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Gegen die Windstille 

Zum zehnten Todestag von Thomas Brasch

von Katja Schickel

 

Das andere Wort hinter dem Wort./ Der andere Tod hinter dem Mord./ Das Unvereinbare in einem Gedicht:/ Die Ordnung. Und der Riß, der sie zerbricht.

aus dem Gedicht: Hamlet gegen Shakespeare

 

 

Thomas Brasch, gestorben am 3. November 2001, war deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor, Regisseur und Lyriker und wurde am 19. 02.1945 in Westow/Yorkshire als Sohn jüdischer Emigranten im englischen Exil geboren. 1947 siedelte die Familie in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) über.

Der Vater Horst Brasch (1922–1989) brachte es zum stellvertretenden Minister für Kultur der DDR. Thomas Braschs Mutter Gerda Brasch war Journalistin und veröffentlichte Mitte der 1950er Jahre in einer Cottbuser Lokalzeitung sein erstes Gedicht. Seine beiden Brüder Klaus Brasch (1950 -1980) und Peter Brasch (1955 -2001) wurden jeweils tot aufgefunden, ob sie bewusst Selbstmord begingen oder "nur" die Wirkung der eingenommenen Substanzen (Tabletten, Alkohol etc.) unterschätzten, ist nicht mehr zu klären; seine Schwester Marion Brasch (*1961) ist Radiomoderatorin (und ebenfalls Schriftstellerin geworden). Von 1956 bis 1960 musste er die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg/Saale besuchen , nach dem Abitur arbeitete er als Schlosser und Schriftsetzer. Von 1964–1965 konnte er Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig studieren, wurde aber wegen Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR relegiert. Seinen Lebensunterhalt verdiente er unter anderem als Kellner und Straßenbauarbeiter. Die Inszenierung seines Vietnamprogramms Seht auf dieses Land an der Berliner Volksbühne wurde 1966 verboten. An derHochschule für Film und Fernsehen Babelsberg studierte er von 1967 bis 1968 Dramaturgie. 

Wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR sollte er, nachdem ihn sein eigener Vater bei der Stasi denunziert hatte, eine zweieinhalb-jährige Gefängnisstrafe antreten, die allerdings nach siebenundsiebzig Tagen Haft in eine Bewährungsstrafeumgewandelt wurde. Mitangeklagt waren damals Frank und Florian Havemann , Sandra Weigel , Rosita Hunzinger , Erica-Dorothea Berthold , Hans-Jürgen Uszkoreit und Bettina Wegner . Bewährungsauflage war Arbeit in der Produktion: als Fräser im Berliner Transformatorenwerk Oberschöneweide (TRO). Brasch konnte kurzzeitig im  Brecht-Archiv arbeiten, seine 1970 – 1976 entstandenen Theaterstücke wurden entweder nicht aufgeführt oder nach kurzer Zeit abgesetzt. 

Die Mitunterzeichnung der Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 und die staatliche Verweigerung, seine Texte zu publizieren, führten zu seiner Übersiedlung nach West-Berlin. Der darauf erschienene Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne (Rotbuch Verlag West-Berlin, 1977, siehe auch hier: Auf der Galerie), war außerordentlich erfolgreich. Preise häuften sich. In der Kulturszene war er everybody´s darling. Nach Ernst Reuter-Preis 1978 und Villa Massimo-Stipendium 1979 wurde Thomas Brasch für den Film Engel aus Eisen mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Zum Eklat kam es, als er sich ausdrücklich bei der DDR-Filmhochschule und DDR-Künstlern bedankte. Für seinen Film Domino erhielt er 1983 in Zürich den Occhio del Pardo d`argento . Robert, ich, Fastnacht und die anderen , ein Hörspiel, wurde mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Er übersetzte mehrere Theaterstücke William Shakespeares in ein zwar modernes, aber nicht zeitgeistiges Deutsch, sondern beließ ihnen ihre ursprüngliche, poetische Strahlkraft. In seinem letzten Film Der Passagier (1987) spielte Tony Curtis die Hauptrolle. Die Filme sind alle sehr sehenswert und sollten in Retrospektiven gezeigt werden (wer nicht so lange warten möchte: DVD-Box Thomas Brasch - Filme , filmedition suhrkamp). 

