andere positiv einbinden. Der indische Historiker Rudrangsu Mukherjee sagte allerdings, Populismus und religiös-politische Programme hätten die Demokratie in Indien immer wieder behindert. Jonathan Wootliff, ehemaliger Greenpeace-Chef, forderte, Unternehmen sollten sich mit zivilgesellschaftlichen Institutionen verlinken, um Umwelt- und soziale Probleme anzugehen. Martin Palouš, Präsident der Václav Havel-Stiftung unterstrich,“dass Zivilgesellschaft nicht nur Beschleunigung bedeutet, sondern auch einen Bruch“, der vor undemokratischen Entwicklungen bewahren kann. “Ohne Zivilgesellschaft… gibt es keine Demokratie,” resümierte Danuta Glondys, Leiterin der Villa Decius-Gesellschaft Kraków.

 

12.09.2013Erich Loest, der unbeugsame Staatsfeind, der sieben Jahre im DDR-Knast Bautzen saß (seine Autobiographie Durch die Erde ein Riss berichtet davon), der Veränderung seiner Gesellschaft nur in der realistischen Beschreibung ihres Zustand sah (am genauesten 1978 in: Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene), sie schließlich nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns verließ, um 1989 wieder zu kommen (sein wohl bekanntestes Buch Nikolaikirche erzählt davon), der Chronist deutsch-deutscher Geschichte vom Dritten Reich bis Heute, der schließlich mit vielen Preisen geehrt wurde, hat sich siebenundachtzig-jährig das Leben genommen. Gerade ist seine letzte Erzählung über die Anfänge deutsch-deutscher Geschichte erschienen: Lieber hundertmal irren, Steidl Verlag, ISBN: 9783869306650

 

Deutscher Buchpreis 2013 – Die nominierten Romane stehen fest (Bekanntgabe und Preisverleihung zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse am 07.10.2013): Mirko Bonné: Nie mehr Nacht, Schöffling & Co., August 2013; Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden, Hanser, Februar 2013; Clemens Meyer: Im Stein, S. Fischer, August 2013; Terézia MoraDas Ungeheuer, Luchterhand, September 2013; Marion Poschmann: Die Sonnenposition, Suhrkamp, August 2013; Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como, Blumenbar, März 2013.

 

03.09.2013: na brodu – Donau-Dichter an Bord

Seit dem 01.07.2013 ist Kroatien Mitglied der EU. Auf dem deutschen Buchmarkt sind durch Übersetzungsförderungen und die Leipziger Buchmesse auch literarische Stimmen aus dem Land von Donau und Drava gewürdigt worden - mit na brodu / an Bord – Literatur aus Kroatien wird die kroatische Gegenwartsliteratur im Herbst 2013 jedoch zum ersten Mal einen gemeinsamen Auftritt in zehn deutschen Literatureinrichtungen haben. In den Literaturhäusern von Berlin, Frankfurt, Hamburg, Oberpfalz, Rostock, Schleswig-Holstein, im Literaturbüro Freiburg, dem Lyrik Kabinett München, in der Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig und beim Thüringer Literaturrat in Weimar werden zwanzig Schriftsteller_innen und Musiker_innen aus Kroatien (darunter Ivana Bodrožić, Bora Cosić und Gordana Benić) bei Lesungen und Performances in insgesamt elf Veranstaltungen auftreten. Zum Projekt soll Mitte September eine Publikation zu na brodu mit allen Veranstaltungen und teilnehmenden Autorinnen und Autoren erscheinen. Programm: kroatienkreativ2013.

 

 

30.08.2013Danach fanden Asylverfahren nur noch im Parterre statt – Vor dreißig Jahren erschütterte der Tod von Kemal Altun die westdeutsche Republik. Über das weitere Schicksal des vorher bereits als politischer Flüchtling anerkannten Dreiundzwanzigjährigen sollte an diesem Tag nochmals gerichtlich verhandelt werden. Aus Angst vor dem Urteil sprang er aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod. Es gab vorher schon – auch europaweit – Proteste gegen die mögliche Abschiebung Altuns, nach seinem Tod gingen Zehntausende auf die Straße. An der Rechtslage hat sich nach wie vor nichts geändert, allerdings darf heutzutage erst nach Beendigung eines Asylverfahrens abgeschoben bzw. ausgeliefert werden und die Kirche darf Asyl gewähren. Die Situation von Flüchtlingen ist nach wie vor in jeder Hinsicht prekär. Den AsylbewerberInnen, die ins Land gekommen sind, wird das Leben schwer gemacht (zuletzt offensiv und gewaltbereit in Berlin-Hellersdorf) oder sie werden gar nicht oder sehr zögerlich aufgenommen, z.B. aus Syrien. Während ein militärisches Eingreifen der USA (und möglicher anderer Verbündeter!?) näher rückt, steht humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien und die Aufnahme von Flüchtlingen nicht auf der Agenda.  

 

 

 

© 01.09.1983, Tausende auf dem Berliner Kudamm, dpa 


27.08.2013 Wolfgang Herrndorf ist tot. Der Autor des Bestsellers Tschick starb mit nur achtundvierzig Jahren in Berlin. - Ich bin nicht der Mann, der ich einmal war. Meine Freunde reden mit einem Zombie“, schrieb Wolfgang Herrndorf Anfang Juli und einige Tage später in einem Gedicht: „Niemand kommt an mich heran/bis an die Stunde meines Todes./Und auch dann wird niemand kommen./Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand.“ So war es dann auch: „Er hat sich gestern in den späten Abendstunden am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen“, teilte Kathrin Passig per Twitter mit. - Herrndorf, *1965 in Hamburg, studierte Malerei und arbeitete als Illustrator u.a. für das Satire-Magazin Titanic. 2002 debütierte er mit In Plüschgärten. Mit dem grandiosen Tschick gelang ihm 2010 ein Überraschungserfolg, seither über eine Million Mal verkauft und in vierundzwanzig Sprachen übersetzt. Für Sand (s. hier: Empfehlungen, Auf der Galerie) erhielt er 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse, den er allerdings schon nicht mehr persönlich entgegennehmen konnte. Seinen Kampf gegen den bösartigen Gehirntumor, der 2010 bei ihm diagnostiziert wurde, dokumentierte er bis zum Schluss in seinem Blog Arbeit und Struktur.

 

Filmtipp: Der weiße RabeMax Mannheimer. D 2009. Buch & Regie: Carolin Otto, Kamera: Ulrich Gambke, Rainer Hartmann, Carolin Otto, Mitwirkende: Max Mannheimer, Edgar Mannheimer, Schwester Elija Bossler, Eva Faessler, Ernst Mannheimer, Ota Filip u. a.; 82 Minuten, Farbe. FSK ab 6 Jahre.

 

23.08.2013: Georg Dehio-Buchpreis 2014 (s. hier unter dem gleichnamigen Titel) – Vorschläge von Verlagen, Institutionen und Einzelpersonen können bis zum 31.10.2013 eingereicht werden: Deutsches Kulturforum östliches Europa, Berliner Straße 135, D–14467 Potsdam

Infos: auf der Website des Kulturforums.

 

22.08.2013Timothy Snyder (letzte Veröffentlichungen: Nachdenken über das 20. Jahrhundert, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin - s. auch hier) erhält den  Hannah-Arendt-Preis für Politisches Denken, der von der Stadt Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung vergeben und mit 7500 Euro dotiert ist. Er wird an Personen verliehen, die in ihren Interventionen das  „Wagnis Öffentlichkeit“ angenommen haben. Der Preis wird am 06.12.2013 um 18.00 Uhr im Bremer Rathaus überreicht.

 

18.08.2013: Roman Polanski wird Achtig – Dank für alle Filme !!! (s.a. Termine)

 

16.08.2013 – Der Lyriker Reiner Kunze wird 80 Jahre. Bayern 2 gratuliert dem Dichter schon am 15.08., in der Sendung Radiothema ab 18.05 Uhr, unter dem Titel "Die poetische Vermessung des Donautals".


17.08.2013 – Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller feiert ihren 60. Geburtstag. Am 01.09.2013 liest sie beim neuen Literaturfestival "lit:potsdam" (11 Uhr, Hans Otto Theater).

 

08.08.2013 – Das Prager Tanzende Haus an der Moldau, das 1996 fertiggestellte Gemeinschaftswerk der Architekten Frank Gehry und Vlado Milunić, dessen Silhouette an Fred Astaire und Ginger Rogers erinnern soll, wird offenbar verkauft.Der gegenwärtige Besitzer CBRE Global Investor soll bereits über die Verkaufsbedingungen verhandeln. Nach Informationen des Tschechischen Fernsehens soll der Verkaufspreis für das Haus zwischen 250 und 300 Millionen Kronen, 9,5 – 11,5 Mio. Euro, liegen.

 

06.08.2013 – Offener Brief von 135 Menschenrechtsorganisationen an US-Präsident Obama: Einstellung der Anklage und Schutz für Edward Snowden gefordert

Veröffentlicht am 05.08.2013 von PEN-Zentrum 

http://www.pen-deutschland.de/de/2013/08/05/offener-brief-an-prasident-obama-im-fall-snowden-pen-unter-den-absendern/

 

02.08.2013Sauberes Tschechien! Wenn Größenwahn auf Minderwertigkeitskomplex trifft, ist – wenn nichts anderes los ist, wohin sich diese diffuse Gefühlslage kanalisieren ließe - die Zeit reif für ordentlich geschürte Pogrom-Stimmung. Das kann man in vielen post-kommunistischen Ländern beobachten, beispielsweise in Tschechien. Die konzertierte Aktion von Rechtsextremisten und der tschechischen Mehrheitsgesellschaft gegen Roma, diese unheilvolle Allianz, die mittlerweile sogar als Sicherheitsrisiko eingestuft wird, hat der tschechische Inlandsgeheimdienst (BIS) jetzt als „besonders gefährlich“ bezeichnet und ein schnelles Vorgehen gefordert. Jüngstes und erschreckendes Beispiel ist die Geburt von Fünflingen. Alexandra Kinová, die Mutter, ist nämlich Roma. Statt Feiern eines seltenen Ereignisses ist Polizeischutz angesagt, denn die Familie erhält unverhohlene Morddrohungen. Wer allen Ernstes behauptet, das Paar habe „absichtlich“ Fünflinge in die Welt gesetzt, um an Sozialhilfe und Kindergeld zu gelangen, müsste eigentlich auf seinen Geisteszustand überprüft werden. Lächerlich ist es aber nicht: Man will die Familie töten, sollte sie in die größere Wohnung ziehen, die man ihr zugewiesen hat. Darüber hinaus ist am 03.08.2013 ein Aufmarsch in Vítkov geplant, mit dem Rechtsextremisten und Einheimische an den Brandanschlag vor vier Jahren erinnern wollen, bei dem ein kleines Mädchen so starke Verbrennungen erlitt, dass es trotz mehrfacher Operationen zeitlebens gezeichnet sein wird. Anti-Roma-Aufmärsche gibt es seit Wochen wieder vermehrt (s.u.), u.a. in Duchcov und České Budějovice, wo jeweils nur die Polizei das Eindringen in Roma-Wohnviertel verhindern konnte. Die Straßenschlachten, die sich Radikale mit den Sicherheitskräften lieferten, wurden von johlenden und klatschenden Menschen angefeuert und in Videos mit begeisterten Kommentaren auf Youtube eingestellt. Als Rechtfertigung für die Gewalt gegen Roma wird gerne deren vermeintlicher Hang zu Kriminalität, Lärm und Arbeitsscheu angeführt, dabei geht die Verrohung eindeutig von den sog. weißen Tschechen aus. Anstand und Wahrung der Menschenwürde gelten ihnen offenbar nichts mehr. - Was ist dir das Menschlichste? - Jemandem Scham ersparen.(Nietzsche)

 

Tipps für wärmere Zeiten

Wanderungen durch Prag - Street Art und künstlerische Treffpunkte. Fotos s. Auf der Galerie 

Kafka in Žižkov - ESCIF; Ziff © phatbeatz.cz (Pomóc = Angst)

 

 

 

 

Übersichtskarte mit öffentlichen Plastiken der Stadt Prag: www.ghmp.cz/cs/web/guest/verejnou-plastiku, alphabetisch geordnet nach Künstlernamen, Suche nach Exponaten oder Stadtteilen möglich, beim Anklicken sind Abbildungen der Kunstwerke zu sehen.

  

Nicht nur für Cineasten: Karel-Zeman-Museum 

Warum ich Filme mache? Ich suche das Unbekannte, die Terra Incognita, ein Land, das noch kein Filmemacher betreten hat, einen Planeten, auf den noch keine Eroberungsfahne gepflanzt wurde, eine Welt, die es nur im Märchen gibt. –  Die Wiege des Animationsfilms steht natürlich in Tschechien, im nordböhmischen Ostroměř, wo der Regisseur Karel Zeman 1910 geboren wurde, schon Anfang der 1950er Jahre Trickfilmsequenzen mit Realaufnahmen verband und dessen (Kinder-)Filme weltberühmt wurden. Die US-amerikanischen DreamWorks- und Pixar-Studios konnten u.a. auf seine Arbeiten aufbauen, schufen ihre Figuren (z.B. Nemo, Shrek, Buzz Lightyear) lange nachdem Zeman etwa Münchhausens und Vernes Reisen in all ihrer Phantastik auf Zelluloid brachte. Im Museum werden Zemans Leben und Werk vorgestellt, filmische Arbeitsschritte und Herstellungsmöglichkeiten gezeigt; es gibt technische Einführungen und Kurse im Filmemachen. Täglich von 10..00-19.00 Uhr, 200 (140) CZK. Infos:www.muzeumkarlazemana.cz  
Muzeum Karla Zemana, Saský dvůr – Saská 3, Prag 1

 

 

Berlin mal anders: Stadtführungen von Obdachlosen. Infos: www.querstadtein.org

(s. weiter unten für Prag)

 

Im Tuzex kann man „original tschechische Qualitätswaren, traditionelle Lebensmittel und Delikatessen, Spezialitäten, Spielwaren und Souvenirs“ kaufen, aber auch die Rebel Art seines Besitzers, des tschechischen Künstlers Luděk Pešek Pachl, der seit fünfzehn Jahren in Berlin lebt und einen deutsch-tschechischen Stammtisch, tschechische Filmabende und Diskussionsabende zu aktuellen (meist tschechischen) Themen organisiert. Kontakt: www.tuzex.de

Tuzex-Berlin, Schliemannstr.38, Prenzlauer Berg

 

25.07.2013Eingeschränkte Pressefreiheit. Dem New-York-Times-Reporter James Risen droht Beugehaft, weil er sich weigert, seinen Informanten bei der CIA zu nennen, berichtet Daniel Haufler in der Berliner Zeitung: "Ein Bundesberufungsbericht hat entschieden, dass Reporter ihre vertraulichen Quellen in einem Strafprozess nicht schützen dürfen - obwohl der erste Verfassungszusatz genau dies garantiert und oberste Gerichte bislang fast ausschließlich zugunsten der Presse entschieden haben. Im Prozess gegen den früheren CIA-Agenten Jeffrey Sterling soll der New-York-Times-Reporter James Risen nun preisgeben, ob Sterling ihm Material für sein Enthüllungsbuch über die CIA State of War (2003) geliefert hat.“

Das deutsche Verteidigungsministerium verklagt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung auf Verletzung des Urheberrechts, weil diese geheime Bundeswehr-Papiere aus Afghanistan ins Netz gestellt hatte. Der Rechtsanwalt Markus Kompa, der Blogger und Whistleblower berät,bescheinigt der Klage im Gespräch mit Jens Twiehaus (Die Tageszeitung, taz) jedoch keine belastbare rechtliche Grundlage: "Weil das Urheberrecht nicht die Aufgabe hat, Dinge geheim zuhalten. Es soll auch nicht Informationen dem öffentlichen Wissen entziehen, sondern wirtschaftliche und ideelle Interessen schützen. Aber diese Papiere sind nicht zum Geldverdienen geschrieben worden, sondern um die Mitglieder des Bundestags zu unterrichten."

 

22.07.2013 Zur politischen (Dauer-)Krise in Tschechien, die mit der Vertrauensfrage am 08.08.2013 sicher nicht beendet ist, schrieb die Tageszeitung Lidové noviny: „In einem gewissen Sinne offenbart die aktuelle Krise die Unfähigkeit der tschechischen Gesellschaft, für eine demokratische Selbstverwaltung zu sorgen. Die Krise des politischen Parteiensystems ist noch lange nicht zu Ende und der Staatspräsident nutzt sie hemmungslos aus, um seine eigene Macht zu stärken und auszubauen. Dank der europäischen Integration wird all das aber nicht dazu führen, dass die Tschechen sich tatsächlich von den demokratischen Grundwerten verabschieden müssen. Und genau hier liegt die historische Gelegenheit. Das Schicksal der Demokratie in der Tschechischen Republik ist heutzutage untrennbar mit dem Erfolg der europäischen Integration und der allgemeinen Demokratisierung Europas verbunden. Würde es die EU nicht geben, wäre die Oligarchisierung der Wirtschaft und die Putinisierung der tschechischen Politik inzwischen vermutlich bereits vollendet.“ Eine optimistische Interpretation, denn die Akzeptanz der EU in Tschechien schrumpft nach einer repräsentativen Umfrage weiter. EU-Subventionen ja, gemeinsame europäische Politik nein, ist hier zunehmend die Devise. Die Zeitung berichtet zeitgleich von Boni-Zahlungen an Mitarbeiter verschiedener Ministerien in Millionenhöhe (Prämien alleine im Zeitraum von Januar bis Juni 2013: 9,6 Mio. Euro).  

  

17.07.2013: Luc Bondy, zum 65sten - Gespräch: http://www.zeit.de/2010/01/Bondy-01


17.07.2013: Pussy Riot veröffentlichen ein neues Musikvideo, s. hier: Aufruf -betr. Russland


17.07.2013 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2013. Der Historiker Karl Schlögel wird am 13.11.2013 die Laudatio auf die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch halten. Die Verleihung wird live ab 11.00 Uhr im deutschen ZDF übertragen. s. hier auch: Karl Schlögel; Eine Reise nach Brünn; s.u. Spots

 

 

15.07.2013: Der Hip-Hop-Song Tohle je Brno / Das ist Brünn will Stadt und BewohnerInnen so zeigen, wie sie sind. Im Clip sind nicht nur die restaurierte Innenstadt und der neue AZ-Tower zu sehen, sondern auch Bezirke, die sonst ungern präsentiert werden: z.B. die Gegend rund um den Hauptbahnhof und die Bratislavská-Straße im Viertel, in dem viele Roma leben. Dass Roma in einem Song über Brünn überhaupt auftauchen, ihn sogar wesentlich mitgestaltet haben, sorgt für Aufruhr im Netz: rassistische Parolen in den Kommentaren unterhalb des Musikvideos sprechen eine eindeutige Sprache. Sie passen zu den Anti-Roma-Aufmärschen in České Budějovice ( und anderen Orten, s.u.), die Anwohner gemeinsam mit Neonazis seit Wochen jeden Samstag veranstalten, um – bisher vergeblich – in eine von Roma bewohnte, nun dauernd von Polizei bewachte, Siedlung einzudringen. Auch hier reichte eine Lappalie – eine Rauferei auf einem Spielplatz – aus, um die Jagd auf Roma öffentlich zu legitimieren. (s. auch Prager Zeitung vom 17.07.2013)  

 

 

08.07.2013: Was wir nicht sehen – Wir sehen Jubel & Feiern, Zusammenstöße von politischen und religiösen Gegnern. Allesamt Verteidiger der Ägyptischen Revolution? - Berichte über sexuelle Gewalt (körperliche Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen) gegen Frauen nehmen zu. Gründe versucht Patrick Kingsley im Guardian herauszufinden. Mehr als achtzig Frauen sind – nachgewiesen – auf dem Kairoer Tahrir-Platz Opfer sexueller Gewalt geworden: "Oft beteiligen sich einfach vorübergehende Männer an den Gewaltakten. Aber alle Aktivistinnen auf dem Platz sagen übereinstimmend, dass sich die Männer meistens in Gruppen zusammenschließen, an Demonstrationstagen auf den Platz gehen, um gezielt Frauen zu vergewaltigen. 'Es gibt keinerlei Sicherheit auf dem Tahrir. die Menge hat sich an die Übergriffe gewöhnt,' sagt eine der Frauen. Diese Gleichgültigkeit ist nicht allein für den Tahrir-Platz spezifisch. Während im letzten Jahr immer mehr Menschen gegen diese Gewalt mobilisiert haben, ist sexuelle Belästigung nach wie vor akzeptierter Bestandteil der ägyptischen Gesellschaft (was auch Ausländerinnen/Touristinnen immer wieder berichtet haben, ks). Laut einer im April 2013 veröffentlichten UN-Studie gaben 99,3 % der Ägypterinnen an, sexuell belästigt worden zu sein. 91 % sagten, dass sie sich deshalb auf der Straße nicht sicher fühlten.“


07.07.2013 – Der souveräne, kluge und berührende Text Vielleicht Esther von Katja Petrowskaja (s. hier auch Originaltext unter dem Namen der Autorin) wurde mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet. Der Text schildert die Möglichkeiten einer Nachgeborenen, sich an die Vernichtung der Juden von Kiew durch die Nazis im Jahr 1941 zu erinnern, indem sie die Geschichte ihrer jüdischen Urgroßmutter nach dem Einmarsch der nationalsozialistischen Truppen erzählt. Seit 1999 lebt Katja Petrowskaja in Berlin und arbeitet als Journalistin für die Kulturressorts verschiedener russischer Medien (Radio Liberty, Snob) und auch für die deutschsprachige Zeitungen NZZ, taz und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seit 2011 schreibt sie für FAS die Kolumne Die west-östliche Diva. Im Frühjahr 2014 soll Vielleicht Esther als Buch im (hoffentlich noch bestehenden) Suhrkamp-Verlag erscheinen. Nach heftigen Protesten wegen des möglichen Aus des Wettbewerbs steht nun auch fest, dass es den Bachmann-Preis weiter geben wird. Fehlende Gelder sollen durch Sponsoren gedeckt werden.

 

07. 07. 2013 – Karlovy Vary / Karlsbad: Bester Film des internationalen Filmfestivals ist Das große Heft des ungarischen Regisseurs János Szász nach dem gleichnamigen Roman der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin Ágota Kristóf. Den Preis für die beste Regie erhielt der tschechische Regisseur Jan Hřebejk für seinen Film Líbánky. Einen Kristallglobus für außerordentliche künstlerische Verdienste für das Weltkino erhielt der US-amerikanische Regisseur Oliver Stone, John Travolta und der Kostümbildner Theodor Pištěk. Das Filmfestival endete mit einem neuen Besucherrekord. (čtk)

 

29.06.2013 Im südböhmischen České Budějovice / Budweis kam es zu einer Anti-Roma-Demonstration von rund tausend Menschen, die rassistische Parolen riefen und zum Sturm auf eine hauptsächlich von Roma bewohnte Siedlung aufriefen, die allerdings von Polizeikräften geschützt wurde. Nach Flaschen- und Steinwürfen setzte die Polizei Tränengas ein. Etwa zweihundert Menschen demonstrierten gleichzeitig in der Siedlung für ein besseres Zusammenleben von Roma-Minderheit und Nicht-Roma-Mehrheit. Wie schon anderenorts (zuletzt s. 24.06.2013) wurden individuelle, handgreifliche Streitigkeiten zum Anlass genommen, zu Gewalt gegen Roma insgesamt aufzufordern und diese mit dem eigenen dumpfen Fremdenhass zu legitimieren; „Wir sind Tschechen“, „Tschechien ist unser Land“ (die hier lebenden Roma sind allerdings auch tschechische StaatsbürgerInnen!).

