Vor siebzig Jahren: Die Wannsee-Konferenz
von Katja Schickel
Der Ort:
Am 20. Januar 1942 kamen fünfzehn hoch-spezialisierte Bürokraten zu einem rund zweistündigen Arbeitsgespräch zusammen. Einziger monströser Tagesordnungspunkt war eine zielgerichtete Diskussion über die effiziente Organisation von Deportation und Vernichtung der europäischen Juden. Die Entscheidungsgewalt lag allerdings bei der Staatsspitze um Adolf Hitler. Das Treffen, das in lockerer Atmosphäre mit einem Frühstück und mit Cognac beendet worden sein soll, diente dazu, die mit Verfolgung und Vernichtung befassten Vertreter der unterschiedlichen Bereiche in die weiteren politischen Maßnahmen einzubinden, die notwenigen Schritte zu koordinieren, bürokratische Hindernisse zu verringern und Kompetenzen zu klären und festzulegen. Die Versammelten gehörten zur Funktionselite des Nazi-Regimes und würden umsetzen, was die NS-Spitze um Hitler, Himmler und Göring beschlossen hatte.
Das rund zweistündige Treffen ist deswegen in die Geschichte eingegangen, weil sich eine Riege ranghoher NS-Beamter zur Koordination weiterer Aktionen zur Vernichtung der Juden traf, vor allem jedoch, weil nach dem 2.Weltkrieg das vollständige Sitzungsprotokoll gefunden worden war. Besprechungen dieser Art hat es auf verschiedenen Ebenen immer wieder gegeben. Deren Inhalte sind allerdings lediglich in kurzen Notizen der jeweiligen Anwesenden dokumentiert oder kamen später in den Verhören der Alliierten zur Sprache: Gespräche zwischen Heinrich Himmler und Richard Heydrich, zwischen Hitler und Himmler, zwischen Himmler und Viktor Brack, dem Organisator der Ermordung behinderter Menschen, Besprechungen mit Ostminister Rosenberg oder mit Hans Frank, dem Leiter des Generalgouvernements in Polen. Die Entscheidungen zur so genannten Endlösung der Judenfrage vollzogen sich wahrscheinlich in einem Zeitraum von Herbst 1941 bis Frühjahr 1942. Man musste auf die bereits vollzogenen und weiter stattfindenden Massenerschießungen von Juden im Osten reagieren und gleichzeitig Pläne zur effizienteren Ermordung vorantreiben. Am 11. Dezember 1941 hielt Hitler eine Rede vor Gau-Leitern, in der er Bezug nahm auf seine Rede vom Januar 1939. Damals hatte er die „Vernichtung des Judentums in Europa“ proklamiert, wenn es „die Völker noch einmal in einen Weltkrieg stürzen“ würde. Mit dem Kriegseintritt der USA seien die Bedingungen für diese Vernichtung nunmehr gegeben. Auf der von Heydrich geleiteten Sitzung am Wannsee sollte es zunächst hauptsächlich um die notwendigen Schritte gegen die Juden im Deutschen Reich gehen. Es waren Vertreter deutscher Verwaltungen aus dem Osten, die effektivere Methoden der Vernichtung auch in ihren Gebieten einforderten. Die Ermordung und Vernichtung der Juden in Europa war kein von der NS- und SS-Führungselite festgelegtes Programm, sondern ein von Anfang an dezentralisierter Prozess, in den auch mittlere und untere Ebenen der Verwaltungsapparate einbezogen waren, Beamte von kleineren Dienststellen, vor allem die Wehrmacht in den annektierten bzw. besetzten Gebieten.
Die Teilnehmer der so genannten Staatssekretär-Besprechung:
Reinhard Heydrich, damals Chef der Sicherheitspolizei, des SD sowie der Terrorzentrale Reichssicherheitshauptamt (RSHA), zudem seit wenigen Monaten stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, hatte als ranghöchster Vertreter zur Besprechung eingeladen. Allerdings war er seinem Chef, dem Reichsführer SS Heinrich Himmler, untergeordnet.
Heydrich teilte aber gleich zu Beginn mit, Reichsmarschall Hermann Göring habe ihn mit der "Vorbereitung der Endlösung" beauftragt. Damit machte Heydrich gegenüber den durchaus konkurrierenden Spitzenbürokraten deutlich, dass die wesentliche Führungskompetenz in dieser Angelegenheit allein bei ihm läge.
Dr. Alfred Meyer, Dr. Gerhard Leibbrandt und Dr. Rudolf Lange waren als Vertreter aus den besetzten sowjetischen Gebieten eingeladen. Bereits seit Sommer 1941 waren dort Juden von Einsatzgruppen der SS und Polizeieinheiten ermordet worden. Erinnert sei hier an die zu diesem Zeitpunkt größte Mordaktion in Babi Jar (eigentlich: Babyn Jar), die am 29. September 1941 von der Wehrmacht durchgeführt wurde und der an einem Tag rund 22.000 Menschen zum Opfer fielen. Sie wurden innerhalb von zehn Stunden im Schichtdienst erschossen. Neben den deutschen Soldaten waren auch ukrainische Hilfstruppen (meist Polizisten, aber auch Freiwillige) an diesem Massaker beteiligt. Lange hatte sich bereits als Praktiker von Massenexekutionen hervor getan: In Lettland war er allein bis Dezember 1941 für den Mord an ca. 60.000 Juden verantwortlich.
Auch Dr. Josef Bühler und Dr. Eberhard Schöngarth galten als Spezialisten: Unter Schöngarths Verantwortung waren bis zum September 1941 etwa 4.000 Juden in Ostgalizien getötet worden.
