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Sprache: Mantakisch


Karpatendeutsche im und nach dem 2.Weltkrieg

Ein Hintergrundbericht aus dem ostslowakischen Metzenseifen

von Daniela Capcarová


Fährt man von Košice, der zweitgrößten slowakischen Stadt, etwa dreißig Kilometer südlich vorbei an den Roma-Siedlungen, kommt man in ein malerisches Dorf, das heute ein Zentrum der Karpatendeutschen ist: Metzenseifen.

 

       

Kirche - Walter Bistika

 

Panorama - Walter Bistika

 

Tor - Daniela Capcarová

  

An den an einer Straße aufgereihten Häuser fallen die großen, alten Tore auf, durch die früher noch die Pferdewagen fuhren. Die Dorfszenerie erweckt den Eindruck, in einem Städtchen Deutschlands oder einem deutschen Dorf zu sein. In einem von diesen, aus der alten Zeit übriggebliebenen Häusern wohnt Walter Bistika. Aus dem Haus, in dem sich vor dem 2.Weltkrieg eine deutsche Apotheke befand, ist heute ein Café geworden, das seit 2009 von seinem Neffen Helmut Bistika betrieben wird. Helmut ist Künstler und eines seiner Bilder, das an der Wand hängt, stellt ursprüngliche Worte des Metzenseifener Dialekts dar. Walter Bistika beherrscht nicht nur den deutschen Dorfdialekt, der hier Mantakisch heißt, sondern auch Deutsch, Slowakisch und Ungarisch. Nach einem Schluck Zitronenlimonade beginnt er die Geschichte seines Heimatdorfes zu erzählen:

 

   

Walter Bistika - Daniela Capcarová

 

Helmut Bistika: Mantakisch 

 

„Die ersten deutschen Siedler kamen im 13. Jahrhundert nach dem Mongolen-Einfall hierher, in ein geplündertes Land, das menschenleer und ausgerottet war“ erzählt der Deutschstämmige, der 1929 geboren wurde. Seiner Meinung nach sei der Metzenseifen-Dialekt dem tiroler und bayerischen Dialekt ähnlich. „Die größte Blüte erreichte unser Metzenseifen, das auf Slowakisch Medzev heißt und auf alten Karten auch als Metzdorf verzeichnet ist, Mitte des 19. Jahrhunderts durch Hammerschmiede und deren Werke“, schildert der lebhafte Rentner die Geschichte des Ortes mit seinen heute rund 5.200 Einwohnern. „Damals belieferten unsere Schmiede ganz Ungarn, sogar Rumänien“. 1908 mussten die Karpatendeutschen aus Metzenseifen auf Druck Ungarns, zu dem die jetzige Slowakei damals gehörte, auf die deutsche Sprache verzichten und ungarische Schulen besuchen. Zehn Jahren später war die Situation für die Erhaltung des Deutschtum wieder besser. „Nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik 1918 wurden die ungarischen Schulen abgeschafft und gleich eine deutsche Volksschule zugelassen; zwei oder drei Stunden in der Woche lernten die Kinder aus Metzenseifen auch Slowakisch“, erzählt Bistika.


Metzenseifener Deutsche gehören zu der Volksgruppe der Karpatendeutschen, wie man die deutsche Minderheit auf dem Gebiet der heutigen Slowakei nennt. Dem neuen Buch der Historikerin der Slowakischen Akademie der Wissenschaften Soňa Gabzdilová-Olejníková Karpatskí Nemci na Slovensku od druhej svetovej vojny do roku 1953 / Karpatendeutsche in der Slowakei seit dem 2. Weltkrieg bis zum Jahr 1953 zufolge, lebten im Jahr 1931 147.501 Deutschen in der Slowakei, was 4,53 % der Bevölkerung entsprach. Im Vergleich zu den mehr als drei Millionen Deutschen (durch die Nazis im Begriff 'Sudetendeutsche' zusammengefasst) in Tschechien, war das nur ein Bruchteil. Für die Machtpolitik des Deutschen Reiches waren die Karpatendeutschen aber genauso wichtig wie die sog. Sudetendeutschen.


Gabzdilová-Olejníková meinte in ihrem Vortrag „Rache oder Gerechtigkeit – Die Aussiedlung der Karpatendeutschen aus der Tschechoslowakei“ – 2014 gehalten in Košice, die Karpatendeutschen hätten untereinander in nicht so starkem Kontakt gestanden wie die Sudetendeutschen, der Grund dafür sei gewesen, dass sie dreisprachig erzogen wurden, Deutsch, Slowakisch und Ungarisch sprachen. "Die Beziehungen der Karpatendeutschen zu anderen Ethnien der Slowakei beruhten auf gegenseitigem Respekt. Außerdem waren sie über das ganze Gebiet der Slowakei verstreut – ein Teil war in Bratislava, ein anderer in Modra, Pezinok, etliche Karpatendeutsche lebten in Nitrianske pravno, Kremnica, auf der Zips und in der Ostslowakei“. Nach Ansicht der Historikerin konnten sich die Deutschen in der Slowakei schlechter organisieren als die sog. Sudetendeutschen.