 

28. 06. 2013 – Zum Weltgedächtnis der Unesco gehört nun auch die Sammlung tschechischer und slowakischer Samisdat-Publikationen aus den Jahren 1948–1989. Die tschechoslowakische Sammlung dieser Publikationen wurde von der Gesellschaft Libri Prohibiti zusammengestellt, gilt als eine der umfangreichsten ihrer Art und hat dadurch grundlegende Bedeutung für das Studium des 20. Jahrhunderts. Info: čtk


27.06.2013 - Ausbau eines Atomkraftwerks. Es gibt Leute, die halten die hausgemachte tschechische Regierungskrise für ein vom amerikanischen Geheimdienst (NSA?, CIA?? o.a.?) gesteuertes Komplott, um die Nečas-Regierung zu stürzen (als hätte die das nicht ganz alleine geschafft!), um damit die Vergabe des milliardenschweren Temelín-Auftrags an die Russen zu verhindern. Der einstige Chefberater von Václav Klaus Petr Hájek ist so ein Verschwörungstheoretiker. Die für diesen Herbst geplante Entscheidung über die Auftragsvergabe könnte allerdings wegen der Regierungskrise tatsächlich vertagt werden, sagte Ladislav Kříž, Sprecher des Temelín-Betreiberkonzerns ČEZ, sollte „es keine gefestigte Regierung mit einem klaren Mandat und einer eindeutigen Position zur staatlichen Energiepolitik“ geben, es gar zu Neuwahlen kommen. - Der Bau zweier neuer Reaktorblöcke ist der größte Bauauftrag in der Geschichte Tschechiens. Das Investitionsvolumen wird auf rund 300 Milliarden Kronen (etwa 12 Milliarden Euro) geschätzt. Der ČEZ, dessen Mehrheitseigner der tschechische Staat ist, verhandelt derzeit mit zwei Bewerbern: dem amerikanisch-japanischen Unternehmen Westinghouse sowie dem tschechisch-russischen Konsortium Mir 1200. Den Zuschlag soll nur bekommen, wer die Beteiligung tschechischer Unternehmen am Projekt garantiert. Marek Hatlapatka, Marktanalytiker beim Investmentunternehmen Cyrrus meint gar: „Die große Unsicherheit in der europäischen Energiepolitik erfordert eine eingehende Revision der gesamten Temelín-Ausbaupläne. Insofern können die jetzigen politischen Erschütterungen dazu beitragen, das ganze Projekt neu zu bewerten.“


27.06.2013 - Der tschechische Milliardär Andrej Babis wird zum Medienmogul: er hat das Verlagshaus Mafra gekauft, zu dem unter anderem die Zeitungen Mlada Fronta Dnes und Lidove Noviny, das Gratisblatt Metro, mehrere Radio- und ein Fernsehsender gehören. Bisher war Mafra mit seinen gut 1.000 Mitarbeitern im Besitz der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft aus Düsseldorf, die sich nach eigenen Angaben aus strategischen Gründen von dem Verlag trennt. Andrej Babis besitzt den Chemie- und Nahrungsmittelkonzern Agrofert, eines der größten tschechischen Unternehmen. 2011 hat der Unternehmer die Partei Aktion unzufriedener Bürger gegründet, mit der er im kommenden Jahr bei den Parlamentswahlen antreten will.


25.06.2013 – Der tschechische Präsident Miloš Zeman hat das getan, was er schon bei seinem Amtsantritt im März angekündigt hatte: Er hat die Lücken in der Verfassung für sich ausgenutzt, die Kompetenzen und Vollmachten seines Amtes erweitert und im Alleingang – gegen den Willen des Parlaments – einen neuen Regierungschef, seinen Wirtschaftsberater Jiří Rusnok (ehemaliger Finanzminister in einer von ihm geführten Regierung) berufen. Die von der Koalition vorgeschlagene Miroslava Němcová kam für ihn nicht in Betracht; er strebt ein Kabinett von Experten an (woraus folgt, das bisher keine Experten an der Regierung waren) und verfolgt darüber hinaus ganz durchsichtige eigene Ziele. In den tschechischen Medien wurde sein Alleingang schon mit einem Putschversuch verglichen, „einer grundlegenden Machtverschiebung zwischen dem Präsidenten und dem Parlament [...]. Zeman macht damit aus Tschechien de facto eine Präsidialrepublik. Seine Regierung wäre für die tschechische Demokratie Gift“, wie etwa Hospodářské noviny schrieb. Ob Zemans Machtspiel aus dem Sumpf der Korruption führt oder weiter hinein, wird sich zeigen.

 

25.06.2013 – Dass der ORF ab 2014 die Übertragung des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbs seinen Sparplänen im Kunst- und Kulturbereich opfern will, hat zu heftigen Protesten und einem Schreiben der IG Autorinnen-Autoren geführt, das die Rücknahme dieser Entscheidung fordert.

Den kompletten Aufruf können Sie hier lesen. Namentliche Unterstützung dieses Protestes mit Berufs- und/oder Funktions- und Ortsangabe erbitten die beiden Verbände an: Gerhard Ruiss (IG Autorinnen Autoren): gr@literaturhaus.at

 

24.06.2013Pogromstimmung. Nach einer Kundgebung der rechtsextremen DSSS (Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit) im nordböhmischen Duchcov (Dux) kam es am Wochenende zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen fünf Menschen verletzt wurden, als Teilnehmer der Demonstration (rund achthundert bis tausend Personen) von der gemeldeten Route abwichen und in Richtung Roma-Viertel marschieren wollten. Beim Versuch der Polizei, dies zu verhindern, warfen wütende Demonstranten Steine, Müll und Flaschen auf die Beamten. Um ein Pogrom zu verhindern, setzten die Ordnungskräfte Schreckschusswaffen, Wasserwerfer und Tränengas ein. Insgesamt wurden zweiundzwanzig Personen festgenommen. In Duchcov soll Ende Mai eine Gruppe Roma ein Ehepaar überfallen und verletzt haben. Seitdem kam es in dem Ort wiederholt zu aggressiven Anti-Roma-Kundgebungen. Gleichzeitig hatte der Verein Konexe, dessen Slogan „Černí, bilí, spojmy síly!“ („Schwarze, Weiße, bündeln wir die Kräfte!“) als Banner an einem Pavillon hing, ein Straßenfest organisiert, auf dem informiert, aber vor allem Musik gemacht wurde. Cikáni nennen sie sich selbstbewusst – und rappen gegen den Mob. Infos: čtk

 

20.06.2013 – Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht an Swetlana Alexijewitsch, *1948 in der Ukraine, aufgewachsen in Weißrussland, die lange als Reporterin arbeitete. Über die Interviews, die sie dabei führte, fand sie zu einer eigenen literarischen Gattung, dem dokumentarischen Roman in Stimmen. Alexijewitschs Werke wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen war ihr erstes in der Bundesrepublik verlegte Buch, erschien 1992 bei S. Fischer, wo Elisabeth Ruge als Lektorin arbeitete. Mit Ruge wechselte Swetlana Alexijewitsch zum Berlin Verlag, wo 1997 Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft herauskam. Im September erscheint im noch von Ruge geleiteten Verlag Hanser Berlin Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus. Im Oktober 2013 bringt Hanser Berlin eine Neuausgabe von Der Krieg hat kein weibliches Gesicht heraus, im Frühjahr 2014 die erweiterte und überarbeitete Ausgabe von Zinkjungen, im Herbst 2014 schließlich Die letzten Zeugen. Alexijewitsch wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (1998), dem National Book Critics Circle Award (2006), dem polnischen Ryszard-Kapuścińki-Preis (2011) und dem mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus (2011). Der Friedenspreis wird im Oktober verliehen.


18.06./19.06.2013Barak Obama war in Berlin und keiner hat´s bemerkt. Gut, es gab Emotionen: Die öffentlichen Verkehrsmittel waren teilweise stundenlang lahmgelegt, die Orte, an denen er sich aufhielt, weiträumig abgesperrt. Alle, die in der Stadt unterwegs waren, haben das zu spüren bekommen. 2008 jubelten rund 200.000 Menschen dem Präsidentschaftskandidaten in Berlin zu, Zehntausende versammelten sich 2009 in Prag, wo er Abrüstung versprach. Dort gab es auch viel Protest gegen den Europa (vor allem Tschechien und Polen) verordneten Raketenschirm. Diesmal begann er seine Rede vorm Brandenburger Tor mit den grandiosen Prinzipien der US-Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 „Life, freedom and the pursuit of happiness“ - vor etwas mehr als 3.000 ausgewählten Gästen, hinter Panzerglas -, um dann nur noch über Freiheit und Sicherheit zu sprechen, die Prism, also die großangelegte, weltweite Abhörung und Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst NSA notwendig mache, über die Freihandelszone zwischen den USA und Europa, die vor allem den USA nützen soll, und über ein Drittel weniger Atomwaffen. Mehr hatte er nicht zu sagen. Er war nur der Überbringer der (schlechten) Nachrichten. Es geht um seinen und US-amerikanischen Machterhalt. - Obama hat erneut den millionenfachen Datenzugriff - aus Sicherheitsgründen! - verteidigt (Assange, Manning, Ellsberg und Snowden werden als Kriminelle und Verräter gebrandmarkt und müssen abtauchen). Je gläserner der einzelne Mensch wird, desto hermetischer und intransparenter ist der Staat. – Charles de Montesquieu wusste schon im 18. Jhdt.: Eine Regierung braucht nur unbestimmt zu lassen, was Verrat ist, und sie wird zur Despotie.

  

17.06.2013 – Premier Petr Nečas tritt zurück. Mit seinem Rücktritt endet in Tschechien auch die Amtszeit der gesamten Regierung. Wegen einer Abhör- und Korruptionsaffäre massiv unter Druck geraten, hatte die Polizei eine enge Vertraute und mehrere Parteifreunde des Ministerpräsidenten festgenommen. Er wird auch als Parteivorsitzender seiner Bürgerpartei ODS zurückzutreten, wünscht sich indes die Fortsetzung der bestehenden Mitte-Rechts-Koalition unter einem anderen Ministerpräsidenten.

 

16. 06. 2013 - Der achtunddreißig-jährige Schweizer Historiker Adrian von Arburg, der seit 2008 an der Masaryk-Universität in Brno arbeitet (Schwerpunkte: Geschichte der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei und die Neubesiedlung der ehemaligen sudetendeutschen Gebiete), wird neuer Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für die Erforschung totalitärer Systeme (ÚSTR). Stellvertretende Vorsitzende ist die französische Historikerin Muriel Blaive. Nach langen Querelen und Rücktritten war man übereingekommen, dass der Rat von ausländischen Personen geleitet werden solle. Sie seien unbefangener, neutraler und weniger involviert in politische Machtspiele. Der Wissenschaftliche Beirat soll das Institut bei der Erforschung der kommunistischen Tschechoslowakei und des Protektorats Böhmen und Mähren unterstützen. (čtk, s. hier: Flucht-Vertreibung, Interview Goedeking-von Arburg)

 

15.06.2013 – Diese Meldung war wohl nicht nur Tschechien-intern eine Sensation: Die langjährige Korruption in Regierungskreisen plus ein offenbar soap opera-reifes Eifersuchtsdrama führen in die wohl schwerste politische Krise seit der Samtenen Revolution 1989. Am 13.06. hatte eine landesweit durchgeführte Großrazzia einer Anti-Korruptionseinheit gegen die tschechische Regierung zur Sicherstellung von Beweismaterial (darunter Geld und Gold) und zu mehreren Verhaftungen geführt. Im Mittelpunkt der Ermittlungen standen Premierminister Nečas und seine Bürochefin Jana Nagyová, die des Amtsmissbrauchs und der Bestechung beschuldigt wird. Sie soll Geheimdienstler beauftragt haben, Nečas' Noch-Ehegattin zu bespitzeln, die für ihre brisanten Dienste wiederum die Hand aufhielten. Diese, wenn man so will, Scheidung auf Tschechisch könnte den Premier und die Regierung nun den Kopf kosten und die Beschuldigte bis zu fünf Jahre Gefängnis hinter Gitter bringen. Dieses Schicksal könnte auch drei ehemalige Abgeordnete der ODS ereilen, die mit ihrem Votum gegen ein Sparprogramm ihres Parteikollegen und Premiers Nečas letztes Jahr fast die Regierung zu Fall gebracht hätten. Sie gaben allerdings plötzlich und unerwartet ihre Mandate auf und erhielten stattdessen lukrative Jobs in staatsnahen Unternehmen. Sie hätten sich bestechen lassen (und zwar von der Vertrauten des Premiers Jana Nagyová), lautet nun der Vorwurf. Nur so hätte ein Misstrauensantrag im Parlament gegen die Regierung vereitelt werden können. Zwei der finanzkräftigsten und einflussreichsten Lobbyisten, die mit ihren Firmen mutmaßlich an diversen Geschäften (nicht nur) mit Politikern beteiligt und als tschechische „Paten“ (in Anlehnung an die Mafia) wohlbekannt sind, wurden offenbar gewarnt und konnten sich absetzen. Man beschlagnahmte hunderte Millionen Kronen (mehrere Millionen Euro) und haufenweise Gold, vermutlich Peanuts für die Flüchtigen. Ausgerechnet Nečas, der der Korruption im eigenen Land den Kampf angesagt hatte, gerät nun ins Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden, die gerade dafür verstärkt worden waren. Das bekannte politische Hickhack bzw. Ritual hat begonnen: Die Regierungskoalition weist (persönliche) Schuld von sich, die Opposition fordert den Rücktritt. Am Freitag, 14.06., führte Präsident Miloš Zeman erste Gespräche mit Regierungs- und Oppositionspolitikern über Wege aus der politischen Krise. Nečas sprach angesichts der beispiellosen Untersuchungen von einem gewaltigen Schaden für das außenpolitische Ansehen des Landes. In den Medien und in der Bevölkerung wird allerdings eher von der längst fälligen Austrocknung eines Sumpfes gesprochen, vom Ende einer Ära, in der Politiker und sog. Paten ungestraft Geschäfte miteinander machen konnten. Kritik an der Politiker-Kaste, Politikverdrossenheit (s. hier zuletzt: 15.05.2013) gab es in Tschechien schon länger, ebenso wie die Berichte von Transparency International, die Tschechien regelmäßig in den letzten Jahren schlechteste Werte bei der Korruptionsbekämpfung bescheinigten. Vor möglichen weiteren politischen Schachzügen und Bauernopfern wird ausdrücklich gewarnt... s. Daniela Capcarová über Korruption, Wahlen

 

15.06.2013 Protestaktion gegen Ungarn. Der ungarische Musiktheaterregisseur David Marton, der in Berlin lebt und arbeitet, hat das Radio ohne Frequenz Berlin-Budapest gegründet und vor dem Maxim Gorki-Theater Berlin vorgestellt. Angesichts der ungarischen Zustände muss man sich fragen, was man gegen das dumpfe und gefährliche Orbán-Regime tun kann. Es gab Live-Musik mit Jelena Kuljic und Uschi Werner, die „Kleine weiße Friedenstaube“ sang, einen Radiotanzkurs Tanzen wie die Ungarn mit Marie Goyette. Die Sängerin Theresa Kronthaler und der Schauspieler Niels Bormann zogen aus einem Lostopf Nachrichtenzettel. So erfuhr man, dass Zoltán Barlog, in der Orbán-Regierung Minister für Humanressourcen, eine harte Aussonderungpolitik gegen Sinti und Roma betreibt und die Aufnahme antisemitischer Literatur in Lehrpläne von Schulen und Universitäten lanciert. Das hat wiederum den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck nicht davon abgehalten, Barlog das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband für seine „Verdienste um das deutsch-ungarische Verhältnis sowie die Menschen- und Minderheitenrechte“ zu verleihen. Inzwischen sind rund eine halbe Million Menschen aus Ungarn geflohen, die diese Verdienste der Orbán-Regierung offensichtlich nicht erkennen können. David Marton sagte: „Wir fordern die ungarische Regierung auf, das europäische Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung zu achten.“ Wer sich gegen das harte Vorgehen des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan gegen DemonstrantInnen am Taksim-Platz und die Räumung des Gezi-Parks ausspricht, einen EU-Beitritt der Türkei damit gar als obsolet ansieht, muss sich fragen lassen, wie er mit der autokratischen, nationalistischen und (latent?) antisemitischen Regierung in Ungarn umzugehen gedenkt.


„Ein Mensch ohne Utopie ist ein amputierter Mensch.“

Am 09.06.2013 starb der Philologe und Schriftsteller Walter Jens im Alter von neunzig Jahren in Tübingen. Der Rhetorikprofessor und ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste (1989 – 1997) litt seit einigen Jahren an schwerer Demenz. Jens galt manchen als „moralische Instanz“, vielen als engagierter, manchmal auch kämpferischer Demokrat, der vor allem für eine tolerante Streitkultur in der Bundesrepublik eintrat. Seine Frau Inge Jens regte ein weiteres Projekt an: gemeinsam schrieben sie die sehr erfolgreiche (und lesenswerte!) Biografie über Katia Mann, die stets mit Frau Thomas Mann unterschrieb (2003). – Dass er sich an seine Mitgliedschaft in der NSdAP (ab 1942) nicht erinnern konnte, löste in Deutschland einen Sturm der Entrüstung aus. Im Gegensatz etwa zu Grass, der nachweislich bei der Waffen-SS gewesen war, dies aber lange aktiv verborgen hatte, war Jens wegen einer Tuberkulose nie an der Front oder als Ideologe in Erscheinung getreten. Dass seine Demenz mit diesem „Vergessen“ ursächlich zu tun habe, war reine Spekulation. Oder was sagt man über die Millionen von ehemaligen Parteimitgliedern, die sich bereits ab 1945 an gar nichts mehr erinnern konnten? Kann man Deutschland eine Nation Dementer, eine demente Nation nennen? Jens war in seinen Hochzeiten ein brillanter, streitlustiger Redner, einer, der sich einmischte, für Vernunft plädierte, ein kritischer und emphatischer Betrachter der zeitgenössischen Literatur, einer, dem – wie er selbst einmal sagte – das Schreiben wie Atmen war.


Am 08.06.2013 ist der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk dreiundachtzig-jährig in seiner Heimatstadt Tel Aviv gestorben. Mit seinem Roman Adam Hundesohn sowie der filmischen Adaption wurde er weltbekannt. In Der letzte Jude (dt.:1991) hat der KZ-Häftling Ebeneser Schneurson vermutlich wegen seines Talents als Holzschnitzer überlebt, ist „wandelndes Gedächtnis“ und „geschichtsloser Mensch“ gleichermaßen, muss sich an seine toten Mitgefangenen erinnern und mit ihnen an die Geschichte der Juden und die der Israelis. Er schrieb zwanzig Jahre an diesem grandiosen Roman voller Verzweiflung und Trauer, Melancholie und Tatkraft. Es folgten u.a.: Das Glück im Exil, eine Auseinandersetzung mit der Generation seiner Eltern; der Vater stammte aus Galizien, war österreichischer Offizier gewesen, hatte in Berlin gelebt und liebte die deutsche Kultur, eine Liebe, die seinem Sohn stets zu schaffen machte. Nach seiner Emigration 1926 wurde er Gründer des Tel Aviv Museum of Art. Seine Mutter war bereits in Palästina Lehrerin, später Schulleiterin und Autorin von Lehrbüchern. Das Bild des Mörders, Die Queen, ihr Liebhaber und ich. Er schrieb mehrere Autobiographien: I Did It My Way über seine Zeit in Paris und New York, 1948 über die Gründung des Staates Israel und Zwischen Leben und Tod über seine Krebserkrankung, Koma und Wiedererwachen. – Politisch trat er immer für eine Zwei-Staaten-Lösung, die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis ein, war gegen den Hardliner Netanjahu, gründete ein palästinensisch-israelisches Schriftsteller-Komitee und ließ sich ab 2010 bei allen Behörden nur noch als „Bürger ohne Religion“ registrieren, weil er in der Vermischung von Religion und Politik eine Gefahr sah: „Die Kombination von Judentum und Demokratie funktioniert nicht“. Gerade unter jungen Leuten findet diese Postion seither viel Zustimmung. – Yoram Kaniuk war aber nicht nur in seinem Land unbequem, auch in Deutschland machte er sich nicht gerade beliebt. In einer Diskussion mit Günter Grass sagte er wenig Versöhnliches: „Ich kann jeden Morgen zum Frühstück ein palästinensisches Baby bei lebendigem Leibe verspeisen, und ihr Deutschen habt nicht das Recht, mich zu kritisieren.“ Es ging ihm aber vordergründig nicht – mithilfe des überlieferten Bildes vom Riesen, der auch kleine Kinder frisst – um die Verteidigung von Gewalt, er erinnerte damit lediglich (indirekt) an die vielen tausend Säuglinge, die – nur so zum Spaß! – von deutschen Soldaten in die Luft geworfen und wie beim Tontaubenschießen abgeknallt worden waren, an Wänden zerschmettert oder aus Fenstern in die Tiefe geschmissen (wie viel Spaß die Wehrmachtsoldaten dabei hatten, kann man übrigens nicht nur in geheimen Nazi-Propaganda- sondern auch in Amateur-Filmen aus jener Zeit sehen). – Bei seiner Rückkehr nach Tel Aviv 1961 erlebte er die Veränderung seiner Heimatstadt durch die vielen deutschen Juden, die sich dort niedergelassen hatten: „Sie waren tief verletzt und fühlten sich erbärmlich und erniedrigt.“ Er begann über seine und ihre Geschichten zu schreiben.

 

04.06.2013 – Der Georg Büchner-Preis geht an die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland. "In ihren Romanen hat Sibylle Lewitscharoff mit unerschöpflicher Beobachtungsenergie, erzählerischer Phantasie und sprachlicher Erfindungskraft die Grenzen dessen, was wir für unsere alltägliche Wirklichkeit halten, neu erkundet und in Frage gestellt", begründete die Jury die Entscheidung. Der Preis wird am 26. Oktober 2013 in Darmstadt verliehen. Die Autorin ist schon mehrfach ausgezeichnet worden: 1998 Ingeborg Bachmann-Preis für Pong, 2009 Preis der Leipziger Buchmesse für Apostoloff, 2011 Kleist-Preis für ihr erzählerisches Werk. Zuletzt erschien ihr Roman Blumenberg und der Band Vom Guten, Wahren und Schönen über ihre Poetikvorlesungen in Frankfurt/Main und in Zürich.

 

10.06.2013 - Peter Kurzeck wird Siebzig! - Der Stroemfeld Verlag bringt dazu ein Bilder-Buch: Peter Kurzeck -  der radikale Biograph, hrsg. von Erika Schmied. Mit Textbeiträgen von: Wend Kässens, Thomas Meinecke, Manfred Pabst, Wieland Schmied, Beate Tröger und Fotos von Erika Schmied, Ute Schendel, aus dem Archiv der Stadt Staufenberg und aus privaten Sammlungen. Infos: http://www.stroemfeld.de/Kurzeck_der_radikale%20Biograph_VorschauStroemfeldFJ2013r.pdf

Für Freunde und Förderer gibt es außerdem eine von Peter Kurzeck signierte Vorzugsausgabe, nach Überweisung von EUR 70,00 : Stroemfeld Verlag, Konto Nr. 5299-606, Postbank Frankfurt (BLZ 500 100 60) und Mitteilung, wie die Gratulanten-Tafel hinten im Buch aussehen soll: z.B. Vorname Nachname, Ort. Die Normal-Ausgabe kostet EUR 38,00 und kann bestellt werden: info@stroemfeld.de. Am 22.06.2013 – Eröffnung der von Erika Schmied kuratierten Kurzeck-Ausstellung in Staufenberg. Wer eingeladen werden möchte, teile das dem Verlag mit.

 

31.05.2013 – Der Internationale Literaturpreis/Haus der Kulturen der Welt 2013 geht an den aus Nigeria stammenden Amerikaner Teju Cole für den (sehr lesenswerten!) Roman Open City (Suhrkamp) und dessen deutsche Übersetzerin Christine Richter-Nilsson.

Der in den USA lebende, aus Nigeria stammende „Afropolitan“ schickt seinen Romanhelden Julius in New York auf den Weg der Selbstfindung: Die Topographie Manhattans abschreitend, rekapituliert er Stationen seines Lebens. Aspekte der Gewalt und Multikulturalität sowie Anleihen aus Literatur und Philosophie umkreisen die Frage nach der Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens in der Differenz. Coles detailgenaue, rhythmisierte Prosa erzeugt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Teju Cole ist mit Open City ein überragendes Erzähldebüt gelungen. „Sein Buch besticht durch den existenziellen Ernst und die Wahrhaftigkeit des Erzählers, der jenseits kultureller Klischees wie ein Medium die Konflikte der globalisierten Welt registriert“, heißt es in der Begründung der Jury. Sie lobt auch Christine Richter‐Nilssons Übersetzung, „die die Musikalität des Romans“ einfange. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro für den Autor und 10.000 Euro für die Übersetzerin dotiert und wird ihm Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im HKW am 12. Juni überreicht. Zugleich findet eine Lange Nacht der Shortlist statt, in der die übrigen Nominierten – Valeria Luiselli, Andrej Bitow, Zhakar Prilepin und Jean Rolin – präsentiert werden.  