Für die Organisation der Deportationen (Transport, Infrastruktur, technischer Apparat) aus ganz Europa standen der Judenreferent des RSHA Adolf Eichmann, der auch das Sitzungsprotokoll anfertigte, und Martin Luther. Im Ressort Judenfrage, Rassenpolitik des Auswärtigen Amtes war er für die diplomatische Vorbereitung der Deportationen aus befreundeten Ländern zuständig.
Heinrich Müller war als Gestapo-Chef direkter Vorgesetzter von Adolf Eichmann. Er war u.a. für die Befehle an die Einsatzgruppen in der Sowjetunion zuständig.
Erich Neumann kam als Vertreter von Görings Vierjahresplan-Behörde, die das Verhältnis von Zwangsarbeit und geplanten Deportationen regelte, um einen Mangel an jüdischen Zwangsarbeitern zu verhindern.
Otto Hofmann, Dr. Wilhelm Stuckart und Wilhelm Kritzinger waren die "Rasse-Experten" in der Runde und hatten zu klären, welche "Mischlinge" deportiert werden sollten. Hofmann verantwortete die "Germanisierungspolitik" auf den Gebieten Polens und der Sowjetunion.
Dr. Gerhard Klopfer regelte die Zusammenarbeit zwischen RSHA und der Parteikanzlei der NSDAP und war einer der am besten informierten Parteibürokraten.
Dr. Roland Freisler hatte sich als Staatssekretär im Reichsjustizministerium mit der systematischen Entrechtung der deutschen Juden einen Namen gemacht.
Ein unbekannter Stenograf vervollständigte die Runde.
Protokoll der Wannsee-Konferenz, 20. Januar 1942
I. An der am 20.1.1942 in Berlin, Am Großen Wannsee Nr. 56/58, stattgefundenen Besprechung über die Endlösung der Judenfrage nahmen teil:
Gauleiter Dr. Meyer und Reichsamtsleiter Dr. Leibbrandt, Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete
Staatssekretär Dr. Stuckart, Reichsministerium des Innern
Staatssekretär Neumann, Beauftragter für den Vierjahresplan
Staatssekretär Dr. Freisler, Reichsjustizministerium
Staatssekretär Dr. Bühler, Amt des Generalgouverneurs
Unterstaatssekretär Luther, Auswärtiges Amt
SS-Oberführer Klopfer, Partei-Kanzlei
Ministerialdirektor Kritzinger, Reichskanzlei
SS-Gruppenführer Hofmann, Rasse- und Siedlungshauptamt
SS-Gruppenführer Müller / SS-Obersturmbannführer Eichmann, Reichssicherheitshauptamt
SS-Oberführer Dr. Schöngarth, Sicherheitspolizei und SD
Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement
SS-Sturmbannführer Dr. Lange, Sicherheitspolizei und SD
Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Generalbezirk Lettland, als Vertreter des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD für das Reichskommissariat Ostland.
II. Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Obergruppenführer Heydrich, teilte eingangs seine Bestellung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage durch den Reichsmarschall mit und wies darauf hin, daß zu dieser Besprechung geladen wurde, um Klarheit in grundsätzlichen Fragen zu schaffen.
Der Wunsch des Reichsmarschalls, ihm einen Entwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage zu übersenden, erfordert die vorherige gemeinsame Behandlung aller an diesen Fragen unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen im Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung.
Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage liege ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei (Chef der Sicherheitspolizei und des SD).
Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD gab sodann einen kurzen Rückblick über den bisher geführten Kampf gegen diesen Gegner. Die wesentlichsten Momente bilden
a) die Zurückdrängung der Juden aus den einzelnen Lebensgebieten des deutschen Volkes,
b) die Zurückdrängung der Juden aus dem Lebensraum des deutschen Volkes.
Im Vollzug dieser Bestrebungen wurde als einzige vorläufige Lösungsmöglichkeit die Beschleunigung der Auswanderung der Juden aus dem Reichsgebiet verstärkt und planmäßig in Angriff genommen.
Auf Anordnung des Reichsmarschalls wurde im Januar 1939 eine Reichszentrale für jüdische Auswanderung errichtet, mit deren Leitung der Chef der Sicherheitspolizei und des SD betraut wurde. Sie hatte insbesondere die Aufgabe
a) alle Maßnahmen zur Vorbereitung einer verstärkten Auswanderung der Juden zu treffen,
b) den Auswanderungsstrom zu lenken,
c) die Durchführung der Auswanderung im Einzelfall zu beschleunigen.
Das Aufgabenziel war, auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern.
Über die Nachteile, die eine solche Auswanderungsforcierung mit sich brachte, waren sich alle Stellen im klaren. Sie mußten jedoch angesichts des Fehlens anderer Lösungsmöglichkeiten vorerst in Kauf genommen werden.
Die Auswanderungsarbeiten waren in der Folgezeit nicht nur ein deutsches Problem, sondern auch ein Problem, mit dem sich die Behörden der Ziel- bzw. Einwandererländer zu befassen hatten. Die finanziellen Schwierigkeiten, wie Erhöhung der Vorzeige- und Landungsgelder seitens der verschiedenen ausländischen Regierungen, fehlende Schiffsplätze, laufend verschärfte Einwanderungsbeschränkungen oder -sperren, erschwerten die Auswanderungsbestrebungen außerordentlich.
