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Yehuda Bauer

Kurzes Gespräch am Rande

aufgezeichnet von Katja Schickel

 

 


 

Anlässlich der Feiern rund um „Fünfzig Jahre Deutsch-Israelische Beziehungen 2015“ fand Ende April 2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Konferenz: Deutschland und Israel - Besondere Beziehungen – besondere Verantwortung? statt. s.a.: https://www.youtube.com/watch?v=XaLVrHEY50k



Zum Stand der Dinge

Die Beziehungen haben sich verbessert. Es wird ziemlich Vieles gutgemacht, es gibt viele Initiativen hier, erzieherische, bildungspolitische usw., die sehr intensiv sind zwischen Deutschland und Israel. Das darf man nicht unterschätzen, und dass es weiter ausgebaut werden kann ist selbstverständlich.


Antisemitismus

Die Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland ist eine langwierige Angelegenheit.

Der latente Antisemitismus ist in ganz Europa weit verbreitet, aber es ist nicht gleichzusetzen. Er existiert, hier wie dort, in Frankreich, in Holland, in Polen usw.. Ihn anzugreifen ist eigentlich nur möglich, wenn eine pluralistische Gesellschaft entsteht, in der Gleichberechtigtkeit der Kollektive einhergeht mit der Gleichberechtigkeit der Individuen.In ihr sind wir, die Juden, natürlich eine Gruppe unter anderen Gruppen.


Geschichte

Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte der europäischen Völker, sagen wir seit dem 11., 12. Jahrhundert, sehr bestimmt ist vom christlichen Antisemitismus. Das gilt übrigens auch für Menschen, die mit dem Christentum nichts zu tun haben oder nichts mit ihm anzufangen wissen und daher nichts mit ihm zu tun haben wollen. Denn diese Kultur hat diese Werte und Einstellungen in sich aufgenommen und weiterentwickelt oder wenigstens nicht negativ behandelt und abgelehnt.
Diese Tradition existiert also weiter, und das Selbstverständliche einer Kultur, die sich als Fortsetzung und zugleich als Gegensatz zu der Vaterreligion, also der Vaterkultur sieht, das besteht weiter.


Perspektive

Das wird so lange anhalten, bis die Religion, obwohl sie keinen großen Einfluss mehr hat – aber eben doch! – also sowohl die katholische Kirche, als auch die evangelischen Kirchen (Lutheraner, Calvinisten, Anglikaner usw.) zu dem Schluss kommen, dass es auch von der religiöser Seite her erlaubt ist zu sagen: Ich bin Atheist, andererseits, auch von der religiösen Seite, anzuerkennen, dass man viele Wege zu Gott findet und finden kann, wenn man möchte. Davon ist man aber in den Kirchen sehr weit entfernt, auch bei den durchaus pro-jüdischen Geistlichen. Das ist die eine Sache, die religiöse sozusagen, die andere ist natürlich die Erziehung, nicht nur die von Jugendlichen, sondern auch und speziell die der Eltern dieser Jugendlichen.
Das halte ich für einen richtigen Weg in die Zukunft. Aber ich bin kein Prophet und kann dazu eigentlich nichts sagen.


Schlussstrich

Auffallend in Deutschland ist, dass man nach wie vor nicht unterscheidet zwischen Schuld und Verantwortung. Schuldig sind die Täter, die mittlerweile zumeist tot sind. Verantwortlich ist eine Gesellschaft, die diese Verbrechen hervorgebracht hat. Das ist auf der einen Seite die Aufgabe der historischen Aufarbeitung, die andere Seite ist die moralische Verantwortung, und die kann man nicht streichen. Da ist kein Schlussstrich möglich, und das zumindest spüren auch diejenigen, die ihn am vehementesten fordern, manche schon gleich 1945...


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Leseempfehlung


 

Yehuda Bauer, Der Tod des Schtetls
Aus dem Englischen von Klaus Binder
364 S., geb., Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2013

 

€ 24,95, ISBN: 978-3-633-54253-6


 



Das Schtetl war „eine kleine Civitas Dei“, wie Manès Sperber schrieb, ein untergegangenes Paradies, ein ausgelöschter Sehnsuchtsort. In den „Städtlein“ Galiziens, Weißrusslands und der Ukraine lebten die Juden wie aus der Zeit gefallen: in bitterster Armut, größter Religiosität und in der Tradition der Vorfahren, aber ohne den Druck zur Assimilation wie im übrigen Europa. Pogrome bedrohten das Schtetl schon im 19. Jahrhundert, doch erst die Nazis vernichteten im Zweiten Weltkrieg die Schtetl und ihre Einwohner.

Yehuda Bauer, der große Erforscher der Shoah, erzählt ohne Verklärung von den Lebensumständen im Schtetl, von den sozialen Widersprüchen, den Schicksalen Einzelner. Anhand einer Reihe von Orten zeigt er die Umstände der Auslöschung nach dem Einmarsch der Deutschen auf. Er beschreibt die verzweifelten Rettungsversuche, die Flucht in die Wälder und den jüdischen Widerstand.

Yehuda Bauer,* 1926 in Prag, ist Professor für Holocaust Studies am Avraham Harman Institute for Contemporary Jewry an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er ist einer der bedeutendsten Holocaustforscher weltweit und hat diese wissenschaftliche Disziplin mit begründet. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift Holocaust and Genocide Studies und Mitglied des Beirats der Encyclopedia of the Holocaust, die 1990 von Yad Vashem herausgegeben wurde. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Publikationen.


Werke

Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Interpretationen und Re-Interpretationen. Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, Frankfurt 2001, ISBN 3-633-54170-5
Freikauf von Juden? Verhandlungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und jüdischen Repräsentanten von 1933 bis 1945. Aus dem Engl. Von Klaus Binder und Jeremy Gaines; Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-633-54107-1
Rudolf Vrba und die Auschwitz-Protokolle. Eine Antwort auf John S. Conway, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 45, 2, 1997, S. 297–308. Online auf der Institutsseite aufzurufen
American Jewry and the Holocaust. The American Jewish Joint Distribution Committee 1939–1945. Jerusalem 1981, ISBN 0-8143-1672-7
Rethinking the Holocaust. 2002, ISBN 0-300-09300-4

 


Vortrag
von Yehuda Bauer über sein Buch Der Tod des Schtetls:
http://www.fritz-bauer-institut.de/yehuda-bauer-2013.html mp3-audio, 66.12 Min.

© Prof. Dr. Yehuda Bauer und Fritz Bauer Institut 

Archiv: über die Holocaust Era Assets Conference in Prag, 2008


s. hierzu auch:
Münchner Abkommen.5 deutsche Freunde, Prag 1918 - 1938, Henker von Prag, Schindler Erbe,

Leningrad-Blockade, Inge Deutschkron, Zoni Weisz-27.01.11, Marcel Reich-Ranicki
Eva Roubickova, Tagebuch, Gespräch Roubickova, Erinnerungs-Stücke, Prag ab 1938, Nach Theresienstadt, In Theresienstadt, Alltag-Kultur, Wieder in Prag,  Der unsichtbare Held, E.Roubickova ist tot

Petr Ginz,Nizza Thobi, Jüdischer Alltag-NS, Medizin und NS, NS-Arbeitsbegriff,

Verfolgung-Ermordung der europäischen Juden, Protektorat 1939-41, Ermordung ab 1941, Westeuropa 1940-42, Wannsee-Konferenz 42, H.-G. Lützenkirchen,
Viola Roggenkamp; Yuri Dojc – Fotograf; Otto Dov Kulka; Brian Klug: Was ist Antisemitismus?



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