 

28.05.2013 - Franz-Kafka-Preis 2013 geht an Amos Oz. Der israelische Schriftsteller wird im Oktober in Prag eine Bronze-Skulptur des Künstlers Jaroslav Rona und ein Preisgeld von 10.000 US-Dollar (7.730 Euro) entgegennehmen. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt der Erzählband Unter Freunden, in dem der heute vierundsiebzig-jährige Autor seine Erfahrungen im Kibbuz literarisch verarbeitet.

 

25.05.2013 – Der Kleist-Preis 2013, der im November verliehen wird, geht an die deutsche Schriftstellerin Katja Lange-Müller, bekannt u.a. für: Verfrühte Tierliebe, Die Letzten, Böse Schafe.


22.05.2013 Gedichte also sind / Sonderbare kleine / Katzen denen gerade / Die Augen aufgehn  

Sarah Kirsch,*1935 in Limlingerode/Harz, starb nach kurzer schwerer Krankheit bereits am 5. Mai. Bis zu ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1977 lebte sie in Ost-Berlin. Die Mitunterzeichnung des Protestbriefs gegen die Ausbürgerung des Schriftstellers und Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 führte 1977 zum Ausschluss aus der SED und aus dem Vorstand des DDR-Schriftstellerverbandes. Ihr Ausreiseantrag wurde genehmigt, sie lebte eine Zeitlang in West-Berlin, danach als freie Schriftstellerin und Malerin in Schleswig-Holstein. Für ihr dichterisches Werk erhielt Kirsch zahlreiche Preise, darunter den renommierten Georg-Büchner-Preis. Ihren Anfang als Dichterin beschrieb sie einmal so: „Ich habe einfach so, aus freiem Impetus, zu schreiben angefangen, ich hatte bis dahin sehr wenig Gedichte gelesen. Meine Naivität war eigentlich mein Glück, denn ich meinte, das muss ja ganz leicht sein, das könnte ich viel besser!“
- Meine Worte gehorchen mir nicht / Kaum hör ich sie wieder mein Himmel / Dehnt sich will deinen erreichen /Bald wird er zerspringen ich atme / Schon kleine Züge mein Herzschlag /Ist siebenfach geworden schickt unaufhörlich / Und kaum verschlüsselte Botschaften aus 

- Mein Herzschlag, die Ungeduld, atemlos bin ich, und alles ist auffindbar in meinen Spuren.

- Trennung // Wenn ich in einem Haus bin, das keine Tür hat / Geh ich aus dem Fenster. / Mauern, Mauern und nichts als Gardinen / Wo bin ich denn, daß 

 

 

18.05.2013 – 90 Jahre Tschechischer Rundfunk. Am 18.Mai 1923 knackte, krächzte und jaulte es durch den Äther: In Prag wurde die erste Rundfunksendung ausgestrahlt. Die Tschechoslowakei war das zweite europäische Land nach Großbritannien mit regelmäßigen Radiosendungen, bald auch in anderen Sprachen. Die Sendestation Radiojournal (Radiožurnal) bezog 1933 das beeindruckende Gebäude in der Vinohradská. Später wurde der Tschechoslowakische Rundfunk daraus, 1993 der Tschechische Rundfunk / Čro. – Sechs Jahre lang sendeten die Nazis ihre Propaganda; von hier aus brach am 5. Mai 1945 der Prager Aufstand aus; am 21. August 1968 umstellten Warschauer Pakt-Truppen das Gebäude. Die Hilferufe in die Welt übernahm der Österreichische Rundfunk. Mit der politischen Wende endeten auch kommunistische Indoktrination und Zensur. Das Rundfunkarchiv gilt als eines der größten und besten Europas, stolz wird es auch das vertonte Gedächtnis des tschechischen Volkes genannt. Mit diesem umfangreichen Schatz erinnert die Sendung Devadesátka an die lange Geschichte: In Kalenderform wird täglich eine historische Aufnahme vorgestellt.

 

17.05.2013 – Das Lobkowicz-Palais, Sitz der Deutschen Botschaft in Prag, ist nach langjährigen Verhandlungen an Deutschland verkauft worden. Außenminister Karel Schwarzenberg verteidigte im tschechischen Abgeordnetenhaus den Verkauf als Teil eines größeren Handels mit Deutschland. Tschechien wolle seine renovierungsbedürftige (?) Botschaft in Berlin aufgeben (ist sie nicht gerade saniert worden?) und soll für den Neubau seiner Vertretung ein Grundstück im diplomatischen Viertel erhalten. In Berlin wird spekuliert, wo das sein könnte.

 

15.05.2013 - Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds feierte mit einer Festveranstaltung in der Parlamentarischen Gesellschaft Berlin und rund hundert geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sehr exklusiv sein fünfzehnjähriges Bestehen.

15.05.2013 – Zu den 37. Tagen der deutschsprachigen LiteraturIngeborg Bachmann-Preis vom 03.07. - bis 07.07.2013 sind vierzehn SchriftstellerInnen eingeladen: Larissa Boehning, Hannah Dübgen, Roman Ehrlich, Verena Güntner, Heinz Helle, Nadine Kegele, Benjamin Maack, Nikola Anne Mehlhorn, Joachim Meyerhoff, Anousch Mueller, Katja Petrowskaja, Zé do Rock (geboren in Brasilien, lebt in München), Philipp Schönthaler und Cordula Simon. Einen Überblick über die Autoren gibt es hier. Infos: http://bachmannpreis.eu/de


15.05.2013 – Fakten zum NSU-Prozess
http://www.heute.de/Brandstifter-im-Staatsauftrag-27920436.html
Das ZDF und Elmar Theveßen arbeiten heraus, dass der Staat mittels V-Leuten rechts-terroristische Strukturen bundesweit faktisch aktiv und maßgeblich aufgebaut hat.. Prozessinterne Informationen bieten alle Printmedien, vor allem
www.berliner-zeitung.de und www.zeit-online.de,, die in ihrem NSU blog auch Berichte aus anderen sozialen und in- wie ausländischen Printmedien einbeziehen.

 

06.05.2013 - Der Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. beginnt, und gegen jedes bessere Wissen erhofft man sich davon Neuigkeiten. Weil die Öffentlichkeit in Deutschland davon lebt. Ich erhoffe mir vom Prozess vor allem, dass er anständiger geführt wird, als alles was bisher im Fall NSU geschah. Ich hoffe, dass das Gericht kompetenter sein möge, als es bisher vermuten ließ. Ein Umdenken in Politik und Gesellschaft wird es eher nicht geben und das ist auch nicht Aufgabe des Verfahrens. Erwartet man das, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Wir werden es weiter mit den Mühen der Ebene zu tun haben, wenn es um Rechtsextremismus und Rassismus geht. Die Auswahl der Medienvertreter ist so gelaufen, wie alles beim Thema Rechtsextremismus: hier regiert ein kalkulierter Dilettantismus, der nur existieren kann, weil Rechtsextremismus den meisten so egal ist wie seine Opfer. Wäre das anders […] würde auch dieser Prozess samt der vorangegangenen 'Ermittlungen' ganz anderes geführt werden. Diese Auswahlverfahren […] sind nur ein Symptom einer auf Gleichgültigkeit beruhenden allgemeinen Schlamperei, wie der gesamte Vorgang rund um den NSU. – Zum NPD Verbotsverfahren […]: Die Partei zu verbieten, sonst aber im Allgemeinen zu verharren, wenn es um die Bekämpfung des Rechtsextremismus geht, [ist] einfältig. Den Verbotsantrag nicht zu stellen und auch keine sonstigen Anstrengungen zu unternehmen, [ist] fahrlässig. Aber die NPD verbieten zu wollen, um die Nazis loszuwerden [ist]verlogen und zynisch. Deshalb ist das Gerede darum eigentlich nur ein Spielplatz nicht ernstgemeinter Parolen, durch die sich nichts ändern lässt. […] Ob wir zum Prozess hingehen? [W]ir werden es versuchen: nach München fahren, im Morgengrauen vor dem Gericht stehen, um möglichst vorn in der Schlange zu sein, mit etwas Glück hineinkommen und Beate Zschäpe live beim Schweigen zuschauen. Denn das wird sie vorrangig tun. Auch Schweigen ist ohne Zweifel reizvoll und interessant, wenn es aus ihrem Munde kommt und von den Gefechten der Anwälte flankiert wird. Also werden wir auf diese Gelegenheit nicht verzichten [und darüber hinaus] auf eine exzellente Berichterstattung durch unsere geschätzten Medienvertreter [hoffen]. Anetta Kahane, mehr auf: www.amadeu-antonio-stiftung.de – Der Prozess ist auf den 14.05.2013 vertagt.

Infos zur englischsprachigen Wander-Ausstellung, die zurzeit in New York gezeigt wird: Germany after 1945: A society confronts antisemitism, racism and neo-nazism und der Ausstellungskatalog zum Download: http://bit.ly/after1945


05.05.2013Der polnische Kafka

Eine mobile Installation im Außenbereich des Berliner Martin Gropius-Baus ist dem Leben und Sterben des Schriftstellers und Künstlers Bruno Schulz (12.Juni 1892 – 19.November 1942) gewidmet. Mit seinen in Warschau veröffentlichten Erzählsammlungen Die Zimtläden, 1934 und Das Sanatorium zur Sanduhr,1937 wird Schulz zunächst in Polen berühmt und später in neununddreißig Sprachen übersetzt. Seine galizische Heimatstadt Drohobycz (heute Ukraine) wird 1939 nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der Roten Armee okkupiert, im Sommer 1941 von der deutschen Wehrmacht erobert, und der aus Wien stammenden SS-Hauptscharführer und 'Blutordensträger' Felix Landau macht ihn zu seinem 'Leibjuden', der unter anderem Fresken in der requirierten Villa, in der Felix Landau mit seiner Familie wohnt, malen soll. Wie viele der neuen, mit unumschränkter Macht ausgestatteten Nazi-Schergen, ist Landau für seine Willkür und Grausamkeit berüchtigt: Wie Hanns Ludin beispielsweise, gefällt es ihm, wahllos in eine Menschenmenge zu ballern oder gezielt Arbeiterinnen und Arbeiter zu erschießen. Bei einer sog. Wilden Aktion werden am 19.11.1942 265 Juden in Drohobycz von SS-Mitgliedern auf offener Straße erschossen. Einer der Toten ist Bruno Schulz. – Seine Fresken werden nach Ende des 2.Weltkriegs vergessen bzw. mehrfach übermalt. Der Filmemacher Benjamin Geissler entdeckt Anfang Februar 2001 bei Recherche-Arbeiten die sog. Märchenbilder im ehemaligen Spielzimmer der Villa. In einer geheimgehaltenen Mission entfernen Mitarbeiter der Gedenkstätte Yad Vashem im Mai 2001 Fragmente der Tableaus von den Wänden und bringen sie nach Israel. Im März 2002 entnehmen ukrainische Restauratoren fünf weitere Teile, ein Vorgehen, das weltweite Diskussionen auslöst. Die Suche nach diesen Bildern hat Benjamin Geissler 2002 in seinem Film Bilder finden dokumentiert. Erstmals und nach jahrelange Bemühungen zeigt er die nunmehr zerstörte Bilderkammer des Bruno Schulz in einer rekonstruierten, maßstabsgetreuen mobilen Ausstellung, die auch vom Literaturhaus Berlin unterstützt und von einem Rahmenprogramm begleitet wird. Berlin ist 2013 Auftakt einer Tournee, die anschließend nach Polen und in die Ukraine führen wird. Der Katalog (Deutsch / Englisch) mit Beiträgen von Juri Andruchowytsch, Merima Bruncevic, Benjamin Geissler, Irina Liebmann, Agneta Pleijel und Bruno Schulz ist vor Ort erhältlich, sowie als Download unter: www.benjamingeissler.de (s. auch: Termine)

 

05.05.2013 Alfred-Döblin-Preis 2013: Der Schriftsteller Saša Stanišić (* 1978 in Visegrad, Bosnien-Herzegowina) hat den mit 10.000 Euro dotierten Alfred-Döblin-Preis 2013 erhalten und wurde von der Jury als „leidenschaftlicher Erzähler“ gefeiert. 

 

Auf der Website www.verstecktwieannefrank.de wird mit Texten, Illustrationen und Bilder auf das Schicksal jüdischer Kinder aufmerksam gemacht, die während des 2.Weltkriegs untertauchten und ihre Identitäten ändern mussten. (Buchhinweis für alle Interessierten ab 12, s. Empfehlungen)


30.04.2013 - Macht Kunst! hieß die Aufforderung der Deutschen Bank und mehr als 2.000 Künstler_innen folgten dem Aufruf, so dass eine zweite vierundzwanzig-stündige Ausstellung in der vorläufigen  KunstHalle Unter den Linden anberaumt wurde. Die Warteschlangen zeigten, wie viel Kunst in Berlin produziert wird, wie sehr es aber an Ausstellungsmöglichkeiten fehlt. Gewinner_innen sind: Nicolas Fontaine , Annina Lingens,  Lena Ader . Der Publikumspreis ging an: Radoslava Markova , für die das mindestens ein Jahr lang monatlich € 500 für die Ateliermiete bedeutet. Unter: www.r-markova.de stellt sie ihr Œvre vor.

 

 

 

 

 

© Spiegel - Radoslava Markova


 

29.04.2013 – Lotterie. Ein Losverfahren hat immer mit Schicksal zu tun: Niete oder Gewinn. Das Ergebnis ist eine Katastrophe, wenn wesentliche Voraussetzungen nicht bedacht und erfüllt werden: Hier geht es um einen der wichtigsten deutschen Prozesse gegen Neonazismus, der in Deutschland, aber vor allem international beobachtet und kommentiert werden will. Die Presselotterie für den sog. NSU-Prozess ist ein Desaster, weil er keine Transparenz, keine europäische bzw. internationale Öffentlichkeit herstellen hilft, die aber eine Grundvoraussetzung dieses Prozesses sein muss. So viele Pannen, so schreckliche Umdeutungen im Vorfeld – das Oberlandesgericht in München hat vermutlich juristisch vollkommen korrekt gehandelt, aber bisher keine Ein- und Weitsicht gezeigt. Am wenigsten Rücksicht wird auf die Angehörigen der Opfer genommen.  Einige der Sitzplatzlosen haben weitere juristische Schritte angekündigt. Besonders erbost scheinen sie zu sein, dass eine Frauenzeitschrift berichten darf und nicht die eigene Redaktion bzw. sie selbst. Bei der Zeitschrift handelt es sich allerdings nicht um irgendein "Lokalblättchen", sondern um ein mit drei - vier Mio. Leser_innen durchaus meinungsbildendes Magazin. Ignoranz der Öffentlichkeit gegenüber ist genauso fehl am Platz wie alltäglicher Sexismus. Und was Journalisten aus den großen Redaktionen von denen aus den kleineren halten, ist mit Überheblichkeit treffend umschrieben. Wir befürchten, dass das Glücksspiel. das in jeder Hinsicht ein deutsches Trauerspiel ist, weitergeht.

29.04.2013 – Detonation in Prags Altstadt. Die Divadelní-Straße ganz in der Nähe des Nationaltheaters in Prag ist mit Trümmern übersät.Vermutlich eine Gasexplosion, verursacht dur ein Gasleck, hat am Morgen über fünfzig Menschen verletzt, viele Gebäude sind beschädigt, im Umkreis zerbarsten Fensterscheiben, darunter auch die des berühmten Café Slavia. Die Polizei sperrte das Gebiet ab, evakuierte mehrere Häuser und stellte die Gasversorgung ein, nach Verschütteten wird gesucht.


24.04.2013Magnesia Literapreis: Buch des Jahres wurde der Roman Rybí krev / Fischblut des 45-jährige Schriftsteller Jiří Hájíček aus Südböhmen, der jene Zeit beschreibt, als in der Umgebung von Temelín zwecks Bau des Atomkraftwerks ganze Dörfer abgerissen und ihre Bewohner in die Neubausiedlungen der umliegenden Städte zwangsumgesiedelt wurden. Entdeckung des Jahres: der Roman Lístek na cestu z pekla / Ticket für die Reise aus der Hölle des 24-jährigen Jaroslav Žváček. Beste Übersetzung: Věra Koubová, für die Übertragung des deutschen Gedichtbands Traumsaum von Richard Pietraß ins Tschechische. Der Leserpreis ging an Kateřina Tučkovás Roman Žítkovské bohyně / Die Götinnen von Schitkowa. Bereits 2010 erhielt sie einen Magnesia Litera-Preis für ihr Buch Die Vertreibung der Gerta Schnirch. (s. hier: Kateřina Tučková)


22.04.2013: Guantánamo – schon vergessen?

Fast die Hälfte der Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo, (77 von 166, Stand: 20.04.2013) sind im Hungerstreik. Siebzehn Häftlinge werden zwangsernährt, fünf von ihnen im Krankenhaus. Der Streik begann bereits am 06.02.2013 und richtete sich vor allem gegen die miese Behandlung aufgrund der seit elf Jahren andauernden unbegrenzten Inhaftierung ohne Anklage oder Prozess. Eine Gefangenen-Revolte am 13.04.2013 führte offenbar zu „einer bewaffneten Intervention des Wachpersonals“ (Militärsprecher), in deren Folge rund sechzig Häftlinge in Einzelzellen gesperrt wurden. Vor seiner Wahl 2008 hatte Präsident Barack Obama versprochen, das international heftig kritisierte Lager, das 2002 von seinem Vorgänger George W. Bush als Militärgefängnis für Terrorverdächtige aus Afghanistan und anderen Ländern auf Kuba installiert wurde, zu schließen. Die Verlegung von Guantánamo-Häftlingen in Gefängnisse in den USA wurde allerdings bisher systematisch verhindert; der Kongress verweigerte darüber hinaus auch jegliche finanzielle Unterstützung des Plans. (afp)

 

20.04.2013 – Böhmen & Mähren bei Löcker. Das Wiener Antiquariat veröffentlichte soeben seinen umfangreichen Spezialkatalog 80 Böhmen & Mähren (Literatur, Kunst, Geschichte, Topographie und Kulturgeschichte), der mit über 1.300 Titeln durch die Vielfältigkeit des darin angebotenen Materials besticht. Der gedruckte Katalog wird auf Anfrage zugeschickt: Antiquariat Löcker, Annagasse 5, A-1015 Wien, Tel. 0043-1-5127344, Fax 0043-1-5127344 / 15, loecker@loecker.at. Eine vollständige PDF-Fassung des Katalogs findet sich unter diesem Link: http://www.loecker.at/docs/BAhmenMAhren.pdf

 

19.04.2013 - 70 Jahre, Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto (s. auch Filme - Ghettofilm - und Literatur unter: Marcel Reich-Ranicki )

Am 16. Mai vor siebzig Jahren wurde der Aufstand endgültig niedergeschlagen.

 

16.04.2013: Madeleine Albright stellte in Berlin ihr gerade auf Deutsch erschienenes, autobiografisches Buch Winter in Prag vor. Näheres unter: Empfehlungen

"Kraft der Erinnerung" - Beitrag in der Sendung "Andruck" in dradio.de

 Schulen im Protektorat - Das Leben im Protektorat Böhmen und Mähren, die nationalsozialistische Besatzung, sind Thema eines interaktiven Unterrichts für Kinder und junge Erwachsene, auf der neuen Online-Plattform: www.skolakemvprotektoratu.pamatnik-terezin.cz/. Geschärft werden soll das Bewusstsein für die Kleinigkeiten, die zu Verfolgung, gar Haft führen konnten, das Leben in einem multiethnischen Land, die Deportation der Juden, schließlich Befreiung und Vertreibung der Deutschen.

 

10. 04. 2013 - Österreichische und tschechische Anti-Atom-Aktivisten haben sich in einem offenen Brief an Petr Nečas (ODS) gegen den Ausbau des Atomkraftwerks Temelín gewandt. Selbst innerhalb der Regierung herrschten schließlich Zweifel und Uneinigkeit über den Bau von zwei neuen Reaktorblöcken. Sie verwiesen auf die verheerenden Folgen der Kernenergie für Umwelt und Mensch und den Umstand, dass es bisher weltweit noch keine Lösung für die Endlagerung des Atommülls gäbe. (čtk)

 

10.04.2013: Der Schriftsteller und Journalist, Politiker und Redner Stefan Heym – Vor hundert Jahren, am 10.04.1913 wurde Helmut Flieg in Chemnitz geboren. Als Jude musste er Deutschland verlassen, wurde in den USA der Schriftsteller Stefan Heym mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, als es nötig wurde auch Soldat der US Army, als deren Offizier er 1945 in Deutschland einmarschierte. Seine Heimkehr in das Land seiner Muttersprache begann 1952. Trotzdem schrieb er eine Zeitlang weiter auf Englisch, er hatte schon vorher erfolgreich mehrere Romane veröffentlicht, wovon The Crusaders (Kreuzfahrer von Heute) ein Bestseller war. Für die Printmedien schrieb er Deutsch – Kolumnen und Glossen, die ihn schon bald zum Objekt der Stasi machten. Für Ostdeutschland hatte er sich entschieden, weil „[wir] dem Neuen auf der Spur [sind]; wir haben es schon gepackt und werden es nicht wieder loslassen.“ In seinen späteren Romanen hat er wichtige Etappen seines eigenen Lebens und des 20. Jahrhunderts beschrieben: Schwarzenberg, Fünf Tage im Juni, Collin, Die Architekten. Der Winter unseres Mißvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant brachte die Observierung durch die Stasi nach seiner Unterstützung der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 ans Tageslicht und in die Öffentlichkeit; bereits 1988 schrieb er seinen eigenen, natürlich autobiographisch geprägten Nachruf. Den Widerspruch scheute er nicht, ob in der DDR oder als Politiker und Alterspräsident im deutschen Bundestag. Die Hetzkampagne gegen ihn – nach einem lancierten Vorwurf, selbst jahrelang Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein – war eine schlimme Entgleisung der Presse und einiger Politiker. Nach einem Jahr verließ Heym wieder den Bundestag und schrieb stattdessen weiter: Polemiken und Essays, Kurzgeschichten und Märchen. Während einer Reise nach Israel starb er am 16.12.2001 in En Bokek. (Neue Bücher: Ich aber ging über die Grenze – Frühe Gedichte, hrsg. von Inge Heym, Bertelsmann Verlag; Ich habe mich immer eingemischt, Erinnerungsband an Stefan Heym, hrsg. Therese Hörnigk, mit Beiträgen von Christoph Hein, Friedrich Dieckmann, Egon Bahr, Gerhard Schröder u..a., Verlag für Berlin-Brandenburg. © Foto: nyt.us 

 

Kolonialismus im Visier – Identität durch Vielfalt

Mit anderem Blick eine neue Geschichte erzählen: In Berlin gibt es Kulturprojekte, die außereuropäische Kulturen nicht mehr vom Zentrum Europas betrachten wollen, sondern von dessen Rändern her. Europa muss sich unter den Blicken der übrigen Welt neu definieren, diese zuallererst zulassen und aushalten. Einen Rundgang durchs Deutsche Historische Museum mit neuen Kommentaren bietet der Audio Guide: www.kolonialismusimkasten.de; das dreisprachige Online-Magazin www.contemporaryand.com weist auf Kunst und Veranstaltungen vor allem mit Afrikabezug hin; die Dokumentation der Tagung im Haus der Kulturen: www.formerwest.org, untersucht die Selbst- und Fremdbilder des Westens. Im Ethnologischen Museum Dahlem gibt es die Probebühne 1, beispielsweise die Entwicklung eines gezeigten Artefakts von seiner Herstellung bis zum jetzigen Ausstellungsort, die Zusammenlegung von Vasen aus unterschiedlichen Epochen und Kulturen, die Vergleiche ermöglicht. Lansstr.8, Dahlem, bis 12.05. Infos: www.smb.museum


