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Das deutsche Wirtschaftswunderland und die Armut

Gutachten zur sozialen Lage in Deutschland

zusammengefasst von Katja Schickel

 

„Deutschland war noch nie so gespalten wie heute“, resümiert der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes Rolf Rosenbrock die Ergebnisse des ersten Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland, das ein düsteres, aber nicht vollkommen überraschendes Bild der deutschen Wirklichkeit zeichnet.

Der Bericht beginnt zunächst mit den bekannten Erfolgsmeldungen: Trotz der Krise ist die Arbeitslosigkeit gesunken, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist niedriger als in den anderen EU-Staaten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat Rekordniveau erreicht, Rentenkassen und Gesundheitsfonds haben über sechzig Milliarden Euro Rücklagen angehäuft. Hinter dem Glanz der polierten Statistiken werden jedoch allzu gerne andere, bedrückende Aspekte versteckt. Das Gutachten soll ein Gegengewicht zu den rein ökonomischen Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen bilden, betont Rosenbrock bei der Präsentation des vierundfünfzig-seitigen Berichts.

Von der ökonomischen Entwicklung profitiert nur ein Teil der Gesellschaft, während viele Andere immer weiter zurückfallen. Die Erfolgsbilanz auf dem Arbeitsmarkt wird sowohl ermöglicht als auch konterkariert durch die hohe Zahl an Minijobs, an deutlich mehr befristeten Arbeitsverhältnissen und einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Einerseits hat es also noch nie so viele Erwerbstätige gegeben, andererseits aber auch noch nie so viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Immer weniger Menschen profitieren vom Wohlstand, die Gesellschaft spaltet sich. „Es gab noch nie so viel Privatvermögen in Deutschland wie heute“, sagt Rosenbrock, aber zugleich sei jeder zehnte Erwachsene überschuldet. Entsprechend hoch liege der Anteil der von Armut bedrohten Menschen.


Ein neuer Rekord ist nämlich auch bei der Armutsquote zu verzeichnen. Sie stieg 2013 auf immerhin 15,2 Prozent und erfasst alle Personen mit weniger als sechzig Prozent des mittleren Einkommens. Fast sechzig Prozent der Erwerbslosen gelten als armutsgefährdet sowie rund vierzig Prozent der Alleinerziehenden (in beiden Gruppen vor allem Frauen).

Die Politik hat bisher nichts getan, um der wachsenden sozialen Spaltung im Lande entgegenzuwirken: „Die Passivität der Politik, die bisweilen schon an sozialpolitische Ignoranz grenzt, (ist) erschreckend“. Immer größere Bevölkerungsgruppen werden sozial abgehängt, obwohl man doch weiß, dass ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft den sozialen Frieden in Deutschland gefährden könnte. Die Bundesregierung müsse einen sozialpolitischen Kurswechsel sowie eine andere Steuerpolitik in Angriff nehmen, also eine entschlossene Politik der Arbeitsförderung und konkrete Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung in die Wege leiten, heißt es weiter. Stattdessen sind Fördermittel der Bundesagentur für Arbeit für Langzeitarbeitslose gekürzt worden; anstatt Angebote weiterzuentwickeln, wurden nur die Sanktionen erhöht. Die Regelsätze entsprechen nicht mehr der Realität. Die Energiewende beispielsweise mit ihren steigenden Strompreisen belastet besonders Niedrigverdiener und Haushalte mit kleinen bis mittleren Einkommen. Das Thema Kinderarmut wurde im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD nicht einmal erwähnt.

 

(Die Studie teilt Deutschland entlang der ehemaligen Grenzlinie in Ost- und Westdeutschland)

 

18,9 Prozent aller Kinder waren 2012 armutsgefährdet. In Ostdeutschland lag die Quote basierend auf Daten des Mikrozensus bei 25,7 Prozent, das heißt: Jedes vierte Kind ist von Armut bedroht. In Westdeutschland lag die Quote bei 17,6 Prozent.

Mit 33,7 Prozent liegt Bremen vorn, gefolgt von 33,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 26,9 Prozent in Berlin. Selbst im vergleichsweise reichen Hamburg sind 21,3 Prozent aller Kinder von Armut bedroht. Besonders niedrig ist die Quote mit 9,9 Prozent in der Oberpfalz und mit 11,6 Prozent in Schwaben. Insgesamt haben sich Ost- und Westdeutschland in der Armutsentwicklung seit 2005 deutlich angenähert, heißt es in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die die Daten ausgewertet hat. Verschlechtert hat sie die Situation in einigen Bezirken Nordrhein-Westfalens, dort wachsen immer häufiger Kinder in armen Familien auf.

Um herauszufinden, was Armut oder Armutsgefährdung konkret bedeutet, wurde nachgefragt, an was gespart wird, ob bestimmte Gegenstände vorhanden und bestimmte Aktivitäten möglich sind.

Fast vierzig Prozent der befragten armen Haushalte in Ostdeutschland konnten sich kein Auto leisten, für fast drei Viertel der Befragten war ein einwöchiger Urlaub im Jahr nicht möglich, fast eben so viele konnten keinen festen Betrag pro Monat sparen. Die Quoten waren in Westdeutschland nur unwesentlich niedriger. Ausreichend Winterkleidung war in 12,1 Prozent der ostdeutschen Haushalte nicht vorhaben, in Westdeutschland waren es 9,7 Prozent.

 

26IV14

 

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