Laut Bistika waren die Tschechen in der Vorkriegszeit an keinen deutschen Höheren Schulen interessiert. Anscheinend fürchtete sich die junge Republik vor dem Anstieg der Volksdeutschen, die beinahe ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachten. Metzenseifen wurde z.B. durch den Sudetendeutschen Kulturverein aus der Tschechoslowakei finanziert. „Durch dessen Unterstützung bekam Metzenseifen die erste private Bürgerliche Schule, sudetendeutsche Lehrer kamen nach Metzenseifen und unterrichteten Volksdeutsche“. Zu dieser Zeit waren 90 % der Dorfbewohner Deutsche.

Nach dem Münchener Verrat (das sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei so genannte Münchner Abkommen, red.) musste die damalige tschechoslowakische Regierung einen Teil ihres Gebietes an Ungarn abtreten. Deshalb gehörte Košice auf einmal zu Ungarn und das nahe Metzenseifen zum neu entstandenen slowakischen Staat. „Wir sprachen damals viel über die Verhältnisse nach der Grenzverschiebung durch die Gründung des Slowakischen Staates. Unter-Metzenseifen, Ober-Metzenseifen und Stoss waren durch die neuen Grenzen wirtschaftlich stark betroffen“, erklärt Walter Bistika. „Folglich gab es immer wieder Demonstrationen mit der Forderung des Anschlusses von Metzenseifen an Ungarn. Knapp vor unserer Nase war die ungarische Grenze, vom Bahnanschluss waren wir gänzlich abgeschlossen, hinter uns der Gebirgskamm des slowakischen Erzgebirges, was während der Wintermonate zu Versorgungsengpässen führte“, schildert er die Situation. „Ich erinnere mich noch an den Refrain eines Liedes ´Hör Hitler hör....für uns bleibt Ungarn gut und hold´“. In der ungarischen Zeitung Szepesi hiradó wurde darauf hingewiesen, dass die Metzenseifener lieber zu Ungarn gehören wollten als zum damaligen Slowakischen Staat. „Es waren vor allem die befürchteten Absatzschwieigkeiten der landwirtschaftlichen Geräte in den Schmieden, die den starken Patriotismus der Metzenseifener Deutschen für Ungarn erklären“, konstatiert Bistika. In der Kassai Ujság vom 21.November 1938 konnte man lesen, dass von Metzenseifen sogar eine Delegation zu Hitler nach Berchtesgaden entsandt worden war. „Doch der Anschluss an Ungarn blieb aus“, resümiert Bistika das Unterfangen.

Nach dem Münchener Verrat / Münchner Abkommen gründete bereits am 10. Oktober 1938 der Mährendeutsche Franz Karmasin in der Slowakei die Deutsche Partei, die die Interessen der Karpatendeutschen vertreten sollte. Fünf Tage später erlaubte die autonome slowakische Regierung – unter dem Verbündeten Hitlers Josef Tiso – die Errichtung eines Staatssekretariats für Angelegenheiten der deutschen Minderheit. Der Staatsbeauftragte war Franz Karmasin, der auch das Recht erhielt, an den Regierungssitzungen teilzunehmen. „Die Deutsche Partei fungierte zwar offiziell im Rahmen des politischen Systems der Slowakischen Republik, ihre ganze Tätigkeit war aber direkt aus Berlin gesteuert, konkret durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler“, schreibt Gabzdilová-Olejníková. Durch eine Mischung aus Nazipropaganda, Aufrufen zum Gehorsam und durch offene Drohungen sei es der Deutschen Partei gelungen, einen großen Teil der deutschen Bevölkerung der Slowakei zu rekrutieren“. Walter Bistika erinnert sich ganz genau an diese Zeit. „Den vor dem Krieg gewollten Anschluss von Metzenseifen an Ungarn wollte der Volksgruppenführer Franz Karmasin nicht zulassen", erinnert Bistika sich. Die Propaganda für die Deutsche Partei führte ihn auch in die Ostslowakei. „Karmasin kam direkt nach Metzenseifen und wurde von den Dorfbewohnern mit Steinen beworfen“, erzählt der alte Mann, der beim Ausbruch des 2. Weltkrieges elf Jahre alt war.

 

   

Das alte Metzenseifen...