08.04.2013 - Anlässlich des Internationalen Roma-Tages wurde eine Analyse der Regierungsagentur für soziale Integration von 6.300 Berichten veröffentlicht. Ergebnis der Studie: Zum schlechten Image der Roma in Tschechien tragen in erheblichem Maße die Medien bei. Meist wird über Roma nur im Zusammenhang mit Kriminalität berichtet. Damit werden Stereotypen und Klischees ständig neu geschaffen, wiederholt und verfestigt, Assoziationen geweckt, auch wenn es gar nicht um Kriminalität gehe. Die Studie bemängelt erneut die Lebensbedingungen der Roma, die von der Mehrheitsgesellschaft billigend in Kauf genommen, oft sogar begrüßt wird: ihre zunehmende Ghettoisierung und eklatante Armut. Von den etwa 200.000 tschechischen Roma leben rund ein Drittel in isolierten, mittlerweile ca. vierhundert Armen-Ghettos mit einer Arbeitslosenquote von nahezu 100 Prozent. Laut Amnesty International leben acht von zehn Roma an der Armutsgrenze, nur einer von sieben erreicht – als Folge anhaltender Diskriminierung – einen Schulabschluss. Amnesty-Sprecher John Dalhuisen fordert, dass die EU sofort Maßnahmen ergreifen und diejenigen Mitgliedsländer mit Sanktionen belegen müsse, die bei der Verhinderung von Gewalt und Diskriminierung gegen Roma versagen, und hat auch Tschechien im Blick. Dort würden Roma systematisch im Bildungssystem diskriminiert – das widerspreche sowohl der nationalen Gesetzgebung als auch der EU-Legislative. Als positives Beispiel wird die sog. Brünner Bronx hervorgehoben, ein hauptsächlich von Roma bewohntes Armenviertel, indem sich durch Engagement von Sozialinitiativen und Investitionen der Stadt die Verhältnisse in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert haben. (čtk)

 

Stavovské Divadlo /‚Ständetheater‘ feiert 230. Geburtstag

Das als (deutsches) Nationaltheater im klassizistischen Stil erbaute und am 17. April 1783 mit Lessings Emilia Galotti eröffnete Ständetheater in Prag vereinte – und entzündete – in seiner 230-jährigen Geschichte wie kaum eine andere künstlerische Stätte in Prag die Widersprüche der Zeit zwischen Aufklärung, Revolution und Restauration, Adel und Bürgertum, Deutschen, Juden und Tschechen. Mozart feierte hier Triumphe, die ihm anderswo zunächst versagt blieben, die Prager Musikliebhaber liebten Mozart und der liebte Prag und hielt sich, auch wegen vielfältiger Förderung, gerne in der Stadt auf. Iffland, Raimund und Nestroy spielten auf der Bühne, Paganini begeisterte mit seiner Violine, Mahler leitete (und dirigierte) wie Goldmark, Anton Rubinstein, von Weber zeitweise das Theater und bestimmte das Musik-Repertoire. Seine bewegte Geschichte spiegelt sich auch in der Namensgebung wider: erbaut als Nationaltheater, ab 1798 als Královské Stavovské Divadlo / Königliches Ständetheater geführt, als Reaktion auf tschechische Ansprüche an die Spielstätte ab 1862 Königlich Deutsches Stadttheater genannt und ab 1920, nach antideutschen und antijüdischen Ausschreitungen, als neues tschechischsprachiges Haus in Stavovské Divadlo /‚Ständetheater‘ umbenannt und als eine Nebenbühne des Prager Nationaltheaters / Národní divadlo genutzt, die es auch heute noch ist. Ab 1948 – 1990 hieß es Tylovo divadlo (nach dem tschechischen Dramatiker Josef Kajetán Tyl), nach seiner Restaurierung von 1982 – 1990 bei seiner Wiedereröffnung erneut Stavovské Divadlo /‚Ständetheater‘. Aus Tyls Stück Fidlovačka, das 1934 im Theater uraufgeführt wurde, stammte auch ein Lied Kde domov můj, das alsbald tschechische Nationalhymne wurde. In Erinnerung an die Uraufführungen der Mozart-Opern Don Giovanni (Oktober 1787) und Le Clemenza di Tito (September 1791) werden hier regelmäßig seine Werke aufgeführt. In einem der touristischen Hot spots der Prager Theaterlandschaft gibt 664 Sitzplätze und 20 bis 40 Stehplätze.


01.04.2013 – Heute im Osten, ein neues TV-Magazin im MDR zur Zeitgeschichte und Osteuropa startet am 14.04.2013 um 16.05 Uhr. Dauergäste sind Tschechiens berühmteste Holzköpfe, das Marionetten-Duo Spejbl und Hurvínek, In jeder Fernsehsendung liefern sie ihre ganz eigene Prager Botschaft von jenem Balkon der deutschen Botschaft, der 1989 durch den Auftritt des damaligen Bundesaußenministers Hans Dietrich Genschers berühmt geworden ist (dtpa/mt).

 

Seit diesem Monat ist die Zeitschrift Bohemia unter folgender Adresse im Open Access präsent: http://bohemia.digitale-sammlungen.de

 

31.03.2013: Anmeldung zum NSU-Prozess – Eine Farce

Wer Akkreditierungsabläufe kennt, weiß, dass bestimmte Auflagen erfüllt sein müssen und wie schwierig diese Prozedur sein kann. In diesem Fall, dem Prozess gegen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrund, sorgt die Vergabe-Politik des Gerichts in München für berechtigte Aufregung. Die für die Presse zur Verfügung gestellten fünfzig Plätze waren innerhalb von knapp drei Stunden vergeben. Neben Fragen nach dem technischen Ablauf der Zugangsmöglichkeiten (viele regionale Medien sind unter den ersten Fünfzig, europäische/internationale sind fast nicht vertreten), lässt dieser wichtige Prozess schon im Vorfeld die nötige Sensibilität vermissen, denn dem Gericht musste das weltweite Interesse, speziell das der türkischen Medien, bekannt sein. Immerhin hatten sieben der Mordopfer türkische Wurzeln, als verhasste Ausländer würden sie von der NSU umgebracht. (NSU klingt übrigens sehr verharmlosend. Bekannt als die Abkürzung des Stadtnamens Neckarsulm wurde sie im Nachkriegsdeutschland vor allem bekannt durch die dort ansässigen NSU-Motorenwerke und den dort bebauten Motorrädern und Autos, die wegen ihrer ausgefeilten Technologie weltberühmt wurden, in der Nachfolge entstanden mehrere Audi-Typen).

Das Gericht hat es geschafft, de facto europäische und internationale Medien auszuschließen. Nachtrag 15.04.2013: Nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts, das über den Eilantrag der türkischen Zeitung Sabah zu entscheiden hatte, musste das Oberlandesgericht nun mind. drei feste Plätze für ausländische Medien bereitstellen. Heute gab es bekannt, den Prozess auf den 06.05.2013 zu verschieben und ein neues Akkreditierungsverfahren einzuleiten. Nun wird irgendwann gelost...

 

Am 31.03. vor fünfundsechzig Jahren starb der rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Er begann 1906 als Lokalreporter für die Prager Zeitung Bohemia, bei  

der er bis 1913 blieb, und wurde mit seinen literarischen Reportagen, die er auf seinen Streifzügen durch die Welt und die Milieus schrieb, zur Journalisten-Legende. Mit seiner Maxime: Nichts ist erregender als die Wahrheit beschrieb er mit unbestechlichem Blick – und einem Überschuss an Witz und Ironie! – gesellschaftliche Wirklichkeit, und die Aufforderung Schreib das auf, Kisch! war lebenslanger Motor seiner journalistischen Arbeit. Als bekennender Kommunist stellte er sich aber auch gegen Kritiker, etwa der Moskauer Prozesse 1936/37, des Hitler-Stalin-Paktes, des wachsenden Stalinismus in der Partei, weil er glaubte, nur die Einheit aller Kommunisten könne den Nationalsozialismus besiegen. Sein letztes Exil, in Mexico, verließ Kisch 1946 und wurde in Prag zum gefeierten Heimkehrer. Von sich selbst sagte er: Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus gutem Hause. Ich bin Kommunist. Ich bin Corpsbursch. Etwas davon hilft mir immer. (in: Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch). Ob ihm diese Selbsteinschätzung in der gerade aufbrechenden neuen Zeit, vor allem nach der sog. Aussiedlung aller Deutschen und der späteren Machtübergabe an die Kommunisten, geholfen hätte, ist mehr als fraglich. Die Brisanz seiner Berichte, die stilistische Klarheit und unkonventionelle Themenwahl, seine Leidenschaft für Geschichten und Begegnungen mit Menschen, nicht zuletzt seine Selbststilisierungen, hätte ihm, der sich selbst immer auch als Weltbürger verstand, das Leben und Schreiben wohl zunehmend erschwert. Als Antifaschist, dessen Bücher bereits 1933 verbrannt worden waren, war sein Werk während des Kalten Kriegs im Westen verpönt bzw. nahezu unbekannt, im Osten (Kisch konnte man nur in der DDR in Buchhandlungen finden) nur zensiert erhältlich. Im Aufbau-Verlag erschien von 1960 - 1985 eine elfbändige Gesamtausgabe, die in den 1990er Jahren in zwölf Bänden neu aufgelegt wurde. Sein vielschichtiges Werk wurde öffentlich bekannter, sodass eine intensive Beschäftigung mit einem der schillerndsten (und widersprüchlichsten) Exilautoren erst möglich wurde. Von 1977 - 2004, jeweils an Kischs Geburtstag am 29. April, wurde der Egon-Erwin-Kisch-Preis, eine Auszeichnung für die beste journalistische Arbeit des jeweiligen Jahres, verliehen (ab 2005 umbenannt in: Henri Nannen-Preis für Reportage). Foto: Christian Schad, EE Kisch, 1928

 

25. 03. 2013 - Der Internationale Preis für Menschenrechte wird künftig den Namen des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten und Bürgerrechtlers Václav Havel tragen. Ein entsprechender Vertrag wurde in Prag von Vertretern der Václav-Havel-Bibliothek, der Stiftung Charta 77 und des Europarates unterzeichnet. Die Auszeichnung wird erstmals im Oktober und danach jährlich an Einzelpersonen oder Vereine vergeben, die sich in besonderer Weise für Menschenrecht eingesetzt haben, und ist mit 60.000 Euro dotiert. Er ersetzt den Menschenrechtspreis, der seit 2007 alle zwei Jahre vom Europarat verliehen wird. Der Ende 2011 verstorbene Havel hatte sich Zeit seines Lebens für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt und gehörte zu den Initiatoren der Charta 77. (čtk)

 

20. 03. 2013 - Im November 2007 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass die Tschechische Republik das Recht der Roma-Minderheit auf gleiche Bildungschancen verletze. Achtzehn Roma-Jugendliche aus Ostrava hatten gegen den Staat und dessen Praxis, Roma-Kinder in Sonderschulen für geistig Behinderte (euphemistisch praktische Schulen genannt) einzugliedern, geklagt. Auch fünf Jahre danach hat sich daran nichts geändert. Die im Juni 2012 gegründete Initiative von Roma-Studenten und -Intellektuellen fordert nun in einer Petition an Regierung und Bildungsministerium bessere Bildungsmöglichkeiten für Roma, also gleiche Chancen auf Bildung und keine Ausgliederung aus dem gängigen Lehrsystem. Laut Angaben der Tschechischen Schulinspektion stellten Roma im vergangenen Schuljahr rund 26,4 Prozent aller Schüler an praxisorientierten Schulen, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt allerdings gerade zwei Prozent. Bereits im Februar hatte der Europarat die tschechische Regierung dazu aufgerufen, die Stellung der Roma in der Gesellschaft durch eine Umgestaltung der Schulen zu verbessern. Regierungsvertreter und Lehrer stritten über den Umgang mit der Diskriminierung. Die Regierungsstrategie Kampf gegen soziale Ausgrenzung erwog die Abschaffung der praktischen Schulen bis 2015, wurde jedoch mehrheitlich als nicht umsetzbar zurückgewiesen. (čtk)

  

15.03.2013 - Iva Procházková erhält in Leipzig den Kinder- und Jugendpreispreis Luchs für ihren Roman Orangentage, der von einer tschechischen Kindheit erzählt, in der es zunächst mehr Tragödien gibt als Lichtblicke. Einfühlsam, wie immer mit viel Sinn für Atmosphären und genaue Porträts, beschreibt die bereits mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin die Geschichten eines Sommers, in dem es um Leben und Tod geht, um Freundschaft und Liebe, und um die Erkenntnis, dass es Schwarz und Weiß gar nicht gibt und wie schwierig es oft ist, richtig und falsch zu unterscheiden und danach zu handeln. (s. hier auch: Iva Procházková)

  

15.03.2013 - Der Binooki-Verlag erhält im Rahmen der diesjährigen Leipziger Buchmesse den Kurt-Wolff-Förderpreis, weil er sich – so die Begründung der Kurt-Wolff-Stiftung – „facettenreich und mit großer Lust an Entdeckungen der türkischen Literatur annimmt und dabei demonstriert, wie sich türkische und deutsche Kultur ganz ohne Klischees miteinander in Verbindung bringen lassen“. Unter dem Motto: Achtung! Klischeefreie Zone hat der Verlag in nur einem Jahr zehn schön gestaltete, sehr lesenswerte Bücher herausgebracht. Infos über Verlag, Bücher und Shop (es geht auch ohne Amazon!): www.binooki.com


14.03.2013 - Der Preis der Leipziger Buchmesse geht an David Wagner für seinen Roman Leben. Den Preis für das beste Sachbuch erhält Helmut Böttiger für die Darstellung der Schriftstellervereinigung Die Gruppe 47, den für die beste Übersetzung Eva Hesse für Ezra Pound: Cantos/Die Cantos. Der Preis der Literaturhäuser (aus der Schweiz, Österreich und Deutschland) geht an den Schauspieler und Autor Hanns Zischler.

 

08.03.2013 – Miloš Zeman hat seinen Amtseid als tschechischer Präsident abgelegt. In seiner Antrittsrede versprach er, gegen Rechtsextremisten vorzugehen und die Korruption zu bekämpfen. Außerdem kritisierte er erneut die tschechischen Medien, die „die öffentliche Meinung manipulieren“. Schon als Premierminister hatte er die Presse immer wieder heftig angegriffen, vor allem die Wochenzeitschrift Respekt, und wiederholte seinen Rundumschlag auch im Wahlkampf um das Präsidentenamt. Auf Facebook melden sich jetzt nach seiner Rede die angegriffenen Journalisten zu Wort und werfen ihm ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie vor. Zeman hatte immer wieder betont, dass er die engen Grenzen seines Amtes erweitern und - anders als seine Vorgänger Václav Havel und Václav Klaus - sehr viel mehr in die Tagespolitik eingreifen wolle.

 

03.03.2013, Demonstration von rund 6.500 Menschen in Berlin gegen den Abriss der East Side Gallery. Die Wall Parade richtete sich nicht nur gegen die mutwillige Zerstörung eines sowohl historisch wie künstlerisch wichtigen Denkmals, das als Kulturerbe anerkannt und weltbekannt ist. Es ging auch um den Ausverkauf von Immobilien und Grundstücken an Investoren, die ganze Stadtviertel nach ihren Interessen verändern, gegen die "Herrschaft des Geldes" über die Geschichte und Identität einer Stadt. s.: Upper East West Side

 

02.03.2013: Berlin-Gentrifizierung – Zwar verstößt der Investor mit dem Bau eines 65 m hohen Turmes im Gebiet der Mediaspree gegen das erfolgreiche Votum des Volksentscheids von 2008, wonach dort überhaupt keine Hochhäuser gebaut werden sollen, in dem er es einfach ignoriert, aufzuhalten ist er nicht. Der Versuch des Abrisses der East Side Gallery konnte am 01.03. gestoppt werden, verhindern lässt er sich vermutlich nicht. Es geht um ein sehr exklusives Wohnprojekt: 36 „bezahlbare“ Wohnungen sollen entstehen explizit für Berlin-Liebhaber, Eigentümer und Investoren. Man wirbt schamlos mit dem, was man gleichzeitig zerstören wird. Wohnungsnot haben schließlich nur Loser.

Die  markigen Sprüche von Eroberern gehen so: Wir machen, was wir wollen und lassen uns nicht aufhalten.  "Let´s stop limiting our lives. Let´s push things forward. 15 floors surpassing expectations. Welcome to Living Levels. 

           

Situationsbeschreibung/dpa


East Side Gallery, 01.03.13/dpa

 

Die Mauer soll weg/dpa

 

Neues Investment/Werbung

A declaration of independance. Levels is leaving behind conventional ideas. Instead, it promotes new standards and establishes a new freedom. In the heart of Berlin right on the banks of the river Spree, surrounded by th most exciting hot spots Berlin currently has to offer, Level is creating one of the most stunning and spectacular buildings of our time. It´s a totally new dimension of live and living: it´s unique, confident and without compromise!"

 

27.02.2013 - Stéphane Hessel ist tot

Der französische Schriftsteller, Diplomat, einstige Widerstandskämpfer und KZ-Überlebende starb mit fünfundneunzig Jahren. Seine beiden Streitschriften Empört euch! und Engagiert euch! hatten ihn 2010/11 weltberühmt gemacht. (s. hier auch: Empört euch!)

1917 in Berlin geboren, lebte er ab 1924 die meiste Zeit seines Lebens in Paris. 1937 wurde er französischer Staatsbürger, schloss sich als Student in London der Résistance an und wurde 1944 als Agent in Frankreich von den Deutschen geschnappt und ins KZ Buchenwald gebracht, aus dem er nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen schließlich entkam. (s. hier unten: Nachruf auf Jorge Semprun). Als Diplomat arbeitete er am Text für die UN-Menschenrechtserklärung mit, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Er war UN-Botschafter in Genf und während der Amtszeit von François Mitterrand im Außenministerium tätig. (Foto: afp)


Unter  www.hkw.de/anthropocene kann man alle Diskussionen des Anthropozän-Projekts im Berliner Haus der Kulturen auf You Tube ansehen.

 

  

21.02.2013 – Pussy Riot´s Punk Gebet und seine Folgen

Am 21.02.2012 wurde die russische Punk-Band Pussy Riot mit ihrem Auftritt in der Erlöserkirche weltberühmt, zwei Frauen wurden im Sommer zu Lagerhaft verurteilt. Die inhaftierte Maria Aljochina nahm vor einem Zivilgericht Stellung zu den Tadeln, die sie von der Lagerleitung erhalten hatte und zu den Haftbedingungen in Russlands Lagern allgemein:

[…] Ich bin vors Gericht gezogen für alle, die rechtlos sind, für alle, die sprachlos sind, für alle, die sprachlos gemacht wurden von denen, die Macht haben. Und ich glaube, dass diese meine Tat irgendwie von Erfolg gekrönt sein wird, und dass wir in diesem Prozess siegen werden[…] Der Philosoph Heidegger sagte, die Sprache sei das Haus des Seins. Das Sein in der Sprache des Strafvollzugs, der Sprache von Verordnungen, Strafen und Akten, ist ein Albtraum. Und ich fühle das bei diesem Gerichtsprozess, ich gehe hier ein. Ich brauche Selbstentfaltung, ich muss meine Berufung ausleben können. Ich will so schnell wie möglich raus kommen und endlich all das tun.[...] Dank diesem Prozess, dank dieser Woche, die ich durchlebt habe, werden es die Mitarbeiter der Verwaltung vielleicht begreifen: Wir sind Menschen und Gefangenenkleidung tut nichts zur Sache. Wir sind Menschen. Das ist alles. (Aus dem Russischen von Pavel Lokshin; Auszüge der Rede vor Gericht aus: www.n-ost.org


 

 

Otfried Preußler, *1923 in Reichenberg / Liberec, starb neunundachtzig-jährig am 18.02.2013 in Prien am Chiemsee. Viele seiner Vorfahren waren Glasmacher, seine Eltern Lehrer. Der Vater, Josef Syrowatka, änderte 1941 seinen Nachnamen in Preußler und war nebenbei Heimatforscher und Volkskundler, der Sagen des böhmischen Teils des Isergebirges zusammentrug. Otfried Preußlers Geschichten basieren wesentlich auf Erzählungen seiner Großmutter Dora, die viele böhmische Volkssagen kannte. Er besuchte die Rudolphschule in Reichenberg. Seine Lieblingsfächer waren Deutsch und alle Fremdsprachen. Als Berufswunsch gab er Professor für deutsche Landesgeschichte an der Karlsuniversität in Prag an. Nach Krieg und Gefangenschaft wurde er Lehrer im bayrischen Rosenheim und begann 1956 zunächst nur nebenher zu schreiben. Insgesamt schrieb er 32 Kinder- und Jugendbücher mit einer deutschsprachigen Gesamtauflage von über 15,2 Millionen Exemplaren. Seine Geschichten liegen in rund 275 Übersetzungen und 55 Sprachen vor. 

 

 

 

 

19.02.2013 - Angaben der Teheraner Presse zufolge hat das iranische Kultusministerium die Produktion des Films Geschlossener Vorhang / Pardé von Jafar Panahi als „illegal“ bezeichnet und auch wegen der Aufführung und der Auszeichnung bei der Berlinale Protest eingelegt. Laut einem Bericht der iranischen Nachrichtenagentur Isna protestierte der stellvertretende Kulturminister Dschawad Schamakdari bei den Organisatoren des Filmfestivals. Die Regierung sei der Auffassung, dass die Macher des Festivals „ihr Verhalten korrigieren müssten“. „Alle Welt weiß, dass es einer Genehmigung bedarf, um einen Film zu machen und ihn ins Ausland zu schicken", erklärte Schamakdari weiter. Nun drohen dem iranischen Filmemacher Jafar Panahi neuerliche juristische Auseinandersetzungen und Repressalien. Die sechsjährige Haftstrafe wurde nach seinem Hungerstreik und weltweiten Protesten ausgesetzt, über das zwanzigjährige Arbeitsverbot hat er sich bereits 2011 mit seinem in Cannes gezeigten Film This is not a film und nun mit dem nach Berlin geschmuggelten hinweggesetzt. (dpa)

   

63. Internationale Filmfestspiele Berlin 2013

Der Goldene Bär ging an Calin Peter Netzers Psychodrama Die Stellung des Kindes / Pozitia Copilului. Erstmals in der Geschichte der Berlinale wurde ein rumänischer Film mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Erzählt wird von einer reichen Frau, die ihren Sohn mit allen, hauptsächlich finanziellen, Mitteln vor dem Gefängnis bewahren will, nachdem dieser ein Kind totgefahren hat. Es geht um Abhängigkeiten, Manipulation, Korruption von Individuen und innerhalb einer Gesellschaft, die ihre Hierarchien und Wertvorstellungen geformt und Sieger und Verlierer kreiert hat. 

Die internationale Jury unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai ( In The Mood For Love ) vergab insgesamt vier Preise an osteuropäische Filmkünstler. Neben dem Goldbären für Netzer gab es gleich zwei Auszeichnungen für das halb-dokumentarische Drama Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers / Epizoda u zivotu beraca zeljeza von Oscar-Preisträger Danis Tanovic (No Man's Land) aus Bosnien-Herzegowina. Der Große Preis der Jury: Danis Tanović (und von vielen – Publikum und Kritik – vorab als Goldener-Bär-Gewinner gehandelt). Sein Hauptdarsteller, der Roma Nazif Mujić wurde mit dem Preis als bester Schauspieler geehrt. Mujić spielt in dem Film eine reale Episode aus dem Leben seiner Familie nach. Weil die Familie nicht krankenversichert ist und die Krankenhausbehandlung für Senada, seine Ehefrau, nicht bar zahlen kann, stirbt sie fast an den Folgen einer Totgeburt. Tanović las in der Zeitung davon und hat mit einem Budget von 17.000 Euro, acht Leuten am Set und der Roma-Familie einen der eindringlichsten Film der Berlinale vorgelegt.Den Silbernen Bären für das beste Drehbuch verlieh die Jury dem in seiner Heimat verfolgten iranischen Regisseur Jafar Panahi. Sein Film Geschlossener Vorhang /Pardé erzählt beeindruckend, was es bedeutet, als Filmemacher nicht arbeiten zu können. Es ist eine vielschichtige Parabel über Fiktion und Realität, Kreativität und Zwang, Sie zeigt die Anwesenheit von Politik ohne sie je explizit zu erwähnen; Brennpunkt ist der Umgang mit einer Wirklichkeit zwischen gedanklicher Freiheit und Begrenzung, zwischen einem Leben vor und hinter Mauern. Dem mit 20-jährigem Arbeitsverbot belegten (und von sechsjähriger Haft bedrohten) Panahi war die Reise nach Berlin zum zweiten Mal nicht erlaubt worden. (s. hier auch: Jafar Panahi). 

