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Daniela Capcarová im Gespräch mit Štefánia Opremčáková

 

In Irland regnet es anders - Über den Erfolg der slowakischen Autorin



Im Rahmen des Projektes Kulturhauptstadt Europas Košice 2013 wird die 55-jährige, in Košice lebende Buchautorin Štefánia Opremčáková vorgestellt. Die studierte Juristin entschloss sich als eine der ersten slowakischen Autorinnen in ihrem autobiographischen Buch die Misere des Pflegeberufs zu beschreiben.

Das Buch In Irland regnet es anders beschreibt die Genese des Aufenthaltes einer 43-jährigen, studierten Osteuropäerin, die machen muss, was sie eigentlich nicht nötig hätte. Über die Gründe der Entstehung des Buches, über die Unterschiede zwischen dem Leben irischer und slowakischer Frauen - und über eine schöne Beziehung zu einem Mann sprach sie in einem Exklusivinterview mit Daniela Capcarová.

 

Daniela Capcarová: Sie gingen nach Irland, weil sie aus einer Beziehung mit einem jüngeren, verheirateten slowakischen Mann flüchten wollten. Ihre Euphorie während der Verliebtheit haben sie mit folgendem Satz beschrieben: „In dem Moment, in dem ich mich verliebe, soll alles, was danach kommt, der Teufel holen, ich verkaufe dir meine Niere, ich kaufe dir eine Inselgruppe, nur lieb mich bitte“. Was kommt nach der Verliebheitsphase?

 

Štefánia Opremčáková: Sie endet nie. Jede meiner Lieben ist in mir und bildet ein Netz, fast wie Metastasen in einem Körper, und eine neue Liebe findet den Weg in mein Herz parallel zu der vergangenen. Ich mache alles jenseits des Fassungsvermögens dieser lauen Menschen, die sich vorsichtig durch ihr Leben schleppen, nichts riskieren, aber viel erwarten. Allerdings bin ich noch nicht dem Mann begegnet, der sich vor meinen Extremen nicht erschreckte. Meistens sind sie abgehauen, änderten ihre Telefonnummern oder Adressen, manche sind irgendwo in Mexiko oder Belize. Mein zweiter Mann soll irgendwo in Neuseeland sein. Im Stadium ihrer Flucht habe ich sie allerdings noch mehr geliebt, weil das Unmögliche und Unerreichbare für mich immer eine Herausforderung ist. Ich gebe alles, Halbherzigkeit, Kleinlichkeit und Vorsicht sind meinem Wesen zuwider. Wie lautete die Frage? Was kommt nach der Phase der Verliebtheit? Wie man sieht: Besessenheit (lacht).

 

Wie hat ihr acht Jahre jüngerer Liebhaber, mit dem sie die Beziehung wegen der gesellschaftlichen Normen nicht weiter entwickeln konnten, auf diesen Liebeshunger reagiert?


Mein Mister Big (der Name bezieht sich auf den Mister Big der amerikanischen Serie Sex in the City; die Eigenschaften von Opremčákovás Mr. Big waren allerdings ganz andere als die des Serienhelden) war der einzige, der im Unterschied zu den vorherigen Männern nicht weggelaufen ist, aber ganz klar nur deshalb nicht, weil er nicht einmal dazu genug Courage hatte. Er war ein ewig trauriger Buddhist: ein Büromensch in grauem Jackett und einer Jacke mit kaputtem Reißverschluss - und verheiratet. Ich denke, dass er vor der Realität in die Meditation und das Aufsagen von Sutras (buddhistische Verse), die wie kurze Kindersprüche klingen, flüchtete. Außerdem war er mein Arbeitskollege. Wir stießen tagtäglich aufeinander und trafen uns heimlich in meiner Wohnung. In dem Stadium, in dem er anfing, Gedichte über die Katharsis zu schreiben, konnte er seine Gefühle mir gegenüber nicht ertragen und grüßte mich sicherheitshalber gar nicht mehr. Der Grund seiner Ignoranz war, dass die redseligen Kolleginnen unsere heimliche Beziehung nicht entdecken sollten. Dann ging ich – verließ meine Arbeit und die Stadt. Košice war einfach zu klein, um frei atmen zu können. So entschloss ich mich, nach Irland zu gehen. Und auch von dort rief ich Mr. Big regelmäßig an, ich weiß einfach nicht, wann ich in der Liebe aufzuhören habe.

 

Wie war das erste Erwachen in Irland?