Trotz dieser Schwierigkeiten wurden seit der Machtübernahme bis zum Stichtag 31.10.1941
insgesamt rund 537.000 Juden zur Auswanderung gebracht. Davon
vom 30.1.1933 aus dem Altreich rd. 360.000
vom 15.3.1938 aus der Ostmark rd. 147.000
vom 15.3.1939 aus dem Protektorat Böhmen und Mähren rd. 30.000.
Die Finanzierung der Auswanderung erfolgte durch die Juden bzw. jüdisch-politischen Organisationen selbst. Um den Verbleib der verproletarisierten Juden zu vermeiden, wurde nach dem Grundsatz verfahren, daß die vermögenden Juden die Abwanderung der vermögenslosen Juden zu finanzieren haben; hier wurde, je nach Vermögen gestaffelt, eine entsprechende Umlage bzw. Auswandererabgabe vorgeschrieben, die zur Bestreitung der finanziellen Obliegenheiten im Zuge der Abwanderung vermögensloser Juden verwandt wurde.
Neben dem Reichsmark-Aufkommen sind Devisen für Vorzeige- und Landungsgelder erforderlich gewesen. Um den deutschen Devisenschatz zu schonen, wurden die jüdischen Finanzinstitutionen des Auslandes durch die jüdischen Organisationen des Inlandes verhalten, für die Beitreibung entsprechender Devisenaufkommen Sorge zu tragen.
Hier wurden durch diese ausländischen Juden im Schenkungswege bis zum 30.10.1941 insgesamt rund 9.500.000 Dollar zur Verfügung gestellt.
Inzwischen hat der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Hinblick auf die Gefahren einer Auswanderung im Kriege und im Hinblick auf die Möglichkeiten des Ostens die Auswanderung von Juden verboten.
III. Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechen der vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten.
Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind.
Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht, die sich wie folgt auf die einzelnen Länder verteilen:
A. Altreich 131.800
Ostmark 43.700
Ostgebiete 420.000
Generalgouvernement 2.284.000
Bialystok 400.000
Protektorat Böhmen und Mähren 74.200
Estland - judenfrei
Lettland 3.500
Litauen 34.000
Belgien 43.000
Dänemark 5.600
Frankreich / Besetztes Gebiet 165.000
Unbesetztes Gebiet 700.000
Griechenland 69.600
Niederlande 160.800
Norwegen 1.300
B. Bulgarien 48.000
England 330.000
Finnland 2.300
Irland 4.000
Italien einschl. Sardinien 58.000
Albanien 200
Kroatien 40.000
Portugal 3.000
Rumänien einschl. Bessarabien 342.000
Schweden 8.000
Schweiz 18.000
Serbien 10.000
Slowakei 88.000
Spanien 6.000
Türkei (europ. Teil) 55.500
Ungarn 742.800
UdSSR 5.000.000
Ukraine 2.994.684
Weißrußland ausschl. Bialystok 446.484
Zusammen: über 11.000.000
Bei den angegebenen Judenzahlen der verschiedenen ausländischen Staaten handelt es sich jedoch nur um Glaubensjuden, da die Begriffsbestimmungen der Juden nach rassischen Grundsätzen teilweise dort noch fehlen. Die Behandlung des Problems in den einzelnen Ländern wird im Hinblick auf die allgemeine Haltung und Auffassung auf gewisse Schwierigkeiten stoßen, besonders in Ungarn und Rumänien. So kann sich z.B. heute noch in Rumänien der Jude gegen Geld entsprechende Dokumente, die ihm eine fremde Staatsangehörigkeit amtlich bescheinigen, beschaffen.
Der Einfluß der Juden auf alle Gebiete in der UdSSR ist bekannt. Im europäischen Gebiet leben etwa 5 Millionen, im asiatischen Raum knapp 1/4 Million Juden.
Die berufsständische Aufgliederung der im europäischen Gebiet der UdSSR ansässigen Juden war etwa folgende:
In der Landwirtschaft 9,1 %
als städtische Arbeiter 14,8 %
im Handel 20,0 %
als Staatsarbeiter angestellt 23,4 %
in den privaten Berufen - Heilkunde, Presse, Theater, usw. 32,7 %.
Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.
Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Geschichte.)
Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt. Das Reichsgebiet einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren wird, allein schon aus Gründen der Wohnungsfrage und sonstigen sozial-politischen Notwendigkeiten, vorweggenommen werden müssen.
Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.
Wichtige Voraussetzung, so führte SS-Obergruppenführer Heydrich weiter aus, für die Durchführung der Evakuierung überhaupt, ist die genaue Festlegung des in Betracht kommenden Personenkreises.
Es ist beabsichtigt, Juden im Alter von über 65 Jahren nicht zu evakuieren, sondern sie einem Altersghetto - vorgesehen ist Theresienstadt - zu überstellen.
Neben diesen Altersklassen - von den am 31.10.1941 sich im Altreich und der Ostmark befindlichen etwa 280.000 Juden sind etwa 30 % über 65 Jahre alt - finden in den jüdischen Altersghettos weiterhin die schwerkriegsbeschädigten Juden und Juden mit Kriegsauszeichnungen (EK I) Aufnahme. Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet.
Der Beginn der einzelnen größeren Evakuierungsaktionen wird weitgehend von der militärischen Entwicklung abhängig sein. Bezüglich der Behandlung der Endlösung in den von uns besetzten und beeinflußten europäischen Gebieten wurde vorgeschlagen, daß die in Betracht kommenden Sachbearbeiter des Auswärtigen Amtes sich mit dem zuständigen Referenten der Sicherheitspolizei und des SD besprechen.