27. Teddy Awards: Der sehenswerte polnische Wettbewerbsfilm W imię... / In the Name of... von Małgośka Szumowska, der das, nicht nur in Polen, heikle Thema von Religion, Priesteramt und Homosexualität thematisiert, bekam den Teddy Bester Spielfilm 2013; den Teddy Jury Award erhielt: Concussion von Stacie Passon. Thema: Was macht Paar, wenn es - wie der Teddy - in die Jahre gekommen ist und sich nach zwanzig Jahren Beziehung zu langweilen beginnt... Bester Dokumentar-/Essayfilm 2013: Bambi von Sébastien Lifshitz. Eine berührende Transgender-Geschichte eines Jungen aus Algerien, der Frau wird und zeitlebens – lange vor allen Emanzipationsbewegungen – um Selbstbestimmung kämpft, nicht verbissen, aber gewitzt und beharrlich. Bester Kurzfilm: Ta av mig / Undress Me von Victor Lindgren (Alle Preise und weitere Infos: www.berlinale.de)

 

 

14.02.2013, One Billion Rising

 

Jede dritte Frau auf der Welt wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Vergewaltigungen, Schlägen, Misshandlungen. Anschläge sind keine Ausnahmen, sie passieren täglich. Der Mord an einer indischen Studentin hat es uns gerade erst auf entsetzliche Weise vor Augen geführt. Die ständige unterschwellige Gefahr schränkt zudem alle Frauen in ihrer Freiheit ein: in dem, was wir anziehen, wohin wir gehen, wie wir uns verhalten. Gegen dieses schreiende Unrecht will die internationale Bewegung V-Day ein Zeichen setzen und ruft alle Frauen (und Männer) weltweit dazu auf, am 14. Februar 2013 auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren und zu tanzen. Infos zu Orten und Treffpunkten: www.onebillionrising.org

 

Auf der Seite on this day 80 years ago http://www.onthisday80yearsago.com erlebt man jeden Tag des Gustav Wächter im Jahr 1933, nimmt teil an seinem Leben und das seiner Familie, seiner Arbeit und Freizeit und an den allmählichen oder abrupten Veränderungen im Alltag.

 

26.01.2013: Miloš Zeman hat die Präsidentschaftswahl in Tschechien gewonnen. Er erhielt etwa 55% der Stimmen und setzte sich damit in der Stichwahl gegen Außenminister Karel Schwarzenberg durch, der nur auf 44% kam. Er wurde wohl auch als Mitglied der gegenwärtigen Mitte-Rechts-Regierung abgestraft, die die Steuern erhöht und Sozialausgaben gekürzt hatte. Einen Sturm der Entrüstung löste er allerdings mit seinen Bemerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus (s.u.). Wer geglaubt hatte, Ressentiments wären in den letzten Jahren minimiert und entschärft worden, konnte sich von den nationalistischen Tönen, die überall, vor allen in den Medien, zu hören waren, eine Besseren belehren lassen. Die Vereidigung zum Präsidenten findet am 8. März statt.


www.frauentreff.cz möchte deutschsprachigen Frauen, die neu in Prag sind, helfen, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, Kontakte herzustellen und sich zu gemeinsamen Aktivitäten anzumelden. Zahlreiche praktische Tipps und Hinweise sollen den „Tschechien-Einstieg“ erleichtern. Rund 2.500 Deutsche leben in der Stadt. Wer aus beruflichen Gründen nach Tschechien kam, hat meist Unterstützung der Unternehmen, die ihnen bei Behördengängen, dem Ausfüllen von Formularen behilflich sind. Soziale Kontakte außerhalb des Arbeitsplatzes zu knüpfen, ist allerdings oft schwer. Das Netzwerk will Abhilfe schaffen und die Integration in den tschechischen Alltag erleichtern.  

  

22.01.2013: Schuld, Scham, Verdrängung – anlässlich einer deutschen Diskussion über Antisemitismus und den Film Hannah Arendt.

Vielfach wird die Sorge geäußert, dass, wenn nicht oft, nicht intensiv genug daran erinnert wird, sowohl die Shoah als auch der Zweite Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Diese Sorge teile ich nicht. Im Gegenteil. Manchmal kann ein Zuviel am Ende ein Zuwenig hervorrufen. [...] Jeder Vergleich verbietet sich zwar – aber auch die Kreuzzüge hat man nicht vergessen, ungeachtet des individuellen Interesses an Geschichte. Deshalb ist die anstehende Frage nicht ob, sondern wie Shoah und Zweiter Weltkrieg bei den nächsten Generationen nachwirken werden. Etwa in der Generation eines Jakob Augstein [...] Wenn wir seinen Namen – aus aktuellem Anlass – beispielhaft nennen wollen. Damit dieses Nachwirken für diese und folgende Generationen überhaupt möglich sein kann, müssen sie die Last dieses Teils ihrer Geschichte auch ertragen können. Dafür brauchen sie Luft zum Atmen. Etwas, was die hierzulande vorherrschende Gedenk- und Erinnerungskultur kaum zulässt. Es gibt viele Menschen – und vielleicht ist Jakob Augstein einer von ihnen – , die eine solche Einsicht und Erkenntnis kaum ertragen können. So versuchen sie – egal mit welchen Mitteln – diese beängstigende Einsicht wieder zu verdrängen. Dafür werden Ventile gesucht und gefunden, um in die Mottenkiste jahrtausendealter Vorurteile zu greifen. [...] Margarethe von Trottas Film [über: Hannah Arendt] berührt also auch eine gegenwärtige Debatte. […] Die Frage, ob Eichmann ein Monster oder, wie Hannah sagt, ein „Hanswurst“ war, [stellt] sich ganz grundsätzlich, sie [gilt] in allen Kulturen und allen Ländern. Es ist eine Frage nach unserem Menschenbild. Es ist diese Frage, die nach den Vorgaben des politischen Systems einem bestimmten Typus den Aufstieg ermöglicht. Diese Einsicht löst deshalb große Ängste aus, weil sie – per definitionem – jeden von uns betrifft oder betreffen kann. (Aus einem Interview mit Edna Brocke, Großnichte von Hannah Arendt und bis 2011 Leiterin des Kulturhauses Alte Synagoge Essen, www.faz.net

  

18.01.2013 – Wer online über Peter Handke (u. a. Prager Franz Kafka-Preisträger) forschen möchte, kann das mit der neuen, allgemein zugänglichen Forschungsplattform der Österreichischen Nationalbibliothek tun: www.handkeonline.onb.at. Sie bietet zahlreiche Materialien von und zu Handke.

 

17.01.2013Karel Schwarzenberg, tschechischer Außenminister und einer der beiden Präsidentschaftskandidaten, ist liebenswürdig und charmant, aber er kann auch poltern und austeilen. In einem streitbaren Fernsehduell mit dem Gegenkandidaten Miloš Zeman traute er sich etwas, was sich vor ihm in dieser Schärfe in der Medienöffentlichkeit noch keiner getraut hatte. Er bezeichnete die Vertreibung der Deutschen nach 1945 als „schwere Verletzung der Menschenrechte“ und setzte noch nach: „Heute würde sich die Regierung, einschließlich des Präsidenten Beneš, wahrscheinlich in Den Haag [Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs] befinden.“ Der Gedanke der Kollektivschuld, der die Beneš-Dekrete durchziehe, habe eine differenzierte Betrachtung verunmöglicht. Nicht alle Deutschen seien Verräter gewesen. Tschechoslowakische Soldaten deutscher Nationalität hätten an der Mobilisierung 1938 teilgenommen, es gäbe viele sudetendeutsche NS-Opfer zu beklagen. Das werfe er „unseren Vorfahren vor. Wir haben nicht berücksichtigt, ob jemand loyal zur Republik stand oder gegen sie verstoßen hat.“ Wie bereits Václav Havel benutzte Schwarzenberg die Formulierung, dass die tschechische Gesellschaft nach dem Krieg vom „Bazillus des Nazismus“ infiziert gewesen sei. Auch wenn die Beneš-Dekrete seit der Aufnahme der Deklaration der Grundrechte und -freiheiten in die tschechische Verfassung 1993 keine Gültigkeit mehr hätten, seien sie dennoch „grundlegender Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung“, entgegnete Zeman. Sie seien immer noch gültig, wenn es etwa um Restitutionsverfahren ginge. Allerdings spricht sich auch Schwarzenberg gegen jegliche Rückgabe von Eigentum an die Deutschen aus. Ob das heikle Thema als Verbalattacke gegen seinen Kontrahenten dem gewieften Politiker Schwarzenberg eher geschadet als genutzt hat, wird sich noch zeigen. Junge TschechInnen beispielsweise sind an dieser alten Geschichte entweder gar nicht interessiert oder auf eine ganz neue und unverbrauchte Weise.

 

15.01.2013: Marjana Gaponenko erhält den mit 15.000 Euro dotierten Adelbert-von-Chamisso-Preis 2013. Mit ihrem Roman Wer ist Martha?(Suhrkamp) habe sie einen "neuen, aufregenden Ton" in die deutschsprachige Gegenwartsprosa gebracht, so die Jury. Förderpreise gehen an Matthias Nawrat, *1979 in Opole (Polen) und Anila Wilms, * 1971 in Tirana (Albanien). Marjana Gaponenko, * 1981 in Odessa (Ukraine), studierte dort Germanistik und lebt heute in Mainz. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr schreibt sie auf Deutsch, so die Medieninformation. - Die diesjährigen Förderpreise in Höhe von jeweils 7.000 Euro gehen an Matthias Nawrat für seinen Roman Wir zwei allein (Verlag Nagel & Kimche) und an Anila Wilms für ihr deutschsprachiges Debüt Das albanische Öl oder Mord auf der Straße des Nordens (Transit Verlag). Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ehrt die Robert Bosch Stiftung herausragende Beiträge zur deutschsprachigen Literatur von Autoren, deren Werk von einem Sprach- oder Kulturwechsel geprägt ist. Der Preis ist damit der einzige seiner Art in Deutschland.

 

19.01.2013: Košice – Kulturhauptstadt Europas 2013, offizielle Eröffnung des Festivals mit Musik, Literatur, Kunst, Theater und Film. Das Programm K.A.I.R. (Košice Artist in Residence, www.kair.sk) hat zu mehrmonatigen Aufenthalten eingeladen und schickt lokale Künstler in internationalen Residenzen, um die Stadt langfristig in den europäischen Kunstnetzwerken zu etablieren und eine Plattform für zeitgenössische Kunst zu schaffen. Weitere Informationen: www.kosice-2013.sk

 

09.01.2013 - Tschechen und Slowaken 20 Jahre Zusammenarbeit zweier unabhängiger Staaten in EU und Nato. Seit dem 01.01.1993 gibt es die beiden selbständigen Staaten der Tschechischen und der Slowakischen Republik. Die anlässlich dieses Jubiläums in Prag durchgeführte Konferenz hob die Bedeutung dieses Ereignisses für beide Staaten und die mögliche Vorbildfunktion für Europa hervor. Zum einen trügen die Tschechen und Slowaken ihre staatliche Trennung mit Humor & Fassung und seien sich auch wieder näher gekommen. Pavol Paška, der Vorsitzende des slowakischen Nationalrats, hatte die Idee, die Milan Štěch, der Vorsitzende des tschechischen Senats aufgriff: „Von der Teilung der Tschechoslowakei werden die Historiker eines Tages vor allem einen Aspekt hervorheben: Dass beide Völker, die sehr friedlich auseinandergingen, gleich danach begonnen haben, intensiv zusammenzuarbeiten, sowohl auf bilateraler Ebene als auch im Rahmen verschiedener Organisationen. Mit der Vertiefung der europäischen Integration hat die Zusammenarbeit unser Länder noch an Qualität gewonnen.“ Pavol Paška erinnerte an die gemeinsame Geschichte seit 1918, die sowohl für Selbstfindung als auch Herausbildung einer eigenen nationalen Identität notwendig gewesen sei. Das gelebte Miteinander beider Völker könne darüber hinaus gerade heute Vorbild für manches Problem in der Europäischen Union sein: „...nicht nur aufgrund der völlig natürlichen und gewaltfreien politischen, wirtschaftlichen und sozialen Teilung unserer damaligen tschechoslowakischen Föderation. Die Teilung unseres Staates ist vielmehr für Europa ein klares und vernünftiges Beispiel dafür, wie man Dinge lösen kann.“ Er behauptete sogar, dass diese Teilung der Europäischen Union als Leitfaden dienen könne. „Wir haben Europa nicht nur ausgezeichnetes Bier, tolles Eishockey, eine einzigartige Kultur und sehr schöne Frauen zu bieten, sondern wir bieten auch eine Vision, wie das Europa der Zukunft aussehen könnte. Dieses Europa muss auf gegenseitigem Vertrauen, Nähe, Selbstvertrauen und auf spontaner zwischenmenschlicher Zusammengehörigkeit basieren. Das sind die Dinge, die stets unsere beiderseitigen Beziehungen geprägt haben.“ (čtk). Offen blieb, welche „Dinge“ er in Europa mit Teilung lösen möchte, und welche Frauen er Europa bereits anbietet bzw. wie er sie zukünftig anbieten will, sofern sie dies nicht längst selber tun.

  

09.01.2013 - Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung geht in diesem Jahr an den deutschen Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal für sein Buch Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung (Suhrkamp; s. hier: Empfehlungen). Die Jury begründet ihr Urteil: Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2013 wird dem Bielefelder Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal für sein bahnbrechendes Werk Europa erfindet die Zigeuner zugesprochen, in dem die seit sechs Jahrhunderten andauernde Verfolgung und Ausgrenzung der Romavölker in Europa untersucht wird. Indem Bogdal die Darstellung der "Zigeuner", "Gipsies", "Bohémiens" und "Gitanos" in der Literatur und Kunst vom Spätmittelalter bis heute zum ersten Mal umfassend im europäischen Vergleich analysiert, beschreibt er zugleich die allmähliche Verfertigung eines historischen Vorurteils gegen ein imaginäres Kollektiv, das mangels Schrift den Fremddeutungen, Zuschreibungen und Projektionen anderer hilflos ausgeliefert war. Bogdal zeigt, wie Europa den Grad der eigenen Kultiviertheit an der Abwertung der Roma im Spannungsfeld zwischen Hass, Abwehr und romantisierender Zigeuner-Folklore festmacht. Gerade angesichts eines neu aufbrandenden Anti-Ziganismus in Europa gewinnt Bogdals epochale Studie eine bedrückende Aktualität und Brisanz. http://www.leipzig.de/buchpreis (boersenblatt)

 

Januar 2013 - Dezember 2012SuhrkampGesellschafterdrama statt Gesellschaftsdrama

Ja, das waren noch Zeiten, als man von der Suhrkamp-Kultur und vom Suhrkamp-Verlag als dem intellektuellen Kraft-Zentrum der Bundesrepublik sprach. Das ist rund vierzig Jahre her. Und die Buchrücken der edition suhrkamp in den Fichtenholzregalen, die – nebeneinander stehend – einen intellektuellen Regenbogen erzeugen, sieht man auch immer seltener. Das intellektuelle Zentrum ist ein Christ-Kindle geworden oder ein iPad für die intellektuelle Espressomaschine.

Es fällt auf, dass der erbitterte Streit um das Haus Suhrkamp im Netz kaum Widerhall findet – während die Feuilleton-Platzhirsche zwischen Berlin, Hamburg, Frankfurt und München ihre listigen Deutungsoberhoheitsschlachten schlagen. Im Pulverdampf, den die rekrutierten (und meist schon ergrauten) Suhrkamp-Autoren und die sie kommandierenden Feuilletonchefs erzeugen, kann man nicht mehr so recht erkennen, worum es eigentlich geht. Um den Welt-Geist des Hauses Suhrkamp oder doch nur um die Kaltmiete und die teuren Einrichtungsgegenstände für die an den Verlag untervermieteten Teile der Privat-Villa der Verlegerin? Am klarsten hat es Jürgen Kaube gleich zu Beginn der Debatte in der FAZ ausgedrückt – wohl unmittelbar nach der deprimierenden Lektüre des Landgerichtsurteils vom 10. Dezember 2012: „Die Zeit, in der sich Unseld oder Suhrkamp spielen ließ, ist tatsächlich abgelaufen.“  Der Rest sind Nachhutgefechte - etwa hierhierhierhierhier und hier. (s. Wolfgang Michal, Carta)

 

22.12.2012 – Die tschechische Schriftstellerin Květa Legátová ist im Alter von neunzig Jahren gestorben. 2002 erhielt sie für den auch ins Deutsche übersetzten Erzählband Zelary den Staatspreis für Literatur. Gemeinsam mit weiteren Erzählungen war er Grundlage des 2004 für den Oscar nominierten Film Zelary von Ondřej Trojan. Legátová, die eigentlich Vera Hofmanová hieß, veröffentlichte seit den 1950er Jahren Romane, Erzählungen und Hörspiele.

 

20.12.2012 - Prag: Mit 826.450 Euro unterstützt der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds im kommenden Quartal die Zusammenarbeit zwischen den Nachbarländer. 
Die beiden Germanisten Kurt Krolop und Jiří Stromčík gehören zu den wichtigsten literarischen Vermittlern zwischen tschechischer und deutscher Kultur. Mit neun Essays zur deutschen Romantik (Verlag Mervart) geben sie dem tschechischen Publikum einen Schlüssel zum Verständnis einer der bedeutendsten und produktivsten Epochen deutscher Literatur in all ihren geschichtlichen Zusammenhängen. Der Zukunftsfonds unterstützt die Herausgabe des tschechischen Bandes mit 2.000 Euro. (dtpa/mt)

17.12./18.12.2012 - 1. Todestag Václav Havels

Ab Montagabend leuchtet ein rotes Neonherz am Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel. Es ist ein Werk des tschechischen Künstlers Jiří David und soll an den ersten tschechoslowakischen und tschechischen Präsidenten der Nachwendezeit, Václav Havel, erinnern. Der ehemalige Staatspräsident, Dramatiker und Dissident Havel starb vor einem Jahr im Alter von 75 Jahren. In der Prager Kirche der Heiligen Anna fand ein Gedenkgottesdienst statt, zu dem seine Witwe, Dagmar Havlová, auch die Öffentlichkeit eingeladen hatte. Es gab und gibt noch weitere Gedenkaktionen. Außenminister Karel Schwarzenberg und Ex-Verteidigungsminister Alexandr Vondra haben Montagnachmittag am Denkmal von Woodrow Wilson in Prag eine Václav Havel-Gedenktafel enthüllt. Die Gedenkveranstaltung wurde von der amerikanisch-tschechischen und der amerikanisch-slowakischen Gemeinschaft organisiert. An der Schaffung der Gedenktafel haben sich 258 in den USA lebende Tschechen und Slowaken finanziell beteiligt.

  

 

12.12.2012 - Weltweite Lesung für Pussy Riot

 

Punkgebet: Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin! Verjage Putin, Verjage Putin / Schwarze Kutte, goldene Epauletten / Alle Gemeindemitglieder kriechen zur Verbeugung / Das Phantom der Freiheit ist im Himmel / Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt. / Der KGB-Chef, ihr oberster Heiliger, / Er wirft die Demonstranten in Scharen ins Gefängnis. / Um den Höchsten nicht zu beleidigen, Müssen Frauen gebären und lieben. / Scheiße, Scheiße, Gottesscheiße / Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin / Werde Feministin, werde Feministin / Kirchlicher Lobgesang an die verfaulten Führer / Der Kreuzzug der schwarzen Limousinen / In die Schule kommt zu dir der Prediger / Geh zum Unterricht - bring ihm Geld! / Der Patriarch Gundjajew (weltlicher Name von Patriarch Kirill) glaubt an Putin / Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben / Der Gürtel der seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen / Bei den Protesten ist die Jungfrau Maria mit uns! / Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin Verjage Putin, Verjage Putin (Quelle: dapd)
Schlussplädoyer Marija Aljochina (08.08.2012)
Schlussplädoyer Jekaterina Samuzewitsch (08.08.2012)
Schlussplädoyer Nadežda Tolokonnikova (08.08.2012)
Mehr Infos: www.worldwide-reading.com, s.hier: Pussy Riot; Termine)

  

12.12.2012 – Der diesjährige Preis des historischen Gedenkens – Cena paměti národa wurde im Prager Nationaltheater acht Persönlichkeiten verliehen, deren Lebensgeschichten nicht in Vergessenheit geraten sollen. Es sind drei Frauen, die den Holocaust überlebt haben: Eva Roubíčková (s.auch hier), Ilsa Maierová und Markéta Nováková sowie fünf ehemalige Gefangene des kommunistischen Regimes. Leopold Färber bildete nach der kommunistischen Machtergreifung mit anderen Pfadfindern eine Widerstandsgruppe, die Sabotage-Akte verübte. Sie wurden verraten, und Färber musste acht Jahre ins Gefängnis. František Zahrádka war Fluchthelfer und dafür dreizehn Jahre in Haft. Helena Šidáková wurde von der Staatssicherheit gefoltert, als die Geheimpolizei ihren Mann im ganzen Land suchte. František Stárek beziehungsweise Čuňas, ein Dissident, Unterzeichner der Charta 77 und eine Legende des tschechischen Undergrounds.

Der Verein Post Bellum verleiht den Preis an Menschen, die Widerstand gegen das nationalsozialistische oder das kommunistische Regime geleistet haben.  

 

01. 12. 2012, Europäischer Filmpreis

Alois Nebel - nach Vorlage einer gleichnamigen Comic-Trilogie des Schriftstellers Jaroslav Rudiš gedreht - hat in Valletta, Malta den Preis in der Kategorie Animationsfilm erhalten. Alois Nebel ist eine Kombination aus Trick- und Spielfilm und bewarb sich auch als tschechischer Oscar-Kandidat für den besten ausländischen Film. Michael Hanekes Liebe erhielt den Hauptpreis für den Besten Film und wurde außerdem in den Kategorien Bester Regisseur, Bester Schauspieler und Beste Schauspielerin ausgezeichnet.

 

16.11.2012 – Den diesjährigen Bremer Kunstpreis der deutsch-tschechischen Verständigung erhalten zwei Medienschaffende: Jürgen Serke und Petr Brod. Letzterer hat als Berichterstatter für BBC, Radio Freies Europa und die Süddeutsche Zeitung gearbeitet und gilt als einer der besten Kenner und Kommentatoren dieser bilateralen Beziehungen. Der Schriftsteller Jürgen Serke hat sich u. a. mit deutschsprachiger Literatur in Tschechien befasst; seine Bücher Böhmische Dörfer und Die verbrannten Dichter etwa haben ihn einem breiten Publikum bekannt gemacht.  

 
Josef-Škvorecký-Preis 2012

Die 32-jährige Brünnerin Kateřina Tučková wird mit dem Preis für ihren Roman Die Göttinnen von Schitkowa / Žítkovské bohyně ausgezeichnet, der zum besten Belletristik-Werk des Jahres ernannt wurde. Für ihren Romanerstling Die Vertreibung der Gerta Schnirch / Vyhnání Gerty Schnirch war Tučková bereits 2010 für den Josef-Škvorecký-Preis nominiert.
Seit 2007 geht der mit 250.000 Kronen dotierte Preis jährlich an das beste, in den vergangenen 12 Monaten in Buchform erschienene Werk. Namensgeber ist der tschechische Exilschriftsteller und Verleger Josef Škvorecký, der im vergangenen Januar 88-jährig in Toronto starb (s. Notiz weiter unten).

 

Die systematische Verfolgung der europäischen Roma durch das NS-Regime wurde nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit kaum thematisiert.

Die Website www.romasinti.eu ist eine digitale Ausstellung und erzählt die Geschichte von sechs Kindern. Unter ihnen ist auch Settela Steinbach, deren Bild fünfzig Jahre lang als Symbol für die Judenverfolgung galt, die aber Sintezza war. Auf der Website findet sich auch ein umfangreiches Archiv, das über maßgebliche Daten, Personen und Begriffe informiert.  