Wer Thomas Brasch in seinen west-                deutschen Erfolgsjahren kennen lernte, traf auf einen zutiefst zerrissenen Mann, der viel trank, auf einen streitbaren Skeptiker und Ketzer, manchmal auch Zyniker, der zwar gelernt hatte, zwischen allen möglichen Stühlen zu sitzen, aber keinen einzigen davon mochte. Er erinnert darin anvGábor Bódy , den genialen ungarischen Film- und Videokünstler (herausragend: Nachtlied eines Hundes, Narziss und Psyche), der den Spagat zwischen Ost und West im Kalten Krieg suchte, hin- und her pendelte, und sich am 25.10.1985 in Budapest das Leben nahm. Bódy fühlte sich nach eigenen Aussagen ausgebrannt, Alkohol und andere Drogen halfen nicht mehr, die vielen Risse, Ungleichzeitigkeiten und Abgründe auszuhalten, sie verstärkten das Dilemma bloß. Thomas Brasch hat sich nach der Maueröffnung wie viele Andere ein anderes Deutschland gewünscht. Wenn man ihn fragte, sagte er, er schreibe. Und das tat er offenbar auch, aber die frühere Klarheit  und Brillanz, diese Reduktion auf das Wesentliche, die Suche nach der Form, die poetische Vielfalt, die sein Werk so auszeichnete, fehlte nun häufiger. Gesellschaftliche Widersprüche, denen er sich immer – freiwillig oder unfreiwillig – gestellt hatte, sollte es nach der beschlossenen  Wiedervereinigung nicht mehr geben. Viele waren sprachlos und wurden mundtot gemacht bzw. zogen sich resigniert zurück. Thomas Brasch verweigerte sich. Er wollte in keine Schublade passen. Er taugte nicht (mehr) zum Vorzeigen, wollte nicht  DDR-Dissident oder erfolgreicher Künstler, der nur im Westen hatte reüssieren können, nicht einfach konsummerabel, sein. Man hatte ihn empor gehoben, nun ließ man ihn - schnell und einigermaßen teilnahmslos - fallen. Er hatte mit Enttäuschung darüber, mit Erfolgslosigkeit und Einsamkeit zu kämpfen. 

Weder Leichtsinn und die Vorstellung eines Lebens in heiterer Nutzlosigkeit noch Starrköpfigkeit und Prinzipien halfen. Die Zweifel blieben: an sich, dem Leben, an der eigenen Arbeit. Der Widerstreit wurde mittels Drogen gelöst, gedämpft, kurzfristig besänftigt, der heillose, aussichtslose Kampf ging immer weiter, es bewegte sich aber nichts. Neue Runden wurden eingeläutet, immer das gleiche Ritual. Die seelischen, aber vor allem körperlichen Qualen verlangten immer mehr Stoff, Erlösung war nicht inbegriffen. Das in vielen Jahren und Anläufen, mit Alkohol und Drogen entstandene, ihnen dennoch abgetrotzte Werk Mädchenmörder Brinke ist ein ziemlich wirres Konglomerat, heraus gefiltert aus Tausenden von Seiten, seine wenigen Theaterstücke sind voller Ideen, die in viele Sackgassen enden.

