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WIEDER IN PRAG - MAI 1945

 

Also bin ich dann mit einer Frau, mit der ich befreundet war - ihr Sohn ist auch aus einem Konzentrationslager gekommen - Frau Kellner, die hatte sich dort ein bisschen um mich gekümmert und mich im Krankenhaus besucht, mit der bin ich nach Prag. Ihr Sohn hatte ihr geschrieben, er ist aus einem Konzentrationslager gekommen und hat in Prag eine Adresse. Also hat sie mich mitgenommen, und wir beide sind, es war schon Ende Mai, nach Prag gekommen. Der Bruder von Ota hatte seine Wohnung wieder zurückbekommen, eine schöne Dreizimmer-Wohnung, und wer keine Wohnung hatte, der ist zu ihm gekommen. Da waren viele Flüchtlinge überall, die haben gefragt, wo ich wohne. Ich habe gesagt, ich habe keine Wohnung, also bin ich mit Frau Kellner in die Rybná übersiedelt. Dort haben wir gewohnt wie in Theresienstadt. Es war kein Stroh auf dem Boden, aber wir haben alles Mögliche, Decken, Mäntel ausgebreitet, und einer neben dem anderen hat dort geschlafen, aber die Wohnung war sehr schön, mit Küche und Badezimmer. Auch in der Küche hat jemand gewohnt, ich weiß nicht, wie viele wir insgesamt waren. Aber ich wusste nicht, was tun. Ich hatte kein Geld, also bin ich mit der rosa Legitimation zur Jüdischen Gemeinde. Dort hat jeder eine Suppe bekommen. Hunger hatten wir also nicht. Jeder aus Theresienstadt hat etwas Geld bekommen. Wir haben auch Karten bekommen für einen Mantel, für Hosen. Aber ich hatte kein Geld, das ich zu den Karten hätte zuzahlen müssen. Die Karten existieren noch heute irgendwo, weil ich sie damals nicht benutzen konnte. Dann habe ich mich erinnert, dass mein Verlobter hier Verwandte hatte. Ich konnte mich allerdings nicht an den Namen erinnern, alles vergessen. Dann bin ich eine Woche lang hin und her gegangen, habe mich erinnert, wo haben die Leute gewohnt. Wie haben sie geheißen? Ich konnte sie nicht finden. Dann habe ich sie endlich im Telefonbuch gefunden, nachdem ich es von A-Z durchsucht hatte. Ich habe angerufen, und sie waren glücklich, dass jemand von der Familie zurückgekommen ist. Sie hatten schon verschiedene Informationen bekommen, wer alles nicht mehr lebt, auch, dass ich nicht mehr lebe. Sie haben gesagt, der Richard war hier. Alle Soldaten - aus dem Osten und dem Westen - hatten in Prag eine Art Militärparade abgehalten. Aber die vom Westen mussten wieder zurück zu ihrem Stationierungspunkt, im Böhmerwald irgendwo. Richard ist also wieder zurückgegangen, aber sie haben mir seine Adresse gegeben. Ich habe überlegt: Es ist ja möglich, dass er schon verheiratet ist, Familie hat – und jetzt komme ich und soll ihm zeigen, dass er ein Anrecht auf mich hat. Das wollte ich nicht. Das war mir sehr unangenehm, also habe ich ihm einen Brief geschrieben: Falls Du noch Interesse hast mich zu sehen, dann unter dieser Adresse, in der Rybná. Er hat meinen Brief bekommen, hat um Urlaub gebeten und ist sofort nach Prag gekommen. Und eines schönen Tages, wir sind alle gerade vom Mittagessen gekommen, da klingelt jemand. Ich bin aufmachen gegangen und sehe jemand in Uniform und habe ihn nicht erkannt. Ich habe ihn angeschaut: Wer kann das sein? Und dann: Bist du das? Da haben wir uns am Anfang eigentlich nicht erkannt, nach sechs Jahren. Wir hatten uns verändert in dieser Zeit. Und wir konnten beide gar nicht glauben, dass wir das überlebt hatten. Von beiden Familien waren wie die Einzigen, die überlebt haben. Von seiner Familie, und das war eine wirklich große Familie, war er der Einzige, der zurückgekommen ist. Unsere Familie war nicht so groß, aber ich bin als Einzige zurückgekommen. Also wir zwei, wir sagten, ein Wunder ist geschehen: Wir haben uns gefunden! Wir waren so glücklich. Alles andere war nicht mehr wichtig. Wir wollten sofort heiraten..Dann haben wir diese Wohnung gefunden, er war einige Male hier, hat aber nicht daran gedacht, dass er eine Wohnung braucht, wenn er heiraten will. Das musste ihm ein Freund sagen. Es war sehr kompliziert. Aber er war in Uniform, da musste er nicht in diesen Schlangen stehen. Er bekam ein Verzeichnis von freien Wohnungen, und wir von einer Wohnung zur anderen. Aber alle waren schon besetzt. Und diese Wohnung bewohnte ein Österreicher, und Österreicher mussten Prag nicht sofort verlassen. Die Deutschen mussten Prag verlassen, kamen in Lager, aber die Österreicher durften warten, bis sie einen Möbelwagen bekamen und normal übersiedeln konnten. Diese Wohnung war also noch besetzt, aber in der Rybná ist es mir nicht schlecht gegangen. Es war nicht so schlimm, ich hatte mich schon daran gewöhnt. Ende August konnten wir in die neue Wohnung. Wir mussten sie einrichten. Wir haben eine Bewilligung für ein Lager bekommen, wo man sich ein paar Möbel aussuchen konnten – ja, und dann haben wir angefangen, normal zu leben.