 

© Walter Bistika

 

Die Karmasin-Propaganda habe die Dorfbevölkerung aber gespalten. „Ein Teil der Bewohner von Metzenseifen ist in die Karmasin-Partei eingetreten, weil die Hammerschmiede anschließend Armeeaufträge und dadurch Arbeit bekamen. Andererseits waren hier wegen der sozialen Not die Kommunisten sehr stark, die wiederum den Partisanen-Untergrund bildeten. Natürlich hat es hier auch SS-Männer gegeben“. Etwa die Hälfte waren Partisanen, die andere Hälfte war bei der SS. Es gab darüber hinaus auch die, die in der mit Hitler befreundeten Slowakischen Armee dienten und an der Ostfront eingesetzt waren“.

Laut Walter Bistika bezog sich die Verteilung der damaligen Deutschen auf Partisanen und SS nur auf die wehrpflichtigen Jahrgänge. „Im Jahr 1944 berief man auf Anforderung der deutschen Botschaft in Bratislava die im Wehrdienst an der Front in der slowakischen Armee dienenden, deutschstämmigen Soldaten nach Hause. Sie bekamen zwei Wochen Urlaub und sollten sich danach bei der SS-Kommandantur melden“, erinnert sich Bistika. „Das Verhalten der Soldaten der deutschen Diaspora in der damaligen Slowakei war unterschiedlich, einige gingen zur Waffen-SS, einige zu den Partisanen und einige versuchten irgendwie unterzutauchen, was aber sehr riskant war“, erklärt der Rentner und fügt hinzu: „Die Studenten deutscher Nation wurden zum Beispiel nach dem Abitur verpflichtet, sich zur SS zu melden“.

Die Partisanengruppen unterstützten den Slowakischen Nationalaufstand und ermöglichten das Vorrücken der Roten Armee auf slowakisches Gebiet. Nachdem der Slowakische Aufstand im September 1944 niedergeschlagen war, fürchtete Tiso sich vor weiteren Vorstößen der russischen Soldaten. „Die Sicherheitsabteilung des Ministeriums der Nationalabwehr der Slowakischen Republik erteilte am 18. Oktober 1944 eine Anweisung, laut der Angehörige der deutschen Minderheit in der Slowakei infolge der Bedrohung der einzelnen Teilgebiete der Slowakei durch Armeeoperationen oder auf eigenen Wunsch aus der Slowakei nach Deutschland evakuiert werden können“, schreibt Gabzdilová-Olejniková in ihrem Buch. An die Zeit erinnert sich auch Bistika. „Die Aufforderung zur Evakuierung kam von der Deutschen Partei beziehungsweise von der deutschen Botschaft“, sagt Bistika. Auch seine Eltern entschieden sich im November 1944, die Heimat zu verlassen. „Die Evakuierten konnten das Wichtigste mitnehmen. Auf Rat deutscher Soldaten haben meine Eltern unser Schwein geschlachtet, darüber hinaus alles Wichtige in Kisten verpackt und mitgenommen. Auch das Rundfunkgerät war dabei“.

„Wir fuhren mit einem Lastwagen zuerst zum Sammellager nach Kežmarok, dann ging es weiter nach Zakopane in Polen. Von dort sind wir nach Oberschlesien in den Kreis Grottkau gekommen. Dort wurden wir zusammen mit zehn Familien untergebracht und blieben bis zum Januar 1945. Von dort sind wir ins Sudetenland gekommen. Wir landeten in Niklasdorf in der Nähe von Kláštorec nad Orlicí. Dort waren wir, zusammen mit weiteren sieben deutschen Familien, die aus der Nähe von Poprad stammten, untergebracht; alles war erstklassig vom Roten Kreuz organisiert. Später gelang die Rote Armee auch dorthin. Eine Rückkehr nach Metzenseifen war unmöglich, denn überall waren die Bahnbrücken gesprengt“, schildert Bistika die Irrwege seiner Familie.

„Wir alle wurden damals von tschechischen Behörden verhört und mussten unsere Heimatadressen in der Slowakei angeben. Eines Maitages kam die tschechische Gendarmerie und hat die deutschen Familien aus der Umgebung von Poprad weggebracht“ erinnert sich Bistika weiter. Die Tschechen erkundigten sich in den slowakischen Heimatdörfern nach dem Hintergrund der Familien und deren eventueller Mitgliedschaft in der Deutschen Partei. „Wir durften bleiben, weil unsere Familie vom Nationalausschuss in Metzenseifen positiv bewertet worden war und wir deshalb Papiere bekamen“, schildert er das damalige Säuberungsverfahren der Behörden. „Wir sind bis zum 1. Oktober 1945 geblieben, dann mit Zügen bis nach Košice gefahren. Unsere Häuser waren konfisziert, wir hatten aber Verwandte, die da geblieben waren, so sind wir erst einmal zu denen gezogen. Ein eigenes Haus haben wir erst später, nach drei Jahren, bekommen“. Bistikas Ausführungen zufolge ist von zwei Dritteln der evakuierten Deutscher nur ein Drittel überhaupt zurückgekommen. Alte Leute hatten weiter in ihren Häusern gelebt, keiner hatte sie hinausgeworfen. „Im Unterschied zu anderen Regionen hatte hier keiner aus den umliegenden Dörfern Interesse, unsere Häuser zu besetzen. Aufgrund guter Beziehungen zu den Slowaken und Ungarn kam es hier zu keinerlei Reibereien“. sagt der Sechsundachtzigjährige.