 

 

 


 

 

28.10.2012 - Der Osteuropa-Historiker und Publizist Karl Schlögel, der an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) eine Professur für Geschichte Osteuropas inne hat, wird vom Zentrum gegen Vertreibungen mit dem Franz Werfel-Menschenrechtspreis 2012 ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde am 28. Oktober 2012 in der Frankfurter Paulskirche überreicht. Schlögel betrachte Vertreibungen in einem europäischen Zusammenhang, der die Vertreibung der Deutschen einschließt, und habe auch die politische Linke für dieses Thema sensibilisiert – so begründete das Zentrum mit Sitz in Wiesbaden die Zuerkennung. Schlögel stellt Raum und Geografie in den Mittelpunkt seiner geschichtlichen Betrachtungen, zu seinen bekanntesten Werken zählen Das Russische Berlin: Ostbahnhof Europas, Die Mitte liegt ostwärts: Europa im Übergang oder Terror und Traum: Moskau 1937. - Frühere Träger des Menschenrechtspreises waren die Schriftsteller Herta Müller und György Konrad. Die Auszeichnung ist benannt nach dem Schriftsteller Franz Werfel (1890-1945), der in seinem Roman Die 40 Tage des Musa Dagh die Vertreibung der Armenier im Osmanischen Reich schilderte.

 

25. 10. 2012 – Franz Kafka-Preis 

Daniela Hodrová, Autorin und Literaturwissenschaftlerin, erhält den diesjährigen, mit 10.000 US-Dollar dotierten Literaturpreis, der seit 2001 vergeben wird. Hodrová veröffentlichte

zahlreiche Romane und Fachbücher. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. Václav Havel, John Banville, Peter Handke und Philip Roth.

 

Zwei Mitglieder der internationalen Jury sind Marcel Reich-Ranicki und Peter Demetz. Die feierliche Übergabe findet im Brožík-Saal des Altstädter Rathauses in Prag statt.

 

  

 

 

10.10. - 11.10.2012, Internationales Symposium, London

H. G. Adler/W. G. Sebald: Witnessing, Memory, Poetics

Internationale Konferenz und Einführung / Lesung: 10.10.2012, 19.00 Uhr: Memory’s Witness – Witnessing Memory: H.G. Adler & W.G. Sebald von Peter Filkins. - Obwohl Adler und Sebald eine Generation trennt, sind sie durch ein dichtes Netz von poetischen, ethischen und historiographischen Fragestellungen miteinander verbunden. Das Symposium möchte die Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden großen Autoren des Holocaust und der Erinnerung aufzeigen und produktive Wege vergleichender Methodik vorschlagen. Während das literarische Werk W.G. Sebalds seit seinem Tod 2001 gefeiert und eingehend studiert wurde, war Adler lange Zeit lediglich durch seine soziologische Studie Theresienstadt: Antlitz einer Zwangsgemeinschaft bekannt, das Interesse an seiner literarischen Arbeit wächst erst seit seinem hundertsten Geburtstag: zu nennen sind Franz Hocheneders Biographie, Peter Filkins Übersetzungen ins Englische und Hocheneders und Katrin Kohls Werkausgabe seiner Gedichte Andere Wege.  Infos und Programm: www.igrs.sas.ac.uk/

Austrian Cultural Forum London, 28 Rutland Gate, London SW7 1PQ

s. hier auch: H.G. AdlerH.G.Adler-GedichteH.G.Adler-Romane

08.10.2012, 19.00 Uhr - Der Deutsche Buchpreis 2012 geht an den Roman Landgericht von Ursula Krechel, erschienen im Jung und Jung-Verlag, Salzburg und Wien 2012, 496 Seiten, 29,95.

 

18.09.2012: Gepanschter Alkohol - 22 Menschen gestorben - Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit warnt jetzt auch vor dem Konsum von gepanschten Spirituosen aus der Tschechischen Republik. Betroffen ist hochprozentiger Alkohol (Wodka und Rum) ohne Herkunftsnachweis, der aus unetikettierten Plastikfässern abgefüllt und an kleine Geschäfte und Verkaufsstände in der tschechischen Region Ostrava im Osten der Tschechischen Republik abgegeben wurde.- Das sächsische Verbraucherschutzministerium informiert außerdem, dass vom tschechischen Gesundheitsministerium nun erstmals folgende Spirituosenmarken im Zusammenhang mit den Methanolvergiftungen in Tschechien genannt wurden: Lassky Tuzemak, Tuzemak, Svestkova Vodka, Vodka Lunar, Hanacka Vodka, Merunka Borovicka. In der Tschechischen Republik sind bisher als Folge des Konsums von gepanschtem Alkohol zweiundzwanzig Menschen verstorben, sechsunddreißig Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden. (dtpa/mt).

    

Goldrausch: Wer schon vor zwanzig Jahren die durchaus sichtbaren und dennoch undurchsichtigen Geschäfte gewisser Herrschaften (Politiker, Unternehmer, Manager) kritisch und argwöhnisch betrachtete, die die DDR auf der Resterampe, sprich: mithilfe der Treuhand, ganz legal untereinander aufteilten und verscherbelten, wird im Dok-Film Goldrausch aufs Unangenehmste daran erinnert und bekommt noch nachträglich recht. Freude darüber kommt allerdings nicht auf. Jetzt läuft der Horrorstreifen in deutschen Kinos.  

 

ab 06.09.2012: Deutscher Sprachunterricht für Kinder

 

Die Kinderbuchhandlung Amadito and Friends in Prag bietet neben anderen Sprachen Deutschunterricht für Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren. Donnerstags von 15.30 bis 16.15 Uhr für Vier- bis Fünfjährige und von 16.30 bis 17.15 Uhr für die Sechs- bis Siebenjährigen.

Kontakt, Anmeldung: www.amadito.com

 

30.08.2012 - Der tschechisch-österreichischen Schriftsteller Pavel Kohout erhält auf Schloss Weitra den Waldviertel-Akademie-Preis. Die Waldviertel-Akademie ist ein österreichischer Kulturförderverein, der den Preis dieses Jahr zum ersten Mal vergibt. Mit einer Granit-Statue sollen Verdienste um die österreichisch-tschechische Zusammenarbeit gewürdigt werden. 

  

29.08.2012 - Laut Jahresbericht 2011 des nationalen Sicherheitsinformationsdienstes / Bezpečnostní informační služba, BIS haben rechtsextreme Aktionen in Tschechien deutlich zugenommen. Ausgebaut wurden auch Kontakte zu Polen und Deutschland, viele grenzübergreifende Aktionen durchgeführt, u.a. Treffen und Konzerte, die vor allem die Landjugend ansprechen sollen. Die Rechtsextremen fanden auch Zulauf im Konflikt mit der Roma-Minderheit im Schluckenauer Zipfel, in dem sich viele Anwohner die rechten Parolen zu eigen mach(t)en. Der Vorwurf von Bürgerinitiativen und Gruppen gegen Rassismus und Rechtsextremismus richtet sich vor allem gegen die Regierung, die sich um die Konflikte nicht genug gekümmert habe, die nicht als Vermittler auftrat und bisher keine weiterführenden Vorschläge und Pläne unterbreitete.

 

21.08.2012 Nobelpreisträger solidarisieren sich mit Pussy Riot

Am 12. Dezember wollen die Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Mario Vargas Llosa in einer gemeinschaftlichen Lesung Texte der russischen Punkband Pussy Riot vortragen und gegen deren Inhaftierung protestieren. Die Veranstaltung wurde vom Internationalen Literaturfestival Berlin initiiert. Im Rahmen des kommenden Internationalen Literaturfestivals Berlin wird am 8. September eine Benefiz-Veranstaltung für Pussy Riot im Haus der Berliner Festspiele stattfinden. Die teilnehmenden Künstler (unter anderem Marion Brasch, Jakob Hein, Wladimer Kaminer und Janne Teller) wollen laut ilb auf ihre Gagen verzichten, die Einnahmen werden Pussy Riot zur Verfügung gestellt.

Hintergrund: Die drei Musikerinnen, die in einer orthodoxen Kirche in Moskau mit Strumpfmasken auf dem Kopf gegen Präsident Putin protestiert hatten, waren letzten Freitag wegen Rowdytums zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Die Anwälte der jungen Frauen wollen Berufung gegen das umstrittene Urteil einlegen, das weltweite Proteste auslöste. Ein Gnadengesuch an den russischen Präsidenten lehnten die Musikerinnen ab.
Währenddessen meldet der Fokus, dass Ermittlungen gegen weitere Bandmitglieder laufen sollen. Außerdem soll Schachweltmeister Garri Kasparow eine mehrjährige Haftstrafe drohen. Der Kreml-Kritiker habe aus Solidarität mit Pussy Riot während einer Protestaktion einen Polizisten ins Ohr gebissen.

Aufruf des Internationalen Literaturfestivals Berlin

Free our Sisters! 

© Vor Gericht, picture alliance / dpa   

Am 17. August 2012 ging der Prozess gegen Pussy Riot zu Ende. Nicht nur das Urteil, sondern bereits die Tatsache, dass ein Prozess gegen die Künstlerinnen überhaupt geführt wurde, ist ein Skandal. Er ist signifikant für das System Putin, das eine ganze Generation künstlerisch, kulturell und zivilgesellschaftlich mundtot zu machen versucht.  

Das internationale literaturfestival berlin und AutorInnen und Intellektuelle aus aller Welt verneigen sich vor Nadeschda Tolokonnikowa, Jekatarina Samuzewitsch, Maria Alechina, die mit ihrer Kunstaktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale der Welt gezeigt haben, dass es ein anderes Russland gibt, das sich weder von dieser Kirche, noch von der politisch herrschenden Klasse die Art und Weise ihres Ausdrucks verbieten lässt. Angesichts der diktatorischen Züge des Systems Putin, das u.a. mit dem permanenten Veto im UN-Sicherheitsrat im Bund mit China, zuletzt im Fall Syrien, den Gehalt ihres Demokratie- und Menschenverständnisses offenbart, ist die Solidarisierung mit Pussy Riot und den zivilgesellschaftlichen Institutionen, die durch neue Gesetze in Russland kriminalisiert werden, eine europäische, eine internationale Notwendigkeit: Schließlich geht es um die Verteidigung von elementaren Menschenrechten in einer riesigen Region auf unserem Planeten.Im Rahmen des kommenden ilb wird am Samstag, den 8.9.2012, 19.30 Uhr eine Benefiz-Veranstaltung für Pussy Riot im Haus der Berliner Festspiele stattfinden. Interessenten für eine Teilnahme an der weltweiten Lesung am 12.12.2012 bitten wir, dies mitzuteilen. Die Emailadresse zur Anmeldung und weitere Fragen ist: worldwidereading@literaturfestival.com (s. hier auch: Pussy Riot-Frauen)

 

16.07.2012 - Verbraucherschutz - online

Falsche Etikettierungen (Angaben über Inhalt und Verfallsdaten), schimmliges Brot, Gammelfleisch, Salmonellen in Eiern bringt auch tschechische KonsumentInnen in Rage, die sich mit den sich häufenden Skandalen nicht länger abfinden wollen und mehr Verbraucherschutz fordern. Deshalb hat das Landwirtschaftsministerium zusammen mit der Staatlichen Landwirtschafts- und Lebensmittelinspektion (SZPI) nun eine Internetseite eingerichtet, die vor fragwürdigen Lebensmitteln warnen soll: www.potravinypranyri.cz  (Potraviny na pranýři – Lebensmittel am Pranger), auf der man sich informieren und selbst Missstände melden kann. Die Datenbank wird täglich erweitert und enthält genaue Produktbeschreibungen (Marke, Art der Lebensmittel, Herkunftsland, Lieferant und Händler - auch in Englisch)

 

14. 07. 2012 -  Die Vorsitzende des Tschechischen Helsinki-Komitees (Český helsinský výbor, ČHV), Anna Šabatová, hat den Menschenrechtsbericht 2011 vorgelegt und eine Verschlechterung der Situation in Tschechien konstatiert. Wie überall in Europa stellt die jetzige Sparpolitik einen massiven Eingriff in das Leben insbesondere von Arbeitslosen, Behinderten, Alleinerziehenden, Kindern und RentnerInnen dar; Ressentiments und Vorurteile nehmen zu, vor allem gegenüber Roma, deren soziale Lage trotz aller Lippenbekenntnisse nicht verbessert wurde. Roma-Kinder werden immer noch in Sonderschulen gesteckt, anstatt ihnen wirkliche Bildungschancen zu bieten. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert weiterhin indifferent oder sogar aggressiv auf die größte ethnische Minderheit im Land. Im südmährischen Břeclav demonstrierten Ende April Bürger gemeinsam mit neonazistischen Organisationen gegen „Zigeuner-Terror“. Auslöser war die – wie sich später herausstellte, frei erfundene - Aussage eines Jungen, von Roma überfallen und geschlagen worden zu sein. Darüber hinaus schürten die Medien noch die rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen innerhalb der tschechischen Gesellschaft. Laut Tschechischem Statistikamt (ČSÚ) lebten Ende 2011 152.297 Menschen unterhalb der Armutsgrenze, ein Anstieg innerhalb eines Jahres von 3,9 Prozent. Allerdings leben rund 1,7 Mio. TschechInnen (16,6 Prozent) nur knapp über der festgelegten Armutsgrenze, wie Jaromír Kalmus von der ČSÚ-Abteilung für Soziales ergänzte. Für den Sparhaushalt wurde ohne parlamentarische und ressortübergreifende Diskussion eine Reform der Wohnungszuschüsse in Kraft gesetzt, d. h. die Zuschuss-Grenze von 30 auf 50 Prozent des Haushaltseinkommens herauf gesetzt, was dramatische Folgen vor allem für die bereits sozial Schwachen haben wird, wie schon die Grünen-Partei (SZ, Strana zelených) kritisierte. Als positiv wertete Šabatová das allmählich wachsende kritische Bewusstsein der Menschen, die ihren Missmut artikulierten. (Info: čtk/PZ)

 

04. 07. 2012 - Für den Ausbau des Atomkraftwerks Temelín haben sich drei Unternehmen beworben. Ein russisch-tschechisches Konsortium, die französische Areva und die japanisch-amerikanische Firma Westinghouse gaben am Montag in Prag ihre offiziellen Angebote für das Milliarden-Projekt ab.

Wie der Betreiberkonzern ČEZ mitteilte, soll der Zuschlag Ende 2013 erfolgen. Es sei ein wichtiger Schritt, um die tschechischen Kunden für Jahrzehnte zuverlässig mit Elektrizität zu versorgen, erklärte ČEZ-Generaldirektor Daniel Beneš. Umweltschützer wenden dagegen ein, dass Tschechien seine Stromexporte ins Ausland kürzen sollte, statt in Südböhmen zwei neue Reaktorblöcke zu errichten.(Meldung: čtk)

 

 

Causa Rath

Der 46-jährige, sozialdemokratische Politiker David Rath (Internist, der auch schon Gesundheitsminister war), stellte sich einmal mit einem Wahlplakat vor: Korruption darf nicht länger unter den Teppich gekehrt werden. Jetzt steht im Internet der Kommentar dazu: Wir werden kein Wasser predigen und stattdessen lieber Wein trinken! - Rath wurde Mitte Mai von einer Sondereinheit der Polizei festgenommen; in dem Weinkarton, der sichergestellt wurde, befand sich nämlich kein Wein, sondern jede Menge Bargeld. Nun sitzt er wegen mutmaßlicher Korruption größeren Ausmaßes hinter Gittern, genauer: im Gefängnis von Litoměřice (Leitmeritz). Konkret handelt es sich u.a. um veruntreute Subventionen der EU in Millionenhöhe. Die Causa Rath wirft ein Licht auf Politiker als Nutznießer eines Systems, das sie selbst aufgebaut haben. Bestechung und Bestechlichkeit, Korruption und Vetternwirtschaft gehören in Tschechien einfach dazu. Entschuldigt wird dieses Gebaren noch heute mit dem Spruch aus sozialistischer Zeit, als der Mangel so groß war, dass derjenige, der nicht stahl, vermeintlich die eigene Familie bestahl. Die Unverfrorenheit und Frechheit, mit der Rath und sein Klüngel vorgingen, erklärt sich auch aus diesem Selbstverständnis. Die Staatsanwältin Lenka Bradačová und ihr Team haben in diesem Fall jedoch akribisch ermittelt und alle Machenschaften aufgedeckt - ungestraft soll diesmal niemand davonkommen. Offensichtlich waren diese Leute – wie viele andere - der Überzeugung, nie erwischt zu werden, da vorher auch nie etwas passierte. Netzwerke und Seilschaften halfen beim Aufstieg und verhinderten jeden Absturz. Das jetzige konsequente Vorgehen der Justiz zeigt aber, dass die Vergehen nicht nur als unmoralisch gewertet werden, sondern als kriminell – und dass da womöglich vor und mit dem EU-Beitritt einige Betrügereien bisher ungestraft blieben. Darüber hinaus wächst allmählich der Unmut in der Bevölkerung: Proteste richten sich nicht nur gegen das rigide Sparprogramm der Regierung, das vor allem Sozialabbau und Rentenkürzungen vorantreibt, sie sind auch gepaart mit heftigen Vorwürfen gegen die Unmoral von Politikern. Das ist eine brisante Mischung, insofern sie auch Demokratiemüdigkeit und Radikalisierung fördern hilft. Ein konsequentes Vorgehen vonseiten der Justiz könnte dem entgegenwirken. In diesem Sinne äußerte sich auch Außenminister Schwarzenberg, der sich von der Behandlung der Causa Rath eine Stärkung der Demokratie erhofft. Allerdings hat auch die Bereitschaft zur Integration in die Europäische Union drastisch abgenommen. Laut Umfrage der Agentur STEM (Středisko empirických výzkumů – Zentrum für empirische Studien) Ende Mai 2012 halten nur noch 41 Prozent der tschechischen Bevölkerung die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU für gut. Das ist der niedrigste Wert seit Eintritt der Tschechischen Republik in die Europäische Union. (s. hier auch Texte und Video unter: Martin M. Simecka, Daniela Capcarová: Korruption)

 

 

12.06.2012 Margarete Mitscherlich ist tot

Sie galt als die große alte Dame der Psychoanalyse, quicklebendig, streitlustig und emphatisch, und ist nun kurz vor ihrem 95. Geburtstag im Kreis ihrer Familie gestorben. Noch bis zuletzt hielt sie psychoanalytische Sitzungen ab und beteiligte sich an öffentlichen Diskussionen. 1917 als Tochter einer deutschen Lehrerin und eines dänischen Arztes in Graasten/Dänemark geboren, studierte Margarete Mitscherlich während der Nazi-Diktatur Medizin in Hamburg und Heidelberg, arbeitete dann in der Schweiz, wo sie auch ihren späteren Mann kennenlernte, und ging schließlich nach London, um bei den ins Exil geflüchteten PsychoanalytikerInnen Anna Freud, Melanie Klein und Michael Balint zu studieren. 1949 wurde der Sohn Matthias geboren. Gemeinsam mit ihrem bereits 1982 verstorbenen Mann Alexander Mitscherlich gründete sie das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt/Main und zählte zu den bedeutendsten Intellektuellen im Nachkriegsdeutschland. 1967 erschien ihr gemeinsames und berühmtestes Buch Die Unfähigkeit zu trauern, dass sich mit der kollektiven Verdrängung der Deutschen von Nationalsozialismus, Krieg und Massenmord - vor allem an den Juden - auseinandersetzt. Die Psychoanalyse wurde wichtiger Teil der Kritischen Theorie. Immer fühlte sie sich auch als Teil der internationalen Frauenbewegung. In Die friedfertige Frau räumt sie aus psychologischer Sicht mit biologistischen Schemata, das vermeintliche Wesen der Frau betreffend, auf. Im Herbst 2010 erschien ihr letztes Buch: Die Radikalität des Alters (alle Werke bei Suhrkamp) © Foto: dpa.

 

Mai 2012 ff - Restitution

International Gehör verschaffte sich Michal Klepetář, Großneffe des böhmischen Kunstsammlers Richard Popper, bereits auf der Holocaust Era Assets Conference 2009 in Prag, die mit der Unterzeichnung der Terezín Declaration (Theresienstädter Erklärung) endete. In ihr werden u.a. Fragen zur Restitution jüdischen Eigentums, das von 1933 – 45 enteignet bzw. konfisziert wurde, behandelt und festgestellt, dass staatliche und nicht-staatliche Institutionen oder Organisationen und Privatpersonen Eigentum von Opfern der Shoah an deren Erben zurückzugeben bzw. zur Klärung der aktuellen Besitzstände und Ansprüche beizutragen haben.

Klepetář ist zwar mittlerweile als rechtmäßiger Erbe des Hauses, in dem die Familie Popper lebte, anerkannt, die Restitution der Kunstgegenstände der Popper-Sammlung wurde hingegen abgelehnt. Er fordert nun per Klage bei einem Gericht in Florida/USA die Herausgabe der Werke bzw. den konkreten Nachweis ihres Verbleibs oder eine Entschädigung in Höhe von fünfzig Millionen US-Dollar. Seine Klage richtet sich gegen die Tschechische Republik, insbesondere die Nationalgalerie und das Kunstgewerbemuseum in Prag, die sich bisher weigerten, Eigentum der Holocaust-Opfer, deren rechtmäßige Erben in Tschechien leben, zurückzugeben. Mit dem Stempel des nationalen Interesses versehen, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Häuser, Kunstgegenstände, ganze Sammlungen ein zweites Mal enteignet und als tschechisches Nationaleigentum verstaatlicht. Tschechien könne seine internationalen Verpflichtungen nicht ignorieren, meint auch der amerikanische Anwalt Ed Fagan, der Klepetář vor Gericht in Fort Lauderdale vertritt. „Keine Regierung, kein Museum und keine Einzelperson kann Eigentum besitzen, dass Opfern des Holocaust gestohlen wurde“, sagt Fagan.

Immer wieder mussten Opfer des Nazi-Regimes bzw. deren Nachfahren Restitutions- und Schadensersatzansprüche gerichtlich durchsetzen, zum Beispiel auch im Falle von Zwangsarbeitern. Sind die US-amerikanischen Richter von der Rechtmäßigkeit der Klage von Michal Klepetář überzeugt, hat ihr Urteil auch weitreichende Folgen für andere, noch offene Restitutionsansprüche. (dpa; s. hierzu auch: Archiv, Spots weiter unten)

 

16.05.2012 - Arno Lustiger ist tot

Der deutsche Historiker und Schriftsteller Arno Lustiger ist im Alter von 88 Jahren gestorben. 

Geboren 1924 in Będzin / Polen, überlebte Lustiger als junger Mann die Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz und war Mitbegründer der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main, wo er seit 1945 lebte, und Ehrenvorsitzender des Fördervereins des Leo Baeck-Instituts in Deutschland. Arno Lustiger wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit der Moses-Mendelsohn-Medaille, der Goethe-Plakette und dem Großen Bundesverdienstkreuz. Einige wichtige Bücher: Zum Kampf auf Leben und Tod. Das Buch vom Widerstand der Juden 1933–1945 . Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994; Sing mit Schmerz und Zorn . Aufbau, Berlin 2004; Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit. Wallstein, Göttingen 2011, eine umfassende Dokumentation der alltäglichen und der spektakulären, der gelungenen und der gescheiterten Rettungsversuche in ganz Europa. © Foto: dpa

 

  

15.05.2012 - Die Büchner-Preisträgerin 2012 Felicitas Hoppe: Ich habe ja diesen Aufruf mit unterzeichnet - Wir sind die Urheber -,

weil ich glaube, dass wir tatsächlich unglaublich viel aufgeben würden, wenn wir diesen Pakt, der zwischen den Urhebern und den Verwertern besteht, nicht weiterhin nutzen würden. Ich glaube, es ist vielen Menschen nicht klar, welche Freiräume einem geboten

werden, wenn man sich in einer ausdifferenzierten Verlagslandschaft befindet, die es überhaupt erst möglich macht, dass in Ruhe und mit Bedacht und mit einem wunderbaren Vertriebssystem Bücher entstehen können. Das ist ein ungeheurer Luxus, das ist etwas, was eine lange Tradition hat, und diejenigen, die meinen, das könne man alles - ich sage mal lax - in die Tonne hauen, haben sich, glaube ich, nie damit befasst, um was es sich da eigentlich handelt. (in: dradio, Telefongespräch mit Karin Fischer) 

  

13.05.2012 - Exil und Emigration: Künste im Exil werden die virtuelle Ausstellung und das Netzwerk, das bereits 2013 online geht, heißen, denen Kulturstaatsminister Bernd Neumann gerade 745.000 Euro bewilligt hat. 