In der Slowakei und Kroatien ist die Angelegenheit nicht mehr allzu schwer, da die wesentlichsten Kernfragen in dieser Hinsicht dort bereits einer Lösung zugeführt wurden. In Rumänien hat die Regierung inzwischen ebenfalls einen Judenbeauftragten eingesetzt. Zur Regelung der Frage in Ungarn ist es erforderlich, in Zeitkürze einen Berater für Judenfragen der Ungarischen Regierung aufzuoktroyieren.
Hinsichtlich der Aufnahme der Vorbereitungen zur Regelung des Problems in Italien hält SS-Obergruppenführer Heydrich eine Verbindung zum Polizei-Chef in diesen Belangen für angebracht.
Im besetzten und unbesetzten Frankreich wird die Erfassung der Juden zur Evakuierung aller Wahrscheinlichkeit nach ohne große Schwierigkeiten vor sich gehen können.
Unterstaatssekretär Luther teilte hierzu mit, daß bei tiefgehender Behandlung dieses Problems in einigen Ländern, so in den nordischen Staaten, Schwierigkeiten auftauchen werden, und es sich daher empfiehlt, diese Länder vorerst noch zurückzustellen. In Anbetracht der hier in Frage kommenden geringen Judenzahlen bildet diese Zurückstellung ohnedies keine wesentliche Einschränkung.
Dafür sieht das Auswärtige Amt für den Südosten und Westen Europas keine großen Schwierigkeiten.
SS-Gruppenführer Hofmann beabsichtigt, einen Sachbearbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes zur allgemeinen Orientierung dann nach Ungarn mitsenden zu wollen, wenn seitens des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD die Angelegenheit dort in Angriff genommen wird. Es wurde festgelegt, diesen Sachbearbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes, der nicht aktiv werden soll, vorübergehend offiziell als Gehilfen zum Polizei-Attaché abzustellen.
IV. Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Gesetze gewissermaßen die Grundlage bilden, wobei Voraussetzung für die restlose Bereinigung des Problems auch die Lösung der Mischehen und Mischlingsfragen ist.
Chef der Sicherheitspolizei und des SD erörtert im Hinblick auf ein Schreiben des Chefs der Reichskanzlei zunächst theoretisch die nachstehenden Punkte:
1) Behandlung der Mischlinge 1.Grades.
Mischlinge 1.Grades sind im Hinblick auf die Endlösung der Judenfrage den Juden gleichgestellt.
Von dieser Behandlung werden ausgenommen:
a) Mischlinge 1.Grades verheiratet mit Deutschblütigen, aus deren Ehe Kinder Mischlinge 2.Grades hervorgegangen sind. Diese Mischlinge 2.Grades sind im wesentlichen den Deutschen gleich gestellt.
b) Mischlinge 1.Grades, für die von den höchsten Instanzen der Partei und des Staates bisher auf irgendwelchen Lebensgebieten Ausnahmegenehmigungen erteilt worden sind. Jeder Einzelfall muß überprüft werden, wobei nicht ausgeschlossen wird, daß die Entscheidung nochmals zu Ungunsten des Mischlings ausfällt.
Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung müssen stets grundsätzliche Verdienste des in Frage stehenden Mischlings selbst sein. (Nicht-Verdienste des deutschblütigen Eltern- oder Eheteiles.)
Der von der Evakuierung auszunehmende Mischling 1.Grades wird - um jede Nachkommenschaft zu verhindern und das Mischlingsproblem endgültig zu bereinigen - sterilisiert. Die Sterilisierung erfolgt freiwillig. Sie ist aber Voraussetzung des Verbleibens im Reich. Der sterilisierte "Mischling" ist in der Folgezeit von allen einengenden Bestimmungen, denen er bislang unterworfen ist, befreit.
2) Behandlung der Mischlinge 2.Grades.
Die Mischlinge 2.Grades werden grundsätzlich den Deutschblütigen zugeschlagen, mit Ausnahme folgender Fälle, in denen die Mischlinge 2.Grades den Juden gleichgestellt werden:
a) Herkunft des Mischlings 2.Grades aus einer Bastardehe (beide Teile Mischlinge).
b) Rassisch besonders ungünstiges Erscheinungsbild des Mischlings 2.Grades, das ihn schon äußerlich zu den Juden rechnet.
c) Besonders schlechte polizeiliche und politische Beurteilung des Mischlings 2.Grades, die erkennen läßt, daß er sich wie ein Jude fühlt und benimmt.
Auch in diesen Fällen sollen aber dann Ausnahmen nicht gemacht werden, wenn der Mischling 2.Grades deutschblütig verheiratet ist.
3) Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen
Von Einzelfall zu Einzelfall muß hier entschieden werden, ob der jüdische Teil evakuiert wird, oder ob er unter Berücksichtigung auf die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die deutschen Verwandten dieser Mischehe einem Altersghetto überstellt wird.
4) Ehen zwischen Mischlingen 1.Grades und Deutschblütigen.
a) Ohne Kinder
Sind aus der Ehe keine Kinder hervorgegangen, wird der Mischling 1.Grades evakuiert bzw. einem Altersghetto überstellt. (Gleiche Behandlung wie bei Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen, Punkt 3.
b) Mit Kindern.
Sind Kinder aus der Ehe hervorgegangen (Mischlinge 2.Grades), werden sie, wenn sie den Juden gleichgestellt werden, zusammen mit dem Mischling 1.Grades evakuiert bzw. einem Ghetto überstellt. Soweit diese Kinder Deutschen gleichgestellt werden (Regelfälle), sind sie von der Evakuierung auszunehmen und damit auch der Mischling 1.Grades.