Mein Mann hatte Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden; ab 1948, als die Kommunisten alles übernommen haben, hatte er große Handicaps: Er war in der Westarmee, das war schlimm, er war Advokat, das war auch schlimm, er war aus England gekommen, das war besonders schlimm – und bei den Kommunisten waren das eben alles Handicaps. Inzwischen haben wir ein Baby erwartet, also konnte ich auch nicht arbeiten.

Zur Zeit der Kommunisten war es wirklich nicht einfach. Mein Mann musste zwei Jahre in die Hütte fahren, manuell arbeiten hieß das. Aber das alles konnte man ganz gut ertragen. Er war nicht glücklich, dass er nicht in seinem Beruf arbeiten konnte, aber wir waren glücklich, dass wir zusammen waren.


1968

1968 sind viele nach Amerika emigriert. Damals gab es diese Möglichkeit. Meine Tochter ist auch weggegangen. Es war damals so eine Psychose. Jeder wollte weggehen. Meine Tochter sagte später: Wie konntest du mich weggehen lassen? Aber nach den Erfahrungen, die ich hier gemacht hatte, dachte ich, es wird wieder Krieg sein. Als die russischen Panzer kamen, waren wir überzeugt, das muss Krieg geben. Meine Tochter war schon im letzten Jahr ihres Studiums und hatte beschlossen, wegzugehen. Ich wollte ihr nicht verbieten wegzugehen, weil man nichts wusste. Wenn wirklich Krieg wäre, wollte ich nicht, dass meine Kinder dasselbe erleben wie ich damals. Es gab die Möglichkeit für sie, nach Amerika zu gehen, und die hat sie genutzt. Aber sie war nicht sehr glücklich.

Sie war ja sehr entschlossen gewesen, und ich habe ihr gesagt: Schau, wenn wirklich Krieg ausbricht, dann würde ich mir ständig Vorwürfe machen, dass ich dich nicht gelassen habe. Ich wusste ja nicht, wie das ausgehen würde. Als wir überall in den Straßen die russischen Panzer hatten, das hat wirklich nach Krieg ausgesehen. Dass es dann anders ausgefallen ist, das konnte ja niemand wissen. Jetzt ist sie sehr zufrieden, sie hat Familie, Kinder, Enkel, ganz verliebte Großmutter, also ist sie glücklich. Jetzt bedauert sie es nicht mehr, nach Amerika gegangen zu sein. Es war ein Risiko, denn sie konnte nicht zurück. Sie wäre hier eingesperrt worden. Nach den kommunistischen Gesetzen hatte sie die Republik verlassen, sie wäre verurteilt worden. Das war ja ein Straftatbestand. Zum Schluss ist alles gut ausgegangen. Mein Sohn war auch in Amerika, ist dann aber wieder gleich zurück gekommen. Das war im Jahre 1989, da hatte niemand vorher damit gerechnet, dass die Kommunisten so schnell weg sein würden.

KS: Na, dafür können Sie jetzt mindestens einmal pro Jahr nach Amerika fahren, auch gut.

ER: Ich war schon mehr als 30 mal in Amerika, da ist das nicht mehr so attraktiv.

 

 

© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

 

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