Der Online-Auftritt Künste im Exil wird sich mit Exil und Emigration befassen und federführend vom Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der DNB in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach geplant. Parallel dazu verstärkt die Deutsche Nationalbibliothek an ihrem Frankfurter Standort ihre Aktivitäten zu diesem Thema - eine bauliche Erweiterung soll dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 eine intensivere Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeit ermöglichen. "Das Thema

Künste im Exil ist gerade in Deutschland mit seiner doppelten Diktatur-Vergangenheit von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Tausende Schriftsteller sowie Künstler aus den Bereichen Theater, Film, Fotografie, Tanz, Musik und Bildende Kunst mussten Deutschland nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verlassen. Die NS-Terrorherrschaft und die nachfolgende kommunistische Diktatur im Osten Deutschlands gehören zur Geschichte und Identität unseres Landes," so Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Gezeigt werden Exponate aus dem Deutschen Exilarchiv, dem Deutschen Literaturarchiv und anderen Sammlungen. Die Fertigstellung sämtlicher Module ist für das Jahresende 2014 geplant. (Börsenblatt des Deutschen Buchhandels)

 

 

 

 

 

 

 © Max Beckmann im Exil, Akrobat auf der Schaukel, 1940 - Saint Louis Art Museum 

 

  

Wir sind die Urheber! - Gegen den Diebstahl geistigen Eigentums

Mit Sorge und Unverständnis verfolgen wir als Autoren und Künstler die öffentlichen Angriffe gegen das Urheberrecht.

Das Urheberrecht ist eine historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit, und es garantiert die materielle Basis für individuelles geistiges Schaffen.

Der in diesem Zusammenhang behauptete Interessengegensatz zwischen Urhebern und „Verwertern“ entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität. 

In einer arbeitsteiligen Gesellschaft geben Künstler die Vermarktung ihrer Werke in die Hände von Verlagen, Galerien, Produzente oder Verwertungsgesellschaften, wenn diese ihre Interessen bestmöglich vertreten und verteidigen. Die neuen Realitäten der Digitalisierung und des Internets sind kein Grund, den profanen Diebstahl geistigen Eigentums zu rechtfertigen oder gar seine Legalisierung zu fordern.

Im Gegenteil: Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen.

Das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können und schützt uns alle, auch vor global agierenden Internetkonzernen, deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt. Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz. (Erstveröffentlichung am 10.05.2012 im Feuilleton der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT). 

Zu den bisherigen UnterzeichnerInnen des Aufrufs gehören u.a.: Felicitas Hoppe, Sibylle Lewitscharoff, Daniel Kehlmann, Feridun Zaimoglu, Uwe Timm, Navid Kermani, Sven Regener, Charlotte Roche, Thomas Glavinic, Eva Menasse, Michael Kumpfmüller, Thomas Brussig, Jakob Hein, Jan Faktor, Peter Wawerzinek, Peter von Matt, Julia Franck, Angelika Klüssendorf, Michael Mittermeier, Uwe Tellkamp, Kathrin Schmidt, Martin Walser, Charlotte Link, Terézia Mora, Günter Wallraff, Michael Krüger, Angelika Overath, Frank Schätzing, Irina Liebmann, Sten Nadolny und weitere AutorInnen, KünstlerInnen, JournalistInnen, IllustratorInnen und FotografInnen. Informationen: www.wir-sind-die-urheber.de 

© Fotos: Copyright 917press | flickr | cc by-nc-sa 2.0; ich meinehallo.de 

 

 

 

 

07.05.2012 - Publikation von Kafka-Nachlass
Im Streit um den literarischen Nachlass Franz Kafkas hat die israelische Nationalbibliothek eine Publikation der Handschriften im Internet zugesichert. Über den Verbleib der Originalskripte hingegen muss das Familiengericht in Tel Aviv noch entscheiden, wie die Tageszeitung Haaretz berichtete. Neben dem Staat Israel erheben private Erben und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach Anspruch auf die Manuskripte des jüdischen Schriftstellers. Gegenstand der Auseinandersetzung sind mehrere Handschriften Kafkas, die seit den 1950er  Jahren in einem Schweizer Banktresor lagerten. Sie gehören zum Nachlass des tschechischen Schriftstellers Max Brod, der mit Kafka eng befreundet war. Dessen 2007 verstorbene Sekretärin Ester Hoffe und ihre beiden Töchter beteuern, die wertvollen Dokumente bereits 1945 von Brod als Schenkung erhalten zu haben, und wollen sie dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach zum Kauf anbieten. Israel bestreitet die Rechtmäßigkeit des Erbes und beansprucht die Handschriften als nationales Kulturgut. Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein betonte laut Haaretz in einer Anhörung vergangene Woche, Kafkas und auch Brods Erbe seien ein israelisches Kulturgut und sollten der Nationalbibliothek in Jerusalem anvertraut werden.

Bibliotheksleiter Oren Weinberg versprach, die Sammlung sowie weitere einzigartige Handschriften sollten digitalisiert und im Internet zugänglich gemacht werden. (dpa, 3sat). Im Oktober ist dieser Nachlass der Nationalbibliothek in Jerusalem zugesprochen worden.

 

Am 25.10.2012 soll nun endlich - nach fast zwanzigjährigem Planen und Bauen - das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht werden. Zu lesen sind die Zeilen des italienischen Roma-Dichters Santino Spinelli: "Eingefallenes Gesicht/ erloschene Augen/ kalte Lippen/ Stille/ ein zerrissenes Herz/ ohne Atem/ ohne Worte/ keine Tränen". Der Bericht von Zündfunk/Bayern2 gibt Auskunft über die aktuelle Lage der Roma in Deutschland und Europa:

http://cdn-storage.br.de/mir-live/MUJIuUOVBwQIb71S/iw11MXTPbXPS/_2rc_K1S/_AJS/_-rp_Abp/111204_2205_Zuendfunk_Ausgeschlossen-eingeschlossen-Roma-in-Deuts.mp3 

 

23.04.2012: Der im Herbst 2012 vom Deutschen Kulturforum östliches Europa in Berlin verliehene Georg Dehio-Buchpreis 2012 geht an das Gesamtwerk von Peter Demetz. In der Begründung heißt es: 

„Peter Demetz hat in seinen literarischen Arbeiten über viele Jahrzehnte hinweg immer wieder auf die besondere kulturelle und historische Rolle und Funktion der mitteleuropäischen Region Böhmen hingewiesen und die deutsch-tschechisch-jüdischen Aspekte in Einzeluntersuchungen und Überblicksdarstellungen verdeutlicht. Nach vierzig Jahren Abwesenheit besuchte Demetz ab 1989 wieder das Land seiner Kindheit und Jugend und setzte sich in mehreren eindrucksvollen Büchern mit der Kultur und Geschichte seiner mitteleuropäischen Heimat auseinander. Bemerkenswert ist, dass er auch im Rückblick auf ein bedeutendes literarisches und wissenschaftliches Lebenswerk mit gleichbleibend mutigem Engagement und nicht nachlassender literarischer Eleganz die noch immer brisanten Themen der gemeinsamen Geschichte aufgreift und für die nachfolgenden Generationen darstellt.“

Kurzbiographie: Peter Demetz wurde 1922 in Prag geboren und wuchs in einer katholisch-jüdischen Familie auf. Während der deutschen Besatzung wurde er von der Gestapo verhaftet und musste Zwangsarbeit leisten. 1949 ging er in den Westen, zunächst nach München, 1953 wanderte er in die USA aus, wo er bis zu seiner Emeritierung 1972 an der Yale-Universität in New Haven als Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft wirkte. Beginnend mit seiner Dissertation zu Franz Kafka und seinem Buch über rené rilkes prager jahre (1953) schrieb er zahlreiche Bücher und Essays zu Themen der gemeinsamen deutsch-tschechisch-jüdischen Kultur und Geschichte.

Der Ehrenpreis geht an Radka Denemarková und die Übersetzerin Eva Profousová :

Ein herrlicher Flecken Erde ist eine erschütternde Lektüre. Der Roman erzählt eine exemplarische Geschichte von Verfolgung und Vertreibung – und vom Kampf um Gerechtigkeit. Radka Denemarková legt damit ein wichtiges und literarisch glänzend ausgeführtes Kapitel der Geschichts-Schreibung für die große Chronik der deutsch-tschechisch-jüdischen Beziehungen vor. Gewürdigt wird mit dem Ehrenpreis zugleich die übersetzerische Leistung von Eva Profousová, die den Roman ins Deutsche gebracht hat.

Kurzbiographien: Radka Denemarková wurde 1968 in Kutná Hora/Kuttenberg geboren und studierte in Prag Germanistik und Bohemistik. Sie arbeitet als Dramaturgin, Kritikerin und Übersetzerin aus dem Deutschen und hat sich seit 2006 als Autorin von Romanen und Erzählungen einen Namen in der tschechischen Literatur gemacht.

 

 

 

 

Eva Profousová, 1963 in Prag geboren, siedelte 1983 nach Hamburg über, wo sie Slawistik und Geschichte studierte. Seit 2002 ist sie freischaffende Übersetzerin und hat zahlreiche Werke der zeitgenössischen tschechischen Literatur dem deutschsprachigen Lesepublikum erschlossen (aus der Pressemitteilung).

 

© Fotos: privat; Geert Maciejewski - Greifswald (2)

 

 

 

 

s. hier auch: Intro – Peter Demetz, Radka Denemarková, Spots, Georg Dehio Preis

 

  

Ivan Nagel, am 28.06.1931 in Budapest in eine jüdische Familie geboren, ist am 09.04.2012 in Berlin gestorben. Der Verfolgung und Ermordung der Budapester Juden entkommt ein Teil der Familie versteckt im Untergrund und kann nach dem Aufstand 1956 in die Schweiz fliehen. Nach seiner Studienzeit, u.a. in Deutschland, ist der Germanist und Theaterwissenschaftler zunächst Musik- und Theaterkritiker, berichtet als Korrespondent aus New York und anderen Städten, wird dann Dramaturg und zweimal Theaterintendant (in Hamburg und in Stuttgart), eine Laufbahn, mit der er auch Theatergeschichte geschrieben hat. Autonomie und Gnade, sein Buch über Mozarts Opern gilt als eindringlichste Publikation zu dessen Werk (Hanser). Ivan Nagel ist ein Neugieriger, ein Ermöglicher, ein sensibler Zeitgenosse, der sich immer wieder einmischt und neue Wege geht. Er liebt die Kunst, die Sprache und das Theater und ist heftiger Kritiker falscher Töne, halbherziger Durchdringung und Oberflächlichkeit. Er verbindet analytische Schärfe mit staunender Begeisterung und Entdeckungslust. Wer ihn persönlich erlebt hat, wird sich gern an sein spöttisches Lächeln, seine leise, aber liebevoll insistierende Stimme erinnern, mit der er sich und seine Gedankenwelt für andere öffnete, sie teilnehmen ließ an seinen eigenen Lernprozessen und sie zum Gespräch einlud. Auch in seinen Schriften sucht er den Dialog.

 

2009 erscheint Gemälde und Drama , sein Hauptwerk, in dem er schildert, wie sich die europäische Kunst aus dem Theater, aus einzelnen Szenen, als eine neue Form der Erzählung entwickelt hat (Suhrkamp). In Falschwörterbuch (Berliner Taschenbuchverlag) und Streitschriften (Siedler) zeigt er sich als präziser Beobachter (kultur-)politischer Vorgänge und seziert den Sprachgebrauch der jeweiligen Protagonisten. Im Deutschlandradio Kultur kann man – als Podcast – sechs erst kürzlich aufgenommene Gespräche mit ihm hören, in denen er seine Biographie erzählt. Selber schreiben konnte er sie nicht mehr.

 

 

 

 

 

 

  © Foto: dpa

 

  

Clara Haskil spielt die Romanze aus Mozarts Klavierkonzert  KV 466

  

Košice - Europäische Kulturhauptstadt - 2013 wird Košice (ungarisch: Kassa, romani: Kasha, deutsch: Kaschau), etwa 400 km östlich der Hauptstadt Bratislava gelegen und mit 260.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes, Europäische Kulturhauptstadt. Vor allem wegen ihrer Stahlproduktion ist die Stadt zu einem bekannten Industriestandort geworden, Tourismus spielt dagegen bisher kaum eine Rolle. Die meisten der rund 120.000 Gäste kommen aus dem Ausland und sind Geschäftsleute, vor allem aus den Nachbarländern Polen, Ungarn und Tschechien. Die Grenzen zu Ungarn, zur Ukraine und zu Polen sind jeweils zwanzig, achtzig und neunzig Kilometer entfernt.

Mit dem Kulturhauptstadtjahr soll die Stadt bekannt werden als ein Ort vielfältiger europäischer Geschichte und unterschiedlicher Kulturen (slowakisch, ungarisch, jüdisch, deutschsprachig) - und als Ausgangspunkt für Exkursionen in die Hohe Tatra, die vier Nationalparks und sechs Unesco-Welterbestätten im näheren Umkreis vorgestellt werden. Bereits dieses Jahr gibt es Kulturveranstaltungen, die auch auf 2013 hinweisen wollen: Im Mai 2012 zeigt das Straßenkünstler-Festival Use the City Kunst und Kultur im öffentlichen Raum (Straßen, Parks). Zwei neue Parkanlagen werden gerade angelegt. Am 19.05.2012 lädt die Stadt zur Nacht der Museen und Galerien. Im Juli 2012 gibt es das Festival jüdischer Kultur, das eng mit dem gleichnamigen im polnischen Krakau zusammenarbeitet, und mit dem Košice an die lange Tradition der jüdischen Gemeinde der Stadt erinnern möchte. Immerhin betrug der jüdische Bevölkerungsanteil vor dem Zweiten Weltkrieg rund zwanzig Prozent. 1944 wurde in einer alten Ziegelei das Ghetto und Arbeitslager Kassa eingerichtet. Siebzig Prozent der jüdischen Bevölkerung wurden ermordet, die Deportationszüge nach Auschwitz fuhren über Košice. Emigration und neuer Antisemitismus minderten die Zahl der heute in der Stadt lebenden jüdischen Familien auf etwa dreihundert Personen. Vom 06. - 10.06.2012 wird zur Ballonfiesta eingeladen, bei der Ballons über der Stadt schweben und das Treiben in den Straßen aus der Vogelperspektive beobachtet werden kann. Auch Feinschmeckern wird etwas geboten: Beim Košice Gurmán Festival vom 22.- 24.06.2012 werden Chefköche, Barmänner und Sommeliers die Gastronomie der Ostslowakei vorstellen.

Der Geburtstag von Andy Warhol am 06.08. , dessen Familie aus der Ostslowakei stammt, wird dieses und nächstes Jahr mit einer großen Pop-Art-Party gefeiert - mit Musik aus den 70er und 80er Jahren. Als seine Doppelgänger verkleidet, sollen viele Andy Warhols durch die Straßen laufen. Bei den Weinfesttagen vom 13. - 15. 09.2012 werden Weine der Region angeboten, darunter auch Tokajer, schließlich sind es von Košice bis ins ungarische Tokaj nur fünfundsechzig Kilometer. Am 07.10.2012 startet der Internationale Friedensmarathon, der bereits seit 1924 stattfindet und somit der älteste Marathonlauf Europas ist. Daneben gibt es Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Theateraufführungen, u. a. des in der Stadt ansässigen Roma-Theaters.

Der Schriftsteller Sándor Márai wurde in Košice geboren. Skulptur, Museum und Kultur-Institut erinnern an ihn. © Foto: visitkosice.eu

Das ganze Programm 2012 und die für 2013 geplanten Veranstaltungen: www.kosice2013.sk

 

 

 

 

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Punkt, Komma, / Doppelpunkt, / Frage- und / Ausrufezeichen, / Strichpunkt, / Gedankenstrich / und die drei / Pünktchen: / welch ärmliche / Zeichen, / um Gewicht, / Gefühlsgehalt, / Rhythmus / und Stellenwert / eines Gedankens / auszudrücken! (Sándor Márai)

 

 

 

 

 

 

 

Die polnische Autorin Olga Tokarczuk erhält den Usedomer Literaturpreis 2012, der am 01.04.2012 um 11.00 Uhr überreicht wird. Dies entschied die Jury, bestehend aus dem Schriftsteller Prof. Dr. Hellmuth Karasek, dem Historiker und Autor Dr. Andreas Kossert und der 

Direktorin des Deutschen Kulturforums östliches Europa Dr. Doris Lemmermeier. Die Laudatio hält die Münchner Literaturkritikerin Marta Kijowska. Die musikalische Umrahmung übernimmt das Signum Saxophonquartett, Preisträger des Usedomer Musikfestivals 2011. Der Usedomer Literaturpreis wird bereits zum zweiten Mal verliehen. 2011 wurden damit die tschechische Autorin Radka Denemarková und ihre Übersetzerin Eva Profousová gewürdigt. Der Usedomer Literaturpreis, gestiftet von der Seetel Hotelgruppe und den Usedomer Literaturtagen, ist mit 5.000 Euro dotiert und ermöglicht der Preisträgerin zusätzlich einen Arbeitsaufenthalt auf der Insel Usedom im Romantikhotel Ahlbecker Hof. Damit sollen die literarischen Spuren, die u.a. Theodor Fontane, Maxim Gorki oder Thomas Mann auf der Insel Usedom hinterlassen haben, fortgeführt werden. Olga Tokarczuk erhält den Usedomer Literaturpreis 2012 für ihr bisheriges Œuvre, in dem sie u.a. die Thematik der mitteleuropäischen Grenzregion Niederschlesiens aufgreift. Sie setzt sich mit der Vergangenheit dieses Gebietes auseinander, beschreibt die Gegenwart und schlägt eine Brücke in die Zukunft. Die 1962 geborene Autorin zählt zu den bekanntesten und bedeutendsten Schriftstellerinnen ihres Landes. Die mutigen, bisweilen radikalen Inhalte, die sie aufgreift, kleidet Olga Tokarczuk in eine klare, ruhige Sprache, voller poetischer Mystik.

 

 

 

 

25.01.2012, Atomenergie: Tschechien erschließt Uranvorkommen

In Tschechien sind Uranvorkommen entdeckt worden, die den Abbau des radioaktiven Rohstoffs der Atomindustrie für mindestens weitere fünf Jahre sicherstellen. Probebohrungen nach der Eröffnung der 23. Sohle im Bergwerk Dolni Rozinka ließen auf Vorkommen mit einem Wert von bis zu 100 Millionen Euro schließen, teilte der Chef der staatlichen Fördergesellschaft Diamo am Mittwoch mit. (dpa)

 

03.01.2012 

Der tschechische Exilverleger und Schriftsteller Josef Škvorecký ist im Alter von 87 Jahren in Toronto an Krebs gestorben. In seinem 1971 in Kanada gegründeten Verlag 68 Publishers, dem Mittelpunkt tschechischer Exilliteratur, veröffentlichte Škvorecký gemeinsam mit seiner Frau Zdena Salivarova Werke von Autoren wie Vaclav Havel, Milan Kundera und Ludvík Vaculík, die in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei nicht erscheinen durften. Viele dieser Ausgaben wurden anschließend hinter den Eisernen Vorhang geschmuggelt. Škvorecký übersetzte moderne amerikanische Autoren wie Ernest Hemingway, Raymond Chandler, Henry James und William Faulkner ins Tschechische, daneben    

- gemeinsam mit Jan Zábrana - auch Kriminalromane.

Als Autor debütierte Škvorecký 1958 mit dem autobiografischen Roman Feiglinge. Sein bekanntestes Werk, Der Seeleningenieur von 1977, erschien erst nach mehr als zwei Jahrzehnten in deutscher Übersetzung. Vermittels seines Protagonisten Daniel Smiřický, genannt Danny, reflektiert Škvorecký darin seine Flucht nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen 1968 und das anschließende Leben in den Emigranten- und Akademikerkreisen Kanadas. Neben vielen Ehrungen und einer Nominierung für den Literaturnoblepreis 1982 erhielt der 1924 in Náchod geborene Škvorecký 2009 den Angelus-Preis für mitteleuropäische Literatur.

 

 

 © Foto: www.skovrecky.com

 

  

 

18.12.2011 Václav Havel ist am frühen Sonntagmorgen in seinem Wochenendhaus in Hrádeček bei Trutnov gestorben. Erst im Oktober war der Ex-Präsident, Dramatiker, Schriftsteller und Dissident 75 Jahre alt geworden. Im Beisein seiner Frau Dagmar sei Havel "ruhig schlafend von uns gegangen", teilte dessen Sekretärin Sabina Tančevová mit. (Reuters)
Václav Havel, am 5. Oktober 1936 in Prag als Sohn einer großbürgerlichen Familie geboren, zählte im Spätherbst 1989 zu den Protagonisten der Prager samtenen Revolution. Im Kampf gegen die Diktatur war Havel seit den 1970er Jahren mehrere Male verhaftet und über längere Zeit inhaftiert worden. Von Ende Dezember 1989 bis 1992 war Havel Präsident der Tschechoslowakei, von 1993 bis 2003, nach dem Auseinanderbrechen des Bundesstaats, Präsident der Tschechischen Republik. Havels Theaterstücke erschienen in deutscher Übersetzung im Rowohlt Verlag. Mit dem Gründer und langjährigen Leiter des Rowohlt Theaterverlages, dem unlängst verstorbenen Klaus Juncker, verband Havel eine langjährige Freundschaft. In einem Kondolenzschreiben der deutschen Bundeskanzlerin an Václav Klaus, den amtierenden Präsidenten der Tschechischen Republik, heißt es: "Mit großer Bestürzung habe ich vom Tod Ihres Vorgängers Vaclav Havel erfahren. Sein Einsatz für Freiheit und Demokratie bleibt ebenso unvergessen wie seine große Menschlichkeit. Gerade auch wir Deutsche haben ihm viel zu verdanken. Zusammen mit Ihnen trauern wir um den Verlust eines großen Europäers."

1989 verlieh der Börsenverein den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Havel, den er jedoch nicht selbst entgegen nehmen durfte – das Regime verweigerte ihm die Ausreise in die Bundesrepublik. Seine Rede in der Frankfurter Paulskirche im Oktober 1989 verlas auf seinen Wunsch Maximilian Schell. (aus: Börsenblatt, 19.12.2011)

 Nicht nur in Tschechien, sondern weltweit wird an Václav Havel erinnert. Karel Hvížďala, Havel-Biograph (aus Interviews und Recherchen entstanden zwei Bücher: Dálkový výslech – Fernverhör und Prosím stručně - Bitte kurzgefasst) sagt: Das ist für mich keine Überraschung. Er hat sich immer für die Welt verantwortlich gefühlt und war nie bloß ein kleinkarierter Tscheche. (in: Radio Prag, 19.12.2011)

 

Billigreisen ins Jenseits: Tschechien wird nicht nur gerne von munteren Touristen besucht, es ist auch Ziel der letzten Reise von Deutschen. Rund sechshundert Mal im Jahr kommen die Leichenwagen, meist aus Berlin und Norddeutschland, ins Krematorium Vysočanské zahrady, das sich nur einige Kilometer von der deutschen Grenze in Hrušovany befindet. Rund 20 Prozent der „Kundschaft“ stammt aus dem Nachbarland, erklärt der Friedhofsverwalter Jiří Krufa, dessen Gesellschaft mit vier deutschen Partnern eng zusammenarbeitet. Einer davon ist der Discount-Bestatter „ruhe-sanft-und-billig.de“, der eine einfache Feuerbestattung bereits ab 980 Euro anbietet. Nach Angaben der Gesellschaft für Bestattungen und Vorsorge (GBV) kostet eine Beerdigung in Deutschland rund 6.100 Euro (um 3.000 Euro kostet die Bestattung samt Trauerfeier, der Rest entfällt auf Grabstein, -pflege und Friedhofsgebühren). Viele Deutsche können oder wollen sich das nicht mehr leisten. Die Billiganbieter weisen alle Vorwürfe - Pietätlosigkeit, schlechte Qualität etc. - zurück. Potentielle Kunden können den Ort vorab besuchen, Krematorium und Friedhof ansehen und sich über den Ablauf informieren. Böhmisches Essen inklusive.