5) Ehen zwischen Mischlingen 1.Grades und Mischlingen 1.Grades oder Juden.
Bei diesen Ehen (einschließlich der Kinder) werden alle Teile wie Juden behandelt und daher evakuiert bzw. einem Altersghetto überstellt.
6) Ehen zwischen Mischlingen 1.Grades und Mischlingen 2.Grades.
Beide Eheteile werden ohne Rücksicht darauf, ob Kinder vorhanden sind oder nicht, evakuiert bzw. einem Altersghetto überstellt, da etwaige Kinder rassenmäßig in der Regel einen stärkeren jüdischen Bluteinschlag aufweisen, als die jüdischen Mischlinge 2.Grade).
SS-Gruppenführer Hofmann steht auf dem Standpunkt, daß von der Sterilisierung weitgehend Gebrauch gemacht werden muß; zumal der Mischling, vor die Wahl gestellt, ob er evakuiert oder sterilisiert werden soll, sich lieber der Sterilisierung unterziehen würde.
Staatssekretär Dr. Stuckart stellt fest, daß die praktische Durchführung der eben mitgeteilten Lösungsmöglichkeiten zu Bereinigung der Mischehen- und Mischlingsfragen in dieser Form eine unendliche Verwaltungsarbeit mit sich bringen würde. Um zum anderen auf alle Fälle auch den biologischen Tatsachen Rechnung zu tragen, schlug Staatssekretär Dr. Stuckart vor, zur Zwangssterilisierung zu schreiten. Zur Vereinfachung des Mischehenproblems müßten ferner Möglichkeiten überlegt werden mit dem Ziel, daß der Gesetzgeber etwa sagt: "Diese Ehen sind geschieden".
Bezüglich der Frage der Auswirkung der Judenevakuierung auf das Wirtschaftsleben erklärte Staatssekretär Neumann , daß die in kriegswichtigen Betrieben im Arbeitseinsatz stehen den Juden derzeit, solange noch kein Ersatz zur Verfügung steht, nicht evakuiert werden könnten.
SS-Obergruppenführer Heydrich wies darauf hin, daß diese Juden nach den von ihm genehmigten Richtlinien zur Durchführung der derzeit laufenden Evakuierungsaktionen ohnedies nicht evakuiert würden.
Staatssekretär Dr. Bühler stellte fest, daß das Generalgouvernement es begrüßen würde, wenn mit der Endlösung dieser Frage im Generalgouvernement begonnen würde, weil einmal hier das Transportproblem keine übergeordnete Rolle spielt und arbeitseinsatzmäßige Gründe den Lauf dieser Aktion nicht behindern würden. Juden müßten so schnell wie möglich aus dem Gebiet des Generalgouvernements entfernt werden, weil gerade hier der Jude als Seuchenträger eine eminente Gefahr bedeutet und er zum anderen durch fortgesetzten Schleichhandel die wirtschaftliche Struktur des Landes dauernd in Unordnung bringt. Von den in Frage kommenden etwa 2 1/2 Millionen Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle arbeitsunfähig.
Staatssekretär Dr. Bühler stellt weiterhin fest, daß die Lösung der Judenfrage im Generalgouvernement federführend beim Chef der Sicherheitspolizei und des SD liegt und seine Arbeiten durch die Behörden des Generalgouvernements unterstützt würden. Er hätte nur eine Bitte, die Judenfrage in diesem Gebiete so schnell wie möglich zu lösen.
Abschließend wurden die verschiedenen Arten der Lösungsmöglichkeiten besprochen, wobei sowohl seitens des Gauleiters Dr. Meyer als auch seitens des Staatssekretärs Dr. Bühler der Standpunkt vertreten wurde, gewisse vorbereitende Arbeiten im Zuge der Endlösung gleich in den betreffenden Gebieten selbst durchzuführen, wobei jedoch eine Beunruhigung der Bevölkerung vermieden werden müsse.
Mit der Bitte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an die Besprechungsteilnehmer, ihm bei der Durchführung der Lösungsarbeiten entsprechende Unterstützung zu gewähren, wurde die Besprechung geschlossen.
(Das einzige bis heute aufgefundene Exemplar des Protokolls stammt aus dem Auswärtigen Amt [AA]. Gemeinsam mit einem Begleitbrief vom 26. Januar 1942 wurde es an den damaligen Unterstaatssekretär im AA, Martin Luther, versandt. Im März 1947 wurde das Dokument von US-Fahndern entdeckt und befindet sich heute im AA-Archiv in Berlin.)
Heydrich lädt zur Folgebesprechung ein
Zurückdrängung der Juden
Auf den Seiten 3, 4 und 5 gibt der Referent Reinhard Heydrich einen Überblick über die bisherigen Maßnahmen der Nazis zur zwangsweisen Auswanderung der deutschen Juden: "Das Aufgabenziel war, auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern." Dabei hatten die Auffassungen, was unter Legalität zu verstehen ist, keinerlei Ähnlichkeiten mit einem rechtsstaatlichen Verfahren. Bis zum Sommer 1941 unterlagen deutsche Juden bereits vielfältigen Diskriminierungen, beginnend mit dem Boykott jüdisch geführter Geschäfte am 1. April 1933. Im selben Jahr verlor ein Großteil der jüdischen Beamten ihre Stellung. Jüdische Ärzte durften nur noch Juden behandeln. Mit Einführung der Nürnberger Rassegesetze 1935 galten Juden als Bürger zweiter Klasse. Zugleich stellten die Nazis Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden unter Strafe. Ebenso wurden sexuelle Beziehungen verboten (Rassenschande).