 

Meine erste SMS an eine Freundin besagte, dass die Iren außerordentlich nett sind, und in der zweiten SMS revidierte ich diese Äußerung mit der Begründung, dass sie ständig betrunken seien. Viel härter war das Erwachen, als ich begriff, dass ich dort nichts anderes war als eine Dienerin und es keinen kümmerte, was ich dachte. Über das Wetter ganz zu schweigen: regnerisch, rau und windig. Nach meinem ersten Lohn bin ich allerdings 'weicher' geworden: In drei Tagen verdiente ich in Irland soviel wie in der Slowakei in einem Monat. Damals spürte ich zum ersten Mal die Macht des Geldes, und wenn es mir wirklich schlecht ging, wenn meine Hände von der harten Arbeit zerschunden waren, sagte ich mir immer wieder, dass ich wegen des Geldes gekommen sei und auch nur deswegen bliebe. Ich kaufte mir eine Gucci-Tasche und hielt weitere Wochen durch.

 

Warum nannten Sie Ihr Buch In Irland regnet es anders?

 

Ich hatte schon lange im Kopf, über das, was ich empfinde, zu schreiben. Es schien mir, dass es einer Veröffentlichung wert wäre. Der erste Titel, der mir einfiel, war „Mein irisches Geld“, aber mit der Zeit schien mir dieser Satz nicht passend genug. Mein Leben hat sich durch meine Reise in jeder Hinsicht verändert, und das Geld war nur der sekundäre Bonus, weil mein Leitmotiv mit der Zeit das Anderssein wurde. Dann gab es den ewigen irischen Regen, und ich kapierte plötzlich, dass In Irland regnet es anders das Passendste für die zentrale Botschaft des Buches war.

 

In dem Buch beschreiben Sie eine Szene, als Sie auf einen Sprung zurück in die Slowakei sind - mit einer Zwischenlandung in Prag. Im Flughafencafé hören Sie das berühmte tschechische Lied "Holubí dům – das Haus der Trauben" und Tränen schießen Ihnen in die Augen. Was war die Ursache für Ihre plötzliche Trauer?


Damals in Prag war mein Gemütszustand wieder so wie damals, als ich die Heimat verließ. Alles, was seitdem passiert war, verwandelte sich in Tränen und dann noch dieses Haus der Trauben obendrauf. Ich hatte Taschen voller Geld und war eher reumütig als glücklich. Nach dem einen Jahr in Irland war die ganze Welt auf einmal anders - oder ich einfach alleine.

 

Als Sie danach vom Prager Flughafen aus in die Slowakei flogen, wussten Sie, dass Sie zu Hause eine Abtreibung hinter sich bringen mussten, weil solche medizinischen Eingriffe in Irland offiziell verboten sind. Über die Abtreibung schreiben Sie im Buch offen und haben sie auch nie bereut. Es gibt nicht so viele Slowakinnen, die diese Tatsache gerne in einem autobiographischen Buch mitteilen würden. Brechen Sie damit nicht ein Tabu?

 

In jedem Krankenhaus in der Slowakei wird monatlich durch diese Eingriffe ein ganzer Kindergarten ermordet – in dem einen ein kleinerer, in einem anderen ein größerer. Was für ein Tabu? Wenn ich dem slowakischen Mr. Big nur für eine Minute geglaubt hätte, dass er unserem gemeinsamen Kind ein Vater sein könnte, wäre ich diesem Kind eine Mutter geworden. Davor hatte ich ja bereits meinen Sohn, der jetzt schon erwachsen ist, alleine groß gezogen, und ich weiß ganz genau, wie es ist, alleine mit einem Kind und seiner Erziehung zu sein.

 

In der Slowakei sind Sie von einer Liebe davon gelaufen, aber wahrscheinlich haben Sie kaum damit gerechnet, dass in Irland eine neue Liebe wartet. Wie war diese Liebe und wie haben Sie sie wahrgenommen?

 

Josie war der einzige Mann, der mich vorbehaltlos liebte. Er verurteilte mich nicht, er wollte mich auch nicht ändern, er liebte mich einfach nur. Bizarr an dieser Liebe war, dass es keine körperliche und trotzdem eine wahrhaftige menschliche Liebe war – ohne Kämpfe und ohne Kompromisse. Jetzt weiß ich schon, dass es sie gibt – die Liebe.


Wenn Sie Ihr Leben in Irland mit ein paar Worten beschreiben sollten, gäbe es dafür ein Motto?