Thomas Brasch starb am 3.11.2001 nach Herz- und Lungenversagen im Krankenhaus der Charité Berlin. Grund waren langjähriger Alkoholismus und Drogensucht. Der Film Brasch – das Wünschen und das Fürchten läuft jetzt, nach seiner Premiere auf der Berlinale 2011, in deutschen Kinos. Der Regisseur Christoph Rüter sagt: Man konnte einfach nur zuschauen, wie er verbrennt. Bei jeder anderen Krankheit würde man solch einen Satz inhuman finden und mindestens unterlassene Hilfeleistung nennen. Thomas Brasch war nicht per se einer, dem auf dieser Erde nicht zu helfen gewesen wäre. Dieses Diktum gilt ohnehin für alle, die sich umbringen (wollen). Es wird zurzeit wegen des 200. Todestages von Heinrich von Kleist gerne mit wohligem Schauer zitiert, es beglaubigt scheinbar das Konstrukt des einsamen Genies und seine Ferne zu den Normalsterblichen. Thomas Brasch hat sich immer wieder bemüht, er wollte schreiben, er wusste ja durchaus von seinen Talenten, die Sucht hat ihn ausgehöhlt, weil sie viel zu viele seiner Energien verbrauchte. Er wurde nicht nur allmählich vom Kulturbetrieb vergessen, sondern auch von vielen seiner tatsächlichen oder vermeintlichen FreundInnen. Wie so oft kann man feststellen, dass die sich erst nach dem Tod des einmal prominenten Menschen wieder gerne, vor allem öffentlich erinnern - und dass es immer mehr werden.
Thomas Brasch ist nicht am Ost-West-Konflikt gestorben, nicht zuvorderst an den äußeren Widersprüchen zugrunde gegangen, sondern an seiner Krankheit, in die er sich flüchtete, der er sich ergab; zu beklagen ist der Verlust eines außergewöhnlichen Künstlers.
Und alles, was er hinterlassen hat, ist wert, weitererzählt, gelesen und gesehen zu werden.

 

O-Ton Thomas Brasch

Ich kann nur glauben, dass Filmemachen, Bildermachen, den Wunsch beinhaltet nach einer Alternative zu der Art, wie wir leben. Es gibt in jeder Beschreibung etwas, das gleichzeitig der Stachel und die Aufforderung ist, die Verhältnisse zu ändern. Dieses Wachhalten von Wunschtraum oder Angsttraum ist die Aufgabe von Kunst; sie hält die Entzündung wach, zeigt die Differenz, das Defizit. Erst wenn eine Gesellschaft so regressiv ist, dass sie den Menschen das Wünschen abtrainiert, ist das Ziel der Mächtigen erreicht. Nicht umsonst haben so viele deutsche Märchen zum Thema: Was geschieht, wenn man drei Wünsche frei hat. Und das ist interessant, was würde man sich tatsächlich wünschen? Das kann man nur wissen, wenn man die ungeheure Differenz spürt, die zwischen dem eigenen Entwurf, den man als Kind hat, und dem, was man abzuleben genötigt ist, liegt.
Wenn ich der Psychoanalyse folge, dann ist der Traum doch nötig, um das Leben der Menschen in Balance zu halten. Wahrscheinlich übernimmt die Kunst die Funktion des Traums: Das durchzuträumen und durchzuspielen, was man sonst verdrängt. Es ist ein Privileg, ein öffentlicher Träumer zu sein – und damit meine ich keineswegs ein unpolitisches Dahinträumen.

Aus: Farbe und Licht am Ort der Angst. Zum Film Der Passagier. Ein Gespräch mit Heike Kühn, erstmals publiziert in der Frankfurter Rundschau, 04.05.1988

(Empfehlenswert: Thomas Brasch, Ich merke mich nur im Chaos, Interviews 1976 – 2001, Hg. Martina Hanf, Annette Maennel, Suhrkamp Verlag, 2009)

  