In den folgenden Jahren verloren viele jüdische Unternehmer durch Arisierungen ihr Eigentum. Juden wurden Studium und der Besuch nichtjüdischer Schulen untersagt. Ihren Gipfel erreichten diese antijüdischen Maßnahmen vor Kriegsbeginn mit der Pogromnacht am 9./10. November 1938, bei der hunderte Synagogen angezündet, Geschäfte und Wohnungen zerstört und etwa 30.000 jüdische Männer in KZs verschleppt wurden. Ihre Freilassung erfolgte meist nur, wenn diese zusicherten, auf dem schnellsten Wege auszuwandern.
Seit Kriegsbeginn am 1. September 1939 unterlagen die deutschen Juden einer nächtlichen Ausgangssperre. Sie erhielten geringere Lebensmittelrationen, Teile ihres Vermögens wurden beschlagnahmt. Sie konnten jederzeit zur Zwangsarbeit verpflichtet werden. Ab dem September 1941 waren Juden dazu gezwungen, deutlich sichtbar einen Judenstern zu tragen.
Heydrich machte auf Seite 4 oben deutlich, dass die NS-Führung die Auswanderung als keine ideale "Lösung" betrachtete, zu der es aber damals keine Alternative gegeben hätte - Heydrich verwendete hier das Wort "vorerst". Er unterstrich diese Auffassung mit der Mitteilung, dass Juden inzwischen die Auswanderung verboten wurde - der entsprechende Runderlass stammte vom 23. Oktober 1941.
Unter III. berichtete Heydrich, dass Hitler inzwischen die Genehmigung zur "Evakuierung der Juden nach dem Osten" erteilt habe. "Evakuierung" zählt zu den üblichen Tarnbegriffen der Nazis für die Deportation. "Endlösung", ebenfalls von Heydrich verwandt, bezeichnete spätestens ab 1942 die Ermordung. Eichmann, der das Protokoll auf Wunsch von Heydrich mehrfach überarbeiten musste, sagte in seinem Prozess in Jerusalem aus, die Teilnehmer hätten in Wahrheit Klartext gesprochen.
Wenn Heydrich auf Seite 5 von "praktischen Erfahrungen" sprach, die bereits gesammelt worden seien, so war damit offenbar die Ermordung von 6.000 deutschen Juden im November und Dezember 1941 in Kowno und Riga gemeint.
Die Tabelle war von Adolf Eichmann erstellt worden. Sie enthüllte die Dimension der geplanten Verschleppungen. Dabei wurden auch viele Staaten genannt, die Anfang 1942 nicht unter der Kontrolle der Nazis standen. Wenn also England aufgeführt wurde, dann verdeutlicht das, dass die NS-Führung an ihrem Ziel festhielt, Großbritannien zu besetzen.
Die Zahlen basierten auf einer Zusammenstellung durch die Reichsvereinigung der Juden, die diese auf Befehl seit August 1941 erstellen musste. Einige dieser Angaben wurden von Eichmann korrigiert, etwa über die UdSSR, in der nach den Zahlen der Reichsvereinigung 3,02 Millionen Juden lebten, nach Eichmanns Zusammenstellung aber 5 Millionen. Zusammen ergab sich so die unvorstellbare Zahl von 11 Millionen Menschen, die der "Endlösung" anheimfallen sollten.
Elf Millionen Juden hatte Adolf Eichmann als potenzielle Opfer ausgezählt.
Durchführung der Endlösung
Die Nazis beabsichtigten, noch mehr Menschen umzubringen. Das ergibt sich aus der Aussage Heydrichs auf Seite 5, es handele sich bei der Zusammenstellung "nur um Glaubensjuden, da die Begriffsbestimmungen der Juden nach rassischen Grundsätzen teilweise dort noch fehlen". Gemeint ist damit, dass im Ausland häufig nur die Mitglieder der jeweiligen jüdischen Gemeinden bekannt waren. Die Nazis verfolgten bei ihrer Politik der Vernichtung jedoch die Auffassung, Juden anhand ihrer "rassischen Zugehörigkeit" klassifizieren zu können. Letztlich führte das dazu, Menschen nach der Religionszugehörigkeit ihrer Eltern und Großeltern zu kategorisieren, da es den Nazis nicht gelingen konnte, gemeinsame "rassische Merkmale" zu finden - weil es sie nicht gibt.
Auf Seite 7 unten verwies Heydrich laut Protokoll darauf, dass die Juden "straßenbauend" im Osten zum Zwangsarbeitseinsatz kommen sollten. Gemeint war damit offenbar die sog. Durchgangsstraße IV, die von Lemberg nach Rostow am Don führen sollte. Wenige Monate nach der Wannsee-Konferenz mussten tausende in Lagern zusammengefasste Juden an dieser Straße arbeiten. Durch diese Arbeit würde "zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen". Der Satz entsprach der Realität und spiegelt die NS-Politik derVernichtung durch Arbeit wider. Auf Seite 8 oben wird vergleichsweise offen beschrieben, was mit den Überlebenden zu geschehen habe: Dieser Rest werde "entsprechend behandelt werden müssen".
In dem Dokument findet sich kein Hinweis auf die Tötung durch Giftgas, und einige der überlebenden Teilnehmer haben in späteren Prozessen darauf beharrt, davon nicht gewusst zu haben. Tatsächlich waren zum Zeitpunkt der Besprechung keine der Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Belzec, Treblinka und Majdanek fertiggestellt; das Lager Belzec befand sich im Bau, Auschwitz war noch kein Vernichtungslager. Allerdings wurden in Chelmno bereits Juden vorwiegend aus dem Ghetto Lodz in Giftgaswagen ermordet.