Harte Arbeit, gerechter Lohn, in Irland gelten mathematische Axiome.

 

Interessant ist, dass die Iren die Slowakei als wesentlich rückständigeres Land als Irland selbst betrachten. In Sachen der Gleichberechtigung der Frauen ist die Situation vollkommen anders. In Irland verbotene Abtreibungen vermitteln einem den Eindruck, als ob das Land in der Frauenfrage irgendwo stecken geblieben ist – als wäre das Land noch in den 60ern. Wie haben Sie persönlich die Stellung der Frauen dort wahrgenommen?

 

Die Slowakei kann einem rückständig vorkommen, weil wir ärmer sind. Der Hauptunterschied zwischen der Slowakei und Irland besteht aber darin, dass die Familienbindungen in der Slowakei weniger stark sind als die in Irland. Ich weiß nicht, ob es in Irland überhaupt Kinderheime gibt. Und das, obwohl jede Familie mindestens drei Kinder hat. Eine zwölfköpfige Familie (Eltern, Kinder) ist dort nichts Außergewöhnliches. Sollten die Eltern eines Kindes sterben, dann kümmern sich die Verwandten darum. Auf der anderen Seite beruht die Einigkeit der Familien auf der Verantwortung des Mannes, der für die Familie zu sorgen hat. Es gibt wenige Frauen, die arbeiten gehen. Und trotzdem haben sie eine Babysitterin für ihre Kinder, und auf jedem Familienhof stehen mindestens zwei Autos. Frauen lavieren sich irgendwie durch den Tag, ohne jegliche Ambitionen. Weil auf den Frauen nicht die Last der finanziellen Versorgung einer Familie ruht, konnten irische Frauen bis vor ein paar Jahren kein eigenes Konto eröffnen. Dies galt auch für den Fall von vererbtem oder geerbtem Geld, eine Kontoeröffnung war nur in Anwesenheit des Ehemannes möglich. Selbst die Scheidungen sind in Irland erst seit wenigen Jahren erlaubt, mir kam es aber vor, als würden die Irinnen davon bis heute nichts wissen. Wenn sich das Ehepaar trennt, leben Mann und Frau getrennt, der Mann ernährt aber weiterhin Frau und Kinder.


Die meisten Frauen aus Osteuropa und damit meine ich nicht nur diejenigen, die Pflegeberufe ausüben, sondern auch Frauen mit abgeschlossener Universitätsausbildung, erleben trotz des wertvoll erlebten Lebens in ihrem Heimatland in westlichen Ländern eine Art Minderwertigkeitsgefühl. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?


Eine Arbeit in Irland zu finden bedeutet, dass man Englisch spricht und ein gewisses Bildungsniveau hat, aber diese gebildeten osteuropäischen Frauen arbeiten in Irland trotzdem nicht in Positionen, die ihrer Ausbildung entsprechen. Die werden natürlich von Iren besetzt. Der Mindestlohn macht bei jeder Arbeit mehr als acht Euro pro Stunde aus. Welche Spuren die Arbeit auf der untersten Stufe der gesellschaftliche Hierarchie in den Menschenseelen hinterlässt, ist eine andere Sache. Ich war sechs Jahre lang die Dienerin einer Frau mit Grundschulausbildung, und dann habe ich alte Menschen gepflegt. Man würde erwarten, dass ich ein gebrochener Mensch bin, das bin ich aber nicht. Wenn ich ab und zu Kolleginnen auf meiner alten Arbeitsstelle im Arbeitsamt in Košice besuche und sehe bei ihnen immer noch dieselbe Frisur und die gleiche Angst, dass sie ihre Arbeit verlieren könnten, dann fühle ich mich frei. Mein Mr. Big mit der Weltkarte unter der Glasplatte seines Arbeitstisches ist genauso unwiderstehlich wie früher. Ich allerdings habe den Eindruck, dass er immer noch Angst vor mir hat.

 

Das vorher erwähnte Minderwertigkeitsgefühl nährte sich auch aus Ihren Kindheitserlebnissen. Sie sind als Vollwaise ohne Mutter und ohne Vater aufgewachsen und haben bei ihrer Großmutter gelebt. Dazu kam noch Ihre jüdische Herkunft von beiden Eltern her, die Ihnen das Leben in Dobšiná sicherlich nicht leichter machte. Würden Sie Ihre Kindheit und die Gefühle des „Zurseitegeschobenseins“, die Sie in ihrem nächsten Buch Planisko (dt.: Riesenflachland) darstellen, näher beschreiben?