„Letztendlich war es gut, dass wir während des Krieges evakuiert wurden, denn hier aus Metzenseifen wurden am 11. Februar 1945 etwa hundertfünfzig Frauen und Männer von den Russen und dem NKWD unter einem Vorwand in den Gulag verschleppt. Fünfzig von ihnen sind im Gulag gestorben“, fügt er hinzu. „Es wurde ein Verzeichnis der unerwünschten Deutschen erstellt, SS-Angehörige waren nicht dabei, denn die waren noch in Gefangenschaft“.

Nach dem Krieg sah es im Metzenseifen nicht rosig aus. „1946 gab es es hier keine Arbeit, in dieser Zeit haben auch die Aussiedlungen in Folge der Beneš-Dekrete begonnen. In Nováky war das Sammellager – von dort ging es entweder in die sowjetische oder in die amerikanische Besatzungszone. Viele sind auch in Österreich gelandet“, resümiert Bistika die Nachkriegsverhältnisse. „Viele aus unserem Dorf konnten dieser Aussiedlung entgehen, weil sie sich in den umliegenden Dörfern sowohl bei Slowaken als auch bei Ungarn verstecken konnten. Denn immer gab es Leute, die durchsickern ließen, wenn eine Militär- oder Polizeiaktion bevorstand.“ Ende 1946 verließen nach Angaben der Historikerin Gabzdilová-Olejníková circa 32.400 Karpatendeutsche die Slowakei. Sie durften nur dreißig Kilo mitnehmen, alles übrige Vermögen mussten sie dalassen. Die leeren Häuser und der Grundbesitz wurden dann verteilt bzw. neu genutzt.


„Von der einstigen deutschen Bevölkerung sind hier vielleicht vierzig Prozent geblieben. Unsere Familie ist dennoch zum Ergebnis gekommen, dass es gut war, nach 1946 hier geblieben zu sein, obwohl es beruflich nicht einfach war. Aber anfangs waren auch nicht alle Flüchtlinge aus Osteuropa in Deutschland willkommen“, resümiert Bistika, der im Sozialismus Buchhalter war und noch heute mit Aussiedlern in Deutschland regen Briefkontakt hält.

 

   

Metzenseifen heute...

 

© Daniela Capcarová

 

Aber die Kinder von Aussiedlern interessierten sich nicht mehr für die Wurzeln der Eltern. Bistikas Tochter und seine Enkelkindern sprechen Deutsch und verstehen auch den Metzenseifen-Dialekt. Während Walter Bistika erzählt, setzt sich sein Neffe, Helmut, an den Tisch. Auf das Bild mit dem Metzdorfer Dialekt angesprochen, den man hier „mantakisch“ nennt, sagt er: „In meiner künstlerischen Arbeit arbeite ich gerne mit unserem Dialekt, es ist mir bewusst, dass er aus unserem Alltagsleben hier fast verschwindet. Deshalb ist mein letzter Kunstkatalog einer Arbeit mit mantakischen Gedichten und abstrakter Malerei gewidmet“. Der Künstler hat seine Werke schon in Berlin, Essen, Düsseldorf und Hamburg ausgestellt. Die interkulturellen Überschneidungen in Košice und Umgebung empfindet er als äußerst positiv. Beide Bistikas erleben das Leben in der Ostslowakei als eine Bereicherung, obwohl es auch seinen Preis hat. „Laut der letzten Volkszählung sank die Anzahl der Karpatendeutschen in unserem Dorf in den letzten fünfundzwanzig Jahren um ganze zehn Prozent auf 8,11 Prozent “, sagt Walter Bistika traurig. „In der Schule in Metzenseifen gibt es keine Kinder mehr, die untereinander mantakisch sprechen, unser Mantakisch stirbt aus, und das ist schon ziemlich traurig“

 

   

Helmut Bistika in seinem Künstler-Café....

 

Atelier - Helmut Bistika

 


© Mit freundlicher Genehmigung der Autorin, Kurzfassung des Textes: Prager Zeitung; Fotos: Walter Bistika, Helmut Bistika, Daniela Capcarová

06VI15



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