Die Besprechung am Großen Wannsee diente vor allem der Koordination der Deportationen - wie die Juden getötet wurden, spielte offenbar keine Rolle, zumal diese Informationen im Sinne einer Koordination der beteiligten Behörden auch nicht notwendig waren. Ebenso wenig wurde auf die Massenerschießungen in der Sowjetunion näher eingegangen, obwohl etwa das Massaker von Babi Jar bei Kiew, bei dem 33.700 Juden ermordet wurden, bereits am 29. September 1941 geschehen war. Diese Massenmorde dürften aber dem Großteil der Teilnehmer bekannt gewesen sein.
Wichtiger für die beteiligten Behörden war dagegen die Organisation der Deportationen. "Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchkämmt", heißt es auf Seite 7. Das Reichsgebiet werde "schon aus Gründen der Wohnungsfrage (…) vorweggenommen werden müssen". Tatsächlich hatte es im Vorfeld der Wannsee-Besprechung entsprechende Kontakte mit städtischen Wohnungsämtern in Berlin, München, Stuttgart und Wien über jüdischen Grund- und Wohnbesitz gegeben. Zudem kündigte Heydrich die Gründung des "Altersghettos" Theresienstadt für Juden über 65 Jahre an. In das schon vorhandene Ghetto wurden tatsächlich ab Sommer 1942 ältere deutsche Juden deportiert, von denen anschließend ein Teil in die Vernichtungslager verbracht und ermordet wurde, ein anderer Teil an Hunger und Seuchen in Theresienstadt selbst verstarb.
Auf Seite 9 heißt es, dass "die weiteren Evakuierungsmaßnahmen", also die Deportationen, von der militärischen Entwicklung abhängig seien. Anschließend verweist das Dokument auf Adolf Eichmann selbst ("dem zuständigen Referenten"), mit dem sich die Beamten des Auswärtigen Amts künftig abzusprechen hätten.
Auf welche Weise die Juden getötet werden sollten, spielte offenbar keine Rolle.
Mischlinge 1. Grades
Beginnend auf Seite 9 unten gibt das Protokoll nicht länger die Ausführungen Reinhard Heydrichs wieder, sondern fasst eine Diskussion der beteiligten Beamten zusammen. Luthers Verweis auf Schwierigkeiten in den nordischen Ländern bei der Durchführung des Holocaust trugen die Nazis insofern Rechnung, als die Deportationen dort relativ spät einsetzten. Luther versprach, dass dafür im Südosten und Westen Europas keine Probleme entstünden. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes stimmte damit den Deportationen ausdrücklich zu - wie auch sonst unter den Teilnehmern der Besprechung keinerlei Widerspruch aufkam.
Der Punkt IV. des Besprechungsprotokolls befasst sich ausführlich mit der Frage, welcher Personenkreis dem "Endlösungsvorhaben" unterliegen sollte. Als "Mischlinge 1. Grades" bezeichneten die Nürnberger Gesetze Menschen, die zwei jüdische Großeltern hatten und weder einer jüdischen Gemeinde angehörten noch jüdische Ehepartner hatten. Im Gegensatz zur bisherigen Politik, die diesen Personenkreis in vielen Punkten mit "Ariern" gleichstellte, sollten diese "Halbjuden" nun nach Heydrichs Vorstellungen mit den genannten Ausnahmen deportiert werden. Die Ausgenommenen wollte man den Ausführungen zufolge sterilisieren.
"Mischlinge 2. Grades" waren der Nazi-Gesetzgebung zufolge Menschen mit einem jüdischen Großelternteil ("Vierteljuden"). Sie sollten grundsätzlich mit den aufgeführten Ausnahmen nicht deportiert werden. Bei "Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen" sollte je nach Einzelfall entschieden werden. "Mischlinge 1. Grades", die mit einem "arischen" Ehepartner verheiratet waren, sollten deportiert werden, wenn die Ehe kinderlos war oder die Kinder nicht als Deutsche galten.
Tatsächlich konnte er sich mit diesen Plänen innerhalb der Nazi-Bürokratie nicht durchsetzen. "Mischlinge 1. und 2. Grades" wurden nicht deportiert. Es fanden auch keine Sterilisationen von "Mischlingen 1. Grades" statt. Unter anderem wurde damit argumentiert, dass die Sterilisation von tausenden Juden die Kapazitäten der Krankenhäuser besonders in Anspruch nehmen würde, obwohl die Behandlung von Verletzten der Wehrmacht Vorrang haben müsste. Erst kurz vor Kriegsende kam es in einigen Regionen zur Deportationen von "Mischehepartnern". Nach der Niederlage 1945 behaupteten Angehörige des Reichsinnenministeriums und der Reichskanzlei, sie hätten mit der Verweigerung der Einbeziehung weiterer Menschen in das Vernichtungsprogramm dazu beigetragen, Juden zu retten.
Die genannten Differenzierungen wurden allerdings nur in Deutschland getroffen. Besonders in Osteuropa unterschied die SS bei ihren Mordaktionen nicht, ob jemand einen nichtjüdischen Ehepartner hatte oder nicht. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler selbst verbat sich jegliche einschränkende Definition seines Begriffs, wer Jude sein sollte und wer nicht.
Reinhard Heydrichs Pläne zur Sterilisierung scheiterten.