 

Davon handelt mein zweites Buch, ja. Nach dem unerwarteten Erfolg des Buches In Irland regnet es anders entschied ich mich, ein zweites zu schreiben. Ich schreibe dort über ein Mädchen, eine Jüdin, ein Waisenkind, dem einsamsten Wesen auf Erden, das nie Teil der Gemeinschaft war, auch nie Opfer von Elterninstinkten. Um es nicht noch komplizierter zu machen: Dobšiná, eine kleine Stadt in der Gemer-Region, hat sie als räudig abgewiesen. Sie ist dennoch weder verbittert noch wütend geworden. Eigentlich ist es meine eigene Lebensgeschichte, die ich so aufrichtig und offen, wie es mir meine grausamen Erinnerungen erlauben, aufschrieb. Allen Kindern in Dobšiná wurde verboten mit mir zu spielen, und eines Tages fing ich schließlich an zu glauben, dass ich unsichtbar war. Ich ging mutig durch die Straßen und sang vor mich hin. Diese totale soziale Isolation trug zu meiner Überzeugung bei, dass ich alles dürfte und alle Dinge alleine von mir abhingen. Ich bekam keine Gebrauchsanweisung für die Benutzung gesellschaftlicher Normen. Heute glaube ich, dass ich gerade deshalb immer das erreichte, was ich mir vorgenommen hatte. Weil ich nicht den Sinn des Wortes „wir“, sondern nur „ich“ kannte.

 

 

Nach Irland gingen Sie auch mit dem Ziel, Geld zu scheffeln, um später in der Slowakei das Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben. Welchen Preis bezahlten Sie für diesen nach Ihren Worten „finanziellen Plan“?

 

 

In Irland verdiente ich zum ersten Mal in meinem Leben mehr Geld, als ich brauchte. Auf einmal empfand ich die Wollust finanzieller Unabhängigkeit. Ich stand in einem Geschäft und betrachtete einen grünen und einen roten Kaschmir-Pullover. Ich überlegte eine Weile, welcher besser zu meiner Garderobe passte, und dann kapierte ich, dass ich ja beide haben konnte. Mit einem Tanzschritt kam ich aus dem Geschäft heraus. Nach sechs Jahren besaß ich ein Kapital, das keiner meiner ehemaligen KollegInnen in der Slowakei hätte verdienen, geschweige denn sparen können. Hier kam nun der Moment der Entscheidung, was ich in Zukunft machen soll. Ich fand heraus, dass ich schreiben will. Welchen Preis habe ich für dieses befreiende Gefühl bezahlt? In der Slowakei verlor ich alle gesellschaftlichen Bindungen. Die Nachbarn, die Freundinnen und Bekannten sind irgendwo weit dahinten geblieben, und ich konnte sie auch dann nicht sehen, wenn ich mich umdrehte und auf Zehenspitzen stellte. Auf der anderen Seite hatte ich auch nie solche Freunde, die ich für diesen Haufen Geld tauschen würde. Im Prinzip habe ich für das Ausmaß meiner Unabhängigkeit einen lächerlichen Preis bezahlt. Im slowakischen Fernsehen erkannte ich nach all den Jahren in Irland keine Moderatorinnen und Sänger mehr. Wie sich herausstellte, habe ich da auch nichts verpasst (lacht).

 

Laut Ihrer Aussage, die sicher im Widerspruch zu den Prozessen in Ihrer Seele steht, macht Geld neunzig Prozent eines erfolgreichen Lebens aus. Ihre Großmutter machte aber das beste Geschäft ihres Lebens, als sie einem Aufseher im Konzentrationslager einen Brillantring gab, damit sie an diesem Tag nicht in die Gaskammer gehen musste. Der Brillantring galt für einen Tag ihres Lebens, rettete aber ihr ganzes Leben – am Tag danach wurde das Konzentrationslager von der Roten Armee befreit. Werden damit die von Ihnen erwähnten neunzig Prozent nicht relativiert?

 

Überhaupt nicht. Für Geld können Sie neunzig Prozent der Dinge in ihrem Leben erwerben. Relativiert wird gerade der Wert der restlichen zehn Prozent, die man nicht kaufen kann. Wenn Sie nicht telefonieren können, wenn Sie zu keinem guten Mittagsessen gehen können, wenn Sie mit Strom sparen müssen und zum Treffen mit der von ihnen geliebten Person nicht im Prada-Kleid erscheinen können. Ich könnte noch viele weitere Gründe aufzählen. Welche Chance hat ein Armer auf eine qualitativ gute Krankenpflege?