Literatur von Thomas Brasch

Sie geht, sie geht nicht, Theaterstück, 1970
Das beispielhafte Leben und der Tod des Peter Göring, Theaterstück, gemeinsam mitLothar Trolle, 1971
Galileo Galilei – Papst Urban VIII., Theaterstück, gemeinsam mit Lothar Trolle, 1972
Der Schweinehirt. Die wilden Schwäne, zwei Hörspiele nach Hans Christian Andersen, Berlin 1975
Vom dicken Herrn Bell, der das Telefon erfunden hat“, Hörspiel, Berlin 1974
Herr Geiler, Theaterstück, 1974
Lovely Rita, Theaterstück, 1975
Poesiealbum 89“, Berlin 1975
Die argentinische Nacht“, Komödie, Berlin 1975
Vor den Vätern sterben die Söhne“, Prosa, Berlin 1977
Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu fahren“, Frankfurt (Main) 1977
Rotter. Und weiter. Ein Tagebuch, ein Stück, eine Aufführung.“, Frankfurt (Main) 1978
Der schöne 27. September“, Gedichte, Frankfurt (Main) 1980
Engel aus Eisen, Buch zum gleichnamigen Film, Frankfurt (Main) 1981
Der König vor dem Fotoapparat, Kinderbuch, Olten 1981
Domino, Buch zum gleichnamigen Film, Frankfurt (Main) 1982
Mercedes, Theaterstück, UA Zürich 1983
Anton Tschechows Stücke, in der Übersetzung von Thomas Brasch, Frankfurt (Main) 1985
Lovely Rita, Lieber Georg, Mercedes, Theaterstücke, Berlin 1988
Lovely Rita, Rotter, Lieber Georg, Theaterstücke, Frankfurt (Main) 1989
Frauen Krieg Lustspiel“, Theaterstück, Frankfurt (Main) 1989
Drei Wünsche, sagte der Golem“, Gedichte, Prosa und Theaterstücke, Leipzig 1990
Der Sprung – Beschreibung einer Oper, Musik:Georg Hajdu, UA 1999
Mädchenmörder Brunke, Prosaband, Frankfurt (Main) 1999
Liebe Macht Tod“, Stücke und Materialien, Frankfurt (Main) 2002
Shakespeare-Übersetzungen, Frankfurt (Main) 2002
Wer durch mein Leben will, muß durch mein Zimmer“, Gedichte, Frankfurt (Main) 2002
Was ich mir wünsche, Gedichte, Frankfurt (Main) 2007
Du einsamer, du schöner Wicht, Hörbuch, Katharina Thalbach und Anna Thalbach lesen Thomas Brasch, Hoffmann&Campe 2007
Ich merke mich nur im Chaos“, Interviews 1976-2001, Frankfurt (Main) 2009

 

Filme
1981 –Engel aus Eisen (schwarz-weiß) – Regie und Drehbuch - mit Hilmar Thate, Katharina Thalbach, Peter Brombacher, Klaus Pohl, Ulrich Wesselmann, Karin Baal
1982 – Domino – Regie und Drehbuch - mit Anne Bennent, Manfred Karge, Ilse Pagé, Klaus Pohl, Peter Brombacher, Julia Lindig, Katharina Thalbach, Bernhard Wicki 
1985 – Mercedes – Regie und Drehbuch. Verfilmung für das niederländische Fernsehen VPRO  -mit Jan Eikelboom, Annet Kouwenhoven, Titus Muizelaar
1988 –Der Passagier - Welcome to Germany – Regie, Drehbuch gemeinsam mit Jurek Becker - mit Tony Curtis, Katharina Thalbach, Birol Ünel, Natthias Habich, Karin Baal, Charles Regnier, Ursula Andematt, George Tabori

 

Literatur zu Thomas Brasch

Martina Hanf,Kristin Schulz: Thomas Brasch. Das blanke Wesen, VerlagTheater der Zeit, 2004
Insa Wilke: Ist das ein Leben. Der Dichter Thomas Brasch, VerlagMatthes & Seitz, 2010, 
Jens Ponath: Spiel und Dramaturgie in Thomas Braschs Werk Epistemata, ISBN: 978- 3826015960

 

Filme über Thomas Brasch

1977 - Annäherung an Thomas Brasch, Regie:Georg Stefan Troller
2005 - Skizze Thomas Brasch, Regie: Christoph Rüter
2011 - BRASCH - Das Wünschen und das Fürchten, Regie: Christoph Rüter, Premiere auf der Berlinale 2011, Sektion Panorama

 

 

"Du hast mich nicht erkannt: Das/ist gut. Meine Haut ist grau. Ich/habe mein Ziel erreicht: Ich bin/unbrauchbar." (5. Strophe aus Einsteins Ufer - Über Heroin, aus: Der schöne 27. September, Gedichte, Suhrkamp Verlag 1980)

 

© Fotos: freitag.de; sol.de; jugendopposition.de; faz-net.de; blogspot.com 

25102011


Nachtrag

Empfehlungen: Die nennen das Schrei - Sämtliche Gedichte von Thomas Brasch, im Mai 2013 erschienen.


Filmporträt aus dem Jahr 1977 von Georg Stefan Troller, Teilnehmer des 13. Internationalen Literautrfestivals Berlin (ilb 2013), hier unter. 

Kunst des Alterns 


13IX13

 

 



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