Mehrzahl: Arbeitsunfähig
Die bestehenden Unklarheiten über die Deportation der Mischlinge kommen in der auf Seite 14 wiedergegebenen Diskussion zum Ausdruck. Einige der Teilnehmer verwiesen auf "unendliche Verwaltungsarbeit", andere forderten "Zwangssterilisationen". Zudem wurde debattiert, ob Ehen zwischen Juden und Nichtjuden zwangsweise geschieden werden könnten - eine solche Regelung wurde in den folgenden Jahren der NS-Herrschaft nicht getroffen.
Heydrich sicherte im weiteren Verlauf dem Vertreter des Vierjahresplans zu, dass jüdische Zwangsarbeiter von den Deportationen nicht betroffen würden. Tatsächlich galt diese Regelung bis Anfang 1943. Erst danach, als ausreichend ausländische Zwangsarbeiter in Deutschland zur Verfügung standen, begannen die Deportationen der ZwangsarbeiterInnen. Der Vertreter des Generalgouvernements brachte anschließend zum Ausdruck, dass er den Beginn des Massenmordes in seinem Gebiet begrüßen würde, "weil das Transportproblem keine übergeordnete Rolle spielt". Der Halbsatz verweist darauf, dass es hier nicht länger um Deportationen, sondern um die Vernichtung selbst ging. Mit Bühlers Hinweis, dass ein Großteil dieser Juden nicht arbeitsfähig sei, warb er geradezu um den Massenmord, der in seinem Gebiet ohne Einschränkungen der Produktion möglich sei. Mit den "gewissen vorbereitenden Arbeiten im Zuge der Endlösung" war offenbar der Aufbau der Vernichtungslager gemeint. Ein halbes Jahr später, im Sommer 1942, begann im Generalgouvernement die "Aktion Reinhard", bei der fast zwei Millionen Juden in den Vernichtungslagern ermordet wurden. (© Klaus Hillenbrand, Erstveröffntlichung: Tageszeitung)
Was wurde aus den Teilnehmern der Wannsee-Konferenz?
Reinhard Heydrich (geb. 1904) starb schon am 4. Juni 1942 nach einem Attentat in Prag.
Alfred Meyer (geb. 1891) beging Ende April 1945 Selbstmord.
Georg Leibbrandt (geb. 1899) wurde 1949 nach vierjähriger Haft freigelassen. Er starb 1982.
Wilhelm Stuckart (geb. 1902) wurde 1949 zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, die wegen vorhergehender Haft als abgegolten galten. 1950 als "Mitläufer" eingestuft, 1952 zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt. Stuckart starb 1953.
Erich Neumann (geb. 1892) wurde 1945 interniert und 1948 aufgrund einer Krankheit entlassen. Er starb im selben Jahr.
Roland Freisler (geb. 1893) kam bei einem Luftangriff in Berlin am 3. Februar 1945 ums Leben.
Josef Bühler (geb. 1904) wurde nach dem Krieg nach Polen ausgeliefert. Im Juli 1948 in Krakau zum Tode verurteilt und hingerichtet. Josef Bühler warb geradezu um den Massenmord in seinem Gebiet.
Martin Luther (geb. 1895) geriet nach dem Versuch, seinen Minister Ribbentrop zu stürzen, 1943 als "privilegierter Schutzhäftling" ins KZ Sachsenhausen. Er verstarb 1945 einen Monat nach seiner Befreiung.
Gerhard Klopfer (geb. 1905) kam nach Kriegsende für vier Jahre in Haft. Ab 1956 Rechtsanwalt in Ulm. Klopfer verstarb 1987.
Wilhelm Kritzinger (geb. 1890) war bis 1946 interniert. Haftverschonung wegen Krankheit. Kritzinger starb 1947.
Otto Hofmann (geb. 1896) wurde 1948 zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1954 begnadigt, danach kaufmännischer Angestellter in Württemberg. Hofmann starb 1982.
Heinrich Müller (geb. 1900) verschwand Anfang 1945 in Berlin und gilt als verschollen.
Adolf Eichmann (geb. 1906) floh 1950 unter dem Namen Ricardo Klement nach Argentinien und lebte in Buenos Aires. 1960 vom israelischen Geheimdienst Mossad nach Israel entführt, im Dezember 1961 zum Tode verurteilt. Eichmann wurde am 1. Juni 1962 hingerichtet.
Eberhard Schöngarth (geb. 1903) wurde 1946 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Rudolf Lange (geb. 1910) beging im Februar 1945 in Posen Selbstmord.
Reine Machbarkeitsfrage
Die Teilnehmer der Wannsee-Konferenz entstammten der jüngeren Generation, fast alle hatten akademische Bildung. Für diese junge NS-Elite gerannen selbst die blutigsten Neuordnungsvisionen zu reinen Machbarkeitsfragen. Das Protokoll in seiner Verwaltungssprache ist auch ein Beleg für die Gefahren, die unter solchen Voraussetzungen in modernen Industriegesellschaften lauern. Deren funktionale Ausdifferenzierung ermöglicht es, kleine entmoralisierte Beihilfehandlungen in nüchterne Formulierungen zu kleiden. Beamte, Angestellte, Funktionsträger tun, was sie immer tun, und ihre hoch arbeitsteilige, bürokratische Routine verdeckt den Anteil an Verbrechen umso stärker, je entfernter sie vom Tatort agieren. Diese Tarnsprache enttarnt sich, wenn man das Protokoll heute liest.
(Peter Klein, taz)
© judeninmutterstadt.org