Vorher sagten Sie, dass Sie von Ihren Eltern keine Gebrauchsanweisung zur Nutzung des Lebens erhielten. Wie würde nach allen Ihren jetzigen Erfahrungen heute diese Gebrauchsanweisung aussehen?


Sei nie so dumm, dass Du nur gut wirst. So habe ich meinen einzigen Sohn erzogen, und ich bin stolz auf ihn. Er ist ein unglaublich erfolgreicher Geschäftsmann, der in New York mit Immobilien handelt. Vor kurzem rief er mich an und teilte mir mit, dass er sich einen nagelneuen Audi S-Klasse mit voller Ausstattung gekauft habe. Er sagte, er erinnere sich, wie ich ihm beigebracht hätte, dass jeder anständige Mensch sich im Frühling neue Schuhe kaufen solle. Er verbesserte meinen Ratschlag und kauft sich nun jedes Frühjahr ein neues Kabriolett.

 

Seitdem Sie keinen sexuellen Appetit mehr haben, interessieren Sie sich angeblich nicht mehr für Männer. Wie wäre nach allen Ihren Peripetien mit der Liebe Ihre Gebrauchsanweisung für das Zusammenleben mit einem Mann (nicht für das Ausnutzen eines Mannes)?


Das Zusammenleben mit einem Mann ist nur dann möglich, wenn sich die Frau ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahrt und sich ihm nie völlig öffnet. Die Frau soll ihre eigene Story leben und nicht der Eifersucht unterliegen. Ich kenne viele Frauen, die nur deshalb mit einem Mann leben, weil sie ihren primären Instinkt der Selbsterhaltung verloren und nun vollkommen abhängig von ihm sind. Sie vergleichen ihren Mann mit anderen Männern und haben immer einen Grund zum Nörgeln. Ich nenne sie Quälerei-Frauen. Es ist verständlich, dass ein Mann solch eine Frau nicht leidenschaftlich lieben kann. Ich glaube, dass ein Mann von einer Frau erwartet, dass sie eine Erwerbsarbeit hat, sich darüber hinaus um den Haushalt und die Kinder kümmert und am Abend spielfreudig ist. Aber auch für eine solche Frau empfindet der Mann keine Leidenschaft. Allenfalls sagt er, dass die Beziehung „klappt“. Die beste Art mit einem Mann zusammenzuleben ist meiner Meinung nach, bis zum Lebensende teilweise ledig zu bleiben.

 

Laut Ihren eigenen Worten leben Sie jetzt zwar nach dem Klimakterium, erleben jedoch gerade ihre zweite Jugend. Angeblich hat bei Ihnen in dieser Lebensphase die Liebe keine Chance. Was ersetzt Ihnen momentan die Liebe?

 


Liebe zwischen Mann und Frau blüht in jedem Alter – aber nur unter der Voraussetzung, dass sie Freude und Nutzen bringt oder Freude vom Nutzen (lacht). Ich war dreimal verheiratet und glaubte jedes Mal, dass es für immer und ewig sei. Zum ersten Mal habe ich geheiratet, um fertig studieren zu können und weil ich eine Waise ohne Mittel war. Meine zweite Heirat war mit einem viel jüngeren Mann, der die ganze Zeit meinte, dass ich ihn adoptiert hätte. Mein dritter Ehemann verliebte sich in mich, nachdem er meine Knödel probiert hatte und weil er Eishockey auf meinem Riesenplasma-Bildschirm verfolgen konnte. Ich ließ mich von jedem dieser Männer scheiden, weil sie mich dorthin verschleppt hatten, wohin ich nicht wollte. Und was ersetzt mir die Liebe? Alles, außer ihr - und das ist diesmal das beste Geschäft meines Lebens. Ich arbeite an meinem dritten Buch, gehe nach Dublin und London einkaufen und zweimal im Jahr fliege ich nach New York.

  

Es sieht so aus, als hätten Sie gerade eine zweite Emanzipation erlebt, Sie haben ihren eigenen Verlag gegründet. Warum geben Sie Ihre Bücher selbst heraus?