  

28.10.2011 - Der tschechische Schriftsteller, Politiker und ehemalige Botschafter Jiří Gruša ist im Alter von zweiundsiebzig Jahren offenbar im Laufe einer Herzoperation gestorbenAls prominenter Unterzeichner der Charta 77 wurde er 1981 ausgebürgert und lebte im Exil in Deutschland. Nach 1989 war er tschechischer Botschafter in Deutschland und in Österreich, danach auch ein halbes Jahr tschechischer Bildungsminister. Gruša war Leiter der Diplomatischen Akademie in Wien und Präsident des Internationalen PEN-Klubs. Neben seiner eigenen literarischen und der diplomatischen Arbeit übersetzte er unter anderem Rainer Maria Rilke und Franz Kafka ins Tschechische. Ex-Präsident Václav Havel schrieb auf seiner Website, er sei durch den plötzlichen Tod seines langjährigen Freundes schockiert. Er denke an Gruša als an einen seiner nahe stehenden Menschen, den er sehr geachtet habe. "Für das tschechische Zentrum des internationalen PEN-Klubs ist das ein harter Schlag und eine große Trauer. Wir hatten ihn wirklich sehr gern", sagte der Chef des tschechischen PEN-Klubs Jiří Dědeček. Jiří Šitler vom tschechischen Außenministerium erklärte gegenüber der Presseagentur dpa, Jiří Gruša habe sich um die deutsch-tschechischen Beziehungen sehr verdient gemacht. Beim bilateralen Nachbarschaftsabkommen von 1992 spielte er eine wichtige Rolle.


13.10.2011 Börsenblatt: Der tschechische Schriftsteller Tomáš Zmeškal erhält den EU-Literaturpreis für das Jahr 2011 für sein Romandebüt Milostný dopis klínovým písmem (Liebesbrief in Keilschrift). Die diesjährigen Gewinner des Preises der Europäischen Union wurden am Mittwoch während der Buchmesse in Frankfurt am Main bekannt gegeben. Der mit jeweils 5.000 Euro dotierte Preis wird an erfolgreiche Nachwuchsautoren aus sechsunddreißig Ländern Europas vergeben. Die Preisverleihung findet Ende November in Brüssel statt. (s.auch das Interview unter Tomáš Zmeškal und Zmeškal: vlast-Heimat)


19.09.2011 - Roma-Bashing und mehr...

Im Schluckenauer Zipfel ( Šluknovský výběžek, zwischen Elbsandstein- und Lausitzer Gebirge) - Nordböhmen - eskaliert seit geraumer Zeit die Gewalt gegen die Roma-Minderheit. Verantwortlich macht die tschechische Mehrheit die kriminellen Roma-Gangs. Sie hatte sich in den letzten Wochen in rassistischen Demonstrationen ("Zigeuner ins Gas!") vor allem in Varnsdorf Gehör verschafft und sang die Nationalhymne: Kde domov můj – Wo ist meine Heimat?; es kam auch zu Übergriffen. Junge Roma sollen tschechische Kneipenbesucher sogar mit Macheten bedroht haben, wie auch in der deutschen Presse zu lesen war. Gemäßigte Stimmen sprechen allerdings nur von gewöhnlichen Kneipenschlägereien, die allerdings einige zur verbalen Eskalation nutzen.Wie und von wem die Spirale von Gewalt in Gang gesetzt wurde, ist schwer zu sagen. In einer strukturell schwachen Gegend werden erfahrungsgemäß schneller als anderswo Sündenböcke für das eigene Elend gefunden. Premier Nečas reiste mit Arbeits- und Sozialminister Jaromír Drábek ins Krisengebiet, um konkrete Vorschläge zu machen. Schuld an der Misere sind erstaunlicherweise aber nicht Ghettoisierung und Armut der Roma, sondern das "generöse Sozialsystem" in Tschechien. Da lachen allerdings auch Nicht-Roma einigermaßen gequält auf.

Kinder sollen von der Straße geholt werden, damit sie keine Gangs bilden können. Sozialhilfe gäbe es in Zukunft nur, wenn die Kinder zur Schule gingen und die Erwachsenen unbezahlt öffentliche Arbeit verrichteten; hundert vom Staat finanzierte Stellen für öffentliche Arbeit sollen für diese Maßnahme geschaffen werden.

Premier Nečas besuchte darüber hinaus die Kneipe in Nový Bor / Haida, die von Roma überfallen worden war, sowie in Varnsdorf ein Zentrum für Kinder sozial schwacher Familien - und zeigte sich entsetzt über die Lebensbedingungen im Viertel, das schon Ghettocharakter hat. Er forderte, dass Hygiene-Bestimmungen auch von Vermietern eingehalten werden müssten. Das sind in der Regel tschechische Immobilien-Spekulanten, die schnelles Geld machen wollen, mit durchaus mafiösen Methoden und Verhaltensweisen. Offenbar erhalten sie die Wohngeldpauschale von umgerechnet € 520 ,00 pro Kopf direkt vom Sozialamt. Die Roma werden in kleinste Wohneinheiten, auch in ehemalige Garagen bzw. Ställe gepfercht. Vertreter von Roma-Organisationen und SozialarbeiterInnen stimmten dieser Forderung prinzipiell zu. Das größte Problem, die eklatante Diskriminierung der Roma innerhalb der tschechischen Gesellschaft, werde damit aber nicht angegangen. In allen Schichten finden sich Vorurteile und Ressentiments; Lager und Ghettos für Roma werden - durchaus mehrheitsfähig - als probates Mittel gesehen und befürwortet. Zu befürchten ist, dass die Erkenntnisse, die die Politiker bei ihrem Besuch gewonnen haben, nicht zur Verbesserung der Lage der Roma beitragen. Sparzwang und eine notorische Fremdenfeindlichkeit werden dies vermutlich verhindern.

 

Kurznachrichten Juli 2011

Armut in Tschechien nimmt zu

Nicht nur in Deutschland, das in einer kürzlich veröffentlichten UN-Studie wegen seiner mangelnden Maßnahmen gegen die fortschreitende Armut gerügt wurde, auch in Tschechien sind immer mehr Menschen trotz Vollzeitbeschäftigung von Armut bedroht. Die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnbereich nahm im vergangenen Jahr um 50.000 gegenüber 2009 zu und lag bei insgesamt 934.000 - Zahlen, die das Tschechische Statistikamt jetzt veröffentlichte; das entspricht ca. neun Prozent der tschechischen Gesellschaft. Die Armutsgrenze liegt in Tschechien bei einem Jahreseinkommen von umgerechnet etwa 4500 Euro beziehungsweise einem Monatseinkommen von 380 Euro.

Alena Wagnerová hält in der Neuen Züricher Zeitung (22.07) die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Bücher von 10 auf 17,5 % (vor drei Jahren bereits verdoppelt von 5 auf 10%) für katastrophal: es zeige das kulturelle Banausentum der jetzigen Politik.

Social Watch, ein internationales Netzwerk von Bürgerinitiativen und Organisationen gegen Armut, Diskriminierung und Rassismus und für gerechte Verteilung des Reichtums kritisiert im Jahresbericht 2010 die Tschechische Republik wegen der Kürzungen von Sozialleistungen und weiteren beabsichtigten Reformen, die hauptsächlich Menschen mit niedrigem Einkommen und kinderreiche Familien in die Armut und das gesellschaftliche Abseits dränge. Es bemängelte auch die geringe Zahl von Frauen in Spitzenpositionen, die Undurchsichtigkeit politischer Entscheidungen, Korruption und Steuerhinterziehungen.

In diesem Zusammenhang wirkt die tschechische Kritik an Griechenland, vor allem in ihrer moralischen Vehemenz, doch einigermaßen heuchlerisch. Welche Maßnahmen in der augenblicklichen Krise auch immer ergriffen werden, die tschechische Position, sich aus dem Debakel ganz heraus halten zu wollen, ist doch ein bisschen simpel. Man sei schließlich nicht verrückt, wurde mehrfach im Brustton der Überzeugung verkündet. Die EU-Subventionen für eine Vielzahl von Infrastruktur-Maßnahmen, für den Erhalt von Bausubstanz und Landschaftspflege, für die Förderung von Joint ventures, für Projekte der europäischen Zusammenarbeit auf ökonomischer, politischer und kultureller Ebene wurden allerdings immer sehr gerne genommen.

Prinzipien: Wie man mit Gläubigern richtig umgeht, hat der tschechische Staat erst kürzlich vorgemacht. Der gelungene Coup bestand darin, in wenigen Tagen dreißig Gemälde im Wert von einigen Millionen Euro aus mehreren Ländern nach Tschechien zurückzuholen, um einer bevorstehenden Pfändung zuvorzukommen. Vorausgegangen war ein mehr als fünfzehn Jahre währender Rechtsstreit zwischen einem Schweizer Unternehmer mit tschechischen Wurzeln und dem tschechischen Gesundheitsministerium, das den Deal platzen ließ, weil es die Referenzen der Firma nicht mehr ausreichend fand. Die klagte wegen Nichteinhaltung der Absprachen und Rufschädigung, erhielt 2008 Recht und einen Vollstreckungstitel über 380 Millionen Euro, der von Tschechien offenbar nicht sonderlich ernst genommen wurde. Ende Mai dieses Jahres wurden drei Gemälde, die von der Mährischen Galerie in Brno/Brünn nach Wien ausgeliehen worden waren, von der dort zuständigen Justizbehörde eingezogen. Als jetzt auch ein Gericht in Paris auf Vollstreckung des Titels entschied, reagierten die staatlichen Organe in Prag prompt und veranlassten den sofortigen Rücktransport gefährdeter Objekte (u.a. ein Manet) nach Tschechien. Es gibt ein EU-Vollstreckungsabkommen und die New Yorker Konvention zur Durchsetzung von Schiedssprüchen, auf deren Basis Vermögenswerte eines Staates gepfändet werden können, z.B. wertvolle Kunstgegenstände und Immobilien aller Art. In Paris stellt sich nun die Frage, ob das dortige tschechische Kulturzentrum Teil der diplomatischen Vertretung ist oder nicht. Wenn ja, genießt es Immunität, Prag hätte von französischer Seite nichts zu befürchten und erst einmal 8,9 Milliarden tschechische Kronen gespart.

 

John Banville erhält den Franz-Kafka-Preis 2011 

Der irische Schriftsteller John Banville wird mit dem diesjährigen Franz-Kafka-Preis ausgezeichnet. Zu den Preisträgern der seit 2001 jährlich vergebene Auszeichnung gehören unter anderem Vaclav Havel, Philip Roth, Elfriede Jelinek, Harold Pinter, Haruki Murakami und Peter Handke. Für seine Erzählung "The Sea" hatte John Banville bereits 2005 den Man Booker Prize gewonnen. (aus: Börsenblatt des Dt. Buchhandels, 27.05.2011)

In der kongenialen Übersetzung von Christa Schuecke ist die Erzählung unter dem Titel Die See erschienen.

 

 

Reisetipp: Villa Bauer    

   

© Foto: Stiftung des tschechischen Kubismus

Wer sich eingehender mit dem tschechischen Kubismus beschäftigen möchte und nicht nur in Prag bleiben will, sollte die Villa Bauer in der knapp dreihundert Einwohner zählenden Gemeinde Libodřice nahe der mittelböhmischen Stadt Kolín besuchen, die nach der Renovierung in ihrem einzigartigen Interieur ein Museum des tschechischen kubistischen Designs beherbergt. Entworfen und gebaut wurde die Villa in den Jahren 1912 bis 1914 vom tschechischen Architekt Josef Gočár für Adolf Bauer, den Pächter und späteren Eigentümer des Großgrund-besitzes in Libodřice. Nach dessen Tod 1929 lebte seine Frau mit ihren beiden Töchtern noch einige Jahre dort, bis sie nach Prag umzogen. Anzunehmen ist, dass sie dies nicht freiwillig taten (s.a. hier: Eva Roubicková), bekannt ist lediglich, dass sie und die Angehörigen der Familie in KZ´s kamen. „Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt“, sagt die Hausverwalterin, die durch die Villa führt, im Jahre 2011. 1941 wurde das Haus als jüdisches Eigentum beschlagnahmt, der Reichsdeutsche Augustin Juppe verwaltete es bis zu seiner Verhaftung 1945. Seit 1948 ist die Villa in unterschiedlichen Funktionen im Besitz des tschechischen Staates, der nach der faktischen, doppelten Enteignung (1941 und 1945) eigens Gesetze schuf, die Objekte dieser Provenienz zum nationalen Erbe erklärten und im Namen dieses proklamierten nationalen Interesses jeglicher Restitution entzogen. 2002 wurde die Stiftung des tschechischen Kubismus gegründet, die im Haus ein Kubismus-Museum einrichten wollte. 2010 konnten die Sanierungs- und Renovierungsarbeiten abgeschlossen werden. Von der Originaleinrichtung ist fast nichts übrig geblieben. Teile der Küche wurde nach Entwürfen von Vlastislav Hofman und Josef Gočár rekonstruiert, ebenso wie Teile der Eingangshalle. Die jetzigen Möbel hatte der Architekt Ladislav Machoň für seine eigene Wohnung entworfen, Pavel Janák entwarf die Kronleuchter. Im ersten Stock, in dem die Bauer-Töchter ihre Zimmer hatten, stehen nun Möbel des Bildhauers Jan Štursa. Dort befinden sich auch zwei Originalschränke von Vlastislav Hofman aus dem Jahr 1911. Das Arbeitszimmer mit Einrichtungsgegenständen von Antonín Procházka ist im Stil des sog. Rondokubismus gestaltet, d.h. mit einigen runden Formen. Die meisten Möbel stammen aus den 1920er Jahren aus Brünn. Zu besichtigen sind darüber hinaus Gemälde, Graphiken und Plastiken sowie kubistische Keramik, Gläser und Besteck. Wie im Prager Museum für Angewandte Kunst möchte man Duplikate von Vasen, Kerzenständern und Kaffeegeschirr herstellen lassen und verkaufen. Zurzeit gibt es nur Ansichtskarten und Bücher. Besichtigen kann man die Villa nach vorheriger Anmeldung (telefonisch oder per Email). Näheres erfährt man (auch in Englisch) unter  www.nck.cz,

 

Das Börsenblatt des deutschen Buchhandels am 04.05.2011
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Bodleian Library in Oxford erwerben die Briefe Franz Kafkas an seine Schwester Ottilie (Ottla) gemeinsam. Eine entsprechende Einigung konnte noch vor der geplanten Versteigerung des Konvoluts am 19. April mit den Erben Ottlas sowie dem Auktionshaus J. A. Stargardt erzielt werden. Mit dem Rückzug von der Auktion und dem gemeinsamen Erwerb ist sichergestellt, dass eines der wichtigsten Handschriftenkonvolute Kafkas geschlossen in öffentlichen Besitz gelangt. 

Die Erben von Ottla Kafka begrüßen ausdrücklich diese Vereinbarung und die vorgesehene enge Kooperation zwischen der Bodleian Library und dem Deutschen Literaturarchiv. Zusätzlich zu dem 111 Autographen (Briefe, Postkarten und Bildpostkarten) umfassenden Konvolut der Briefe an Ottla übergeben sie den beiden Institutionen auch 23 Briefe von Julie Kafka an ihre Kinder Franz und Ottla, drei Briefe von Dora Diamant an Ottla sowie neun Briefe von Robert Klopstock an Ottla.Unter Federführung der Kulturstiftung der Länder konnte in den Verhandlungen eine Einigung mit den Erben von Ottla Kafka erzielt werden. Finanziert wird die Erwerbung auf deutscher Seite aus Mitteln der Zuwendungsgeber des Deutschen Literaturarchivs – dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Land Baden-Württemberg – sowie der Kulturstiftung der Länder und engagierter privater Stifter. Zu diesen gehören die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und das britische Verlagshaus Macmillan Publishers. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Bodleian Library tragen die Kaufsumme zu jeweils 50 Prozent und werden dadurch Eigentümer an dem gesamten Konvolut. Möglich gemacht wurde diese Erwerbung nicht zuletzt durch das Entgegenkommen der Firma J. A. Stargardt, die zugunsten dieser Vereinbarung auf die Versteigerung verzichtet.

Die Handschriften werden künftig in Marbach aufbewahrt, Vereinbarungen mit der Bodleian Library über den internen Leihverkehr und die wissenschaftliche Erschließung sind vorgesehen. Bund und Land begrüßen die gemeinsame Erwerbung des Deutschen Literaturarchivs und der Bodleian Library als Auftakt zu einer engen Zusammenarbeit der beiden Institutionen im Bereich der Forschung, der Publikationen und Ausstellungen.In ersten Stellungnahmen zeigten sich insbesondere die deutsche Verlegerin Kafkas, Monika Schoeller (S. Fischer Verlage), und der Leiter der Kafka-Forschungsstelle Wuppertal, Professor Hans-Gerd Koch, hoch befriedigt über die erzielte Lösung. Eine Ausstellung der Dokumente wird von Ende Mai an in Marbach und später in Oxford zu sehen sein. Mit der feierlichen Eröffnung soll das Engagement insbesondere der Erben Ottla Kafkas, der Spender und der Wegbereiter gewürdigt werden.

  

Franz Kafka:
Die Briefe an Ottla werden verkauft

Das Auktionshaus Stargardt-Berlin wird in seiner Frühjahrsauktion (19. und 20. April 2011) 111 Briefe und Karten aus den Jahren 1909 bis 1924 von Franz Kafka an seine jüngste Schwester Ottla versteigern. Es wird befürchtet, dass das Konvolut auseinandergerissen und in privaten Besitz gerät, damit der Forschung und dem öffentlichen Interesse entzogen wird und nicht mehr zugänglich ist. Die Erben hatten Oxford bzw. das Literaturarchiv Marbach favorisiert - es fehlen dort aber die finanziellen Mittel; Sponsoren sind offenbar momentan auch keine in Sicht.  http://www.faz.net/s/RubD3A1C56FC2F14794AA21336F72054101/Doc~E84D40CCFFB924174A02E2D6E857EEBF0~ATpl~Ecommon~Scontent.html

http://www.stargardt.de/de/franz_kafka/

http://www.sueddeutsche.de/J5438M/3864663/Rettet-dieses-bedeutende-Kulturerbe.html

 

© Ottla Kafka-Erben: Ansichten aus meinem Leben, geschickt an Ottla Anfang 1918, als Kafka sich in Scheselen aufhielt

Der Artikel von Hubert Spiegel in der FAZ schildert Hintergründe der Auseinandersetzungen und Querelen, das Werk Kafkas und dessen Verwertung betreffend. Der zweite Text kündigt die Auktion an, mit der so kurzfristig offenbar niemand gerechnet hatte, obwohl der Streit um Rechte und Rechtsnachfolge schon geraume Zeit schwelt, gefolgt von einem Aufruf namhafter (deutscher) KAFKA-Kenner (Binder, Wagenbach, Reuß u.a.). Wichtig ist ihnen vor allem, dass nicht kleinkarierte, nationale Erwägungen eine Rolle spielen, die ab und zu auch gerne aggressivere Züge annehmen - ihr Credo ist: Franz Kafka gehöre keinem Land alleine: Er sei - wie R. Stach betont - WELTKULTURERBE! Das klingt vollmundig und leichtfüßig zugleich: wie eine vernünftige Lösung gefunden werden könnte, steht allerdings doch noch eher in den Sternen.Nun ist doch Bewegung in die Diskussion gekommen: Markéta Mališová, Leiterin der Prager Kafka-Gesellschaft, möchte die Briefe und Karten des Schriftstellers an seine Schwester Ottla am liebsten in Prag sehen. Denn bis auf einige amtliche Dokumente gibt es in Kafkas Heimatstadt kaum Originalhandschriften des Autors. „Obwohl er ein Autor war, der auf Deutsch geschrieben hat, ist er hier in Prag geboren. Und was sein Leben am meisten geprägt hat, war Prag.“ Chancen sieht sie für dieses Projekt durchaus: „Ich habe eine Benachrichtigung bekommen, dass sich eine deutsche Privatperson für die Auktion interessiert. Das ist aber nur ein unbestätigtes Gerücht. Angeblich will diese Person die Briefe kaufen und an Tschechien zurückgeben.“

 

03.04.2011

Mit der Verleihung des ersten Usedomer Literaturpreises gingen am Sonntag die Usedomer Literaturtage 2011 zu Ende: Ausgezeichnet wurden die tschechische Autorin Radka Denemarková und ihre Übersetzerin Eva Profousová für den Roman „Ein herrlicher Flecken Erde“ (DVA).

Herzlichen Glückwunsch an die beiden Preisträgerinnen!

 

Seit dem 26. Januar 2011 gibt es endlich eine - von der Architektin Marcela Steinbachová entworfene - Gedenktafel für Max Brod an seinem Geburtshaus in der Haštalská Straße 25, initiiert von der Franz-Kafka-Gesellschaft Prag mit Unterstützung der Tschechisch-Israelischen Handelskammer. Der Autor, Übersetzer und Komponist Max Brod wurde am 27. 5. 1884 in Prag geboren und starb am 20. 12. 1968 in Tel Aviv.

  

10.12.2010, Pressemitteilung der Österreichischen Botschaft Prag: Prof. Dr. Kurt Krolop erhält das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse aus den Händen des österreichischen Botschafters in der Tschechischen Republik, Dr. Ferdinand Trauttmansdorff. Prädestiniert durch seinen Geburtsort im nordböhmischen Kravaře (Graber) hat Krolop sich mit verstärktem Interesse der deutschsprachigen Literatur in den böhmischen Ländern und daher auch der Literatur, die in der ehemaligen Habsburger-Monarchie entstand, gewidmet. Mit ihrer Geschichte und ihren Spezifika im 19. Jahrhundert hat er sich in seiner Habilitationsarbeit befasst. Sein lebenslanges Interesse gehörte Karl Kraus – seine Studien hat er in der Publikation „Reflexionen der Fackel. Neue Studien über Karl Kraus“, die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1994 veröffentlicht wurde, zusammengefasst. In nicht minderem Maße hat sich Krolop auch mit der Prager deutschen Literatur beschäftigt, wovon neben Dutzenden Konferenzbeiträgen auch seine Funktion als Vorsitzender der Franz-Kafka-Gesellschaft zeugt und auch die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren. In den Jahren 1991 bis 1995 hat Krolop den Lehrstuhl für Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag geleitet, in Prag lebt er auch nach seiner  Emeritierung.

 

ROMA, OBDACHLOSE, VERLIERER: AB INS LAGER

Ein tschechisches Wahlkampfthema waren die Obdachlosen in der Hauptstadt Prag. Die Sozialdemokraten plakatierten sogar mit dem Slogan: Weg mit Drogenabhängigen und Obdachlosen, und mit solchen Parolen kann man in Tschechien mmer reüssieren und Stimmen bekommen. Die Intoleranz vieler Tschechen manifestiert sich nicht nur in Sprüchen gegen AusländerInnen, auch Roma aus dem eigenen Land sind davon betroffen. Selbst in liberalen und intellektuellen Kreise sind diese Ressentiments beheimatet. Brandanschläge, bei denen kleine Kinder für ihr ganzes Leben entstellt wurden, verhindern nicht die Stammtischparolen: WEG DAMIT. Den Roma wird übel genommen, dass viele von ihnen versuchten, das Land zu verlassen. Als Kanada gegen den kleinen Ansturm Visumspflicht für Tschechen insgesamt verhängte, richtete sich die Wut natürlich nicht gegen die eigene intolerante Haltung, die Menschen dazu bewegte, das Land zu verlassen, sondern gegen die Roma, die keinen anderen Ausweg mehr sahen.

Nachdem man bereits vor zwei Jahren versucht hatte, die sog. Penner aus den Parks und Straßen der Innenstadt zu verbannen - in einem Land übrigens, das eine der höchsten Alkoholismusraten weltweit hat - haben sich einige Politiker nochmal in die Geschichte begeben und sind fündig geworden: Lager müssen her, irgendwo am Stadtrand, wohin sich Touristen selten verirren, deren Devisen man natürlich weiterhin gerne haben möchte. Von Mitgefühl ist dabei keine Rede, von Ursache und Wirkung sowieso nicht. Einige soziale Einrichtungen, NGO´s, Teile der Kirche fürchten um den guten Ruf der Tschechen und einer freiheitlichen Gesellschaft, die meisten anderen finden es gut.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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