Emanzipation könnte hier pejorativ klingen – vielleicht wie Feminismus – eigentlich sind auch Prostituierte emanzipiert. Werfen Sie jeder Frau jeden Monat 3000 Euro in den Briefkasten - dann werden Sie einen richtigen Emanzipationszyklon erleben. Nach der Erfahrung mit der Herausgabe meiner beiden ersten Bücher habe ich verstanden, dass sich Herausgeber, Distributor und Verkäufer insgesamt 10 Euro pro Buchexemplar untereinander teilen und der Autor lediglich 40 Cent bekommt. Sogar der Fahrer, der das Buch vom Lager in die Buchhandlung liefert, verdient mehr an dem Buch. Das Einzige, dass mir zu dieser Ungerechtigkeit einfiel, war die Idee, einen eigenen Verlag zu gründen. So gebe ich das dritte Buch jetzt selbst heraus. Mein Verlag ist identisch mit der Kurzform meines Vornamens – er heißt Verlag Števa. Ich mag das Gefühl, wenn mein Erfolg oder Misserfolg ausschließlich in meinen Händen liegt.

 

Auch die Nobelpreisträgerin für Literatur und deutsche Autorin Hertha Müller, die als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien lebte, zeigt uns, dass ein Leben in der Diaspora eine gute Grundlage für ein außergewöhnliches literarisches Talent sein kann. Denken Sie, dass Ihnen die Tatsache, einer Minderheit anzugehören, und die damit verbundenen Erlebnisse geholfen haben, literarisch zu reifen?

 

Mein Zahnarzt sagt, dass nur derjenige schreibt, der niemand zum Reden hat. Obwohl ich diesen Mann bis vor kurzem für einen Barbaren hielt, gebe ich ihm heute teilweise Recht. Als ich auf die Reihe slowakischer AutorInnen schaute, stellte ich fest, dass die Frauen im Mutterschaftsurlaub schreiben – und da ihnen ein Thema fehlt, flüchten sie sich in die Fantasy-Literatur. Oder es schreiben Männer, die keine Lust haben zu arbeiten. Eine weitere Kategorie von Buchautoren sind Menschen, die die Welt verändern wollen. In der slowakischen Literatur fehlen mir allerdings neue, originelle Gedanken, Stellungnahmen zur Realität. Das Geplapper über das positive oder das negative Denken überflutet die Gesellschaft wie eine scientologische Sekte. Es existiert nur Denken und Nichtdenken, davon bin ich überzeugt. Ich schreibe nur das, was ich auch in einen Felsen hinein hauen würde. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit kann die Entwicklung eines Menschen nur in dem Maß beeinflussen, welches der Mensch selbst zulässt. Eine Minderheit zu globalisieren ist Rassismus.

 

Zum Schluss verraten Sie bitte, welche Bücher Sie gerade vorbereiten und welche interessanten Themen wir demnächst lesen können?

 

Ich bin gerade im Endspurt mit meinem dritten Buch. Es geht ein bisschen um alleinerziehende Mütter, die die Kinder außerhalb des männlichen Wirkungskreises erziehen. Weiter schreibe ich im Buch über die von der Politik durchgedrungene Staatsverwaltung und über eine leidenschaftliche Beziehung zwischen einem mickrigen Angestellten und einer starken Frau. Und auch darüber, wie man bei minimalen Verlusten überleben kann. Das Buch handelt gerade davon, dass ein Brillantring manchmal einen niedrigen Wert als ein Tag des Lebens hat – wenn Ihnen nichts wehtut und wenn Sie nicht hungrig sind. Ich habe an jedem neuen Buchkapitel eine Riesenfreude.


Frau Opremčáková, ich danke Ihnen für dieses Gespräch! 

 

 

 

Štefánia Opremčáková ist nach dem Suizid ihrer Mutter, die unter schweren Depressionen litt, als Vollwaise in einem Dorf aufgewachsen, konnte später aber studieren und leitete als Juristin lange eine Abteilung des Arbeitsamtes eines Košicer Stadtbezirks. Nach der Wende gründete sie mit Hilfe der Olga Havlová-Stiftung mehrere Frauenhäuser sowie Einrichtungen für Obdachslose in Košice.

 

 

Von Štefánia Opremčáková auf Slowakisch erschienen:

V Írsku prší inak – In Irland regnet es anders;

Planisko – dt. etwa: Planierte Ebene – Riesenflachland.


Verlag: Vydavateľstvo Števa, Štefánia Opremčáková, Orgovánová 14, 040 11 Košice, SK

steva@stevapress.sk

 

© Text und Fotos: Daniela Capcarová 

 

VIII-2012



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